19. Juni 2025

Bobby „Judas“ Dylan

James Mangolds Filmbiographie „Like A Complete Unknown“ • 

1961. Der 19-jährige Robert Allen Zimmerman ist von Minnesota nach New York City getrampt, um dort sein musikalisches Idol Woody Guthrie (Scoot McNairy) zu treffen und ihm ein Lied vorzuspielen, das er für ihn geschrieben hat. Dem bekannten Folksänger geht es schlecht. Er leidet an der Huntington-Krankheit und wird in einer Klinik von seinem Freund Pete Seeger (Edward Norton) umsorgt. Aber als die beiden den „Song for Woody“ hören, den ihnen der junge, selbstbewusste Musiker, der sich den Namen Bob Dylan gegeben hat, vorspielt, erkennen sie schon nach wenigen Takten dessen Genialität. 

Pete lädt das Nachwuchstalent ein, bei seiner Familie zu wohnen und macht Bob (Timothée Chalamet) mit der New Yorker Folkmusik-Szene bekannt. Dort lernt er Joan Baez (Monica Barbaro) kennen, die mit ihren Protestliedern bereits viele Anhänger gewonnen hat. Dylan beeindruckt das Publikum mit seinen Auftritten und bekommt auch bald einen Plattenvertrag. Jedoch zwingt ihn das Label, vor allem Coverversionen bekannter Folksongs aufzunehmen. Noch bekommen Bob Dylans Songschreiber-Qualitäten kein Forum.

Doch das ändert sich. Motiviert von Sylvie Russo (Mary Elle Fanning), die in der Musikbranche „zu Hause“ und nicht nur von Bobs Songs, sondern auch von seiner unkonventionellen, unergründlichen Art begeistert ist, setzt Bob Dylan durch, eigene Songs aufnehmen zu können. Und seine durchweg sozialkritischen Songs setzen Maßstäbe: „Don’t Think Twice, It’s Alright“, „Blowin’ In The Wind“, „The Times, They Are a-Changin’“ …

Mit Sylvie entwickelt sich eine Beziehung. Er wohnt und komponiert bei ihr, doch schon bald muss sie erkennen, dass sich Bobs Nonkonformismus und Exzentrizität durch physische Nähe und zarte Liebe nicht aufwiegen lassen. Es gelingt ihr immer schlechter, die zunehmende Distanz zu ihm zu überwinden, während Bob mit Joan Baez offenbar mehr als nur künstlerische Zusammenarbeit verbindet.

Doch nicht nur im höchst privaten Bereich, auch was seine Musik anlangt, empfindet Bob Dylan jeden Erwartungsdruck als unerträglich. Weder will er an Joans Seite weiterhin immer wieder nur seine populärsten Songs spielen, noch möchte er sich als Folkmusiker auf überwiegend akustische Instrumente beschränken. Also stellt er eine neue Band zusammen, verwendet für seine neuen Songs unter anderem auch Elektrogitarren, nimmt ein neues Album („Highway 61 Revisited“) auf – und verabschiedet sich damit 1965 von der Folkszene – sehr zum Missfallen der Organisatoren des „Newport Folk Festivals“. Sie hatten Bob Dylan als Attraktion eingeladen und müssen nun miterleben, wie er alle Erwartungen mit Füßen tritt, den „Judas-Rufen“ des buhenden Publikums trotzt und dabei den Triumph künstlerischer Freiheit genießt …

James Mangolds Biopic „Like A Complete Unknown“ (Original: „A Complete Unknown“) beleuchtet einen Zeitraum von etwa fünf Jahren in der Biographie des außergewöhnlichen Songschreibers und Literaturnobelpreisträgers Bob Dylan. Der Titel des Films, eine Songzeile aus „Like A Rolling Stone“ (1965), bringt auf den Punkt, was nicht nur die frühen Karrierejahre dieses Künstlers geprägt hat: In seiner musikalischen Vielfältigkeit – Rock, Blues, Gospel, Jazz, Pop … – war Bob Dylan immer der „völlig Unbekannte“. Er passte in keine Schublade, blieb rätselhaft, lebte sich auch als Zeichner, Maler und Bildhauer aus und gilt jedenfalls als einer der einflussreichsten Musiker der letzten Jahrzehnte.

Umso beeindruckender erscheint, mit welcher Leichtigkeit Timothée Chalamet darstellerisch und auch gesanglich den jungen Bob Dylan gibt. Und nicht weniger, wie „authentisch“ Monica Barbaros Joan Baez wirkt. Großartig, was die beiden für diesen Film musikalisch leisten! Denn der US-amerikanische Regisseur James Mangold verzichtete – wie schon bei seinem Johnny-Cash-Biopic „Walk the Line“ – auf Musikkonserven. Die Schauspieler sollten wirklich singen!

Die Handlung des für mehr als 100 internationale Film- und Festivalpreise nominierten Films „Like A Complete Unknown“ basiert auf dem Sachbuch „Dylan goes electric!“, in dem der Musikwissenschaftler Elijah Wald die Veränderungen im Musikstil des jungen Bob Dylan thematisiert. Jay Cooks und James Mangold haben in ihrem Drehbuch manches dramaturgisch zugespitzt und den Spannungsbogen vielleicht auch etwas überdehnt. Aber das „Feeling“ stimmt, die Zeitreise gelingt. Sehens- und hörenswert!

(2024, 141 Minuten)