Christopher Nolans Science-fiction-Epos „Interstellar“
• Christopher Nolan nimmt sich gerne … Zeit – für seine Filme und als Thema. Der Science-fiction-Thriller „Inception“ des erfolgreichen britischen Filmregisseurs („Batman“-Trilogie) thematisierte schon einmal die Zeit: In Träumen erleben wir zwar zeitliche Abläufe genau so wie in der äußeren „Tages-Wirklichkeit“. Aber misst man die Traumzeit mit physischen Uhren, dann währen lange nächtliche Zeitspannen nur wenige Sekunden.
Auch Nolans aktueller Science-fiction-Film „Interstellar“ thematisiert wieder die Zeit, genauer: das Phänomen der Zeitdilatation. Dabei geht es allerdings nicht, wie bei Träumen, um die Messung einer subjektiv erlebten Zeitspanne, sondern ausschließlich um objektiv tickende Uhren.
Seit gut 100 Jahren, genauer gesagt, seit Albert Einstein seine Relativitätstheorie formuliert hat, wissen wir, dass bewegte Uhren langsamer ticken als nicht bewegte – nach dem einfachen Raumzeit-Prinzip: Je schneller sich etwas im Raum bewegt, desto langsamer bewegt es sich in der Zeit. Und umgekehrt.
Das bekannteste Gleichnis zum Verständnis der Zeitdilatation ist das „Zwillingsparadoxon“: Der eine Zwillingsbruder bleibt auf der Erde zurück, der andere startet einen Weltraumflug – mit einem sagenhaften Raumschiff, das ihn fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegt.
Als der Astronaut nach Jahren zurückkehrt, ist er jünger als sein zurückgebliebener Bruder. Subjektiv haben die beiden Zwillinge die Zeit gleich erlebt. Dennoch besteht nun ein biologischer Altersunterschied – denn der Astronaut hat sich langsamer in der Zeit bewegt (was natürlich nichts mit „Zeitlupe“ zu tun hat).
Die Zeitdilatation ist ein realer Effekt, der allerdings nur bei sehr hohen Geschwindigkeiten (die technisch derzeit nicht erreichbar sind) zu relevanten Altersunterschieden führen würde. Aber in bestimmten Technologien, die höchste Präzision erfordern – beispielsweise Navigationssysteme, bei denen Geräte auf der Erdoberfläche mit Satelliten kommunizieren – muss die Zeitdilatation berücksichtigt werden.
Den „Astronauten-Zwilling“ gab es allerdings nur in gedanklichen Theorien. Bis Christopher Nolan nun seinen Hauptprotagonisten Tom Cooper (Matthew McConaughey) auf die „Interstellar-Reise“ schickte und dabei so richtig durch den „Zeitwolf“ drehte. Seine geliebte Tochter Murphy (Mackenzie Foy [jung], Jessica Chastain [erwachsen]; Ellen Burstyn [alt]), die Astronaut Cooper natürlich verlassen muss, als ihn die Verpflichtung ereilt, durch eine gefährliche Weltraum-Mission die Menschheit zu retten, trifft er (selbst indessen kaum gealtert) erst als 90-jährige im Sterbebett wieder. Zum Glück lässt wahre Liebe sich nicht von Äußerlichkeiten ablenken …
Was die wissenschaftlichen Details von Coopers interstellarer Reise anlangt, mögen Astrophysiker gnädig sein – sie können sich ja an dessen hübscher Begleitung – Dr. Amelia Brand (Anne Hathaway) – erfreuen: Zunächst geht es durch ein Wurmloch in der Nähe des Saturns in eine andere Galaxie. Dort gibt es ein Planetensystem im Einflussbereich eines schwarzen Lochs mit dem Namen „Gargantua“. Die gravitationsbedingte Zeitdilatation, mit der es Cooper hier zu tun hat, ist enorm: Einer Stunde auf dem Planeten entsprechen sieben Jahren außerhalb des Einflussbereichs des Schwarzen Lochs. Es gilt also, nicht lange zu trödeln, denn die Welt da draußen altert dahin. Aber was tun, wenn plötzlich Monsterwellen heran rollen?
Cooper hat die Aufgabe, in dieser fremden Galaxie einen für die Menschheit bewohnbaren Planeten zu finden – nachdem die Lebensgrundlagen auf der Erde zerstört worden sind. Aber er hat kein Glück, der Sprit wird schon knapp, und am Ende hilft nur noch die Flucht ins Schwarze Loch – aus dem bekanntlich nicht einmal mehr Licht entkommen kann. Cooper aber hilft das Glück des Tüchtigen: Er findet sich in einem Tesserakt wieder (in einem mehrdimensionalen Raumzeit-Gebilde, das sich zu einem Würfel verhält wie ein dreidimensionaler Würfel zu einem zweidimensionalen Quadrat) und bewegt sich von hier aus in die Vergangenheit zu seiner geliebten Tochter Murphy, greift in die dreidimensionale Welt ihres Kinderzimmers, stößt Bücher aus dem Schrank und schreibt Binärcodes in den Staub …
Alles klar. Die junge Murphy war sich ja immer sicher gewesen, dass ein freundlich gesinnter Poltergeist mit ihr kommuniziert. Es war der eigene Vater.
Den wirklichen Durchbruch und die Rettung für die Menschheit aber bringt die (heute noch gesuchte) „Große vereinheitlichte Theorie“, die es endlich ermöglicht, die Schwerkraft zu manipulieren und die Menschen von der Erde zu evakuieren. Zum Glück ist die Lösung für diesen Brückenschlag zwischen der Quanten- und der Relativitätstheorie so einfach, dass Cooper sie, ein paar Schritte weiter in der Zeit, aus dem Tesserakt heraus via Morsezeichen seiner erwachsenen Tochter übermitteln kann … ehe er sich im Krankenbett einer Raumstation wiederfindet – und Murphy an ihrem Sterbebett besucht.
Ende gut, alles gut.
Nolan-Fans mögen mir diese etwas flapsige Inhaltsskizzierung verzeihen. Aber die Stärken dieses Streifens liegen eher nicht im „Science fact“. Seine Faszination bezieht Christopher Nolans fast dreistündiges Epos vor allem aus der Bildgewalt und dem Mut zu einer ungewöhnlichen, letztlich auch filmisch ziemlich rund umgesetzten Geschichte, die an manchen Stellen eher von der Strahlkraft der Schauspieler, an anderen wieder von der Tricktechnik lebt.
Was „Interstellar“ letztlich wirklich empfehlenswert macht, ist sein Potential, den Zuschauer zum Staunen und Nachdenken zu führen – über die tatsächlichen, möglichen und unmöglichen Wunder der Welt, in der wir leben.
Und … ist das, was damit geweckt und gefördert wird, nicht die allerwichtigste Grundlage für die Philosophie, die für unser Menschsein so wichtige „Liebe zur Weisheit“: das Staunen und Nachdenken?
(2014; 169 Minuten)