Gedanken zur Überprüfbarkeit von Aussagen im religiös-spirituellen Bereich •
In der Naturwissenschaft nutzt man Experimente, um herauszufinden, ob eine Theorie stimmt oder nicht. Man befragt damit sozusagen die Natur, und ihre Antwort – das Ergebnis des Experiments – zeigt, ob eine Idee der Wirklichkeit entspricht oder vielleicht doch nur ein „Hirngespinst“ war.
Im religiös-spirituellen Bereich gibt es diese Möglichkeit der Überprüfung im Allgemeinen nicht. Aussagen über das Wirken Gottes, die Beschaffenheit des Jenseits oder zum seelisch-geistigen Entwicklungsweg des Menschen müssen meist im Bereich des Glaubens verbleiben – und diesen weltanschaulichen „Freiraum“ gestaltet sich der Gläubige auf Grund von Überlieferungen, Offenbarungen oder anderen Konzepten, die ihm schlüssig erscheinen.
Das Ergebnis sind die unterschiedlichsten, einander oft auch widersprechenden konfessionellen oder esoterischen „Wahrheiten“.
Die aktuelle Diskussion über das „Lichterlebnis“, von dem Nahtoderfahrene oft berichten, ist dafür ein Musterbeispiel.
Während diese von einem besonders beglückenden, unvergleichlichen Erleben sprechen, betrachten spirituelle Theoretiker dieses Licht als eine Falle. Wer ihm folge, gehe in die Irre, müsse weitere Inkarnationen auf sich nehmen, verheddere sich in einem Fallstrick Luzifers, des Verführers und falschen Lichtbringers.
Begründet wird das Konzept der „Lichtfalle“ mit Textstellen aus der Bibel oder aktuellen „Recherchen“ von Autoren im Bereich der Esoterik. –
Ähnlich widersprüchliche Vorstellungen zeigen sich in fast allen spirituellen Grundfragen.
Wie schön wäre es also, auch in diesem Bereich Experimente zur Verfügung zu haben, die darüber entscheiden, ob eine Gegebenheit der Wirklichkeit entspricht, ob sie also tatsächlich wirk-mächtig ist.
Zwar gibt es für weltanschauliche Vorstellungen keine ausgeklügelten Versuchsanordnungen, wohl aber einen überkonfessionellen Erfahrungsschatz und einen bewährten Test. Denn in allen bedeutenden religiösen und spirituellen Traditionen hat sich gezeigt, dass mystische Erfahrungen Menschen nachhaltig zum Guten verändern.
Godehard Brüntrup, Professor an der Hochschule für Philosophie in München, sagt: „Der Test für eine mystische Erfahrung war immer: Bewährt sie sich im Leben? Auf die Frage, wie ich denn nachprüfen kann, ob jemand tatsächlich eine mystische Erfahrung gemacht hat, findet man in praktisch allen Religionsgemeinschaften die Antwort: Wenn er danach wirklich anders lebt, liebevoller, weniger dem Egoismus verfallen, weniger auf Anerkennung aus oder dem Reichtum und der Lust an materiellen Gütern verfallen, wenn er selbstloser, demütiger, empfindsamer in seinen Beziehungen lebt, dann war seine Erfahrung echt.“
Nahtoderfahrene bestehen diesen „Test“ im allgemeinen ausgezeichnet. Denn sie sind, vor allem nach einem tieferen Lichterlebnis, nachhaltig verändert. Sie orientieren sich beruflich und im Privatleben neu, ihre Wertvorstellungen verändern sich, vielfach auch ihre spirituellen Fähigkeiten. Sie werden empathischer, „hellfühlender“, sensibler. Die Nachwirkungen, mit denen sich übrigens auch die Sterbeforschung intensiv beschäftigt, sind der stärkste Beleg für die Echtheit ihrer Erfahrungen – und damit auch für den Gehalt ihrer Aussagen. Denn sie haben etwas tatsächlich Wirk-mächtiges erlebt und berichten davon.
Welchen Wert haben dagegen Textstellen aus Überlieferungen, die vielleicht sogar aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen, vielfach übersetzt oder interpretiert wurden?
Welchen Wert haben dagegen weltanschauliche Konzepte von Menschen, die die „Welt“ selbst gar nicht angeschaut haben, die sich ihre Theorien nur aus der Literatur oder eigenwilligen Interpretation zusammenreimen?
Die Antwort auf die Frage, ob es eine „Lichtfalle“ gibt, lässt sich daher aus meiner Sicht mit einem klaren Nein beantworten.
Freilich: Der genannte Test für die Gültigkeit persönlicher Erfahrungen hat nicht das Potential, über den Wahrheitsgehalt religiöser Grundaussagen zu entscheiden. Dafür sind noch andere Werkzeuge nötig: logisches Denken oder (berechtigtes) Vertrauen in die eigene Intuition und Empfindung.
Das Ungewisse wird dennoch bleiben – und damit auch die menschliche Sehnsucht, ein wenig mehr aus der Wahrheit und Wirklichkeit zu erfahren.