16. November 2025

„Höllen-Erfahrungen“ in Todesnähe

Bestätigen Nahtoderlebnisse religiöse Überlieferungen und Erwartungen?

„Ich habe die Hölle erlebt“, erzählt Gerhard Schug, ein Nahtoderfahrener, im Interview. Nach einem Suizidversuch habe er den Teufel gesehen und Seelen, die keine Erlösung finden und „zermahlen“ werden. Dieses Erlebnis habe sich bei ihm dermaßen „eingebrannt“, dass es sein ganzes weiteres Leben veränderte. 

Viele christlich orientierte Menschen sehen sich durch solche Schilderungen in ihrem Glauben bestätigt – die Kommentare zum Interview belegen das: Wer nicht „gottgewollt“ lebe, lande in der Hölle. Nur der Glaube an Jesus Christus als Erlöser bringe Rettung.

Aber läßt sich eine solche „Höllen-Erfahrung“ in diesem Sinn verallgemeinern? Bestätigen Nahtoderlebnisse tatsächlich religiöse Überlieferungen und Erwartungen? 

Wer nach „Beweisen“ für die Richtigkeit seines Glaubens sucht, wird im Internet schnell fündig. Zahlreiche „Höllenerfahrungen“ scheinen konfessionelle Überlieferungen ebenso zu bestätigen wie Schilderungen über himmlische Sphären, die das Leben im „Reich Gottes“ genau so darstellen, wie es sich Gläubige gern vorstellen. 

Die Glaubwürdigkeit solcher Schilderungen wird indes kaum thematisiert.

Während also lichtvolle Nahtoderfahrungen ebenso wie „Höllenerfahrungen“ tendenziell zunehmend in den Bannkreis konfessioneller Anschauungen geraten und im Sinne religiöser Traditionen interpretiert werden, zeigt die Sterbeforschung etwas anderes: 

Nahtoderfahrungen bestätigen religiöse Konzepte oder Erwartungen nur sehr eingeschränkt – oder gar nicht. 

Nach dem Suizid in der Hölle? 

So betrachten viele gläubige Menschen jeden Suizidversuch – unabhängig von der persönlichen Situation und den Beweggründen, die dazu geführt haben – als schwere Sünde gegen den Willen Gottes. Es erscheint ihnen gerecht, dass jemand nach einer solchen Tat im Jenseits büßen und schon in der Todesnähe den Ausblick auf die „Hölle“ erleben muss.

Doch diese Vorstellung findet durch die wissenschaftliche Auswertung von Nahtoderfahrungen keine Bestätigung. Im Gegenteil.

Der Berliner Arzt und Sterbeforscher Sascha Plackov, selbst ein gläubiger Christ, hat 18 Jahre lang an einer empirischen Studie gearbeitet und insgesamt 123 Fälle untersucht, in denen Menschen nach einem Suizidversuch eine Nahtoderfahrung hatten.

Als Fazit fasst er in einem Interview zu dieser Arbeit zusammen: „Was ich definitiv sagen kann, ist, dass Menschen, die einen Suizid begangen haben, nicht mehr oder öfter schlechte Nahtoderfahrungen erlebt haben. Es droht ihnen nicht mehr Ungemach als allen, die keinen suizidalen Hintergrund haben.“

Eine „Höllenerfahrung“ steht demnach in keinem direkten Zusammenhang mit einem Suizid-Versuch. 

Was Sascha Plackov jedoch – unabhängig davon – dokumentieren konnte, ist die Wirkung einer Nahtoderfahrung als Suizid-Prävention. Nahtoderfahrene seien nach ihrer „Rückkehr“ zutiefst davon überzeugt, dass ihr Leben auf der Erde sinnvoll und wichtig ist, dass sie eine Aufgabe haben, dass es einen „Lebensplan“ für sie gibt. In seiner Studie habe es keinen einzigen gegeben, der nochmals „Hand an sich legen würde“, sagt Plackov. „Die Nahtoderfahrung im Rahmen eines Suizides war für sie wie eine Art Stoppschild. Ihnen wurde gezeigt, dass es andere Möglichkeiten gibt. Das, was sie erlebt haben, hatte einen solchen Einfluss, dass für sie klar wurde: das ist kein Weg. Wieder zurück im Leben zu sein, betrachten sie als eine neue Chance, das Leben besser zu machen, anders zu machen.“

Ein Suizidversuch kann aus Sicht der Sterbeforschung stellvertretend für jedes andere Verhalten betrachtet werden, das aus religiöser Sicht als „sündhaft“ gilt. Denn es gibt offenbar keinen direkten Zusammenhang zwischen einer bestimmten Lebensführung und einer sogenannten Höllenerfahrung. 

Wie und unter welchen Umständen kommt es also zu einer solchen lebensverändernden Schreckens-Erfahrung, von der zum Beispiel Gerhard Schug berichtet?

„Höllenerfahrung“ – ein problematischer Begriff

Konfessionell orientierte Kreise vertreten oft die Meinung, „Höllenerfahrungen“ kämen sehr häufig vor, so dass der Eindruck entstehen könnte, dass sehr viele Nahtoderfahrungen von Schreckensszenarien geprägt sind.

Allerdings gibt es keine Studie, die das bestätigt. 

Im Gegenteil: In der Regel gehen typische tiefe Nahtoderlebnisse mit dem Erleben einer bedingungslosen Liebe einher, die von der Angst vor dem Tod befreit und eine große, lebenslange „Licht-Sehnsucht“ nach sich zieht.

Dr. Joachim Nicolay, erfahrener Sterbeforscher und Vorstand im „Netzwerk Nahtoderfahrung“, sagt: „Wenn man Nahtoderfahrene danach fragt, sagen sie, eine Hölle im Sinne von Verdammung gibt es nicht.“ Ein solcher „Ort“ sei mit bedingungsloser Liebe nicht vereinbar.

Diese Ansicht teilen alle mir bekannten Thanatologen. Den religiös geprägten Begriff „Höllenerfahrung“ verwenden sie daher nur ungern – und sprechen lieber von „negativen“ oder „belastend erlebten“ Nahtoderfahrungen. Denn diese gibt es.

Dabei herrscht unter den Sterbeforschern weitgehend Einigkeit darüber, dass „negative Nahtoderfahrungen“ vergleichsweise selten vorkommen. Oft ist von einstelligen Prozentsätzen die Rede. Nur eine einzige Studie – sie wurde 1999 vom deutschen Soziologen Hubert Knoblauch veröffentlicht – weist aus, dass die Hälfte aller Erfahrungen in Todesnähe negativ seien. 

Doch auch hier lohnt es sich, meint Joachim Nicolay, genauer hinzusehen: „Knoblauch hat damals Menschen in Ost- und Westdeutschland gefragt, ob sie schon mal ein Erlebnis in Todesnähe hatten, und eine Frage war bei ihm: Hatten Sie ein Erlebnis mit Angst und Schrecken? Das haben dann 60 Prozent der Teilnehmer in Ostdeutschland und 30 Prozent in Westdeutschland bejaht. Und daraus wurde abgeleitet: So häufig gibt es negative Nahtoderfahrungen.“

Das Problem liege darin, dass in dieser Studie alle Erfahrungen in Todesnähe einfach als Nahtoderfahrung definiert wurden. Die Zahlen beinhalten demnach auch beliebige Erlebnisse, die nach den üblichen Kriterien, etwa nach der Greyson-Skala, gar nicht als Nahtoderfahrung gelten. Zum Beispiel „Horror-Erlebnisse“ während des Komas. In diesem Zustand kommt es sehr häufig zu furchterregenden Eindrücken, die auch lange nachwirken können.

Nicolay: „Im künstlichen Koma sind Menschen in Todesnähe, und manche haben schreckliche Erlebnisse. Zum Beispiel, weil da Fantasien auftreten, in denen sich der Kampf zwischen Leben und Tod spiegelt. Oder in denen sich diese Situation des Eingeschlossenseins spiegelt – künstliches Koma ist ja eine Betäubung. Die Menschen stehen dauernd unter dem Einfluss von Narkose, Schmerzmitteln und Beruhigungsmitteln.“

Schreckliche Erlebnisse in Todesnähe einfach als negative Nahtoderfahrung zu bezeichnen, sei daher nicht sinnvoll, meint der Sterbeforscher, der sich auch detaillierter mit einzelnen Berichten beschäftigt hat, die von Hubert Knoblauch veröffentlicht wurden. Sein Eindruck: „Mit einer jenseitigen Realität haben diese Schilderungen nichts zu tun.“

Horror-Erlebnisse während des Komas

Joachim Nicolay hat sich mit Schreckensszenarien, die während eines Komas erlebt werden können, eingehend befasst und mit Betroffenen gesprochen. „Sie sagen, das muss man sich vorstellen wie einen Albtraum hoch zehn. Es ist nicht nur ein Albtraum, sondern viel schlimmer, es ist ein wahrer Horrortrip. Träume haben etwas Gedämpftes. Aber diese Erlebnisse im Koma sind total realistisch. Zum Beispiel der Kampf ums Überleben oder Erlebnisse von Unfreiheit. Manche haben den Eindruck, dass sie gefangen sind. Jemand erzählte: ,Ich saß in einer ganz engen Wohnung, in einer ganz engen Pyramide und kam da nicht raus.‘ Oder sie irren durch Labyrinthe, suchen einen Ausweg und finden ihn nicht.

In diesen Erfahrungen spiegelt sich genau der Zustand, in dem die Menschen sich in dem Moment befinden, ein Zustand der Unfreiheit. Durch die Narkose werden sie am Aufwachen gehindert, sie werden daran gehindert, Kontakt zu ihrer Umgebung aufzunehmen. Sie können mit niemandem kommunizieren und sie kommen aus diesem Gefängnis nicht heraus. 

Das spiegelt sich in wirklich drastischen Bildern. Manchmal bekommen die Leute auch noch etwas von dem mit, was auf der Intensivstation abläuft, zum Beispiel, dass jemand mit ihnen redet. Und die Pfleger werden zu Wächtern im Gefängnis, sie werden in diese Szenen mit eingebaut und erscheinen dann als die Leute, die sie unterdrücken und gefangen halten.“

Neben dem Kampf um das Überleben und der Unfreiheit gebe es in den schrecklichen Erlebnissen während des Komas noch ein weiteres Thema, das als „Angst vor der Dekompensation“ bezeichnet werden könne, die Angst, sich in einem unerträglichen Dauerzustand selbst zu verlieren. Nicolay: „Es gibt Äußerungen von Leuten, die sagen, ich habe wahnsinnige Angst davor gehabt, dass ich nicht mehr weiß, wer ich bin und wo ich bin und was mit mir los ist.“

Solche extrem realistisch erlebten Horror-Erlebnisse kämen häufig vor, beispielsweise scheine das synthetische Narkosemittel Ketamin solche Erfahrungen zu triggern, die Erforschung dieser Zusammenhänge ließe jedoch zu wünschen übrig.

Jedenfalls aber seien solche Horror-Trips nicht mit den Transzendenzerlebnissen in Nahtoderfahrungen vergleichbar. Die echte „Berührung mit einer anderen Wirklichkeit“ habe eine völlig andere Qualität.

In meinen eigenen Interviews, die ich für „Thanatos TV“ geführt habe, berichteten Nahtoderfahrene von „Höllen-Situationen“ fast immer im Zusammenhang mit einer außergewöhnlich belastenden physischen Todesnähe – etwa Javier Gonzales, der eingeklemmt und schwer verletzt das U-Bahn-Unglück von Moorgate überlebte, oder Natascha Amrein, die während eines zehntätigen Komas alptraumhafte Erfahrungen machte, wobei sie auch von qualitativen Unterschieden im Vergleich zu ihrer Nahtoderfahrung zu berichten wusste.

Erfahrungen schrecklicher Leere

Eine andere Kategorie negativer Nahtoderfahrungen bezeichnet Joachim Nicolay in einem Interview als „Erfahrungen der Leere“. 

Als Beispiel erzählt er von den Erlebnissen der US-amerikanischen Sterbeforscherin Nancy Evans Bush, die bei der Geburt eines Kindes eine solche Erfahrung machte, nachdem Komplikationen aufgetreten waren und sie eine Narkose erhalten hatte. „Sie schildert es so, dass sie das Gefühl hatte, ihren Körper zu verlassen und dann im Weltall zu schweben, und zwar mutterseelenallein. Und dann bewegten sich plötzlich Kreise um sie herum, flackerten ein bisschen, und vermittelten die Botschaft: Du existierst gar nicht. Du hast nie existiert. Dein Baby gibt es nicht. Die Welt gibt es nicht. Sie wurde also mit dem Gefühl von totaler Leere konfrontiert. Und irgendwann waren diese Kreise wieder weg, aber die Einsamkeit, die Leere bestand weiter. Schließlich endete das Erlebnis, und sie war wieder bei Bewusstsein.“

Auch in diesem Fall stelle sich die Frage, ob so etwas wirklich als negative Nahtoderfahrung bezeichnet werden dürfe. Joachim Nicolay: „Sie war in Todesnähe, das Erlebnis war negativ, es war eine Erfahrung der Leere. Aber ich finde, man muss auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass das einfach eine neurologische Reaktion war. Dass da also im Gehirn plötzlich etwas abläuft, was dieses Gefühl totaler Leere erzeugt. Und die Imagination schafft dazu die passenden Bilder.

Das wäre meiner Meinung nach eine mögliche Erklärung für ein solches Erlebnis.“

Erfahrungen der Leere könnten auch mit einer Depression zu tun haben, also mit einem Zustand, in dem der oder die Betroffene keine Gefühle empfinden kann, sich wie taub fühlt, keinen Antrieb verspürt, keine Verbindung zu anderen Menschen. So etwas werde als sehr belastend und auch beängstigend erlebt.

Jedenfalls zeigen auch die „Leere-Erfahrungen“, wie groß und unübersehbar das Feld dessen ist, was unter „negativer Nahtoderfahrungen“ verstanden wird.

Schon der Begriff „Nahtoderfahrung“ an sich ist problematisch und wird vielfach auch irreführend verwendet. Im Fall der „negativen Nahtoderfahrung“ erscheinen das Problem der Schwammigkeit und das Potential für Missverständnisse noch größer.

Die „Schau negativer Jenseits-Bereiche“

Bedeutet das, kurz zusammengefasst, dass echte, tiefe Nahtoderfahrungen, in denen eine jenseitige Realität erlebt wird, ausschließlich lichtvoll sind, und alle „negativen“ Erlebnisse letztlich krankheitsbedingte Ursachen und die Qualität intensiver Albträume haben?

Joachim Nicolay verneint. „Das wäre ein nahe liegendes Missverständnis. Auch negative Nahtoderfahrungen können einen jenseitsbezogenen Charakter haben.“ Jedoch sei die Abgrenzung zu Halluzinationen, wie sie beispielsweise im Koma vorkommen, sehr schwierig.

Grundsätzlich ließen sich aus Nahtoderfahrungen keine Aussagen über ein negatives, bedrohliches Weiterleben nach dem Tod ableiten. 

Dennoch werde beispielsweise mitunter von einer „Schau negativer Bereiche“ berichtet. „Das heißt, die Leute selber haben eine normale Nahtoderfahrung“, sagt Nicolay, „aber im Verlauf dieser Erfahrung wird ihnen etwas gezeigt, nämlich Seelen, die sich in einer düsteren Sphäre aufhalten und sich der Auswirkungen ihres Handelns auf Hinterbliebene bewusst sind. Das ist zum Beispiel häufig im Zusammenhang mit Suizid der Fall und wird von den Betroffenen als Läuterungserfahrung gesehen. Also nicht als Hölle im Sinne von Verdammnis, sondern als Ort der Läuterung, bevor dann der Weg ins Licht fortgesetzt werden kann.“

Sofern Nahtoderfahrenen zugestanden wird, dass sie tatsächlich „jenseitige Ebenen“ schauen und erleben, sollte demnach auch anerkannt werden, dass es offensichtlich nicht nur lichtvolle Bereiche gibt. 

Nicolay: „Ich finde diesen Aspekt wichtig, denn er wird meiner Meinung nach oft unterschlagen, weil er nicht in das Jenseitsbild von bedingungsloser Liebe zu passen scheint. 

Aber das ist nicht ganz die Aussage von Nahtoderfahrenen. 

Wie man aus dieser Schau negativer Bereiche schließen kann, gibt es die Möglichkeit, dass das Verhalten auf der Erde Auswirkungen darauf hat, wie es nach dem Tod weitergeht. 

Die bedingungslosen Liebe Gottes ist ein klarer Aspekt in den Nahtodberichten. Aber das schließt nicht aus, dass die Menschen den Folgen ihres Handelns ausgesetzt sind. Das ist im Leben auch so. Wenn ich mich ungesund ernähre, darf ich mich nicht wundern, wenn das irgendwann gesundheitliche Folgen hat. Das ist im Prinzip das Gesetz von Ursache und Wirkung. Und die Schau jenseitiger Bereiche sagt nur, dass dieses Gesetz über den Tod hinaus gilt.

Es gibt zum Beispiel Menschen, die in ihrem Leben viel Hass entwickeln. Das kann sich in Alltagssituationen ergeben, weil man mit dem Nachbarn Streit hat, dazu beiträgt, dass die Situation immer weiter eskaliert und dann irgendwann nur noch mit feindseligen Gefühlen beschäftigt ist.“ 

Wenn das Gesetz von Ursache und Wirkung über den Tod hinaus wirkt, könne das für den betroffenen Menschen zur Folge haben, auch in entsprechenden Jenseits-Bereichen mit Hass konfrontiert zu sein.

Nicolay: „Ich finde, diese Aussagen in Nahtodberichten sind eigentlich eine Warnung, darauf zu achten, dass man nicht zur Eskalation von Konflikten beiträgt, sondern schaut, dass man sich, wenn es nötig ist, zurückzieht, oder vielleicht auch einen Schritt auf jemanden zugeht und versucht, die andere Seite zu verstehen; dass man überlegt, was ist denn mein Anteil an dem Konflikt, statt nur den Schuldigen auf der anderen Seite zu suchen.“

Läuterung in der Lebensrückschau

Dass die bedingungslose Liebe, von der Nahtoderfahrene berichten, nicht als „Freibrief“ für ein rücksichtsloses, egoistisches Leben gelten kann, zeigt sich auch in der sogenannten Lebensrückschau. Sie ist ebenfalls eine „Quelle“ für belastende, schwer zu verkraftende Erfahrungen im Rahmen von Nahtoderlebnissen.

Dabei kann jemandem schlagartig klar werden, welche Wirkung sein Verhalten auf andere hatte. Er erkennt vielleicht bestürzt, wie sehr er Mitmenschen verletzt hat. Bestimmte Lebenssituationen können dabei wieder und wieder erlebt werden. Von einem solchen „Läuterungsprozess“ berichtet beispielsweise Johann Josef Atzmüller im Interview.

Die Lebensrückschau kann auch Versäumnisse offenlegen. Der Schweizer Sänger und Musiker Bo Katzman erzählt, dass ihm in seiner Nahtoderfahrung nach einem Motorradunfall schmerzlich bewusst wurde, sein bisheriges Leben „verplempert“ zu haben.

Jedoch resultiert diese Belastung nicht aus einer Verurteilung. Nahtoderfahrene erleben nie, dass ihnen Vorhaltungen gemacht werden. Im Gegenteil: Wenn ihnen „Lichtwesen“ begegnen, dann immer zur Hilfe und als Unterstützung. Sie haben die tiefe Empfindung, bedingungslos geliebt zu sein – genau so, wie sie sind, ohne Vorbehalte, ohne Verurteilung.

Aber zugleich erleben sie eben diese bedingunglose Liebe, das Licht, als unverrückbaren Maßstab, der ihnen eigene Defizite zwangsläufig bewusst macht und sie zu weiterer Entwicklung motiviert. Es gehe im Leben darum, „das eigene Liebesgefäß zu vergrößern“, formuliert Katzman.

Negative Nahtoderfahrungen – ein Fazit

Zusammenfassend: Nahtoderfahrungen sind mehr als „nur“ Lichterfahrungen. Sie können auch belastende Erlebnisse beinhalten, die im Regelfall aber sinnstiftend wirken und zu einer Neuorientierung anregen.

Auch Gerhard Schugs „Höllenerfahrung“ führte letztlich zu einem neuen Aufschwung. 

Was die konkreten Bilder anlangt, von denen er berichtet, so erscheint mir ein Grundsatz wichtig, der für die Bewertung aller „Elemente“ von Nahtoderfahrungen gilt: Die Kunst liegt darin, den Gehalt einer Erfahrung hinter den konkret geschilderten Bildern zu erkennen.

Denn diese sind immer subjektiv, sie können also auch religiös oder kulturell geprägt sein. So habe ich in meinen vielen Interviews mit Nahtoderfahrenen nie jemanden kennengelernt, der beispielsweise von einer Begegnung mit Jesus Christus oder mit Engeln berichtet und nicht schon vor seiner Erfahrung entsprechend christlich geprägt war.

Auch der berühmte Nahtod-Tunnel beispielsweise wird eher nur in der westlichen Welt erlebt, während in anderen Kulturen auch von anderen Szenerien berichtet wird.

Doch hinter den unterschiedlichen Bildern, mit denen „Erlebniselemente“ von Nahtoderfahrungen beschrieben werden, ist ein gemeinsamer Gehalt erkennbar. Das heißt: Es zeigen sich objektive Bedeutungsinhalte, die von vielen Menschen erlebt, aber eben subjektiv unterschiedlich beschrieben werden, dem persönlichen Weltbild entsprechend.

Mit dem „Tunnel“ steht beispielsweise das Erleben eines Übergangs in Verbindung. Und das erfahren Menschen unabhängig von Religion und Kultur.

Ebenso verhält es sich mit Anregungen zu einem sinnorientierten Leben, zur Neuorientierung, zur Wertschätzung des Lebens an sich. Auch dieser Gehalt gehört zu den häufig beschriebenen „Elementen“ einer Nahtoderfahrung.

Es gibt also keinen Anlass, lebensverändernde Erfahrungen wie die von Gerhard Schug in Frage zu stellen. Allerdings eignen sich solche Schilderungen auch nicht dafür, allgemein gültige Schlüsse zu ziehen oder anzunehmen, auch andere Menschen in vergleichbaren Lebenssituationen müssten ähnliche Erlebnisse haben.

Die weltweit seit Jahrzehnten dokumentierten Nahtoderfahrungen stellen nicht nur für die materialistische Weltanschauung eine Herausforderung dar, weil sie naturwissenschaftlich nicht schlüssig erklärt werden können. Sie lassen sich auch nur schwer mit traditionellen religiösen Konzepten oder Erwartungen in Einklang bringen. Ihr Gehalt steht und spricht für sich.

Wer zwischen konkreten Bildern, wie sie Menschen mit Nahtoderfahrungen oder (nicht) vergleichbaren Erlebnissen berichten, und bestimmten konfessionellen Aussagen Zusammenhänge konstruiert, hat mit großer Wahrscheinlichkeit missionarische Absichten.