12. Dezember 2024

Ich glaube daran, weil es der Logik zuwider läuft

Donald Trump hat die US-Wahlen 2024 überlegen gewonnen – zur Überraschung vieler, die es für undenkbar hielten, dass es tatsächlich gelingen könnte, mit Lügen, Schwurbeleien und unzulässigen Vereinfachungen die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu scharen. In den Analysen, was da – mit weitreichenden Folgen für die internationale Gemeinschaft – aus welchen Gründen passiert ist, wird ein meines Erachtens zentraler Aspekt oft außer acht gelassen: der weltanschauliche Hintergrund vieler Menschen. Er zeigt auffallende Parallelen zur Stimmung in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland.

Wes Geistes Kind Donald Trump ist, darüber gibt es unter kritischen Beobachtern kaum Zweifel. Mit ihm ist jemand an die Macht gekommen, für den Politik ein Geschäftsmodell ist; der seine wirtschaftliche Basis vergrößert, indem er gutgläubige Menschen genau mit den Worthülsen ködert, die sie gern hören, weil sie sich dadurch wahrgenommen und entlastet fühlen; der alle staatlichen und gesellschaftlichen Belange, alle demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätze konsequent seinen eigenen Zielen unterordnet.

Die Frage ist, weshalb das gelingt – und zwar nicht nur Donald Trump, sondern gleichzeitig auch den mächtigen Verführern in anderen Ländern.

Eine Antwort darauf führt in den religiös-weltanschaulichen Bereich. Denn hier offenbaren sich schwer wiegende Defizite, die – heute wie vor 100 Jahren – einen Ankerpunkt für Demagogen und Faschisten bieten.

Der Glaube an „alternative Fakten“

In einem Kommentar mit dem Titel „Der US-Wahlkampf und der Wahnwitz“, veröffentlicht in der österreichischen Wochenzeitschrift „Falter“ (43/24), befasste sich die Philosophin und Publizistin Isolde Charim mit den „alternativen Fakten“, die unter „Trumpisten“ die Runde machten, etwa mit der Behauptung, der verheerende Sturm, der Florida verwüstete, sei durch eine „Hurrikan-Maschine“ der Demokraten ausgelöst worden.

Warum glauben Menschen an einen solchen Unsinn? Weshalb sind so viele – auch außerhalb der USA und unabhängig von politischen Wahlkämpfen – offen für haarsträubende Verschwörungserzählungen oder Rittergeschichten, die dem gesunden Menschenverstand verhöhnen?

Charims Erklärung: „Die Behauptungen, der Wahnwitz richtet sich nicht an den Verstand, schon gar nicht an die Vernunft. Die »alternativen Fakten« sollen nicht verstanden, begriffen werden – an sie soll nur geglaubt werden. Unter Opferung des Intellekts, unter dem bewussten Verzicht auf das eigene Denken. Sacrificium intellectus hieß das in Bezug auf die Religion, wo dieses Opfer Voraussetzung für die Hingabe, des Glaubens war. Die Vorstellung »alternativer Fakten« muss also ins Register des Religiösen eingereiht werden. […] Man glaubt, weil es der Vernunft zuwider läuft. Credo quia absurdum est. Ich glaube, eben weil es absurd, weil es ungereimt, ohne Sinn, weil es Unfug ist.“

Isolde Charim ortet in dieser Haltung einen „Restbestand christlicher Theologie“. 

Im Grunde aber kennzeichnet diese „Blindgläubigkeit“, in der das Licht von Logik und Vernunft fern zu bleiben hat, sehr viele religiös-spirituelle Bestrebungen. Wie für den traditionellen Sonntags-Kirchgang das Denken ausgeschaltet wird, damit sich der gläubige Geist in der Predigt von einem salbungsvollen, aber oft sinnfreien Wortgemenge umwölken lassen kann, so wird der blinde Glaube auch in der Spiritualität und Esoterik bestens bedient: Logik ist unwichtig, Wahrheit gilt als subjektiv, alles erscheint möglich. 

Kaum eine spirituelle Lehre betont den Wert von Folgerichtigkeit oder allgemein gültiger Wirkungsprinzipien, Gesetzmäßigkeiten.

Und warum ist der Mensch immer noch zum „bloßen Glauben“ bereit – allen Errungenschaften der Aufklärung zum Trotz? 

Isolde Charim: „Man glaubt es, weil man sich darin spiegelt.“ Zur Illustration beschreibt die Philosophin eine Karikatur, wo die Tochter sagt: „Nein, Dad, das sind Fake News.“ Und der Vater entgeistert ruft: „Wie kann es Fake sein, wenn es genau das sagt, was ich denke?“

Alles ist möglich, nichts ist wahr

Alles für möglich und nichts für wahr halten: So beschrieb Hannah Arendt (1906–1975), eine deutsch-US-amerikanische Philosophin, die Geisteshaltung, die in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland herrschte und letztlich die Ausbreitung des Faschismus und unmenschlichster Gräueltaten begünstigte.

Und der deutsche Historiker Fernando Esposito fasst in einem Essay zum Begriff „Faschismus“ die Entwicklungen in den 1920-er Jahren wie folgt zusammen: 

„Die verheißungsvollen Erwartungen […] waren allerorts enttäuscht worden, und der Liberalismus vermochte die an ihn herangetragenen Hoffnungen nicht zu erfüllen. Zurück blieben eine Sehnsucht nach Gemeinschaft, Orientierung und Ordnung und eine Bereitwilligkeit, radikale Lösungen […] zu erproben. Der Faschismus war eine Antwort darauf und suchte die Sehnsucht nach einem Aufbruch in eine Neue Zeit, nach einem Neuen Menschen und nach einer alternativen Moderne zu befriedigen, die er wie auf einem Zeichentisch, auf einer durch millionenfachen Mord hergestellten tabula rasa zu schaffen trachtete.“

Parallelen zu den Verführern des 21. Jahrhunderts lassen sich unschwer ziehen. Auch sie spielen mit – an sich durchaus berechtigten – Sehnsüchten und Hoffnungen, auch sie holen potentielle Anhänger in ihrer Wohlfühlzone ab, indem sie sich als deren „Spiegel“ und Fürsprecher präsentieren, auch sie prophezeien die „Erlösung“ durch radikale Maßnahmen. Und weil eine Anhängerschaft, die alles für möglich und nichts für wahr hält, am leichtesten zu manipulieren ist, fördern sie gezielt genau diese Geisteshaltung; etwa durch Desinformation und die Diskreditierung von Journalismus. 

Investigativ tätige Medien, die aufwändige Recherchen nicht scheuen, um Missstände oder Lügen aufzudecken, werden bekämpft und, wenn möglich, ausgeschaltet. Soziale Netzwerke, in denen es keinen redaktionellen Filter gibt und jede(r) nahezu jeden Unsinn publizieren darf, treten an die Stelle der klassischen medialen Berichterstattung, die als „mainstream“ oder „lamestream“ verunglimpft wird. 

„Lame“ hat die Bedeutung von „lahm“. Skrupellose Machthaber qualifizieren klassische Medien nicht nur als zweitklassig ab, sondern auch als langweilig. Spektakuläre Aussagen, die nicht durch restriktive „Zensurgesetze“ gemaßregelt sind, haben deutlich mehr „thrill“ als seriöse, differenzierte Betrachtungen. Sie lösen emotionales Interesse aus und werden daher von den Algorithmen der sozialen Netzwerke automatisch bevorzugt. Ob die Behauptungen wahr oder erfunden sind, spielt dabei keine Rolle. 

Panem et circenses – Brot und Spiele. In den Netzwerken wiederholt sich das altrömische Konzept, Menschen durch Zuwendungen und Unterhaltung gefügig zu machen, diesmal initiiert von den Kaisern der Börse. 

Der Donald Trump im Wahlkampf umhüpfende Milliardär und gescheiterte Visionär Elon Musk personifizierte diese Entwicklung: Er verteilte aus seinem Füllhorn ein paar Millionen, um einen alten Narzissten als politischen Handlanger zu gewinnen, während er den ehemals (einigermaßen) seriösen Nachrichtendienst „Twitter“ unter dem Namen „X“ zur „Plattform für Desinformation“ umfunktionierte.

Die Schar kritikloser Zujubler, die ihren „Erlösern“ aus Politik und Wirtschaft huldigen, hat inzwischen demokratiegefährdende Ausmaße erreicht – was freilich den Agitatoren, die sich bedingungslos der Macht und dem Profit verpflichtet haben, keine schlaflosen Nächte bereiten dürfte.

Was tun?

Bildung, Bildung, Bildung; die Förderung von Medienkompetenz und Demokratieverständnis; sinnvolle Reglementierungen für soziale Netzwerke … solche Schlagworte beschreiben mögliche Antworten auf die drängende Frage, wie denn die (noch) freie Welt reagieren sollte, um den offensichtlichen Fehlentwicklungen gegenzusteuern.

Klar, all das ist vorrangig wichtig, und aus diesen Überschriften tatsächlich wirksame Maßnahmen abzuleiten, bleibt eine Herkulesaufgabe für die nationale und internationale Politik.

Aber auch das alltägliche Miteinander bietet Möglichkeiten, dem „blinden Glauben“ die Basis zu entziehen. 

Folgt man dem österreichischen Psychotherapeuten Viktor Frankl (1904–1997), dann ist der Geist in seinem Wesen sinnorientiert. Der Wille zum Sinn zeichnet den Menschen aus. Ein beliebig oder sinnlos erscheinendes Leben begünstigt psychische Krisen und Krankheiten, das Gefühl von Ohnmacht und Abhängigkeit.

Ein sinnerfülltes Leben führt dagegen zu Vertrauen, Zuversicht und Selbstbestimmung. Es gibt dann kein Bedürfnis, für die eigene Unzufriedenheit andere verantwortlich zu machen oder radikale Lösungen für ein vermeintlich besseres Zusammenleben zu unterstützen. Und folglich keinen Ankergrund für Demagogen und Faschisten.

Bei der Sinnfindung zu unterstützen wäre also gerade in einer materialistisch orientierten Gesellschaft, in der dieses Thema, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle spielt, die vornehmste Aufgabe für alle, die sich in der Therapie oder Seelsorge engagieren.

Und weil jeder Mensch auch vom vorherrschenden „Zeitgeist“ beeinflusst wird, sollten auch weltanschauliche Mauern geortet und beseitigt werden, die eine Sinnorientierung verhindern.

Die Naturwissenschaft müsste dem menschlichen Bedürfnis nach Transzendenz ausreichend Raum geben, und zwar nicht nur in der Qualität einer Abstellkammer. 

Indes sollten Religion und Spiritualität das Schattenreich des blinden Glaubens verlassen und lernen, den Ansprüchen der Logik zu folgen. Kritisches, forschungsorientiertes Denken sollte nicht mehr als Gegensatz zum Glauben betrachtet werden. 

Es gibt keine „alternativen Fakten“, weil es keine Alternative zu Fakten gibt. Es ist nicht alles möglich. Und es gibt die Wahrheit der Naturgesetze, die aus religiöser Sicht als Ausdruck des Gotteswillens verstanden werden könnten.

Wissenschaft und Religion oder Spiritualität, bisher zwei getrennte Inselreiche, könnten einander ausgezeichnet ergänzen: Die quantitative Beschreibung der Welt als Grundlage für Technik, Medizin und Forschung einerseits; und andererseits die Erfüllung der menschlichen Sehnsucht nach Sinn im geheimnisvollen Reich der Qualitäten, der bewussten Erlebnisse und Erfahrungen.

Zu einem solchen weltanschaulichen Zusammenschluss kann der Astrophysiker ebenso beitragen wie der spirituelle Guru: Elitäres Denken ablegen, Offenheit üben, tragfähige Brücken zu Andersgesinnten bauen. Achtung und Wertschätzung sind bekanntlich Zauberworte zur gegenseitigen Förderung.

Die vielfältigen Impulse, die den tief verwurzelten Willen zum Sinn anregen können, verbessern nicht nur das menschliche und gesellschaftsweite Miteinander, sondern tragen auch zu einer lebenswerten Zukunft bei. Denn sie erhellen den weltanschaulichen Hintergrund und stärken die Widerstandskraft gegen Schwurbeleien und Verführungen.

 

Titelbild: KI-generiert via Photoshop