16. März 2025

„Im Lichte der Wahrheit“ – eine Standortbestimmung

Von 1996 bis 2015 war ich als Chefredakteur der „GralsWelt – Zeitschrift für Geisteskultur und ganzheitliche Zusammenhänge“ tätig, die sich mit weltanschaulichen Fragen beschäftigte. Für den herausgebenden „Verlag der Stiftung Gralsbotschaft“ in Stuttgart veröffentlichte ich auch einige Sachbücher. Alle diese Publikationen hatten den Zweck, auf das spirituell orientierte Hauptwerk des Verlags, das dreibändige Buch „Im Lichte der Wahrheit – Gralsbotschaft“ von Abd-ru-shin (Oskar Ernst Bernhardt, 1875–1941) hinzuweisen. Gelegentlich werde ich noch heute auf diese Veröffentlichungen angesprochen, und es stehen dabei Fragen nach meiner persönlichen weltanschaulichen Überzeugung im Raum. Das hat mich zu dieser „Standortbestimmung“ angeregt – und auch zu einer Antwort darauf, ob religiöse „Offenbarungsweisheit“ in der wissenschaftlich orientierten Weltsicht unserer Gesellschaft überhaupt einen Platz haben kann.

Kurze persönliche Vorgeschichte

Weltanschauliche Fragen haben mich schon immer interessiert. Aus diesen Grund habe ich vor etwa 10 Jahren das Projekt „Thanatos TV“ ins Leben gerufen, das Nahtoderfahrenen ein Forum bietet und Ergebnisse aus der wissenschaftlichen Sterbeforschung kommuniziert. Und aus dem selben Grund habe ich schon während meiner journalistischen Lehrjahre bei der „Steirerkrone“ („Kronen Zeitung“ für das österreichische Bundesland Steiermark) in den 1980-er Jahren mit der Serie „Boten des Jenseits“ einen Ausflug ins Religiös-Spirituelle unternommen, obwohl meine Ressorts damals eigentlich Umweltschutz, Politik und Wirtschaft waren.

Ein Journalist sollte allen Aussagen und Behauptungen, von denen er hört oder liest, mit gemäßem Abstand gegenüberstehen; kritisch, unvoreingenommen und im Bewusstsein, für Leser oder Zuschauer tätig zu sein, die Objektivität erwarten. Recherchen und Interviews sollten also möglichst ergebnisoffen durchgeführt werden.

Dieses Ideal stößt in der Praxis zwangsläufig an Grenzen, denn jeder Mensch beobachtet, bewertet und kommuniziert subjektiv. Hinzu kommt im weltanschaulichen Bereich die Problematik, dass es besonders schwer ist, eine sachlich-objektive Haltung einzunehmen. Denn konfessionelle Vorstellungen werden generell von unantastbaren, „heiligen Gewissheiten“ getragen, und auch die wissenschaftliche Forschung stützt sich bisweilen auf kaum hinterfragte Grundannahmen.

Wenn es noch dazu, wie im Fall der Zeitschrift „GralsWelt“, die ich als Chefredakteur betreut habe, einen klaren Verlags-Auftrag zur inhaltlichen Ausrichtung gibt, dann bewegt sich journalistische Arbeit zwangsläufig in Richtung PR, also zweckorientierter Propaganda.

Das war für mich immer ein wenig unbefriedigend. Dennoch erlebte ich die Zusammenarbeit mit dem Stiftungs-Verlag als erfüllend, da sie mir die Möglichkeit bot, viele Themen, die mich beschäftigten, zu vertiefen, interessante Menschen kennenzulernen und auch neue Produkte und Formate für ein spezielles Publikum mitzuentwickeln, das, ähnlich wie ich selbst, an grundlegenden weltanschaulichen Fragen interessiert war. 

Doch auch die „GralsWelt“ geriet, wie viele Zeitschriften im 21. Jahrhundert, zunehmend unter Druck, und letztlich führten wirtschaftliche und auch grundsätzliche Überlegungen zum Schluss, die bis dahin sechsmal pro Jahr mit 80 Seiten Umfang erschienene Publikation einzustellen. Damit endete 2015 meine redaktionelle Zusammenarbeit mit dem Verlag.

Nicht geändert hat sich seither meine Affinität zu idealistischen Philosophien, die ich an anderer Stelle („Idealismus: ja, bitte! – Eso-Geschwurbel: nein, danke!“) etwas ausführlicher beschrieben habe. Insofern blieb auch mein Verhältnis zum Hauptwerk des Stiftungsverlags, dem dreibändigen Buch „Im Lichte der Wahrheit“ von Abd-ru-shin, im Wesentlichen das gleiche.

Da ich hier aber eine detailliertere Standortbestimmung bieten und bei dieser Gelegenheit auch zentrale Inhalte der „Gralslehre“ zusammenfassen möchte, seien noch ein paar klärende Anmerkungen vorangestellt:

Im persönlichen Umfeld des Autors haben sich nach dessen Tod in mehreren Ländern, voran im deutschsprachigen Raum, Gesinnungsgemeinschaften gebildet, die sich zum Teil auf unterschiedliche Aussagen oder Ausgaben der „Gralsbotschaft“ (das ist der Untertitel der Buchreihe) beziehen und einander in einer Art konfessioneller Konkurrenz gegenüberstehen. Diese Gruppierungen bleiben in den folgenden Betrachtungen ausgeklammert, denn sie haben auch in meinen Büchern und Beiträgen für den „Verlag der Stiftung Gralsbotschaft“ keine Rolle gespielt. Organisationsstrukturen, die auf Mitgliedschaften und finanzielle Verpflichtungen hinaus laufen oder bewusst auf eine „weltanschauliche Vereinnahmung“ abzielen, habe ich in den mir näher bekannten Gemeinschaften nicht erlebt.

Auch die religiösen Aspekte im Zusammenhang mit der Person Abd-ru-shins möchte ich nur am Rande erwähnen. Sie gehören meines Erachtens in den Bereich des persönlichen Glaubens und dürfen insofern besondere Wertschätzung genießen.

Von Oskar Ernst Bernhardt zu Abd-ru-shin

Oskar Ernst Bernhardt, der Autor des Werkes „Im Lichte der Wahrheit – Gralsbotschaft“, wurde 1875 in Bischofswerda (nahe Dresden) geboren und zunächst als Reise- und Bühnenschriftsteller bekannt. Ab 1920 hielt er Vorträge zu weltanschaulichen Fragen; ab 1923 veröffentlichte er diese unter dem Namen Abdruschin (spätere Schreibweise: Abd-ru-shin) in schriftlicher Form. 

Zunächst erschienen mehrere Textsammlungen als „Gralsblätter“, danach in den Zeitschriften „Der Ruf“ und „Die Stimme“, und ab 1926 auch in Buchform, damals bereits unter dem Titel „Im Lichte der Wahrheit“. 

Die bis heute vorwiegend gedruckte und in zahlreiche Sprachen übersetzte dreibändige „Ausgabe letzter Hand“ (auf die auch ich mich im Folgenden beziehe) ist die umfangreichste Vortragssammlung. Auch sie kann allerdings nicht als abgeschlossenes Werk betrachtet werden. Das zeigen mehrere Hinweise des Autors auf „spätere Vorträge“, die nie erschienen sind. Auch die Hinweise selbst wurden in den letzten Überarbeitungen nicht entfernt.

Oskar Ernst Bernhardt starb 1941 im Alter von nur 66 Jahren in Kipsdorf (Erzgebirge). Bis 1938 hatte er mit seiner Familie auf dem Vomperberg im österreichischen Tirol gelebt, wo auch eine Siedlung inklusive Andachtsstätte entstanden war, in der Anhänger seiner Lehre im Sinne der „Gralsbotschaft“ leben wollten.

Unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde die „Grals-Siedlung“ von den Nationalsozialisten enteignet und Oskar Ernst Bernhardt verhaftet. Später lebte er unter Gestapo-Beobachtung zunächst in Görlitz, dann in Kipsdorf. In dieser Zeit wurden keine weiteren Texte mehr publiziert. 

Der Name „Abd-ru-shin“ wird üblicherweise mit „Diener des Lichts“ übersetzt. Um allerdings die religiöse Bedeutung dieses „Dienens“ im Sinne Oskar Ernst Bernhardts zu verstehen, ist es nötig, etwas tiefer in das Weltbild seiner Gralslehre vorzudringen:

Diese fokussiert in der aus dem Christentum bekannten „Dreifaltigkeit Gottes“ den üblicherweise nicht sehr klar umrissenen Begriff des „Heiligen Geistes“. 

Als „lebendiger Wille Gottes“ oder „Geist der Wahrheit“ wird der Heilige Geist demnach – ebenso wie Jesus – als ein Teil (oder „Sohn“) Gottes angesehen, allerdings mit dem aus der Bibel bekannten Namen Imanuel verbunden. 

Wenn Jesus Christus seinerzeit das Kommen des „Menschensohns“ ankündigte, dann habe er damit nicht seine eigene Wiederkehr gemeint, sondern das Wirken des Heiligen Geistes in einer eigenen Verkörperung.

Und in diesem Zusammenhang sei die Bedeutung Abd-ru-shins zu erkennen: Er stehe in einer „Strahlungsverbindung“ mit Imanuel (Vortrag „Es werde Licht!“), wodurch sich die Verheißung Jesu betreffend den Menschensohn erfülle.

Für viele „Bekenner der Gralsbotschaft“, wie sie sich selbst bisweilen nennen, steht diese Bedeutung Abd-ru-shins im Zentrum ihres Glaubens. Sie betrachten die Gralsbotschaft als eine von Gott gegebene Offenbarung der Wahrheit und stellen die Vorträge Abd-ru-shins ins Zentrum von Sonntagsandachten und Feiern in den „Gralskreisen“.

An dieser Stelle sollte wohl auch noch der Begriff „Gral“ im Sinne Abd-ru-shins erläutert werden. Demnach steckt in den traditionellen Sagen, Legenden und Dichtungen rund um dieses wundertätige Gefäß Wahrheit. Beim „Heiligen Gral“ handle es sich um den tatsächlich bestehenden „Ausgangspunkt göttlicher Kraft“ zur Erhaltung der Schöpfung. 

Die sogenannte „Ausgießung des Heiligen Geistes“, wie sie der biblischen Überlieferung zufolge von den Jüngern Jesu erlebt wurde, sei in Wirklichkeit ein regelmäßig sich vollziehendes Ereignis. Das Pfingstfest sollte daher nicht nur an das Erlebnis der Jünger vor 2000 Jahren erinnern, sondern an einen wiederkehrenden Vorgang, von dem alles Bestehende abhängig sei.

„Gralsbotschaft“ bedeutet demnach: Botschaft aus den lebensspendenden höchsten Höhen des „Heiligen Grals“.

Dieser Glaube an die Mission des Menschensohnes im Wirken des „Heiligen Geistes“ mag eine Herausforderung für strenggläubige Christen sein, und auf religionskritische Beobachter könnten „Bekenner der Gralsbotschaft“ auf Grund ihres ungewöhnlichen Bezugs zur Grals-Mythologie befremdlich wirken. Aber im Grunde ist die Überzeugung, dass sich vor etwa 100 Jahren der Gotteswille verkörpert hat, um in einer Zeit des Umbruchs eine wichtige spirituelle Botschaft zu verkünden, nicht ungewöhnlicher als die traditionserprobte Annahme, dass sich vor etwa 2.000 Jahren die Gottesliebe verkörpert hat, um die Menschheit zu erlösen.

Jedenfalls haben die Vorträge des Werkes „Im Lichte der Wahrheit“ für viele Anhänger der Gralslehre den Rang einer Offenbarung, womit natürlich auch ein gewisser Personenkult nahe liegt. Allerdings wollte Abd-ru-shin nicht sich selbst, sondern seine Aussagen ins Zentrum gerückt wissen: „Jeder innerlich freie Mensch“, schrieb er, werde „eine Sache oder Lehre immer darnach bewerten, was sie bringt, nicht wer sie bringt. […] Gold ist Gold, ob es ein Fürst in der Hand hat oder ein Bettler.“

Die Frohbotschaft

In meinen Publikationen für den „Verlag der Stiftung Gralsbotschaft“ ging es denn auch immer um die Inhalte der Vorträge. Nach wie vor sehe ich in diesen Texten wertvolle Orientierungshilfen im spirituellen Bereich, da sie einem logischen Aufbau folgen und sich wohltuend von seicht-esoterischen Publikationen abheben. 

Andererseits regen die Texte – vor allem mit Blick auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der vergangenen 100 Jahre – auch zum kritischen Hinterfragen an.

Die Vorträge Abd-ru-shins folgen, kurz zusammengefasst, einer idealistischen Weltauffassung: Nicht die Materie ist demnach das Ursprüngliche, sondern das Geistige. 

Die eigentliche Schöpfung Gottes, die mit dem Wort „Es werde Licht“ entstand, ist der Gralslehre zufolge die (ur)geistige Welt – in sich selbst lebendig, bewusst, jenseits von Raum und Zeit.

Die „stoffliche“, dem Werden und Vergehen unterworfene, nicht in sich selbst lebendige materielle Welt sei lediglich eine „Nachschöpfung“, die „aus dem Wirken der urgeistigen Urgeschaffenen erstehen“ konnte. 

Der Zweck dieser Nachschöpfung sei es, Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten, da im ewigen, bewussten Geistigen, dem Paradies, nach dem Schöpfungsakt unbewusste „Geistkeime“ verblieben seien, die zum Bewusstwerden drängten. Der Begriff „Keim“ drückt aus, dass das Bewusst-Geistige als Potential vorhanden, aber noch nicht entwickelt ist.

Der natürliche Entwicklungsdrang der Geistkeime führte zur „Ausstoßung aus dem Paradies“. Die „Keime“ verließen ihre geistige Heimat, um auf einer Wanderung durch die stofflichen Welten (die „Gralsbotschaft“ unterscheidet verschiedene „Ebenen“ der Fein- und Grobstofflichkeit) die nötigen Impulse – in Form von Erlebnissen – zum Erwachen des Bewusstseins zu erhalten. 

Dieser Weg führt der „Gralsbotschaft“ zufolge über mehrere Inkarnationen, bis die Keime zuletzt gereift, also voll entwickelt, als bewusste Geister ins Paradies zurückkehren können.

Die stoffliche Welt biete allerdings nicht nur fördernde Impulse, sondern auch „Fallstricke“, die den Geistkeim auf seinem Entwicklungsweg hemmen können und ihn seine geistige Heimat vergessen lassen. Der Mensch solle daher nach Gotterkenntnis streben und ein Leben im Sinne des Gotteswillens führen.

Um diesen zu erkennen, sei es nötig, sich von falschen Vorstellungen zu lösen. 

Im Vergleich zu den traditionellen Bildern vom „alten Mann mit Rauschebart und Priesterkleid“, mit denen Gläubige Gott oft immer noch verbinden, bieten die Vorträge der „Gralsbotschaft“ einen radikal neuen Ansatz: Gott sei an sich nicht vorstellbar, er sei „wesenlos“, könne aber in seinen „vollkommenen Gesetzen“ erkannt werden. 

Der Wille Gottes offenbare sich in den Naturgesetzen; ein willkürliches Gotteswirken gebe es nicht: „Gott greift in alle diese kleinen und großen Menschensorgen, Kriege, Elend und was Irdisches noch mehr ist, gar nicht direkt ein! Er hat von Anfang an in die Schöpfung seine vollkommenen Gesetze gewoben.“ (Vortrag „Schicksal“)

Die „lebendig und selbsttätig wirkenden Schöpfungsgesetze“ werden in der Gralsbotschaft detailliert beschrieben, allerdings nicht in naturwissenschaftlichem Sinn, sondern vor allem als Erklärung für seelische Befindlichkeiten. 

So entwickle sich das menschliche Schicksal im „Gesetz der Wechselwirkung“. Das „Gesetz der Anziehung der Gleichart“ führe Menschen mit bestimmten dominierenden Verhaltensarten zusammen. Seelische Bedrückungen oder Höhenflüge ließen sich auf das „Gesetz der Schwere“ zurückführen. Und überhaupt alles in der Schöpfung folge dem „Grundgesetz der Bewegung“. 

Abd-ru-shin zeichnet in seinen Vorträgen auch ein umfangreiches Bild von der „Schöpfungsentwicklung“ in nicht materiellen Bereichen, beschreibt „Ebenen“, „Strahlungen“ und Wesenheiten.

Im Gesamten betrachtet, fügen sich die Vorträge zu einer „Frohbotschaft“ für religiös oder spirituell orientierte Menschen, die nach einem großen, in sich schlüssigen Gesamtbild suchen, in dem sie ihren Glauben verankern können. 

Die Drohbotschaft

Gleichzeitig aber erscheinen die Vorträge Abd-ru-shins, etwas überspitzt formuliert, auch als „Drohbotschaft“. Denn wesentliche Aussagen beziehen sich auf den Begriff des „Jüngsten Gerichts“. Dieses wird nicht nur als tatsächliches Ereignis dargestellt, sondern gewissermaßen sogar astronomisch begründet. 

Eine Grundaussage lautet: Die stoffliche Welt sei vergänglich, auch die Erde werde der „Zersetzung“ anheimfallen. Sie biete Geistkeimen daher nur für einen beschränkten Zeitraum Entwicklungsmöglichkeiten. 

„Bis zum Tage des Gerichts“ müssen demnach alle Keime, die „in die Schöpfung gesenkt“ worden sind, eine bestimmte Reife erreicht haben. Denn dann setze eine „Scheidung unter allen Menschen“ ein. Wer sich durch seine innere Ausrichtung zu stark an die materielle Welt gebunden habe, laufe Gefahr, „in die Zersetzung mit hineingezogen“ zu werden. Dies sei „das Furchtbarste, was den Menschen treffen kann“. „In solchem Falle kann er sich in der gesetzmäßigen Folge seines eigenen Wollens nicht von der Stofflichkeit erheben und wird mit ihr dann auf der letzten Strecke Weges in die Auflösung gezogen. Das ist dann der geistige Tod! Gleichbedeutend mit dem Auslöschen aus dem Buche des Lebens.

Dieser an sich ganz natürliche Vorgang wird auch mit der ewigen Verdammnis bezeichnet …“ (aus dem Vortrag „Die Welt“)

Die in spirituellen Kreisen weit verbreitete Annahme, Inkarnationen könnten ohne weiteres auch auf anderen Planeten möglich sein, findet durch die Vorträge der „Gralsbotschaft“ keine Unterstützung.

Der Zeitraum, den Abd-ru-shin als „Tag des Gerichts“ beschreibt, liegt seiner Gralslehre zufolge nicht in ferner Zukunft, sondern er berühre bereits die Gegenwart. Auf Grund des „Weltgerichts“, das eine „Weltenwende“ mit sich bringe, sei es für jeden Menschen „allerhöchste Zeit“, seine geistige Entwicklung voranzutreiben.

Eben das aber erscheint der Gralsbotschaft zufolge als Herkulesaufgabe. Denn die gesamte „Erdenmenschheit“ leide an einer schwerwiegenden Fehlentwicklung, nämlich der „Überzüchtung des Vorderhirnes“. Das „Großziehen des Verstandes“ habe zu „Gewinnsucht, Lüge, Unterdrückung“ geführt. Der Mensch habe sich selbst zum „erdgebundenen Verstandesmenschen“ degradiert, der nicht mehr in der Lage sei, Gott zu erkennen. 

Es sei nötig, die Empfindungsfähigkeit wieder zu entdecken. Der gehirngebundene Verstand dürfe nicht herrschen, sondern solle „ein Werkzeug des lebendigen Geistes“ sein. Der Mensch müsse daher seinen freien Willen wiedergewinnen, den er „verdunkelt“ und „belastet“ habe, so dass er in seinen Entscheidungen nicht mehr wirklich frei sei. –

Im Vortrag „Die Welt“ schreibt Abd-ru-shin: „Jede Stunde eines Erdenseins ist deshalb kostbar, mehr als je. Wer ernsthaft sucht und lernen will, der reiße sich mit aller Anstrengung heraus aus niederen Gedanken, die ihn an das Irdische ketten müssen. Er läuft sonst Gefahr, an der Stofflichkeit hängen zu bleiben und mit ihr der vollständigen Auflösung entgegengezogen zu werden.“ 

Mit ähnlich mahnenden, drohenden und harten Worte wird der Leser auch in zahlreichen anderen Vorträgen konfrontiert. 

Dass eine solche Sprache nicht nur auf Zustimmung stößt, hat Abd-ru-shin vermutlich selbst erfahren. Denn im Vortrag „Natur“ bemerkt er dazu: „Wenn man mir auch so oft verstandeshinterhältig und böswillig vorzuwerfen sucht, daß ich die Menschen mit den Hinweisen auf die stets lauernde Gefahr geistigen Einschlafens und Todes durch mein Wort bedrücke und sie ängstigend bedrohe, nur um damit Einfluß zu gewinnen, so werde ich doch nie aufhören, die Gefahren, welche Euren Geist bedrohen, vor Euch bildlich hinzustellen, damit Ihr sie kennt und nicht mehr blindlings in die Fallstricke und Lockungen geratet; denn ich diene Gott und nicht den Menschen! Damit gebe ich, was Menschen nützt, und nicht nur das, was ihnen irdisch wohlgefällt und dabei geistig tötet!“

Die „Schläge des Jüngsten Gerichts“ seien, so schrieb Abd-ru-shin vor etwa 100 Jahren, schon unterwegs.

Wissenschaft und Offenbarung

Wenn ich hier wesentliche Inhalte des Werks „Im Lichte der Wahrheit“ unter den Stichworten „Frohbotschaft“ und „Drohbotschaft“ kurz zusammenfasse, so vor allem, um einen persönlichen Eindruck von der sprachlichen Anmutung der Texte zu vermitteln.

Dabei steht natürlich die kritische Frage im Raum, welche Bedeutung einem solchen „Offenbarungswissen“ überhaupt beigemessen wird. 

An dieser Stelle könnte ein Exkurs ins Grundsätzliche hilfreich sein:

In der Wissenschaft wird der Weg zur Erkenntnis sozusagen „von unten nach oben“ beschritten. Man „irrt sich empor“. Das heißt, jemand beobachtet etwas, macht sich Gedanken dazu und stellt eine Theorie auf. Diese wird dann in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht, anderen Ansichten gegenüber gestellt, diskutiert, und gilt so lange, bis sie von einer anderen, schlüssigeren Theorie widerlegt wird. Dabei spielen Experimente als „Fragen an die Natur“ eine wichtige Rolle, denn es gilt herauszufinden, ob eine Annahme der Wirklichkeit entspricht. Das Ergebnis des Experiments ist die „Antwort der Natur“.

Seriöse Wissenschaftler sind sich darüber im Klaren, dass Ihre Erkenntnisse und Theorien nicht in Stein gemeißelt sind und sprechen daher kaum von „Wahrheit“. Idealerweise bemühen sie sich auf diesem Weg des „Emporirrens“ ihre Theorien so zu formulieren, dass sie (durch Experimente) überprüfbar sind und auch „falsifiziert“, also als falsch erkannt werden können.

Gegenüber diesem Schritt für Schritt erworbenen Wissen wird einer Offenbarung zugestanden, in bereits fertiger Form vorzuliegen und „von oben nach unten“ verkündet zu werden. 

Nicht die Überprüfung durch Beobachtungen und Experimente bürgt hier für die Qualität von Aussagen, sondern der Glaube an den hohen, „wahren“ Ursprung der Offenbarung sowie deren Übereinstimmung mit Empfindungen oder Erwartungen.

Wissenschaftliche Forschung sucht die Objektivität, die Unabhängigkeit von persönlichen Eindrücken; Offenbarungen folgen dagegen ausschließlich subjektiven Wahrnehmungen.

Welche Bedeutung darf ihnen also beigemessen werden?

(Selbst)kritisch orientierte Menschen könnten zu dieser Frage anmerken, dass ohne die Möglichkeit einer objektiven Überprüfung jede beliebige Behauptung als „wahr“ angesehen werden kann. Oder dass sich persönliche Einschätzungen nur sehr bedingt zur Überprüfung des Wahrheitsgehaltes einer Aussage eignen, weil sie sich im Lauf der Zeit verändern und immer auch von Wünschen oder Vorlieben abhängig bleiben. Weder das einfache „Bauchgefühl“ noch der „gesunde Menschenverstand“ seien stabile Maßstäbe zur Unterscheidung von Wahrheit und Irrtum. 

Insofern mögen nur objektiv ermittelte Tatsachen als verlässliches Wissen erscheinen.

Andererseits sind solche Gegebenheiten aber gewiss nicht das Maß aller Dinge. 

In der idealistischen Weltanschauung wird zu Recht kritisiert, dass objektive Tatsachen immer auf quantitative Aspekte beschränkt bleiben. Die Wissenschaft arbeitet mit Zahlen, Formeln und Messeinheiten; anders könnten Theorien nicht formuliert und Experimente nicht durchgeführt werden. Aber dieser Fokus auf das Quantitative umfasst das Wesentliche nicht: Bewusstsein und Geist. 

Das Menschsein definiert sich durch Qualitäten, durch Erlebnisse: lieben, nach Erkenntnis streben, Freude oder Zuneigung empfinden … Nichts davon lässt sich quantitativ beschreiben und in Formeln gießen.

Aber: Ohne die grundlegende Qualität des bewussten Erlebens wäre der Mensch nicht Mensch. Er könnte nicht denken und erkennen. Er könnte auch keine Maßeinheiten definieren, keine Theorien entwickeln, keine Experimente durchführen, also keine Wissenschaft betreiben. 

Die Ermittlung objektiver Tatsachen setzt subjektives Bewusstsein voraus.

Und Bewusstsein kennt eben durchaus nicht nur den Weg des Wissenserwerbs „von unten nach oben“ mit Hilfe des erörternden Verstandes. Es gibt auch die bekannte „Fähigkeit, Sachverhalte, Sichtweisen, Gesetzmäßigkeiten oder die subjektive Stimmigkeit von Entscheidungen spontan zu erkennen“ – nämlich durch die Intuition. 

Auch große Erfinder oder Wissenschaftler haben sich oft von ihrer Intuition leiten lassen und erlebt, dass Lösungen plötzlich da waren, ohne dass sie Schritt für Schritt „von unten nach oben“ entwickelt werden mussten. Sie wurden ihnen beispielsweise im Traum bewusst.

Insofern kommt intuitiven Erkenntnissen und Empfindungs-Wahrnehmungen, auch wenn sie ausschließlich subjektiv sind, durchaus Bedeutung zu. Und die Tatsache, dass größere Zusammenhänge spontan erkannt werden können, spricht meines Erachtens grundsätzlich auch für die Möglichkeit, Offenbarungswissen zu empfangen.

Wissen und Weisheit

Im Bereich der Religion spielen Offenbarungen eine zentrale Rolle. Gott habe den Überlieferungen zufolge bestimmte Propheten oder Schriften inspiriert oder seinen „Sohn“ gesandt, um den Menschen das Heil zu verkünden. 

Gläubigen gilt jede so offenbarte „Wahrheit“ als unantastbar. Ein kritisches Hinterfragen ihres „Heiligsten“ betrachten sie als Sakrileg.

Atheisten entgegnen, dass Offenbarungen noch nie etwas Relevantes zum Fortschritt beigetragen hätten. Das Wissen über die Natur, auch alle medizinischen oder technischen Errungenschaften – von den Narkosemitteln bis zu den Kommunikationssatelliten – seien ausschließlich auf wissenschaftliche Forschung zurückzuführen. Einer „Wissensvermittlung von oben“ sprechen sie jede Bedeutung ab.

Diese unversöhnlichen Positionen regen zu einer weiteren grundsätzlichen Betrachtung an, nämlich zum Begriff des Wissens.

Wissen bedeutet: Etwas ist zur Gewissheit geworden. Es gilt als sicher und verlässlich, bietet Halt.

Insofern ist der Erwerb von Wissen für jeden Menschen und jede Gesellschaft von zentraler Bedeutung. 

Doch es geht dabei eben nicht nur um das Erkennen von Zusammenhängen in der physischen Welt, nicht nur um Wissen, wie es die Wissenschaft schafft, sondern auch um Gewissheiten für das Seelisch-Geistige. Und in diesem Bereich – nicht in Forschung und Entwicklung – lässt sich die Bedeutung von „Offenbarungswissen“ verorten.

Beispielsweise vermittelten die Gleichnisse Jesu vor gut 2000 Jahren ethisch-moralische Wegweisungen. Sie handelten von Liebe und Vergebung, Schuld und Sühne, Nachsicht und Gerechtigkeit. Die fünftbillionste Nachkommastelle der Zahl Pi oder die Zerfallrate von Uran-238 wären indes keine Themen für Predigten.

Wissen im Sinne von objektiven, quantitativ messbaren Fakten bezieht und beschränkt sich auf die physische Welt. 

Offenbarungswissen lässt sich wohl am ehesten mit dem Begriff Weisheit verbinden. Hier geht es um Gewissheiten, die auch aus Lebenserfahrungen und sozialen Kontakten resultieren, aus Empathie, Umsicht, Selbstreflexion eben auch, worauf die Persönlichkeitsforschung hinweist, aus Spiritualität. 

Offenbarungen sprechen vor allem durch ihre Qualitäten an. Dagegen sind Versuche, sie als quantitatives Fakten-Wissen darzustellen, in der Regel zum Scheitern verurteilt. 

Die biblische Schöpfungsgeschichte beispielsweise lässt sich gut als Gleichnis verstehen: Die „Tage“, von denen sie erzählt, stehen für Zeiträume, wobei jegliche Entwicklung auf eine schaffende Kraft zurückgeführt wird, auf einen höheren, lebensspendenden Willen, der allen Geschöpfen Heimat bietet und Geborgenheit vermittelt. Dieses Bild gibt beglücken Empfindungen Raum und lädt zu einer einfachen, undogmatischen Gläubigkeit ein. 

Sobald die Geschichte aber quantitativ interpretiert wird, etwa mit der Behauptung, die sieben Tage seien wörtlich zu nehmen, steht sie im Widerspruch zu wissenschaftlichen Fakten.

So betrachtet, liegt es nahe, die „Welt des Faktenwissens“ sauber von der „Welt des Offenbarungswissens“ zu trennen – und in Kauf zu nehmen, dass das menschliche Bedürfnis, „die eine Wahrheit“ zu kennen, durch zwei nebeneinander bestehende, unvereinbare „Parallelwelten“ nicht befriedigt wird.

In und mit eben diesem Zwiespalt leben westliche Gesellschaften, wobei sich die Kluft zwischen naturwissenschaftlichen Welterklärungen und den Belangen des persönlichen Glaubens eher vertieft. Brauchbare Brücken gibt es kaum.

Vom Glauben zum Wissen

Nach diesem Exkurs kann nun ein weiterer, vielleicht der wichtigste Aspekt des Werkes „Im Lichte der Wahrheit“ beleuchtet werden. Denn es will Religion und Wissenschaft in Einklang bringen. Abd-ru-shins erhebt für seine Gralslehre den Anspruch, ein Wegweiser sowohl für spirituelle Belange, als auch zur Erforschung der physischen Welt zu sein. Glaube soll zum Wissen, zur Gewissheit, zur Überzeugung werden.

Dazu finden sich in den Vorträgen der „Gralsbotschaft“ bemerkenswerte Ansätze: Etwa der bereits skizzierte Zusammenhang von Naturgesetz und Gotteswille. 

Gott offenbart sich demnach keineswegs durch besonderes Wunderwirken, mit dem die Naturgesetze plötzlich außer Kraft gesetzt werden, sondern in den Gesetzen selbst. Die „Schöpfungsgesetze“ zeigten den vollkommenen Willen Gottes.

Zugleich weist Abd-ru-shin vielfach auf die Bedeutung der Logik hin. Denn „Vollkommenheit bedingt strengste Logik, unbedingte Folgerichtigkeit in jeder Beziehung“ (Vortrag „Wunder“).

Einfach irgendetwas zu glauben ermögliche keinen spirituellen Fortschritt: „Glauben, ohne zu begreifen, ist nur Trägheit, Denkfaulheit! Das führt den Geist nicht aufwärts, sondern drückt ihn nieder. Deshalb empor den Blick, wir sollen prüfen, forschen.“ (Vortrag „Erwachet!“)

„Glaube soll in Wirklichkeit zur Überzeugung werden. Überzeugung aber fordert Leben, schärfstes Prüfen!“ (Vortrag „Irrungen“)

Diese Haltung – Ja zur Religion, aber Nein zum „blinden“, also undurchdachten Glauben – fügt sich übrigens recht gut zu Aussagen prominenter Naturwissenschaftler der damaligen Zeit. 

Albert Einstein (1879–1955) schrieb 1941: „Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Naturwissenschaft ist blind.“

Auch Max Planck (1858–1947) bekannte sich zur Religion („Religion und Naturwissenschaft ergänzen und bedingen einander“) und war davon überzeugt, dass der persönliche Glaube nicht mit dem Wissen in Widerspruch geraten darf. Ob man sich „noch ehrlich zu einer Religionsgemeinschaft zählen darf, welche in ihrem Bekenntnis den Glauben an Naturwunder“ verlange, betrachtete Planck als „Gewissensfrage“.

Wenn Abd-ru-shin auf die Bedeutung des eigenständigen Denkens und Prüfens hinwies, so verband er damit „innerliches Durchempfinden“. Er setzte auf die Empfindung des Menschen als Ausdruck seines geistigen Wesenskerns, auf die „innere Stimme“. Diese könne zur Orientierung dienen. Allerdings hätten sich „die meisten Menschen“ von ihrer Empfindung „abgeschlossen“, weil bei ihnen der Verstand dominiere.

Das wichtigste „Prüfwerkzeug“ steht dem Menschen demnach nicht ohne weiteres zur Verfügung. Dieses Problem ist ja bekannt: Die vermeintliche „innere Stimme“ bewertet das als objektiv wahr und richtig, was in Wirklichkeit nur persönlichen Vorstellungen oder Vorlieben entspricht, was also in die eigene weltanschauliche Komfortzone passt.

Umso wichtiger erscheint kritisches Denken. Jedenfalls bieten sich Logik und Folgerichtigkeit als Wegweiser durch den religiös-spirituellen Dschungel an.

Wäre Jesus tatsächlich leiblich „in den Himmel gefahren“, weshalb ist er dann nicht auch auf diesem Weg gekommen? 

Könnte Gott tatsächlich nach Belieben alle Naturprinzipien außer Kraft setzen, warum greift er dann nicht einfach korrigierend in das Weltgeschehen ein? 

Weshalb sollte ein gerechter Schöpfer seinen Sohn stellvertretend für die Sünden der Menschheit leiden und einen qualvollen Tod am Kreuz sterben lassen?

Und so weiter.

Freilich: Die Bereitschaft, nach logischen, schlüssigen Antworten zu forschen statt sich mit der Lehre von den angeblich unergründlichen Ratschlüssen Gottes abzufinden, wird für traditionelle Glaubensüberlieferungen schnell zur Herausforderung. Jedenfalls aber bewährt sich diese kritische Haltung, wenn es darum geht, das Gestrüpp oft widersprüchlicher Behauptungen im religiös-esoterischen Bereich ein wenig zu durchlichten.

Darüber hinaus spricht natürlich auch nichts gegen ein Prüfen im wissenschaftlichen Sinn, also auf der Grundlage von Erfahrungen, Experimenten und Theorien – sofern eine „Offenbarungs-Weisheit“ dafür konkrete Ansatzmöglichkeiten bietet und ihre Aussagen nicht gleichnishaft gedacht werden sollten.

In Abd-ru-shins Werk „Im Lichte der Wahrheit“ lassen sich für einen solchen Abgleich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen einige Anhaltspunkte finden. Jedoch führt dies nicht immer zu befriedigenden Ergebnissen im Sinne einer Übereinstimmung.

Gralsbotschaft und Sterbeforschung

Ein Beispiel dafür ist die Sterbeforschung, die seit den 1970-er Jahren weltweit zahlreiche (Tausende, wenn nicht Zehntausende) persönliche Erfahrungen an der Schwelle zum Tod dokumentiert und ausgewertet hat: Nahtoderfahrungen, Nachtodkontakte, Sterbebettvisionen und ähnliche Erlebnisse.

Die Schlussfolgerungen aus diesen Forschungen fordern nicht nur das materialistische Weltbild heraus, weil dieses keine schlüssige Erklärung für solche Erfahrungen bieten kann, sondern auch religiöse Traditionen. 

Zwar sagen Todesnähe-Erlebnisse nicht unbedingt etwas über ein Leben nach dem Tod aus, aber sie haben das erstaunliche Potential, Betroffene zur Gewissheit zu führen, dass der Sterbeprozess nicht das Ende einleitet, sondern den Übergang in eine andere Form des Daseins. 

Nahtoderfahrene sind nach ihren Erlebnissen durchweg von einem Leben nach dem Tod überzeugt – und sie haben „an der Schwelle“ meist nicht das erfahren, was konfessionelle Vorstellungen erwarten lassen. In der Regel hat sich ihre Spiritualität vertieft, Glaubens-Dogmen hingegen verlieren für sie an Bedeutung.  

Die wissenschaftliche Sterbeforschung (Thanatologie) konnte dokumentieren, dass der Gehalt von Todesnähe-Erfahrungen weitgehend unabhängig von kulturellen oder religiösen Einflüssen der gleiche ist. Die „Elemente“ oder „Stationen“, die Nahtoderfahrene erleben, ähneln einander inhaltlich auffallend, auch wenn sie mit unterschiedlichen Worten oder Bildern beschrieben werden.

Mit der Analyse solcher Erlebnisse, von denen durch die besseren Möglichkeiten in der Reanimation immer öfter berichtet wird, drang die Forschung zunehmend in einen Bereich vor, der traditionell den religiösen Offenbarungen vorbehalten war. Es liegt daher nahe, die darin beschriebenen Grenz-Erfahrungen mit den tatsächlich berichteten Todesnähe-Erlebnissen zu vergleichen.

Den Schilderungen der Gralsbotschaft zufolge erleben Menschen in einem Prozess der Loslösung  von der „Grobstofflichkeit“ zunächst etwas, das heute als „außerkörperliche Erfahrung“ (AKE) bezeichnet wird. Sie befinden sich außerhalb ihres Körpers, nehmen das physische Umfeld wahr, können sich anderen aber nicht mehr bemerkbar machen.

Ähnliches berichten gelegentlich auch Nahtoderfahrene.

Doch abgesehen von dieser Übereinstimmung schildern sie vor allem Gegebenheiten, die Abd-ru-shin in seinen Vorträgen nicht thematisiert hat.

Was Nahtoderfahrene in der Regel am nachhaltigsten beeinflusst und von einem Leben nach dem Tod zweifelsfrei überzeugt, ist die Begegnung mit einem überirdischen „Licht“, das ihnen die Gewissheit einer bedingungslosen göttlichen Liebe vermittelt – und zwar oft derart eindrucksvoll, dass wenige Momente einer solchen Erfahrung lebensverändernd wirken. Sterbeforscher beschreiben das unvergleichlich intensive Erleben, demgegenüber die Alltagswirklichkeit wie ein Traum erscheint, mit dem Begriff Hyperrealität. 

Bekennern der Gralsbotschaft könnten Berichte von einer bedingungslosen Liebe als Provokation erscheinen. Denn Abd-ru-shin betont in seinen Vorträgen, dass „der wahren Liebe größter Teil“ Strenge, und dass sie nicht von Gerechtigkeit zu trennen sei.

Auch das „Einswerden mit dem Licht“, von dem viele Nahtoderfahrene glaubwürdig berichten, die grenzenlose Erweiterung ihres Ichs, das Erleben eines allumfassenden Wissens, die „Alleinheitserfahrung“, wie Sterbeforscher es bezeichnen, wirft im Vergleich zu dem „im Lichte der Wahrheit“ vermittelten Weltbild Fragen auf. Denn hier wird das ausschließlich persönliche Fortleben jedes Menschen in feinerstofflichen oder höheren Bereichen beschrieben. Von einem „Einswerden mit der Göttlichkeit“ können „Geistkeime“ demnach nicht ausgehen. Im Menschengeist wohne zwar ein „Gottesfunke“, doch Gott selbst existiere in seiner „Wesenlosigkeit“ außerhalb der Schöpfung. Den Gedanken, „Gott in sich zu tragen, oder selbst göttlich zu sein, oder dies werden zu können“ bezeichnete Abd-ru-shin ohne Wenn und Aber als „Wahn“.

Sterbeforscher schließen aus der Vielzahl der vorliegenden Berichte außerdem, dass religiöse Konzepte, die von einem „Gericht Gottes“ nach dem Tod sprechen, unzutreffend sind oder falsch interpretiert werden. 

Nahtoderlebnisse, in denen klassische Elemente eines Gerichts vorkommen, sind praktisch nicht bekannt. Allenfalls könnten die selten vorkommenden „negativen Nahtoderfahrungen“ oder „Erfahrungen der Leere“ damit in Zusammenhang gebracht werden, doch müssen diesbezügliche Berichte differenziert betrachtet werden. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Lebensführung eines Menschen und der Qualität seiner Todesnähe-Erlebnisses lässt sich jedenfalls nicht ableiten. Der niederländische Thanatologe Christophor Coppes sagt beispielsweise: „Nach dem Tod richtet niemand über uns“. Vielmehr zeige sich, dass die bedingungslose Liebe selbst zur „Richt-Schnur“ für jeden Menschen werde.

Die traditionellen Vorstellungen von einem sichtenden und richtenden Schöpfer werden zwar auch durch Abd-ru-shins Gralslehre nicht unterstützt, aber die Verheißung eines „jüngsten Gerichts“ spielt darin doch eine zentrale Rolle.

Gralsbotschaft und Astrophysik

Im Vortrag „Die Welt“ wird dieser Begriff mit astronomischen Gegebenheiten in Zusammenhang gebracht: „Das jüngste, das heißt, das letzte Gericht kommt einmal für jeden stofflichen Weltenkörper, aber es geschieht nicht gleichzeitig in der ganzen Schöpfung.

Es ist ein notwendiger Vorgang in jenem jeweiligen Teile der Schöpfung, der in seinem Kreislaufe den Punkt erreicht, an dem seine Auflösung beginnen muß, um auf dem weiteren Wege wieder neu sich bilden zu können.

Mit diesem ewigen Kreislaufe ist nicht der Lauf der Erde und anderer Sterne um ihre Sonnen gemeint, sondern der große, gewaltigere Kreis, den wiederum alle Sonnensysteme gehen müssen, während sie in sich besonders noch ihre eigenen Bewegungen ausführen.“

Abd-ru-shin spricht von einem „Riesentrichter“, der „wie das Herz der stofflichen Schöpfung“ wirke. Im Laufe ihres großen Kreisens passiere die gesamte Nachschöpfung diesen Trichter. Die Grob- und Feinstofflichkeit werde darin in „Ursamen“ aufgelöst, um „an der anderen Seite […] wieder zu neuem Kreislaufe ausgestoßen zu werden.“

Die Erde nähere sich diesem Geschehen. Daher sei es für alle hier inkarnierten Menschengeister entscheidend, in ihrer Entwicklung schnellstmöglich soweit voran zu kommen, dass sie sich von allen inneren Bindungen lösen und die stoffliche Welt nicht mehr benötigen. Andernfalls drohe ihnen „ewige Verdammnis“, weil sie in den Zersetzungsprozess mit hineingezogen würden. –

Was sagt die Astrophysik zu dieser Darstellung eines „gewaltigen Kreislaufs“, den „alle Sonnensysteme gehen müssen“? 

Sie sagt, dass es ihn nicht gibt. „Das Bild, dass alle Galaxien einen großen Kreislauf beschreiben, stimmt nicht.“ So formuliert es Norbert Pailer, ein Astrophysiker, dem die Annäherung von Naturwissenschaft und Religion ein Anliegen ist. „Wir haben eine Expansionsbewegung, aber keine Kreisbewegung. Das Bild eines großen Kreislaufes können wir ausschließen.“ In der Entwicklung der Materie sei auch nichts Zyklisches zu beobachten.

Abd-ru-shins Beschreibung eines zentralen „Riesentrichters“, der Materie einsaugt und zersetzt, könnte vielleicht auf ein sogenanntes „schwarzes Loch“ bezogen werden. Diese astronomischen Objekte sind so beschaffen, dass Materie und Licht den Bereich des „Lochs“ nicht mehr verlassen können. Allerdings dürfte es neueren Schätzungen zufolge im sichtbaren Universum 40 Trillionen (!) Schwarze Löcher geben, und eine fundamentale Rolle für den Auflösungs- und Neuentstehungsprozess von Planeten oder Sonnensystemen wird ihnen nicht zugeschrieben. –

Interessant könnte für das Thema „Gralsbotschaft und Astrophysik“ auch eine historische Betrachtung sein: 

Als Abd-ru-shin damit begann, die Vorträge seiner Gralsbotschaft zu verfassen, gingen auch führende Wissenschaftler wie Albert Einstein noch von einem „statischen“, nicht expandierenden Weltraum aus. 

Dass sich das All ausdehnt, was heute als sicher gilt, wurde erstmals 1927 vermutet – übrigens von einem Priester, der zugleich Astrophysiker war, dem Belgier Georges Lemaître. 1929 bestätigten Beobachtungen des US-amerikanischen Astronoms Edwin Hubble die Expansion, und erst Mitte des 20. Jahrhunderts setzte sich dann, auch als Ergebnis einer Rückrechnung der Ausdehnung, die Urknall-Theorie durch. 

Zudem stellten die astronomischen Entdeckungen der vergangenen hundert Jahre alle Vorstellungen von der Größe des Alls in Frage.

In den 1920-er Jahren diskutierten Astronomen noch die damals neuesten Beobachtungen zum Andromedanebel. Denn es hatte sich gezeigt, dass dieser „Nebel“ offenbar außerhalb der „Milchstraße“ liegt, dass er also eine eigene, zweite Galaxie mit wahrscheinlich Millionen von Sonnen darstellt. 

Damals wurde also klar, dass unsere Heimatgalaxie mit ihren Milliarden Sonnen nicht die einzige ist. Und vermutlich spielten manche Forscher auch schon mit dem Gedanken, dass darüber hinaus noch weitere Galaxien existieren könnten.

Wer von traditionellen religiösen Vorstellungen geleitet war, hätte also vor knapp 100 Jahren beispielsweise noch glauben können, dass es – der besonderen „heiligen Zahl“ entsprechend – sieben eigenständige Weltenräume oder -teile gibt.

Doch bald führten weitere Beobachtungen alle übersichtlichen Konzepte dieser Art ad absurdum und überforderten zugleich jedes menschliche Vorstellungsvermögen.

Ab den 1970er Jahren wurden zur Erforschung des Alls auch leistungsstarke Weltraumteleskope eingesetzt, und heute gehen die Astrophysiker davon aus, dass es 100 Milliarden Galaxien (!) gibt.

Weshalb sollte dem Planeten Erde, sollte dem Menschen in dieser Unermesslichkeit irgend ein besonderer Stellenwert zukommen, wie es religiöse Überlieferungen und spirituelle Konzepte behaupten? 

Solche Fragen rüttelten stärker denn je an konfessionellen Grundlagen.

Gläubige können astronomischen Erkenntnissen natürlich mit dem grundsätzlichen Einwand begegnen, dass sie letztlich doch nur auf dem Versuch beruhen, das große Ganze aus dem winzigen, beschränkten Blickwinkel überschauen zu wollen, den der Planet Erde eben zulässt. Die Schlussfolgerungen der Astronomie würden immer fragwürdig und unvollständig bleiben.

Das stimmt zwar, erscheint aber eher als Totschlag-Argument, das sich gegen unliebsamen Erkenntnisgewinn richtet.

Jedenfalls trifft die Astrophysik ihre Aussagen auf Grund gut abgesicherter Fakten, und die Annahme, spirituelle Konzepte seien schlüssiger als Forschungen, erinnert ein wenig an den Standpunkt der Kirche vor ein paar hundert Jahren. Sie verteidigte ihr „bibelkonformes“ Weltbild mit der Erde und dem Menschen als Zentrum von Gottes Schöpfung noch vehement, als die Beobachtungen von Galileo Galilei das geozentrische Weltbild schon widerlegt hatten. Der italienische Astronom wurde im 17. Jahrhundert zum Schweigen verurteilt und blieb bis zu seinem Tod Gefangener der Inquisition.

Gralsbotschaft, Biologie und Medizin

Im Bereich von Biologie und Medizin waren die vergangenen hundert Jahre ebenfalls von großen Erkenntnisfortschritten geprägt. Zur Erforschung des Gehirns wurden beispielsweise bildgebende Verfahren entwickelt, die nun Einblicke in das menschliche „Königsorgan“ gewähren und am lebenden Menschen zeigen, wie es arbeitet.

Dabei wurden die Gehirnteile genauer definiert (neben dem Groß- und Kleinhirn kennt man nun auch das Zwischen-, Mittel-, und Nachhirn), und es konnte auch nachgewiesen werden, dass die Persönlichkeit des Menschen vor allem mit Gehirn-Aktivitäten im Frontallappen (Großhirn) korreliert. Die Empfindung von Empathie – aus spiritueller Sicht ein Ausdruck des geistigen Wesenskerns – zeigt sich ebenfalls in Aktivitäten des Großhirns (in diesem Fall speziell in der „Inselrinde“).

Das Kleinhirn wurde als Kontrollorgan für die Muskelkoordination und die Feinabstimmung körperlicher Bewegungsabläufe entdeckt, hat aber auch mit kognitiv-emotionalen Belangen zu tun. Schädigungen des Kleinhirns können zum Beispiel zu Hyperaktivität, Angst, Apathie, Ablenkbarkeit, Reizbarkeit, Grüblerei oder zwanghaftem Verhalten führen.

Die Netzwerke des Gehirns werden seit Jahrzehnten intensiv erforscht; eine klare Abgrenzung von „Zuständigkeiten“ bestimmter Regionen erscheint kaum möglich. Und über das Zustandekommen von Bewusstsein können Neurowissenschaftler nichts Endgültiges aussagen. Dem materialistischen Weltbild folgend nehmen sie an, dass es vom Gehirn generiert wird. Aber wie aus der Aktivität von Nervenzellen die Qualitäten menschlichen Erlebens hervorgehen sollen, blieb ein Rätsel.

In seiner idealistisch ausgerichteten Gralslehre betrachtet Abd-ru-shin das Gehirn im Wesentlichen als ein „Werkzeug“, mit dessen Hilfe sich das geistige Bewusstsein, welches grundsätzlich unabhängig vom Körper besteht, in der physischen Welt betätigen kann.

In seinen Vorträgen zeichnet er allerdings auch ein (sehr einfaches) Bild von konkreten biologischen Zusammenhängen und unterscheidet dabei zwischen „Vorderhirn“ und „Hinterhirn“: „Dem Vorderhirn fällt alle Arbeit des Verstandes zu für äußere Betätigung im gröbsten Stofflichen, also in der Materie, dem Hinterhirn jedoch das Aufnehmen und Weitergeben zur Verarbeitung der Eindrücke von oben, die leichter, lichter sind als grobe Stofflichkeit.“ (Vortrag „Erstarrung“).

„Beide Gehirnteile“ sollten „harmonisch zusammenarbeiten“, jedoch sei es in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit zu einer folgenschweren Fehlentwicklung gekommen. Die übermäßige Betätigung des Verstandes habe zu einem unverhältnismäßigen Wachstum des Vorderhirns „weit über alles andere hinaus“ geführt, während das Hinterhirn als „Instrument des Geistes“ vernachlässigt worden sei.

Dieses „unverhältnismäßige Zugroßziehen des menschlichen Verstandes“ habe zur „Erbsünde“ geführt. In einem eigenen Vortrag zu diesem Thema schreibt Abd-ru-shin:

„Das Mitbringen dieses freiwillig großgezüchteten Vordergehirnes, in dem die Gefahr der reinen Verstandesherrschaft liegt, mit den dann unvermeidlichen üblen Nebenerscheinungen, ist die Erbsünde!

Also die körperliche Vererbung des jetzt durch seine künstlich gesteigerte Entfaltung mit Großgehirn bezeichneten Teiles, wodurch der Mensch bei der Geburt eine Gefahr mitbringt, die ihn sehr leicht in Übel verstricken kann.“

Diese Aussagen der Gralsbotschaft zum Aufbau und zur Funktionsweise des Gehirns sowie zu dessen Fehlentwicklung finden durch die wissenschaftliche Forschung keine Bestätigung. Vielmehr gilt als sicher, dass die Größe des Gehirns nicht zwangsläufig etwas mit Intelligenz oder der Ausprägung eines bestimmten Verhaltens zu tun hat. Entscheidend dafür scheinen die neuronalen Vernetzungen zu sein.

Davon unberührt bleibt freilich der Kern von Abd-ru-shins diesbezüglichen Aussagen: Dass der Mensch allzu verstandeslastig lebe, zu egoistisch, materialistisch orientiert, auf eigene Vorteile fokussiert, und weit entfernt von der Gotterkenntnis. Und dass die reine, freie geistige Empfindung wieder die Führung im Leben übernehmen müsse.

Weniger aus dem Kopf, mehr mit dem Herzen leben: Diese einfache Weisheit aus dem Volksmund fügt sich sehr gut zur Gralsbotschaft. 

Eine biologische Anlage für Empathie- und Spiritualitäts-Defizite müsste nach dem heutigen Stand der Forschung differenzierter begründet werden.

Ähnliches gilt auch für andere Aussagen der Gralsbotschaft zu medizinischen Gegebenheiten.

So präzisiert Abd-ru-shin beispielsweise den Vorgang der „Inkarnierung“, also der Verbindung der Seele mit dem physischen Körper (wobei er lehrt, dass für den Prozess des geistigen Reifens und Bewusstwerdens mehrere Inkarnationen nötig sind):

Die Verbindung erfolge „in der Mitte der Schwangerschaft“. 

Die Angabe dieses Zeitraums passt gut zu einer anderen Aussage in der Gralsbotschaft, der zufolge die „Eigenart des Geistes“ die Menschenform bedinge. Denn diese ist nach viereinhalb Monaten schon sehr gut ausgeprägt. 

Allerdings beschreibt Abd-ru-shin in seinem Vortrag „Das Blutgeheimnis“ auch eine konkrete biologischen Veränderung, die jede Inkarnierung begleiten soll, die aus wissenschaftlicher Sicht aber „in der Luft hängt“: Mit dem Eintreten des Geistes beginne „das eigene Blut des Körperchens zu kreisen“, denn der Geist wirke an der Bildung des Blutes mit.

Biologisch betrachtet, beginnt das Herz schon nach wenigen Wochen zu schlagen und Flüssigkeit durch Gefäße zu pumpen – zunächst als pulsierende, herzähnliche Struktur; die endgültige Herzform ist nach etwa zwei Monaten ausgebildet. Der Embryo wird mit dem Blutkreislauf der Mutter verbunden und bleibt das auch bis zur Geburt; die persönliche Blutqualität (Blutgruppe und Rh-Faktor) ist genetisch bestimmt und steht von Anfang an fest. Eine auffallende Veränderung im Blutkreislauf des Kindes zur Mitte der Schwangerschaft lässt sich daher medizinisch nicht begründen. –

Ein ähnliches Problem im Abgleich mit biologisch-medizinischen Fakten wirft eine Formulierung im Vortrag „Die zerstörte Brücke“ auf.

Hier erwähnt Abd-ru-shin, dass „die notwendige Festigung und Kräftigung der Leber“ für jeden Menschen „ganz besonders wichtig ist, weil sie bei rechter und gesunder Tätigkeit den Krankheitsherd des Krebses verhindern kann, als sicherstes und bestes Mittel zur Bekämpfung dieser Seuche.“

Medizinische Untersuchungen können diese hoffnungsvolle Aussage nicht bestätigen. Denn es erkranken oder sterben auch Menschen mit völlig gesunder Leber an Krebs. Die Ursachen dafür sind, wie man heute weiß, sehr vielfältig. Jedoch zählt ausgerechnet eine Leberfunktionsstörung nicht zu den Risiken für die Entstehung eines Karzinoms.

Vom „Geleite“ zum Nachwort

Die genannten Beispiele zeigen, dass es schwierig ist, physische Gegebenheiten, die gründlich und zunehmend detailliert erforscht werden können, mit höherer Weisheit, die seelisch-geistige Zusammenhänge berührt, in Einklang zu bringen. Die Hoffnung auf die eine Wahrheit, in der Spiritualität und Wissenschaft einander nahtlos ergänzen, kann auch Abd-ru-shins Werk „Im Lichte der Wahrheit“ nicht ohne weiteres erfüllen. 

Vielleicht vor allem deshalb nicht, weil Forschungs-Wissen immer „datiert“ ist. Mit den Generationen verändern sich weltanschauliche Hintergründe, die Bedeutung von Worten, der Zugang zu Begriffen. 

Und möglicherweise hat das auch sein Gutes, denn die Suche nach Antworten, das Forschen und Prüfen hat gegenüber einem blinden, kritiklosen Glauben etwas ansprechend Aktives, Selbstbestimmtes.

Darauf baute auch Abd-ru-shin, wenn er im Geleitwort zu seinen Vorträgen schrieb: „Ich spreche nur zu denen, welche ernsthaft suchen. Sie müssen fähig und gewillt sein, sachlich dieses Sachliche zu prüfen! Religiöse Fanatiker und haltlose Schwärmer mögen ferne davon bleiben …“

Geistige Regsamkeit sei nötig, aufmerksames, logisches Denken. Jede „fertige Anschauung“ sei nur ein Hilfsmittel, eine Krücke, die zu einem Dogma führen könne, sofern jemand seinen eigenen Weg nicht klar erkennt und geht.

Abd-ru-shins Aufruf zum Prüfen, der seine Gralsbotschaft einleitet und wohl auch „zum Geleite“ durchs Leben gedacht ist, wird kritischen Zeitgenossen vermutlich willkommen sein, auch während der Lektüre der Vorträge „im Lichte der Wahrheit“.

Allerdings könnten sie schließlich über einen Satz im „Nachwort“ zur Gralsbotschaft stolpern. Dort heißt es: 

Ihr müßt alles nehmen oder nichts.“ 

Was also, wenn sich auf Grund der beispielhaft erwähnten Unstimmigkeiten mit neueren Erkenntnissen aus Astronomie, Biologie oder Medizin Zweifel melden? Oder wenn Aussagen gar nicht überprüft werden können, weil sie jenseits der persönlichen Erfahrung – vielleicht sogar jeder Erfahrungsmöglichkeit – liegen?

Ich bin zuversichtlich, dass sich dieses „Alles-oder-Nichts“ nicht auf den Umgang mit beweisbaren Fakten bezieht oder letztlich doch „blinden Glauben“ fordert, sondern primär eine Gesinnung beschreibt, eine innere Haltung: Es bringt letztlich ja keinen wirklichen Gewinn, sich aus einer Lehre nur jene Einzelheiten herauszupicken, die gerade angenehm oder nützlich erscheinen oder ein besonders „elitäres Wissen“ versprechen.

Spiritueller Fortschritt wie überhaupt jede Persönlichkeitsentwicklung hängt von der Bereitschaft ab, an sich selbst zu arbeiten, um den Hürden und Herausforderungen des Lebens besser begegnen zu können. Zu sich selbst finden, sich selbst treu bleiben, sich aus Verstrickungen lösen, von hemmenden Einflüssen emanzipieren … Worin auch immer der Weg für jeden einzelnen Menschen liegen mag – Entwicklung findet nur im Leben selbst statt. Theoretisches Wissen kann bestenfalls Anregungen bieten oder Entscheidungen erleichtern. 

Mit seiner Lehre in ihrer Gesamtheit wollte Abd-ru-shin „Leuchte und Stab“ bieten, wie er „zum Geleite“ schreibt.

Dieses Geleitwort zu den Vorträgen der Gralsbotschaft halte ich heute für besonders wichtig – mit Blick auf die eingangs kurz erwähnten religiösen Gemeinschaften, die sich im Umfeld dieses Buches gebildet haben, meist initiiert oder geleitet von charismatischen Persönlichkeiten, und auch mit Blick auf die Neigung zu Dogmatismus und Fanatismus, die ich bei manchen „Bekennern der Gralsbotschaft“ miterlebt habe. 

Wer sich auf Abd-ru-shins Werk vorurteilsfrei, aber kritisch prüfend einlässt, im Bewusstsein der vollen Eigenverantwortung für sein Leben, kann darin meines Erachtens eine herausragende spirituelle Orientierungshilfe finden – und letztlich vielleicht auch eine Vertiefung seines Glaubens erfahren.  

Hinweis:
In den Zitaten aus dem Werk „Im Lichte der Wahrheit“ wurde die deutsche Rechtschreibung beibehalten, wie sie vom „Verlag der Stiftung Gralsbotschaft“ trotz der Rechtschreibreformen weiter verwendet wird.