In den ersten Kapiteln seines Buchs „Jenseits des Unsichtbaren – Wo Wissenschaft und Spiritualität zusammentreffen“ skizziert Federico Faggin seinen Lebensweg als einer der bedeutendsten Erfinder des 20. Jahrhunderts. Aber diese Gegebenheiten werden bald zur Nebensache. Inspiriert durch eine „tiefgreifende innere Erfahrung“ und als Ergebnis von 35 Jahren Bewusstseinsforschung stellt er eine revolutionäre Theorie vor, die Wissenschaft und Spiritualität nahtlos zusammenführt. Wer sich nach einer „Weltformel“ sehnt und offen für wirklich Neues ist, könnte sie als atemberaubend empfinden.
Der italienische Physiker Federico Faggin (geb. 1941 in Vicenza) gilt als einer der wichtigsten Erfinder der jüngeren Geschichte. Mit dem „Intel 4004“ entwickelte er 1971 den ersten Mikroprozessor für Computer, 1986 folgten die ersten Touchpads und Touchscreens. Kurz: Die elektronischen Geräte, die heute den Alltag bestimmen, würde es ohne seine revolutionären Ideen wahrscheinlich nicht geben.
Federico Faggin wurde mehrfach ausgezeichnet. 2006 erhielt er den „Europäischen Erfinderpreis“ für sein Lebenswerk, 2009 von US-Präsident Barak Obama die „National Medal of Technology and Innovation“ für bedeutende Beiträge zur Entwicklung wichtiger Technologien, 2014 den „Premio Enrico Fermi“, den Physikpreis der „Italienischen Physikalischen Gesellschaft“.
Aber noch bevor die Tragweite seiner „alten“ Erfindungen mit den Jahren zunehmend auch gesellschaftliche Anerkennung fand, kreisten Faggins Gedanken längst um ein neues großes Ziel: Er wollte einen bewussten Computer bauen.
Wie alle im US-amerikanischen „Silicon Valley“, wo er die Möglichkeit gefunden hatte, seine Ideen umzusetzen, war auch Federico Faggin davon überzeugt, dass der Mensch letztlich nur eine Maschine, und dass Bewusstsein ein vom Gehirn erzeugtes „Epiphänomen“ ist.
Prinzipiell sollte es also möglich sein, ein klassisches Computersystem so weiter zu entwickeln, dass es Bewusstsein hervorbringt. Doch je länger sich Faggin mit diesem Problem befasste, desto klarer wurde ihm, dass es unlösbar ist.
In seinem Buch „Jenseits des Unsichtbaren“ erzählt er: „Ich dachte, wenn es stimmt, dass das Bewusstsein aus der Funktionsweise des Gehirns entsteht, also aus einer komplexen Maschine, die Informationen verarbeitet, hätte ich doch eine Lösung finden müssen, zumindest im Prinzip.
Stattdessen sah ich mich mit einem unüberwindbare Hindernis konfrontiert, nämlich dem völligen Mangel an Verständnis für das Wesen der Qualia, das heißt, der Empfindungen und Gefühle, da in der Physik kein Phänomen bekannt ist, das Qualia erzeugen kann. Ich war über das schwierige Problem des Bewusstseins gestolpert, wie David Chalmers es Jahre später definieren sollte.“
Für Federico Faggin begann damit ein Leidensweg. Er wollte unbedingt verstehen, „was es mit diesem Bewusstsein auf sich hat“, forschte und begann ein neues Studium. „Mein Problem war von einem wissenschaftlichen zu einem persönlichen geworden.“
Und dann erlebte er etwas, das ihm einen völlig neuen Blickwinkel eröffnete – und ihn letztlich zu einem neuen Verständnis von Bewusstsein anregte. Er bezeichnet diese Erfahrung als „Erwachen“ und beschreibt Erlebnisse, wie sie heute auch aus zahlreichen Berichten Nahtoderfahrener bekannt sind:
„In den Weihnachtsferien 1990 war ich mit meiner ganzen Familie in unserem Haus in Lake Tahoe zum Skifahren, und eines Nachts hatte ich ein außergewöhnliches Erlebnis, dass mein Leben veränderte.
Gegen Mitternacht wachte ich auf, weil ich Durst hatte. Als ich wieder im Bett lag und gerade einschlafen wollte, spürte ich aus heiterem Himmel einen gewaltigen Energiestrahl, der mit aller Kraft aus meiner Brust strömte. Es war ein weißes, Funken sprühendes Licht der Liebe, der Freude und des Friedens, eine Liebe, die so mächtig war wie ich sie mir nie hätte vorstellen können. Und was noch verblüffende war: die Quelle dieser Liebe war ich!
An einem bestimmten Punkt ist dieser Lichtstrahl dann explodiert und hat den ganzen Raum mit diesem strahlenden, liebevollen Licht erfüllt. Ich war nicht nur erstaunt, dass ich die Quelle der Liebe war, sondern auch, dass diese Liebe und dieses Gefühl von mir auch außerhalb von mir waren. Mein Körper vibrierte und war sehr warm. Mir wurde blitzartig klar, dass das die Substanz oder Energie ist, aus der alles Existierende gemacht ist. Und diese Substanz war ich! Wie war das möglich?
An jedem Tag erlebte ich mich selbst als die Welt, die sich aus meinem Blickwinkel selbst beobachtet. Jetzt war ich plötzlich gleichzeitig der Beobachter und der Beobachtete. Ich war nicht länger ein von der Welt getrennter Körper, wie ich immer gedacht hatte. Ich war jetzt ein Gesichtspunkt des Ganzen, durch den sich das Ganze selbst erkennen kann. Das Wesen der Wirklichkeit offenbarte sich mir als eine Energie, die sich selbst in ihrer Selbstreflektion erkennt. Und ihre Selbsterkenntnis hat den Charakter einer unbändigen und dynamischen Liebe. […]
Diese Erfahrung hat meine Vorstellung davon verändert, wer ich bin und wer wir sind, und mich meine spirituelle Natur entdecken lassen.“
An anderer Stelle schreibt Federico Faggin zu diesem Erlebnis: „Es war eine Form der direkten Erkenntnis, die ich nie zuvor erlebt hatte und die mir eines der Geheimnisse des Bewusstseins offenbart hat. Ich habe von innen, mit der Kraft der absoluten Wahrheit, begriffen, dass ich nicht der Körper bin, sondern dass der Körper eine Hilfsstruktur meines wahren Wesens ist. Das heißt, das Epiphänomen ist mein Körper, nicht das Bewusstsein!
Das hat mich motiviert, tiefer zu ergründen, was Bewusstsein ist. Und da es privat, subjektiv, persönlich, nicht von außen erkennbar und nicht reproduzierbar ist, wollte ich es auf die einzig mögliche Weise studieren, nämlich durch Erforschung bei mir selbst.“
Seine tiefe, hyperreale Bewusstseinserfahrung, an deren Wirklichkeit kein Zweifel bestehen konnte, und wohl auch die Probleme, das Erlebte zu vermitteln, machten Federico Faggin klar, dass sich das Wesen des Bewusstseins nicht allein durch Theorien oder philosophische Erwägungen ergründen lässt. Sprachliche Symbole reichen dafür nicht aus.
„Es gibt zwei grundlegende Arten des Wissens: aus Symbolen oder aus gelebter Erfahrung. So ist beispielsweise das Wissen, wie Kirschen schmecken, das man durch das Probieren einer Kirsche erlangt, ein direktes Wissen, das sich von dem indirekten Wissen unterscheidet, das man durch das Lesen eines Buches erlangt, in dem der Geschmack von Kirchen beschrieben wird. Wer das Buch gelesen, aber noch nie eine Kirsche probiert hat, kann den Geschmack nicht kennen, auch wenn er das Gelesene so oft wiederholt, dass er einem anderen Menschen vorgaukeln kann, er habe diese Erfahrung tatsächlich gemacht. Die künstliche Intelligenz macht genau das selbe. Nur wer schon einmal Kirschen probiert hat, kann erkennen, ob die Beschreibung dem Geschmack entspricht.
Um die Bedeutung der Symbole zu verstehen, muss man bereits eine ähnliche Erfahrung gemacht haben, die dem entspricht, was sie darstellen. Mit anderen Worten: Selbst wenn ich meine Erfahrung in allen Einzelheiten schildern würde, könnte jemand, der keine ähnliche Erfahrung gemacht hat, sie nicht verstehen.“
Faggins jahrzehntelange Forschung führte schließlich zu einem radikal neuen Ansatz, den er in seinem Buch „Jenseits des Unsichtbaren“ detailliert darstellt – in Form eines Dialogs mit seiner Schwägerin Viviana Sardei, die viele persönliche Gespräche aufgezeichnet und ausgewertet hat. Seine Kernaussage zum „schwierigen Problem des Bewusstseins“:
„Erst vor kurzem ist mir klar geworden, dass das Bewusstsein nicht durch etwas Einfacheres als sich selbst erklärt werden kann. Und damit hat sich das Problem umgekehrt. Wir müssen die Existenz des Bewusstseins als Wahrheit voraussetzen, und alles andere muss auf der Grundlage dieser Wahrheit interpretiert werden.“
Demnach kann Materie nicht als der Ursprung von allem betrachtet werden. Sie kann kein Bewusstsein hervorbringen. Deshalb ist auch der Bau eines bewussten Computers theoretisch und praktisch unmöglich.
Das Grundlegende, Ursprüngliche, Irreduzible (also nicht von etwas anderem Ableitbare) ist in Wirklichkeit Bewusstsein.
Faggin: „Nach jahrelangen Studien und Experimenten mit meinem Innenleben ist mir klar geworden, dass das Bewusstsein grundlegend und irreduzibel sein und die Wirklichkeit daher notwendigerweise zwei Gesichter haben muss: ein tiefes, semantisches, das sich durch bewusste Erfahrung offenbart, und ein symbolisches, mitteilbares, das mit der Bedeutung der Erfahrung zusammenhängt. Die Wirklichkeit muss also aus etwas bestehen, dass sich von innen, privat, durch einen Prozess der Selbstreflektion erkennen kann und zum Kommunizieren mitteilbare Symbole braucht.
Die grundlegende Realität ist also die bewusste Erfahrung, und die Materie ist, bildlich gesprochen, die Tinte, mit der das Bewusstsein ihre Selbsterkenntnis aufschreibt.“
Federico Faggin geht folglich von einem neuen „Postulat des Seins“ aus. Es „besagt, dass es ein holistisches, dynamisches Ganzes gibt, das das Verlangen und Vermögen hat, sich selbst zu erkennen, nämlich das Bewusstsein und der freie Wille.“
Jedes Erleben in der physischen Welt dient demnach der Selbsterkenntnis von Bewusstsein, und dieses kann mit dem Tod des Körpers nicht vergehen, weil es auch nicht aus dem Körper entsteht.
Sein Postulat stellt Faggin mit guten Begründungen vor, und er entwickelt auf dieser Basis eine „neue Theorie der Wirklichkeit“, die das Potential hat, nicht nur Wissenschaft und Spiritualität in Einklang zu bringen, sondern beispielsweise auch Phänomene im Bereich der Quantenphysik in einem größeren Bezugsrahmen zu erklären. Denn Quanteninformation hat offenbar die gleichen Eigenschaften wie die Qualia, die zum Bewusstsein gehören …
Buch-Info:
Federico Faggin:
„Jenseits des Unsichtbaren“
KOHA Verlag, Dorfen, 2025
468 Seiten, € 26,50