23. November 2024

Lebkuchengefülltes Kinderstubenweihfestspiel

Hänsel und Gretel

• Oper in drei Akten von Engelbert Humperdinck 

Libretto: Adelheid Wette (1858–1916) 
Musik: Engelbert Humperdinck (1854–1921) 
Uraufführung: 23. Dezember 1893, Weimar (Hoftheater) 
Dauer: ca. 2 Stunden

Akte:
1. Akt: Stube des Besenbinders
2. Akt: Im Wald
3. Akt: Knusperhäuschen im Wald

Hauptpersonen:
Hänsel:
Alt
Gretel: Sopran
Die Knusperhexe: Mezzosopran
Sandmännchen: Sopran
Taumännchen: Sopran
Peter, Besenbinder: Bariton
Gertrud, Peters Frau: Mezzosopran

Kurze Werkeinführung

„Hänsel und Gretel“ ist nicht nur die bekannteste Oper des deutschen Komponisten Engelbert Humperdinck (1854–1921), das Werk zählt außerdem zu den bis heute international am meisten gespielten Opern überhaupt.

Die dreiaktige „Märchenoper“ war ursprünglich als häusliche Theateraufführung geplant. Adelheid Wette, Humperdincks Schwester, hatte aus dem Text der Brüder Grimm ein Märchenspiel geformt und bat ihren Bruder darum, einige Verse zu vertonen. Nachdem die Aufführung im kleinen Kreis großen Anklang fand, entstand daraus zunächst ein Singspiel und schließlich eine abendfüllende Oper.

Nach dem Vorbild Richard Wagners komponierte Humperdinck alle Akte durch, fügte aber auch Volksliedfragmente und drei Volkslieder („Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh?“, „Ein Männlein steht im Walde“ und „Schwesterlein, hüt’ dich fein!“) in seine Komposition ein. Später wurden weitere, neu komponierte Melodien aus der Oper („Brüderchen, komm tanz mit mir“ sowie der „Abendsegen“) ihrerseits zu Volksliedern.

Uraufgeführt wurde Humperdincks Märchenoper, die er übrigens – als Parodie zum „Bühnenweihfestspiel“, wie Richard Wagner seinen „Parsifal“ nannte – als „Kinderstubenweihfestspiel“ bezeichnete, am 23. Dezember 1893 am Weimarer Hoftheater. Am Dirigentenpult stand Richard Strauss. 

Das Publikum bejubelte das unmittelbar die Empfindung ansprechende Werk sofort. „Hänsel und Gretel“ wurde zum Welterfolg und steht noch heute – meist um die Weihnachtszeit – häufig auf den Spielplänen der internationalen Opernhäuser.

Die Handlung

Kurz und gut …
Eine kannibalistisch veranlagte „Knusperhexe“ lockt Kinder mit Zauberkuchen in ihr Waldhäuschen, steckt sie in den Ofen, um aus ihnen Lebkuchen zu backen und sie dann zu verspeisen. Hänsel und Gretel geraten in ihre Fänge, nehmen aber das drohende Schicksal, der umtriebigen Dame als Abendessen zu dienen, nicht tatenlos in Kauf.

1. Akt: Stube des Besenbinders

In der Stube des armen Besenbinders Peter und seiner Frau Gertrud sind deren Kinder mit Arbeiten beschäftigt. Hänsel, der Junge, bindet neue Besen für den Vater, seine Schwester Gretel strickt Strümpfe („Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh? Die Gänse gehen barfuß und haben kein’ Schuh’“)

Die Geschwister sind hungrig und hoffen, dass die Mutter bald nach Hause kommt. Um sich von der Arbeit abzulenken, beginnen die beiden ein Tanzspiel („Brüderchen, komm, tanz mit mir“), drehen sich dabei immer schneller – und werden prompt von der heimkehrenden Gertrud überrascht, die den Kindern verärgert ihre Untätigkeit vorwirft („Nennt ihr das Arbeit, johlen und singen?“). In ihrem Zorn jagt sie den beiden nach – und stößt dabei den wertvollen Topf mit Milch um, der eigentlich für das Abendessen vorgesehen war.

Da es nichts anderes zum Essen gibt, schickt Gertrud die beiden Kinder in den Wald. Sie sollen Erdbeeren sammeln: „Und bringt ihr den Korb nicht voll bis zum Rand, so hau’ ich euch, dass ihr fliegt an die Wand!“, droht sie, um danach erschöpft einzuschlafen.

Kurze Zeit später kommt Peter in angeheitertem Zustand nach Hause („Ra-la-la-la, ra-la-la-la“, heissa, Mutter, ich bin da“). Er weckt Gertrud, die zunächst den „Wirtshaus-Zeitvertreib“ ihres Mannes beklagt, dann aber erfreut entdeckt, dass Peter jede Menge Lebensmittel mitgebracht hat: Butter, Speck, Eier, Würste, Zwiebel, Kartoffeln und vieles mehr, „gar ein Viertelpfund Kaffee!“

Peter erzählt seiner Frau, dass er mit dem Verkauf seiner Besen an diesem Tag sehr gute Geschäfte gemacht hat, will dann aber wissen, wo die Kinder sind. 

Als Gertrud erzählt, was vorgefallen ist und dass sie die Kinder in den Wald geschickt hat, um Erdbeeren zu sammeln, schlägt seine Stimmung jäh um. Was, wenn sich Hänsel und Gretel verirren – und gar der „bösen Knusperhexe“ in die Hände geraten? Deren düstere Praktiken sind bekannt. Sie könnte die Kinder mit einem Zauberkuchen zu sich locken, sie in ihrem Knusperhaus gefangen nehmen, in den Ofen schieben und Lebkuchen aus ihnen backen.

Im Knisper-Knasper-Knusperhaus
die Kinderlein, Armsünderlein,
mit Zauberkuchen lockt sie hinein.
Doch übel gesinnt ergreift sie geschwind
das arme Kuchen knuspernde Kind,
in den Ofen, hitzhell, schiebt’s die Hexe blitzschnell,
dann kommen zur Stell’,
gebräunet das Fell,
aus dem Ofen, aus dem Ofen
die Lebkuchenkinder!

Und diese Lebkuchen würde die böse Hexe dann selbst verzehren. Das darf nicht sein!

Aufgeregt brechen Gertrud und Peter auf, um Hänsel und Gretel zu suchen.

2. Akt: Im Wald

Im Wald wird es langsam dunkel. Hänsel und Gretel streifen zufrieden singend und summend umher („Ein Männlein steht im Walde“), ihre Körbe sind mit Erdbeeren gefüllt.

Dann aber wird Hänsel bewusst, dass er aus dem Blick verloren hat, wo sie eigentlich sind: „Gretel, ich weiß den Weg nicht mehr!“

Den Kindern wird unwohl, denn sie können immer weniger sehen. Als sie aber der Ruf eines Kuckucks ablenkt, beginnen sie doch wieder ausgelassen zu spielen … was damit endet, dass die beiden alle Erdbeeren, die sie für ihre Mutter gesammelt haben, selbst aufessen.

Und nun ist es auch noch Nacht geworden. Nebelschwaden ziehen auf, Hänsel und Gretel ängstigen sich immer mehr – doch in diesem Moment wird „ein kleines graues Männchen mit einem Säckchen auf dem Rücken“ sichtbar. 

Das Sandmännchen „nähert sich mit freundlichen Gebärden den Kindern, die sich nach und nach beruhigen.“ Schließlich streut es ihnen sanft Sand in die Augen, damit sie schlafen können.

Der kleine Sandmann bin ich, sst!
und gar nichts Arges sinn’ ich, sst!
Euch Kleine lieb’ ich innig, sst!
bin euch gesinnt gar minnig, sst!
Aus diesem Sack zwei Körnelein
euch Müden in die Äugelein:
die fallen dann von selber zu,
damit ihr schlaft in sanfter Ruh’;
und seid ihr brav und fein geschlafen ein:
dann wachen auf die Sterne,
aus hoher Himmelsferne;
gar holde Träume bringen euch die Engelein!
Drum träume, träume, Kindchen, träume,
gar holde Träume bringen euch die Engelein!

Schlaftrunken beten Hänsel und Gretel den Abendsegen („Abends will ich schlafen gehen“), dann sinken sie „aufs Moos zurück und schlummern, Arm in Arm verschlungen, alsbald ein“.

Und nun „dringt plötzlich ein heller Schein durch den Nebel“, und es geschieht etwas Wunderbares: „Vierzehn Engel, in lichten, lang herab wallenden Gewändern“ steigen eine Wolkentreppe herab und finden sich bei den Kindern ein, um deren Schlaf zu bewachen.

3. Akt: Knusperhäuschen im Wald

Am nächsten Morgen weckt das Taumännchen die Kinder mit Tautropfen aus einer Glockenblume.

Der kleine Taumann heiß’ ich,
und mit der Sonne reis’ ich,
von Ost bis Westen weiß ich,
wer faul ist und wer fleißig,
kling! klang! kling! klang!
Ich komm’ mit gold’nem Sonnenschein
und strahl’ in eure Äugelein,
und weck’ mit kühlem Taue,
was schläft auf Flur und Aue,
dann springet auf, wer munter
in früher Morgenstunde,
denn sie hat Gold im Munde;
drum auf, ihr Schläfer, erwachet!
Der lichte Tag schon lachet,
drum auf, ihr Schläfer, erwacht, erwacht!

Als Hänsel und Gretel sich umschauen, entdecken sie ein nahe gelegenes Häuschen. Es ist das ganz aus Kuchen gebaute Knusperhaus der Hexe, und die Kinder genießen den Duft und die „Pracht von Kuchen und Torten“. Verlockend!

Sofort will Hänsel nachschauen, was im Hausinneren so los ist, aber seine Schwester hält ihn zurück. Sie ist vorsichtiger. 

Andererseits könnte es ja auch sein, dass die Engel sie zu diesem schönen Ort im Wald geleitet haben. Dann gäbe es keinen Grund zu zögern …

Schließlich nähern sich die beiden Kinder vorsichtig dem Haus, um ein Stück Kuchen herauszubrechen. Schon ertönt eine leise Stimme aus dem Inneren („Knusper, knusper Knäuschen, wer knuspert mir am Häuschen?“), die sich bald zu einem grellen Lachen verändert.

Die Hexe – eine „garstige Frau“, wie Hänsel treffsicher bemerkt – lädt die Kinder zu sich ins Haus ein, doch den beiden ist es unheimlich zumute geworden. Sie wollen fliehen. Da greift die Frau zu ihrem Zauberstab und bannt die beiden mit einem Spruch, so dass sie sich nicht mehr bewegen können. 

Schnell wird klar, was die Hexe vorhat. Sie sperrt den bewegungsunfähigen Hänsel in einen Käfig, wo sie ihn mit Süßigkeiten mästen will, um ihn dann in ihrem Ofen zu einem Lebkuchen zu backen und zu verzehren.

Gretel soll ihr indes beim Tischdecken behilflich sein, weshalb die Hexe sie mit Hilfe von Wacholder von ihrer Gliederstarre befreit. Doch sie unterschätzt die Schlauheit des Mädchens. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit erlöst Gretel ihren Bruder mithilfe des Wacholder-Zaubers, den sie der Hexe abgeschaut hatte, von seiner Bewegungsunfähigkeit. Und als die „garstige Frau“ sie darum ersucht, nach den Lebkuchen im Ofen zu sehen, stellt Gretel sich so dumm an, dass die Hexe meint, es ihr vorzeigen zu müssen, wie man durch die Ofentür schaut.

Sie beugt sich „mit halbem Leibe vor“ und nimmt damit die ideale Körperhaltung ein: Hänsel und Gretel geben der Hexe „einen derben Stoß, so dass sie vollends hineinfliegt, und schlagen dann rasch die Tür zu.“

Jubelnd fallen die beiden einander in die Arme: „Juch-hei! Nun ist die Hexe tot, mausetot und aus die Not!“

Das Ableben der Garstigen hat unerwartete Auswirkungen: Der Hexenofen beginnt gewaltig zu knistern und stürzt schließlich „donnernd zusammen“. Zugleich fällt von den Lebkuchenkindern, die den Zaun rund um das Knusperhäuschen gebildet hatten, die „Kuchenhülle“ ab, und als Gretel sie sanft berührt und entzaubert, öffnen die Kinder wieder die Augen. Sie alle sind erlöst!

Nun treffen auch Peter und Gertrud ein. Endlich haben sie ihre Kinder gefunden – und sie sind wohlauf! Froh umarmen sie Hänsel und Gretel – während sich zugleich das seltsame Schicksal der Hexe zeigt: Sie ist in ihrem Ofen selbst zum Lebkuchen geworden.

Schließlich sind sich alle in ihrer Überzeugung einig: 

„Wenn die Not auf‘s Höchste steigt, Gott, der Herr, die Hand uns reicht!“

 

Hinweise:
Alle Zitate aus der deutschen Übersetzung des Librettos lt. Opera Guide
Das Titelbild zeigt Edita Gruberova als Gretel in einer Verfilmung der Oper unter der Regie von August Everding, 1981