Ellen Kuras Filmbiographie „Die Fotografin“
• Elizabeth „Lee“ Miller (Kate Winslet) blickt auf ein bewegtes Leben zurück: 1907 geboren in New York, erleidet sie im Alter von 7 Jahren ein traumatisches Erlebnis. Sie wird sexuell missbraucht, die Mutter schaut weg. Mit 20 beginnt Lees Karriere als Fotomodell für Modezeitschriften, 1929 geht sie nach Paris und schließt sich dort der Kunstszene an.
In den 1930er Jahren arbeitet sie selbst als Fotografin – Portraits, Mode, aber zunehmend auch surreale Sujets. Mit dem englischen Maler und Galeristen Roland Penrose (Alexander Skarsgård) beginnt sie eine leidenschaftliche Beziehung, geht mit ihm nach London und wird dort Fotografin für die Zeitschrift „Vogue“.
Als der Zweite Weltkrieg tobt und die „Deutsche Luftwaffe“ London angreift, beginnt Lee, die Zerstörungen zu dokumentieren – und bald drängt es sie an die Front. Doch das britische Militär gewährt Frauen keinen Zugang zur Presseberichterstattung.
Auf Anregung des befreundeten Fotograf David E. Scherman (Andy Samberg) gibt Lee Miller sich fortan nicht mehr als Engländerin, sondern als Amerikanerin aus, und schließlich gelingt es den beiden tatsächlich, nach Frankreich in die Nähe der Front zu reisen.
Im August 1944 erlebt Lee die Befreiung von Paris, die ausgelassene Freude der Menschen nach dem Sieg über die Deutschen, aber auch das unsagbare Leid der Frauen.
Als sie davon erfährt, dass viele Menschen einfach verschwunden sind, in Zugwaggons abtransportiert, niemand wisse was mit ihnen geschehen sei, entschließt sich Lee, weiter nachzuforschen. Sie reist mit David ins zerbombte Deutschland und dokumentiert dort die unfassbarsten Gräuel des Krieges. Sie fotografiert in den gerade erst befreiten Konzentrationslagern, Räume und Waggons voller Leichen, verängstigte, unterernährte Menschen.
Und es gelingt ihr, Zugang zu Adolf Hitlers Wohnsitz in München zu erlangen, in dem sich nun US-amerikanische Offiziere aufhalten. Hier gibt es sogar ein Badezimmer mit warmem Wasser …
Lee Millers Fotos gehören zu den wichtigsten Bilddokumenten des Zweiten Weltkriegs.
Die US-amerikanische Dokumentarfilmerin Ellen Kuras entschloss sich, wichtige Stationen aus dem Leben „der Fotografin“ (so der deutsche Filmtitel; im englischen Original heißt der Streifen, weniger auf diese Tätigkeit fokussiert, schlicht und einfach „Lee“) als Spielfilm zu inszenieren.
Den Rückblick Elizabeth Millers auf ihr Leben präsentiert die Regisseurin als Gespräch: Lee, zu diesem Zeitpunkt schon eine alte, vom Leben gezeichnete Frau, gibt dem jungen Journalisten Tony (Josh O’Connor) ein Interview – und am Ende des Filmes stellt sich heraus, dass dieser Dialog sich nur im Kopf des jungen Mannes abgespielt hat.
Tony Penrose ist Lees Sohn. Er hatte nie eine gute Beziehung zu seiner Mutter erlebt und beginnt ihr Leben erst jetzt zu verstehen. Nach ihrem Tod hatte er auf dem Dachboden ihre Bilder und persönliche Erinnerungsstücke gefunden.
„Die Fotografin“ ist ein sehenswertes Biopic, das Facetten aus dem Leben einer unangepassten Künstlerin und bedeutenden Kriegsfotografin beleuchtet. Lees Bilder vergegenwärtigen die entsetzlichen Ereignisse an der Front und in den Konzentrationslagern, den Suizid von SS-Mitgliedern und auch den Wohnsitz des „Führers“ in München: Hier der verlorene Kampf ums nackte Überleben, und dort, wo alle Gräuel ihren Ursprung haben, der pure Luxus.
Vielleicht bringt ein spontan entstandenes Bild die Sprachlosigkeit angesichts des Wahnsinns am besten zum Ausdruck: In Hitlers Wohnung lässt sich Lee Miller von ihrem Kollegen David nackt in warmem Wasser, in Hitlers Badewanne fotografieren.
Lee wird ihre Erlebnisse nie verarbeiten können. Nachdem sie das Ende des Kriegs dokumentiert hat, gibt sie den Bildjournalismus auf, zieht sich mit Roland Penrose in England aufs Land zurück, leidet an Depressionen, trinkt viel und stirbt 1977 an einer Krebserkrankung.
Ellen Kuras Filmbiographie wirkt bisweilen vielleicht etwas zu fragmentarisch und dramaturgisch zu wenig zugespitzt, aber sie ist dank der großartigen, völlig uneitlen schauspielerischen Leistung von Kate Winslet und der eindrucksvollen Kameraarbeit (Paweł Edelman) mehr als nur die Würdigung einer historisch bedeutenden Frauenpersönlichkeit.
Sehenswert!
(2023, 116 Minuten)