16. März 2025

Seidenstrümpfe vs. Ode an den Traktor

Silk Stockings

Musical in zwei Akten von Cole Porter

Libretto: George S. Kaufman (1889–1961), Leueen MacGrath (1914–1992) & Abe Burrows (1910–1982)
Musik und Songtexte: Cole Porter (1891–1964)
Uraufführung: 24. Februar 1955, New York City (Imperial Theatre)
Dauer: ca. 2 Stunden

1. Akt: Ein Hotel in Paris; Ein Büro in Russland
2. Akt: Ein französisches Filmstudio; Ein Appartement in Russland

Hauptpersonen:
Nina Yaschenko („Ninotschka“), sowjetische Geheimagentin: Sopran
Janice Dayton, Schauspielerin: Sopran
Steve Canfield, Filmproduzent: Tenor/Bariton
Pjotr Iljitsch Boroff, Komponist: Sprechrolle
Ivanov, russischer Agent: Sprechrolle
Brankov, russischer Agent: Sprechrolle
Bibinski, russischer Agent: Sprechrolle

Kurze Werkeinführung

Das Musical „Silk Stockings“ des US-amerikanischen Komponisten Cole Porter (1891–1964) entstand nach dem Spielfilm „Ninotschka“ (1939) des deutsch-US-amerikanischen Filmregisseurs Ernst Lubitsch. Beiden Werken liegt das Theaterstück „Ninocska“ (1937) des ungarischen Dramatikers Melchior Lengyel (1880–1974) zugrunde. 

Die Komödie erzählt die Geschichte sowjetischer Agenten unter der Führung von Nina Yaschenko („Ninotschka“), deren kommunistische Grundsätze angesichts des pulsierenden Lebens in Paris, symbolisiert durch „Seidenstrümpfe“, verblassen. Sie sollten den russischen Komponisten Peter Ilyitch Boroff, der schon zu viel Zeit im Westen verbracht hat, zurück in die Heimat holen – und erliegen bei diesem Auftrag selbst den Reizen der Liebes-Metropole an der Seine.

Die Uraufführung des Musicals fand 1955 in New York statt und war ein großer Erfolg. Am Broadway wurde das Stück danach 478-mal aufgeführt. Die deutschsprachige Erstaufführung folgte 1974 in Linz. 

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts geriet „Silk Stockings“ allerdings in Vergessenheit.

Für eine erfolgreiche Neuinszenierung des Stückes an der Oper Graz im Jahr 2024 wurde das zum Teil bereits unlesbar gewordene Original-Notenmaterial aus dem Jahr 1955 restauriert und die Grundaussage des Werkes humoristisch zugespitzt: Die auf das Quantitative, auf Produktivität und Verstandes-Nüchternheit fokussierte „Sowjet-Gesinnung“ gipfelt in der „Ode an den Traktor“ (ein musikalischer Titel des Komponisten Boroff); schließlich aber unterliegt der Reiz von Zahlen und Fakten der qualitativ unwiderstehlichen Versuchung von Lebensfreude, Lust und Liebe.

Die Handlung

Kurz und gut …
Ist Liebe doch mehr als eine chemische Reaktion? Mitten in Paris und umschwärmt von einem US-amerikanischen Filmproduzenten taut eine linientreue Sowjet-Agentin – ein menschlicher „Eisberg“ – langsam auf.


1. Akt: Ein Hotel in Paris

Im Auftrag des sowjetischen Kulturkommissariats sind die drei Agenten Ivanov, Brankov und Bibinski nach Paris gereist. Ihr Auftrag: Sie sollen den berühmten russischen Komponisten Pjotr Iljitsch Boroff zurück nach Russland geleiten.

Boroff hatte vom Kommissariat die Genehmigung für eine kurze Frankreich-Reise erhalten, um hier sein Werk aufzuführen. In Paris jedoch hatte der US-amerikanische Filmproduzent Steve Canfield den Komponisten dazu überredet, für ihn eine Filmmusik zu schaffen und dafür weiterhin in Paris zu bleiben. Janis Dayton, eine temperamentvolle junge Schauspielerin, werde in dem Streifen die Hauptrolle spielen.

Boroff gefällt das Leben in Paris. Er hat sich entschlossen, für Canfield zu arbeiten, sieht sich nun aber von den Agenten zur Rückkehr gedrängt.

Um seinen Komponisten zu schützen, legt der Filmproduzent Papiere vor, die angeblich beweisen, dass Boroff einen französischen Vater und daher das Recht hat, in Paris zu bleiben. 

Ivanov, Brankov und Bibinski beschließen, das zu glauben und die Dreharbeiten des neuen Films zu überwachen. Es gefällt ihnen ja ganz gut in Paris.

Ein Büro in Russland

Im russischen Kulturkommissariat gibt es inzwischen eine Umbesetzung. 

Der neue Kommissar Markovitch will den „Fall Boroff“ rasch lösen und beauftragt die besonders strebsame und linientreue Agentin Nina Yaschenko, genannt Ninotschka, die in Paris verkommende russische Delegation und Pjotr Iljitsch Boroff selbst nach Hause zu bringen.

Ein Hotel in Paris

In Paris lernt Nina Yaschenko sehr bald Steve Canfield kennen. Und während die hübsche junge Frau zunächst vor allem daran interessiert ist, Informationen zur Lage zu sammeln, die für den russischen Geheimdienst relevant sein könnten, verliebt sich der Filmproduzent Hals über Kopf in sie und macht sie mit dem „dekadenten“ Leben in Paris vertraut.

Bald trifft auch Janice Dayton in Paris ein. Für die Diva könnte der neue Streifen Canfields einen Karriereschub bedeuten, denn im Vergleich zu ihren bisherigen Projekten erscheint der Film überaus anspruchsvoll. 

Dem glamourösen Leben aufgeschlossen, besingt Janice die wundersame Wirkung von Seidenstrümpfen („Satin and Silk“):

Ich bin schon viel herumgekommen,
und dabei ein weiseres Mädchen geworden,
denn ich habe festgestellt, dass teure Unterwäsche
die Moral eines Mädchens verbessern kann.

Es ist seltsam, wie schöne Dessous
falsche Schamhaftigkeit beseitigen,
wenn das Mädchen Seide und Satin trägt.
Satin und Seide.

Janice hat jedoch zunächst kein Verständnis dafür, dass der russische Komponist Boroff die Musik zu ihrem Film komponieren soll. Steve Canfield kann seine Diva schließlich aber davon überzeugen, dass es für die Vermarktung des Films wichtig ist, Boroff an Bord zu haben. 

Ninotschka beginnt sich indes an das Leben in Paris anzupassen, anders zu kleiden – auch sie öffnet sich den Vorzügen von Seidenstrümpfen – und gibt schließlich sogar Steves Avancen nach. Die beiden werden ein Paar.

2. Akt: Ein französisches Filmstudio

Ninotschka erfährt von Steve, dass er die Geschichte von Boroffs französischem Vater frei erfunden hatte, um ihn in Paris halten zu können. Gleichzeitig macht ihr der schwer verliebte Filmproduzent einen Heiratsantrag.

Ninotschka nimmt an – wird aber von Schuldgefühlen gegenüber dem russischen Kulturkommissar geplagt. Und dann muss sie während der Dreharbeiten auch noch erkennen, dass die großartige Musik Boroffs unter dem Einfluss von Janice banalisiert und entstellt klingt. Erlebt sie hier etwa ein Komplott zur Zerstörung russischer Kultur? 

Ninotschka und Steve geraten in einen Streit über Werte und Prinzipien – und trennen sich schließlich in Unfrieden. 

Kurz entschlossen kehrt Nina Yaschenko gemeinsam mit Boroff, Ivanov, Brankov und Bibinski nach Russland zurück.

Ein Appartement in Russland

Ninotschka, Ivanov, Brankov und Bibinski sind wegen ihres Versagens in Paris degradiert worden. Doch die Erinnerungen an die freie Welt wirken weiter. Und so veranstaltet Ninotschka in ihrem Appartement eine Party für die „Pariser Gemeinschaft“ und andere, die sich nach unerlaubten Vergnügungen sehnen. 

Boroff hat für die Veranstaltung ein antirussisches neues Lied geschrieben, und auch Steve Canfield, der Ninotschka nach wie vor heiß liebt, ist die Reise hinter den „Eisernen Vorhang“ gelungen.

Dann aber entert unerwartet Kommissar Markowitch die Untergrund-Party. Er droht allen Anwesenden mit dem Gefängnis in Sibirien, erntet dafür aber von der ausgelassenen Gesellschaft nur Spott und Hohn („Siberia“):

Wenn wir ins liebe Sibirien geschickt werden,
Nach Sibiri-iri-en,

Dann wird es zur Cocktailzeit besonders schön sein
Denn niemand muss sich die Mühe machen, Eis zu bestellen.

Wenn wir uns im süßen Sibirien treffen,
Weit weg von bolschewistischer Hysterie,
Werden wir gemeinsam mit unseren Kumpels auf Reisen gehen,
Denn sie alle werden dort sein –
Im fröhlichen Sibirien!

Steve Canfield kann schließlich aber auch Kommissar Markowitch davon überzeugen, dass in Amerika auf alle eine bessere Zukunft wartet, Reichtum und Ruhm inklusive!

Und so organisiert der russische Kulturkommissar zuletzt mit Hilfe seines Freundes, des russischen Luftfahrtkommissars, ein Flucht-Flugzeug für die „Pariser Gemeinschaft“. 

Steve und Ninotschka sehen einer gemeinsamen Zukunft entgegen.


Titelbild: Werner Kmetitsch. Eine Aufführung der Oper Graz, 2024