13. Oktober 2024

Sizilianische Bauernehre: Umarmen, zubeißen, zustechen

Cavalleria rusticana

• Drama in einem Akt von Pietro Mascagni 

Libretto: Giovanni Targiono-Tozzetti (1863–1934) und Guido Menasci (1867–1925) 
Musik: Pietro Mascagni (1863–1945) 
Uraufführung: 17. Mai 1890, Rom (Teatro Costanzi)
Dauer: ca. 70 Minuten, keine Pause

Ort der Handlung:
Ein sizilianisches Dorf, um 1880, Ostersonntag

Hauptpersonen:
Santuzza, eine junge Bäurin: Sopran
Turiddu, ein junger Bauer: Tenor
Lucia, Turiddus Mutter: Alt
Alfio, ein Fuhrmann: Bariton
Lola, Alfios Frau: Mezzo

Kurze Werkeinführung

Jahrzehnte lang hatten sich Richard Wagner (1813–1883) und Giuseppe Verdi (1813–1901) für ihre monumentalen Opern alter Sagen und großer historischer Stoffe bedient. Und nun kam ein junger italienischer Komponist und feierte mit einem alltäglichen, aus dem sizilianischen Bauernleben gegriffenen Stoff einen glänzenden Erfolg: Pietro Mascagnis (1863–1945) Erstlingswerk, der Einakter „Cavalleria rusticana“, thematisierte Leidenschaft, Eifersucht und Bauernehre – Gefühlseruptionen und Grenzerfahrungen, ungeschminkt, ohne überhöhtes Drumherum und fast in „Echtzeit“ – Die Handlung spielt an einem einzigen Ostersonntag-Vormittag.

Mascagnis Werk begründete einen musikdramatischen Naturalismus, der damals in Italien den Nerv der Zeit traf und seither unter der Bezeichnung „Verismus“ von den Opernbühnen der Welt nicht wegzudenken ist.

Pietro, Sohn eines nicht eben musisch gestimmten Bäckers, konnte seine Karriere als Musiker und Komponist nur dank eines verständnisvollen Onkels vorbereiten. Aber der Drang, etwas Großes zu schaffen, begleitete ihn von Jugend an, und 1890 gewann der erst 27-jährige mit seiner „Cavalleria rusticana“ beim großen Sonzogno-Wettbewerb unter 70 eingesandten neuen Opern den ersten Preis. Im gleichen Jahr fand in Rom die Uraufführung des Werkes statt – ein grandioser Erfolg, bei dem der junge Komponist angeblich vierzig Mal vor den Vorhang gerufen wurde.

Insgesamt hinterließ Mascagni 17 Bühnenwerke. Arien daraus haben viele bedeutende Sänger in ihrem Recital-Programm, doch mit keinem seiner folgenden Werke konnte Mascagni an den Triumph von „Cavalleria rusticana“ anschließen.

Als literarische Vorlage für die Handlung der Oper diente eine sizilianische Novelle von Giovanni Verga (1840–1922). Die Vorgeschichte: Turiddu, junger Bauer und tenoraler Held des Werkes, war in die schöne, allerdings etwas leichtfertige Lola verliebt, musste aber das Dorf verlassen, um seinen Heeresdienst zu leisten.

Nach seiner Rückkehr folgte die Frustration: Turiddu fand Lola mit Alfio, einem Fuhrmann, verheiratet. Er wandte sich daraufhin Santuzza zu, einer netten jungen Bäuerin, der er sogleich die Ehe versprach. Das hätte er vielleicht nicht tun sollen, denn als Lola ihren freundschaftlich Verflossenen in den Armen einer anderen sieht, beschließt sie, Turiddu wieder für sich zurück zu gewinnen. Ihr Mann ist ja sowieso immer unterwegs. Also blinzelt Lola verführerisch – und schon ist Turiddu ihr wieder erlegen …

Die Handlung

Kurz und gut …

Sizilianische Bauernehre: Den Gegner kräftig umarmen, ihm entschlossen ins rechte Ohr beißen und dann im Duell töten (oder bei dieser Gelegenheit von ihm getötet werden).

An einem Sonntagmorgen

Am Ostermorgen singt der junge Bauer Turiddu zu Ehren seiner geliebten Lola eine „Sicillana“. Dass Lola mit dem Fuhrmann Alfio verheiratet ist, trübt seine Sangesfreude nicht. Auch nicht, dass er selbst der jungen Santuzza die Ehe versprochen hat.

Turiddu ist wild entschlossen, die Beziehung zu Lola weiter entflammen zu lassen („O Lola, ch’hai di latti la cammisa“):

O Lola, rosengleich blüh’n deine Wangen,
rot wie Kirschen leuchten deine Lippen;
wer dir vom Mund Küsse darf nippen,
trägt nach dem Paradiese kein Verlangen.
Wohl steht vor deiner Tür ein warnendes Mal,
dennoch, ach, lieb’ ich dich zu meiner Qual;
und ohne Zaudern eilt’ ich zur Hölle,
fänd’ ich im Paradies nicht dein holdes Antlitz.
Ah! ah, ah, ah! 

Die Dorfbewohner gehen in die Kirche. Auch Turiddus Mutter Lucia will gerade ihr Haus verlassen, um der Ostermesse beizuwohnen, da sucht Santuzza sie auf. Zaghaft fragt sie, ob Lucia denn wisse, wo ihr Sohn sei. „Er ging nach Francofonte, um Wein zu holen“, antwortet die gutgläubige Mamma. Aber Santuzza klärt sie darüber auf, dass sie Turiddu noch gestern Abend im Dorf gesehen habe. Da scheint etwas im Busch zu sein …

Santuzza ist sicher, dass Turiddu sich wieder mit Lola, seiner alten Liebe, getroffen hat. Ihr Gespräch mit Lucia wird jedoch unterbrochen. Alfio taucht auf, Lolas Ehemann, und preist vergnügt sein eigenes Fuhrmanns-Leben in der freien Natur („Il cavallo scalpita“):

Rossestampfen, Peitschenknall
und der muntre Glockenschall,
das ist mein Leben, hallo!
Weht der Wind auch kalt und rauh,
droht der Himmel noch so grau,
ich bleibe doch stets froh!
Rossestampfen, Peitschenknall
und der muntre Glockenschall,
das ist mein Leben!
Hallo! Hallo! 

Lolas Liebe und Verständnis steht für den munteren Alfio außer Frage:

Zu Hause harrt mein Weibchen,
mein zärtlich süsses Täubchen,
treu mir bis in den Tod! 

Nun wendet sich der Fuhrmann an Mamma Lucia. Es dürstet ihn nach gutem Wein. Ob sie wohl welchen habe?

Leider nein, aber Turiddu sei schon nach Francofonte unterwegs, um welchen zu holen.

Francofonte? Unmöglich! Alfio hat ihn doch gerade an diesem Morgen ganz nah bei seinem Haus gesehen …

„Wie?“, ruft Mamma Lucia erstaunt, während Santuzza ihre Ahnung bestätigt findet. Der Kerl geht fremd! Aber ängstlich bittet Santuzza Lucia, gegenüber Alfio nichts weiter zu sagen.

Also macht sich der Fuhrmann weinlos sich wieder auf den Weg, um vor dem Kirchgang noch etwas zu erledigen.

Indes klärt Santuzza die unwissende Mamma Lucia über die Hintergründe für die Untreue ihres Sohnes auf („Voi lo sapete, o mamma“):

Als Euer Sohn einst fort zog,
Heimat und Euch musst’ meiden,
hat Lola er geschworen
ewige Treu beim Scheiden.
Er kam zurück, fand sie vermählet.
Zu lindern seine Schmerzen
sucht’ an meinem Herzen
Trost er für seine Qualen.
Mich liebt’ er, ich liebt‘ ihn, ah, ich liebt’ ihn!
Von Neid erfasst, erwachte das alte Feuer,
vergessend ihres Gatten,
von Eifersucht getrieben,
der Leidenschaft blind hingegeben,
stahl sie den Mann mir und seine Liebe.
Was gilt mir noch das Leben,
ohne Lieb’, ohne Ehre.
Lola ist nun die Seine,
und ich vergeh’  und weine,
ach, mein Herz, es bricht, und ich, ich weine! 

Aus der Kirche ertönt das „Hallelujah“ des Chors, Lucia will nun während der Ostermesse für Santuzza beten. Diese erwartet Turiddu indes auf dem Dorfplatz für ein klärendes Gespräch …

Der umtriebige junge Bauer erscheint auch bald. Er ist auf der Suche nach seiner Mutter und hat wenig Lust, sich vor Santuzza für seinen Verbleib in der vergangenen Nacht zu rechtfertigen. Turiddus Bemerkung, in Francofonte gewesen zu sein, kommt naturgemäß nicht gut bei seiner Verlobten an. Santuzza erzählt ihm, sie wisse, dass er „an Lolas Tür“ gewesen sei.

Turiddus Antwort – ein Schuldumkehr-Klassiker:

„So also lohnst du meine Liebe?
Willst du mich töten?“

Noch leugnet Turiddu, Lola zu lieben. Er mahnt Santuzza, ihn „nicht zu quälen“. Er sei schließlich nicht ihr Sklave. Immer diese Besitzansprüche!

Als die Auseinandersetzung zwischen Turiddu und Santuzza emotionaler wird, kommt auch noch Lola des Wegs, die „süße Lilie“ besingend („Fior di giaggiolo“) und geht – nach einem kurzen Wortgefecht mit Santuzza – in die Kirche. Die Frage, wer von den beiden Frauen denn nun wirklich reiner ist und Anrecht auf Gottesdienst-Teilnahme hat, bleibt eine Frage des persönlichen Weltbildes.

Turiddu jedenfalls will Lola nacheilen, Santuzza will ihn zurückhalten, der Streit eskaliert endgültig, und die Arme muss erkennen, dass sie ihren Geliebten bereits verloren hat. Was bewirkt, dass ihre Liebe ziemlich jäh in Hass umschlägt.

In dieser aufgewühlten Gemütsverfassung findet sie Alfio, der sich gerade anschickt, den Rest der Ostermesse mitzuerleben. Santuzza enthüllt ihm nun alles – ohne zu bedenken wo sie ist. In Sizilien bleibt ja eine solche Anschuldigung üblicherweise nicht ohne Folgen:

Turiddu stahl mir all mein Glück und die Ehre,
und Euer Weib hat mir sein Herz geraubt,
in höchster Leidenschaft
Turiddu, er stahl mir das Glück und die Ehre! 

Alfio tröstet Santuzza mit einem undankbaren Racheversprechen:

Du armes Mädchen,
er zahlt dir’s mit dem Leben! 

Kurz danach erfüllt launige Osterstimmung den Dorfplatz. Das gläubige Volk strömt nach der Messe aus der Kirche. Turiddu erlebt in Lolas Nähe ein Stimmungshoch und lädt alle zu einem Getränk ein. Er schreckt auch nicht davor zurück, Alfio ein Glas Wein anzubieten – was weiß ein ferner Fuhrmann schon von den Nöten seiner Gattin –, doch der lehnt schroff ab:

Danke!
Mag Euren Wein nicht geniessen,
denn er würde wie Gift mir
durch die Kehle fliessen! 

Turiddu wird klar, dass Alfio alles weiss. Seine weinselige Ausgelassenheit weicht banger Ernüchterung. Aber er tut, was die Ehre verlangt: Nach alter sizilianischer Sitte tritt er auf Alfio zu, umarmt ihn und beisst ihn ins rechte Ohr – was „Duell“ bedeutet, Messer-Zweikampf auf Leben und Tod.

Wie schön, wenn zwei Männer die gleiche Sprache sprechen. Alfio ist zufrieden.

Turiddu eilt zu seiner Mutter, um Abschied von ihr zu nehmen. Und siehe da, zu später Stunde zeigt der tragische Held sogar Verantwortungsbewusstsein. Er bittet Lucia, für Santuzza zu sorgen, falls er nicht zurückkehren sollte.

Wie sie diese Worte deuten solle? Ausweichend antwortet der Sohn („Mamma, quel vino è generoso“):

O, Mutter, ’s ist nichts,
der Wein hat mich verwirrt!
Für mich, ach, fleht zum Höchsten!
Einen Kuss noch, teure Mutter,
ach, einen Kuss noch, o teure Mutter!
Lebt wohl! O, lebet wohl,
schützet die arme Santa,
lebt wohl, Mutter, lebt wohl! 

Dann stürzt Turiddu davon.

Kurz danach strömen die Dorfbewohner aufgeregt zusammen. Und bald kündet der Schrei eines Soprans – traditionell einer der schrillsten Momente auf der Opernbühne – von Turiddus Tod.

Das Libretto endet mit der nüchternen Anweisung: „Santuzza fällt ohnmächtig nieder. Lucia wankt und wird von den Frauen gestützt. Alle bleiben entsetzt stehen.“

Der Vorhang fällt … und wird sich in den meisten Opernhäusern nach einer Pause für einen zweiten Verismus-Einakter heben, der meinst gemeinsam mit „Cavalleria rusticana“ an einem Abend gespielt wird: Ruggero Leoncavallos „Bajazzo“

(Libretto-Übersetzung ins Deutsche: opera-guide.ch)

Placido Domingo als Turiddu in einer Oper-Verfilmung von Franco Zeffirelli, 1982