27. April 2024

Durchgreifen. Ausgrenzen. Anpassen. Ausschalten.

Ermal Metas Roman „Morgen und für immer“ zur Geschichte Albaniens kommt zur richtigen Zeit

Rragam, ein albanisches Bergdorf im Winter 1943: Während, vermeintlich weit weg, der Zweite Weltkrieg tobt, verlebt der junge Kajan mit seinem Großvater eine unbeschwerte Zeit. Dann aber taucht ein Fremder auf, der sich als Cornelius vorstellt. Ein deutscher Deserteur …

Mit diesem Szenario beginnt Ermal Meta seinen großartigen Roman „Morgen und für immer“. Er schildert darin, inspiriert von wahren Begebenheiten, die Lebensgeschichte Kajans, dessen Entwicklung von einem Bauernjungen zum berühmten Jazz-Pianisten; das Leben des jungen Mannes im Elternhaus einer linientreu kommunistischen Mutter, dessen Flucht aus der DDR nach Westberlin und weiter in die USA – und die tragische Rückkehr eines gealterten, lebenserfahrenen Mannes in seine Heimat Albanien.

Es ist kaum möglich, diese ebenso poetisch wie packend geschriebene Saga aus der Hand zu legen. Nicht nur, weil die Geschichte an und für sich fesselt, sondern vor allem auch, weil dieser Roman hautnah vor Augen führt, wie Totalitarimus und Isolationismus Menschen physisch und psychisch vernichten – und das bis in die jüngste Vergangenheit. 

Das kommunistische Regime Albaniens wurde – als Folge des Falls der Berliner Mauer und der Revolutionen im Jahr 1989 – erst im Dezember 1991 gestürzt.

Ermal Meta (geb. 1981), dessen Roman-Debüt „Morgen und für immer“ sich zum Bestseller entwickelte, verließ seine albanische Heimat im Jahr 1994 und wurde in Italien als Musiker und Songwriter bekannt. Er veröffentlichte mehrere Alben und trat 2018 auch beim Eurovisions Song Contest an.

Schließlich entschloss sich der vielseitig begabte Künstler, die bedrückende Geschichte seines Heimatlandes zu erzählen. Er verdichtete Erlebnisse seiner Freunde und Verwandten sowie einiger Landsleute, denen die Flucht aus dem Jahrzehnte lang abgeschotteten Albanien gelang, in einem Roman – vordergründig eine Familiensaga über Liebe und Verzicht, Vertrauen und Verrat, zugleich aber ein schauriges Dokument der menschlichen Abgründe, die sich auftun, wenn eine Diktatur der Bevölkerung jede Freiheit raubt und sich durch Desinformation und die gezielte Verbreitung von Angst an der Macht erhält.

Es sind nur wenige Jahre und kurze Wegstrecken, die das demokratische Europa des 21. Jahrhunderts von der einstigen albanischen Hölle trennen. Und doch mag man den Eindruck gewinnen, dass vielen Menschen schon heute nicht mehr bewusst ist, wie vergleichsweise paradiesisch das Leben in einer freien Demokratie ist.

Ein aktueller „Demokratie-Index“ zeigt, dass viele Länder, die eigentlich als demokratisch gelten, immer stärkere autoritäre Züge zeigen. Und in den wenigen echten, vollständigen Demokratien (die also nicht unter autoritärer Herrschaft stehen) führen die Unzufriedenheit mit gewählten Politikern und eine zunehmende Empörungs-Gesinnung dazu, dass ausgerechnet demokratiefeindliche Parteien immer größeren Zulauf erhalten. 

Im Wesentlichen geschieht das deshalb, weil politische Demagogen behaupten, einfache Lösungen für komplexe Probleme zu haben. Nach dem alten Sündenbock-Prinzip werden bestimmte Menschen oder Personengruppen für alle Schwierigkeiten verantwortlich gemacht. Also brauchte es eine ordnende politische Macht, die „durchgreift“, um diese Unheilbringer auszugrenzen, anzupassen und wenn nötig auszuschalten.

Ermal Metas Roman „Morgen und für immer“ kam zur richtigen Zeit.

Ermal Meta: „Morgen und für immer“
ISBN 978-3-446-27644-4
hanserblau 2023
(Italienische Originalausgabe: Milano, 2022)