29. April 2024

Information und Manipulation

In-form-ation bringt unsere Gesellschaft in Form, prägt und gestaltet sie. Aus Information entstehen die weltanschaulichen Hintergründe für unser Miteinander und damit jene kollektiven Gedankenformen, die man „Zeitgeist“ nennt.

Abgesehen von den eigenen Erfahrungen, die den einzelnen Menschen am stärksten formen und prägen, bieten ihm normalerweise die in seinem Umfeld verfügbaren allgemeinen Informationen Halt und Orientierung.

Die Voraussetzung dafür ist jedoch ein tragfähiges Informations-Fundament, gebildet aus umsichtiger Forschung und verantwortungsvoller Kommunikation. Wenn dieses Fundament Brüche bekommt, geht eine entscheidende Orientierungs-Grundlage verloren, nämlich das Wissen. Dem Menschen bleibt dann nur noch der vage Glaube. 

Wer keine Gewissheiten mehr findet, hält alles für möglich. 

Und weil Menschen, die alles für möglich halten, am leichtesten manipulierbar sind, ist es für Demagogen so wichtig, das Informations-Fundament zu erschüttern und wenn möglich zu zerstören: durch gezielte Des-Information.

Das Forschen und Gewinnen von Wissen

Der Drang des Menschen nach Wissen hat sich vor etwa 300 Jahren, mit der sogenannten Aufklärung, einen neuen Weg gebahnt. Bis dahin waren religiöse oder philosophische Überlieferungen als unumstößliche Gewissheit akzeptiert worden. Man begnügte sich im Wesentlichen damit, an Gegebenheiten zu glauben.

Dann aber, ab etwa dem Jahr 1700, begann sich eine große, weltverändernde Idee durchzusetzen, nämlich die Natur zu fragen, ob eine Aussage wirklich wahr ist oder nicht. 

Diese Befragung, das Experiment, bildet bis heute eine wichtige Grundlage für Forschung und Wissenschaft. Man probiert etwas aus, um zu sehen, was passiert, ob oder unter welchen Umständen sich ein Ergebnis wiederholt zeigt, und man zieht Schlussfolgerungen aus den Versuchen.

Vieles von dem, was Generationen „felsenfest“ geglaubt hatten, konnte durch Experimente widerlegt werden. Auch manche biblische Wahrheit musste, sofern sie wörtlich aufgefasst worden war, den Erkenntnissen der Forschung weichen. Die Welt wurde nicht in 7 Tagen, die Tierarten und der Mensch nicht fertig erschaffen – und so weiter.

Trotz des gewaltigen Erkenntnisfortschritts in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten darf freilich kein Wissenschaftler den Anspruch erheben, dass in irgend einem Forschungsbereich die endgültige Wahrheit entdeckt worden ist, denn der Weg des Experiments gestattet lediglich ein „Emporirren“. Das heißt, alte Erkenntnisse müssen besseren weichen, sobald diese größere Allgemeingültigkeit oder Aussagekraft besitzen.

Wissenschaftliche Theorien bieten keine finalen Wahrheiten, aber im Gesamten geht es doch voran: Das Wissen wächst – und damit auch die Gestaltungsmöglichkeiten des Menschen. Den enormen Fortschritt belegen wohl am besten die Erfolge in der Medizin oder in der Technik. 

Mit dem Wissen gewinnt der Mensch auch Freiheit und Sicherheit. Indem er die Kenntnisse um Zusammenhänge nutzt, kann er sein Leben selbstbestimmter gestalten. Bloßer Glaube bringt ja immer Ungewissheit und Abhängigkeit mit sich. Das Leben muss weitgehend fremdbestimmt erscheinen, als nicht willentlich beeinflussbar; Ängste finden größeren Raum, das Vertrauen in ein gelingendes Leben bleibt schwach und gefährdet.

Die Erweiterung des Wissens durch Forschung bietet daher nicht nur ein stabiles Informations-Fundament, sondern es fördert auch die Freiheit der Gesellschaft.

Die Kommunikation von Wissen

Damit diese erhalten und vergrößert werden kann, muss das Wissen weitergegeben, kommuniziert werden. Deshalb sind Bildungseinrichtungen für freie Gesellschaften so wichtig, und deshalb spielt heute auch der gute Journalismus eine so wichtige Rolle.

Im dichten Dschungel der vielfältigen und qualitativ unterschiedlichen Ansichten und Meinungen, zu denen Menschen immer wieder neu gelangen, bilden die Wissenschaft und der Journalismus zwei wertvolle Qualitätsfilter, die wesentlich zu einem soliden Informations-Fundament in einer Gesellschaft beitragen können und sollen.

Freilich, es gibt Fehlentwicklungen: Wissenschaftler, die voreingenommen und dogmatisch agieren, nicht ergebnisoffen forschen, deren Arbeiten abhängig von industriellen Interessen oder Fördermitteln sind; Journalisten, die nicht frei und unabhängig arbeiten, sondern im Grunde nur als PR-Dienstleister fungieren, also für bestimmte Interessen werben. Über solche Entwicklungen ließe sich viel, sehr viel Kritisches anmerken. 

Und doch: Die beiden großen Qualitätsfilter – hier der internationale wissenschaftliche Diskurs, das kritische Ringen um neue Erkenntnisse; Dort die saubere journalistische Recherche – sind vorhanden. 

Alles in allem sorgen sie für das so dringend nötige solide Informations-Fundament, das einer Gesellschaft Halt und Orientierung bietet.

Sie sind vorhanden, aber sie erscheinen inzwischen akut und dreifach gefährdet: Durch eine immer geringere allgemeine Wertschätzung, durch gezielte Angriffe von außen, die eigentlich die freie Gesellschaft zum Ziel haben, und nicht zuletzt auch durch unseriös arbeitende Wissenschaftler und Journalisten, die nicht das Gemeinwohl im Sinn haben, sondern ausschließlich die Vorteile für sich selbst oder die Organisation, für die sie arbeiten.

Fake-News zur Destabilisierung

Wenn Kritiker heute die „Mainstream-Wissenschaft“ oder die „Mainstream-Medien“ verurteilen, dann steht dahinter oft die unausgesprochene Ansicht, beides sei eigentlich nicht nötig. Schließlich könne ja jeder selbst im Internet oder anderswo recherchieren und sich eine Meinung bilden.

Dass es den Kritikern – das belegen vor allem pauschalisierende Aussagen – oft an grundlegender Medienkompetenz mangelt (diese wird bisher ja in den Schulen kaum vermittelt); dass sie weder von Recherche noch von wissenschaftlicher Arbeit eine Ahnung haben; dass sie oft nicht einmal zwischen Fakten und Meinungen unterscheiden können und in ihrem Unwissen extrem leicht manipulierbar sind, all diese Gegebenheiten mag man als traurig oder tragikomisch bewerten. Jedenfalls aber bergen sie ein großes Gefahrenpotential, nämlich die Zerstörung jenes Informations-Fundaments, das die Freiheit unserer Gesellschaft garantiert.

Wenn nur noch Meinung gegen Meinung steht, wenn nichts mehr als gewiss, aber alles als möglich erscheint, weil die bewährten Beurteilungskriterien über Bord geworfen werden, dann wachsen zwangsläufig Unruhe und Misstrauen – und zugleich das Bedürfnis nach einer starken Führungspersönlichkeit, die die Welt wieder in Ordnung bringt und lautstark brüllt, wo’s lang geht.

Nicht ohne Grund werden die freien westlichen Gesellschaften gezielt mit Fake-News geflutet, seit die Menschen sich über soziale Netzwerke informieren. Denn hier sind die traditionellen Qualitätsfilter im Informationsfluss – wissenschaftliche Arbeit und journalistische Recherche – ausgeschaltet. Propaganda und gezielt verbreiteter Unsinn haben freie Bahn und gehen schnell viral, sobald das Bedürfnis der Menschen, etwas Besonders zu erfahren, das sie aus der „unwissenden“ Masse heraus hebt, bedient wird.

Die Diktatoren und Autokraten dieser Welt wissen das ebenso wie narzisstische Besserwisser. Sie nutzen die Naivität und Inkompetenz gefolgsbereiter Konsumenten und lassen sie glauben, sie könnten nun endlich jene „Wahrheit“ erfahren, die ihnen von Politik, Wissenschaft und Medien vorenthalten wird.

Die schleichende Verunsicherung und gesellschaftliche Destabilisierung wurde durch die Corona-Krise zusätzlich befeuert. Das belegen Umfragen. So glaubten beispielsweise im März 2022 sieben Prozent der deutschen Bevölkerung, dass ihr Land von einer fremden Macht regiert wird, die im Hintergrund die Fäden zieht. In Österreich glaubte es, wie eine Umfrage zeigte, sogar jeder achte.

Solche Zahlen weisen meines Erachtens auf eine ernst zu nehmende Destabilisierungs-Krise hin. Sie zeigen die Auswirkungen einer Vergiftung des Denkens, die sich unter dem Radar schon Jahre lang verbreitet hatte.

Der Ruf nach neuen Initiativen in der Bildung mit einem Fokus auf Medienkompetenz liegt nahe. Aber Wissenschaft und Journalismus müssen wohl mehr denn je auch aktiv um mehr allgemeine Wertschätzung ringen, Kritik willkommen heißen und sich von Fehlentwicklungen abgrenzen.

Denn dass diese Informations-Fundamente unserer Gesellschaft so brüchig geworden sind und ihnen nicht mehr so recht getraut wird, hat gewiss auch hausgemachte Gründe.