28. März 2024

Jesus, blutig

Mel Gibsons Bibel-Drama „Die Passion Christi“

„Die Passion Christi“ – Ich empfehle diesen Film nicht wegen seiner historischen Authentizität. Er ist nicht authentisch, auch wenn er genau das suggeriert – etwa dadurch, dass die Dialoge in lateinischer, aramäischer und hebräischer Sprache geführt und untertitelt sind.

Ich empfehle ihn auch nicht wegen des Drehbuchs oder einer besonderen Dramaturgie. Beides ist keiner Erwähnung wert. Es sind einfach aneinander gereihte biblische Bilder; in die Leidensgeschichte sind, relativ plump, ein paar Episoden aus der Lehrtätigkeit Jesu eingefügt, wohl um seine Botschaft der Liebe „sinnvoll“ mit dem Sühneopfer zu verbinden.

„Die Passion Christi“ hat auch mit keinen besonderen Schauspielleistungen aufzuwarten. James Caviezel wird in seiner Rolle als Jesus von Nazaret durchweg nichts weiter abverlangt, als entweder plakativ leidend (auf dem Weg zum Kreuz) aus seiner blutigen Wäsche zu schauen oder ebenso plakativ mit mildtätigem Augenaufschlag aus der Bibel zu rezitieren; Monica Bellucci (Maria Magdalena) und Maia Morgenstern (Maria) bleiben – im wahrsten Sinn des Wortes – sprachlos, um mit hölzernen entsetzten Blicken die Misshandlungen an Jesus mitzuverfolgen; Christo Schopow (Pontius Pilatus) fällt nur deshalb auf, weil er seine Hände ganz genau so in Unschuld wäscht, wie es die kirchliche Überlieferung vorschreibt.

Auch Mel Gibsons Regie bietet, abgesehen von seinem Hang, fokussiert menschliche Bestialitäten zu inszenieren (selbst das gelingt nicht wirklich packend), auch nichts Bemerkenswertes. Allenfalls eine Szene mit der „Träne Gottes“ fällt aus dem Rahmen des Vorhersehbaren. (Wer diesen einzigen kreativen Augenblick im Film sucht, kann auf 1:52:30 vorspulen.)

Der Grund für meine Empfehlung ist in diesem Fall, dass „Die Passion Christi“ punktgenau, ohne rosarote Brille oder spitzfindigen theologischen Brückenbau, den haarsträubenden Unsinn in Szene setzt, der kirchengläubigen Menschen seit etwa 2.000 Jahren zugemutet und bis heute von der größten Religionsgemeinschaft der Welt vertreten wird: Um die Menschheit von ihren Sünden zu erlösen, sandte der allmächtige Gott seinen Sohn, damit dieser stellvertretend für alle ein Sühneopfer bringt, also leidet … und ganz besonders furchtbar leidet, denn die Schuld der Menschen ist ja immens groß. Für die Gläubigen bleibt in der Folge nichts weiter mehr zu tun, als brav zu glauben. Wer an Jesus und seinen Opfertod glaubt, der findet Eingang in den Himmel; wer nicht, der landet in der Hölle.

Vermutlich ist die Gedankenkonstruktion eines solchen Sühneopfers ursprünglich bigotten, sadistisch geprägten Gehirnen entsprungen, dann von strammen Dogmatikern in den Raum des Heiligen, Unantastbaren gehoben und schließlich von Generation zu Generation weiter verbreitet worden.

Damit der Wahnwitz, der dieses Glaubensgebäude trägt, nicht allzu deutlich spürbar ist (immerhin greift seit der Aufklärung kritisches Denken um sich), wird die Geschichte von der Passion Christi üblicherweise mit Hinweisen auf die „unerforschlichen Wege Gottes“ gewürzt oder manchmal auch eher als Gleichnis interpretiert.

Auf solche Verständnisbrücken verzichtet Mel Gibson. Und er fördert damit – hoffentlich! – die persönliche Standortbestimmung des Gewohnheitschristen: Ist diese blutige Passionsgeschichte wirklich das Fundament meines Glaubens? Diese Frage steht nach den Gewaltorgien, die der Film visualisiert, deutlicher im Raum. Fühle ich mich tatsächlich leichter, befreiter, erlöst, weil „der Sohn Gottes“ vor 2.000 Jahren auf brutalste Weise gepeitscht, gegeißelt und gekreuzigt worden ist? Oder ist „die Passion Christi“ für mich in Wirklichkeit doch nur eine fürs Leben letztlich bedeutungslose Geschichte?

Mit einem Einspielergebnis von über 600 Millionen Dollar gilt „Die Passion Christi“ als der erfolgreichste religiöse Film aller Zeiten. Aber er blieb auch in christlichen Kreisen umstritten – vor allem wegen der gezeigten Brutalitäten. Vermutlich stand hinter den leidenschaftlich vorgebrachten Argumenten für und wider dieses Werk eben die ganz einfache Grundfrage: Kann eine solche Blut-Orgie wirklich spirituell von Bedeutung sein? Lag im Leidensweg und der Kreuzigung wirklich die Aufgabe, die Mission Jesu?

Ein kindlich einfacher Gottesglaube, die natürliche spirituelle Tiefe hat solche Schauergeschichten meines Erachtens nicht nötig. Die biblischen Evangelien und umso mehr die kritischen Forschungen über die ureignen Worte Jesu zeigen klar, dass es in allen seinen Predigten um die Gottes- und die Nächstenliebe ging. Ja, eigentlich nur darum.

Was der Wanderprediger aus Nazareth brachte, war eine bedingungslose Frohbotschaft der Liebe, die aber gleichzeitig insofern auch eine Drohbotschaft war, als er energisch mahnte, entsprechend zu leben, zu handeln, sogar zu denken. Andernfalls könne der Mensch nicht in das Reich Gottes gelangen. Träger Glaube ist demnach – in direktem Widerspruch zu heutigen Auslegungen – zu wenig. Und der Sinn der im Neuen Testament überlieferten Worte offenbart auch, dass die Sprache Jesu nicht nur von Liebe, sondern gleichermaßen von Klarheit und Strenge geprägt war.

Jedenfalls lag seine Mission – nach meiner Überzeugung ausschließlich – in einer großen, historisch tatsächlich herausragenden Liebes-Botschaft. Dass Jesus jung und qualvoll sterben musste, haben die Glaubenseiferer jener Zeit zu verantworten, die in ihm einen unliebsamen Konkurrenten sahen, dem irgendwann wohl zu viele abtrünnige Schäfchen folgten. Der Kreuzestod hat nichts mit einem göttlichen Plan zu tun.

Aber Gedanken abseits des kirchlichen Mainstreams blendet Mel Gibson in seinem Film aus. Er inszeniert nicht nur konsequent die gängigen biblischen Klischees, sondern setzt, wo immer es eine naheliegende Gelegenheit gibt, noch plakativ eins drauf: Hier lässt der geschundene Gottessohn noch schnell wunderwirkend ein im Kampf abgeschlagenes Ohr wieder anwachsen, dort hackt ein Rabe dem bösen Schächer, der in Golgatha ebenfalls am Kreuz leidet und Jesus verspottet, zur Strafe ein Auge aus … Solche filmischen Momente sollen dem gelernten Bilderbuch-Christen die Größe Gottes offenbaren. Hilfe!

„Die Mission Christi“ ist künstlerisch betrachtet (die Maskenbildner und John Debney, der die Filmmusik komponierte, einmal ausgenommen) ein ziemlich trauriges Kapitel Filmgeschichte. Und inhaltlich betrachtet ein Ärgernis. Denn eigentlich ist der Gedanke, die Kreuzigung Jesu als Gotteswillen darzustellen nicht allzu weit weg vom bekannten Reflex, einer vergewaltigten Frau zu unterstellen, sie habe es ja eigentlich selbst gewollt … Das Opfer wird zum Täter gemacht.

Nach dem Kreuzestod Jesu bebt die Erde, und ein heftiges Gewitter trifft die Menschen. Warum eigentlich? Waren sie am Ende doch nicht nur Erfüllungsgehilfen für den göttlichen Willen?

Klar, die hier zugespitzt vorgebrachten inhaltlichen Einwände verpuffen gegenüber der mächtigen kirchlichen Tradition, die die Leidensgeschichte Jesu seit 2.000 Jahren zelebriert – auch wenn viele Gläubige sie heute genauso wenig ernst nehmen wie einen durchschnittlichen Hollywood-Blockbuster.

Womit Mel Gibson eine alte Tradition fürs Kino fortgeschrieben hat: Die Passion Christi, als Show missbraucht – für eine neue Generation von Fantasy-Liebhabern, die aus Märchen von Blut und Wundern Glaubenswahrheit schöpfen will.

(2004; 127 Minuten)