26. April 2024

Das Leben danach

Clint Eastwoods Meisterwerk „Hereafter“

Das Leben nach dem Leben hat als Thema schon viele Filmregisseure Hollywoods fasziniert – und manchmal waren sehenswerte Filme das Ergebnis dieser Faszination. Man denke an Vincent Wards „Hinter dem Horizont“ („What Dreams May Come“ mit Robin Williams, 1998), Tom Shadyacs „Im Zeichen der Libelle“ („Dragonfly“ mit Kevin Costner, 2002) oder an Jerry Zuckers „Ghost – Nachricht von Sam“ mit Patrick Swayze und Whoopi Goldberg (1990). Allen diesen Produktionen war gemeinsam, dass sie die Kommunikation mit Verstorbenen als spektakuläres Ereignis in den Mittelpunkt stellten. In „Hinter dem Horizont“ gelang sogar das Wagnis, jenseitige Welten in eindrucksvollen Bildern darzustellen.

Auch ein Altmeister des Erzählkinos, Clint Eastwood, hat sich mit seinem Film „Hereafter“ (2010) dem Leben nach dem Tod gewidmet.

Nach einem Drehbuch des in Österreich lebenden Briten Peter Morgan und unterstützt durch selbst komponierte Filmmusik gelang ihm ein weitgehend unspektakulärer, aber gerade dadurch beeindruckender Film, der in keine der bekannten Schubladen passt, sondern seinen eigenen Gesetzen folgt.

Erzählt werden die Geschichten dreier Personen in unterschiedlichen Ländern und Milieus, die das Schicksal zusammenführt, weil sie eine besondere Gleichart eint: das existentielle Interesse am Leben nach dem Leben …

Zunächst lernen wir die französische Fernsehjournalistin Marie Lelay (Cécile de France) kennen. Sie wird während ihres Urlaubs an einer thailändischen Küste von einer Flutwelle erfasst, droht zu ertrinken, erlebt bereits den Austritt aus ihrem Körper, kann aber im letzten Augenblick reanimiert werden. Dieses Nahtoderlebnis ändert alles für die junge Frau – sie kann in ihrem Beruf nicht einfach mehr weitermachen wie bisher und nimmt sich ein paar Monate „Auszeit“, um ein Buch über das Leben nach dem Tod (mit dem Titel „Hereafter“) zu schreiben. –

In England verliert der 12jährige Marcus (Frankie McLaren) seinen geliebten Zwillingsbruder, als dieser auf der Flucht vor einer Straßengang von einem Auto überfahren wird.

Dieser Tag verändert Marcus’ Leben. Er spürt, dass sein Bruder noch in seiner Nähe ist, will Kontakt mit ihm aufnehmen und lernt während einer rastlosen Suche allerhand Scharlatane kennen, die ihrem esoterisch gestimmten Publikum mediale Jenseitskontakte vorgaukeln, obgleich sie in Wirklichkeit keinerlei außergewöhnliche Fähigkeiten dieser Art besitzen.

George Lonegan (Matt Damon) aus San Francisco indes hat wirklich eine solche Gabe. Er kann während sogenannter „Readings“ spüren, wenn ein Jenseitiger jemandem etwas Wichtiges mitzuteilen hat. Doch diese Fähigkeit ist zur Bürde für George geworden, denn wieder und wieder hat er erlebt, dass es den betroffenen Menschen nicht gelingt, die ihnen vermittelten Botschaften zu verarbeiten.

Seine Gabe hat es George deshalb auch unmöglich gemacht, eine glückliche Beziehung zu finden. Deshalb sehnt er sich nach nichts mehr als nach einem normalen Leben …

In seinem mehr als zweistündigen Epos lässt Clint Eastwood der Entwicklung dieser drei Charaktere – unabhängig voneinander – sehr viel Raum. Erst nach und nach verflechten sich deren Schicksalsfäden, bis der junge Marcus im Umfeld einer Londoner Buchmesse in George endlich jemanden kennenlernt, der ihm wirklich eine Nachricht seines verunglückten Bruders vermitteln kann, und George in Marie unverhofft eine Seelenverwandte findet, für die das „Leben danach“ ebenfalls zur Realität wurde.

Das alles wird geradlinig, natürlich und lebensnah erzählt, getragen von großartig agierenden Schauspielern und einer herausragenden Kameraführung (Tom Stern). Nur in den Momenten, wenn der Tod sich jäh ins Schicksalsgefüge drängt, mutet Eastwood diesen Schock auch seinem Publikum zu: Jasons (Marcus’ Bruder) Autounfall, der Terroranschlag auf die Londoner U-Bahn vom 7. Juli 2005, vor dem Marcus durch eine glückliche Fügung (wie wir später erfahren: Führung) bewahrt wird, und der unglaublich realistisch inszenierte Tsunami, der die thailändische Küste vernichtet …

Mag sein, dass das US-amerikanische Publikum mehr derartige Action erwartete, denn der große Erfolg an der Kinokasse blieb dem 50 Millionen Dollar teuren Film verwehrt. Mag auch sein, dass sich Clint Eastwood mit „Hereafter“ für manche Zeitgenossen allzu konsequent zwischen die Genre-Stühle gesetzt hat: Ein „Jenseits“-Film ohne Horror und Spektakel? Ein „Fantasy“-Film, der konsequent realitätsnah bleibt? Ein Film über das Weiterleben nach dem Tod, der kein Jenseits-Szenario bietet? Ein Film, der ebenso konkret am Thema bleibt, wie er Spielräume für Interpretationen lässt?

Meisterwerke werden erst durch ein hohes Maß an Eigenständigkeit zu solchen, und ein Film, der von der Schwelle zwischen Dies- und Jenseits handelt, darf sich auch selbst entlang dieser Grenze bewegen. Gerade dadurch kommt er dem Leben oft ganz besonders nah.

(2010; 129 Minuten)