25. April 2024

„Er ist mein!“

La damnation de Faust (Fausts Verdammnis)

• Eine Dramatische Legende in vier Teilen von Hector Berlioz 

Libretto: Gérard de Nerval (1808–1855), Almire Gandonnière (1813–1863) & Hector Berlioz (1803–1869) 
Musik: Hector Berlioz (1803–1869) 
Uraufführung: 6. Dezember 1846, Paris (Opéra-Comique)
Dauer: ca. 2 Stunden

Akte:
1. Die Puszta-Landschaft Ungarns
2. Fausts Studierzimmer; Auerbachs Weinkeller; Ufer der Elbe
3. Margarethes Zimmer
4. Margarethes Zimmer; Gebirge in Deutschland; Im Himmel

Hauptpersonen:
Faust:
Tenor
Margarethe: Mezzosopran
Mephisto: Bariton
Brander: Bass

Kurze Werkeinführung

„Fausts Verdammnis“ ist eine von nur sechs Opern, die der französische Komponist und Musikkritiker Hector Berlioz (1803–1869) in seiner Laufbahn schrieb. Genau genommen handelt es sich bei seinem „Opus 24“ um eine „dramatische Legende in vier Teilen“, die Berlioz ursprünglich nicht zur szenischen Aufführung vorgesehen hatte.

Die Uraufführung von „La damnation de Faust“ fand unter der Stabführung des Komponisten am 6. Dezember 1846 in Paris statt – und endete als legendärer Misserfolg mit dramatischen Folgen für Hector Berlioz. Er stürzte ihn nicht nur in eine finanzielle, sondern auch in eine künstlerische Krise.  Das Werk fiel beim Publikum durch, und hatte die Uraufführung diese ernüchternde Tatsache noch nicht hinlänglich bewiesen, so spätestens die zweite Aufführung, die ein paar Tage später, am 12. Dezember des selben Jahres, stattfand. Nach diesem abermaligen Durchfall wurde „Fausts Verdammnis“ in Paris nie wieder gespielt, und Berlioz dirigierte sein Werk nur noch ein einziges Mal während seines Lebens – im Dezember des Jahres 1866 in Wien.

Dennoch behielt das Werk – stilistisch handelt es sich um eine Kombination von Nummernoper und Oratorium – nach dem Tod des Komponisten seinen Stellenwert in der französischen Operntradition und erfreut sich bis heute einiger Beliebtheit.

Die erste szenische Aufführung der „dramatischen Legende“ fand 1893 – knapp 25 Jahre nach Berlioz’ Tod – in Monte Carlo statt.

Die Grundlage der Handlung bildet der erste Teil der Faust-Dichtung von Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), mit dem Berlioz in schriftlichem Kontakt stand. Über dessen „Faust“ schwärmte der Komponist: „Dieses wunderbare Buch fesselte mich sofort. Ich trennte mich nicht mehr davon und las dauernd darin: bei Tisch, im Theater, auf der Straße, überall!“

Berlioz’ Faust-Begeisterung führte zunächst zur Fertigstellung einer Schauspielmusik („Huit scènes de Faust“, 1829) – und schließlich zur Komposition der Oper, an deren Libretto Berlioz selbst mitwirkte. Über seine Absichten schrieb er: „Ich versuchte weder, das Meisterwerk Goethes zu übersetzen, noch, es nachzuahmen, sondern ließ es lediglich auf mich wirken, in dem Bestreben, seinen musikalischen Gehalt zu erfassen.“

Vom 2. bis zum 4. Akt spielt „Fausts Verdammnis“ – wie Goethes Vorlage – in Deutschland, den 1. Akt verlegte Berlioz nach Ungarn – wohl, um den populären „Rákóczi-Marsch“ einbauen zu können. Dieser Marsch zählt neben „Fausts Höllenritt“ zu den musikalisch einprägsamsten Momenten.

Die Handlung

Kurz und gut …
Wer durch fortwährende Grübelei an Monotonie-Intoleranz und Schwermut leidet, sollte bei Vertragsabschlüssen besonders vorsichtig sein.

1. Akt: Die Puszta-Landschaft Ungarns

Faust erwacht auf der Frühlingswiese in der Puszta-Landschaft Ungarns und erfreut sich der Schönheit der Natur.

Der Winter floh, der holde Lenz ist da,
Frei von Eis rauschen Strom und Bäche;
Und sieh’, von des Himmels Dom hernieder
Strahlt rein und mild neuen Licht’s gold’ner Glanz. –
Ich fühle sanft den Hauch der linden Morgenlüfte,
Und meine heiße Brust saugt atmend süße Düfte.
Wie zart tönt mir ins Herz holder Vögel Gesang!
Erfrischt fühl’ ich von Bach und Wald mich hier umrauscht!
O Wonne, zu genießen der Ruh’ friedlicher Fluren,
Fern aller Menschen Kämpfe und fern ihrem Gewühle! 

Die Gesänge der fröhlichen Bauern und Dorfbewohner berühren Faust jedoch nicht. Er, der schon so viel studiert und gegrübelt hat, ist längst nicht mehr fähig dazu, sich arglos der einfachen Freude am Leben hinzugeben.

Auch der Soldatentrupp, der in der Ebene vorbeizieht, lässt Faust kalt. Für das, was diese Menschen motiviert, hat er keinen Sinn:

Mit Stolz schreiten freudig sie hin,
zu streiten für die Heimat, für die Freiheit, für Recht!
Im Siegesrausche erglüh’n ihre Herzen. –

Nur das meine bleibt kalt, selbst dem Ruhme verschlossen!

2. Akt: Fausts Studierzimmer

Seines Lebens überdrüssig, war Faust nach Deutschland zurückgekehrt. Nun ist er dazu entschlossen, eine Schale mit Gift zu trinken – aber die frohen Ostergesänge aus der nahen Kirche bringen ihn doch auf andere Gedanken. Er erinnert sich seines reinen kindlichen Glaubens, und es scheint ihm, als wolle der von Auferstehung und Leben singende Chor ihn an seinem Selbstmord hindern.

Selig’ Erinnern!
O, ihr himmlischen Lieder,
Mein tief erhebend Herz, zu Gott tragt es empor.
Der schwankende Glaube erstarkt,
Bringt aus der Jugendzeit den Frieden mir.
Holde, sel’ge Kindheit, wie süß war dein Gebet! –
O, reine Himmelfreude, im Lenz auf blum’ger Au,
Über grünende Felder, durch den Wald, durch die Fluren
Wie im Traume zu geh’n. –
Sel’ger Kuss süßer Himmelsliebe,
Du fülltest mir das Herz mit ahnungsvoller Lust
Und verbanntest die Gefahr dunkler, böser Triebe.

Da erscheint Mephisto und verspricht dem freudlosen Doktor Faust „Macht und Glanz, Glück und Lust“. Als „Geist des Lebens“ könne er ihm jeden Wunsch erfüllen.

Fausts Neugier erwacht, und er folgt Mephisto, der ihn dazu einlädt, mit ihm zu ziehen:

Statt zu verschmachten hier, elend, gleich einem Wurm,
der sich vom Staub ernährt –
auf, hinaus, in die Welt!

Auerbachs Weinkeller

Zunächst finden sich Faust und Mephisto in einem Weinkeller in Leipzig ein. Aber die „lustigen Burschen“, die, gedopt durch Alkohol, die Ausgelassenheit der Jugend in ihm wiedererwecken sollen, lassen Faust unbeeindruckt. Weder das Lied des betrunkenen Brandner („Certain rat, dans une cuisine“), der das Schicksal einer Ratte besingt und vom Säufer-Chor mit „Amen-Rufen“ begleitet wird, noch Mephistos gesangliche Darbietungen („Es war einmal ein König, der hatt’ einen großen Floh“) treffen Fausts Geschmack. Diese Art von „Frohsinn und Witz“ verstärken nur seine Verstimmung!

Also führt ihn Mephisto an das Ufer der Elbe – wo er für Faust Erlebnisse in ganz anderer Qualität plant …

Ufer der Elbe

In den Auen am Elbufer, umgeben von duftenden Rosen, legt sich Faust auf Anraten Mephistos zur Ruhe. Und bald wird der schlafende Doktor vom Chor der Sylphen und Gnome einem süßen Traum zugeführt: Faust schaut darin ein wunderschönes Mädchen, „gedankenvoll und still“, ihr Auge „weich verklärt“ vom Glanz „verstohl’ner Tränen“.

Faust ist hin und weg von diesem „lieblich Engelsbild“. Sogleich will er sich ihr – Margarethe – weihen, ihr „anbetungsvoll zu Füßen“ sinken. „Welch’ ein Traum!“ ruft er im Erwachen, aber … „ist es wahr?“

Mephisto bejaht – erfreut darüber, offensichtlich Fausts Schwachpunkt getroffen zu haben: „Dieser Schatz, Glücklicher, ist dein!“

Und so führt Mephisto den erwartungsfrohen Faust, begleitet von singenden und scherzenden Studenten und Soldaten, durch die nächtliche Stadt zu Margarethes Häuschen.

3. Akt: Margarethes Zimmer

Durch Mephisto angeleitet, hat sich Faust in Margarethes Zimmer versteckt und erwartet sie. Als sie eintritt, spürt Margarethe, dass etwas Ungewohntes, Bedrohliches im Gange ist: „Wie schwül ist hier die Luft!“ Doch sie sucht die Ursache dafür bei sich selbst. Denn immer noch fühlt sie sich „ganz verwandelt“ von dem Traum in der vergangenen Nacht, in dem sie Faust gesehen hatte:

Im Schlafe sah ich ihn, der all mein Sehnen nun.
Wie war er schön! Gott, er liebt mich, o Wonne!
Und wie lieb’ ich auch ihn! –
Werd’ jemals ich ihn seh’n in diesem Leben?

Während sie sich auskleidet, singt Margrethe die Ballade vom „König in Thule“ … und Mephisto ruft seine Irrlichter herbei: „Laßt uns jetzt dem unschuldigen Kind ein sittsam Liedchen singen, wir verderben sie sicher so!“

Als Faust in Margarethes Zimmer nun aus dem Vorhang tritt, hinter dem er sich versteckt hatte, glaubt sie zu träumen. Sie sieht ihren „heiß Geliebten“, ihr Traumbild, leibhaftig vor sich stehen … und gibt sich ihm schließlich hin:

In dem Aug’ die Trän’ –
Alles schwindet – o Gott –
Ich vergehe! ach, Geliebter! 

Bald danach aber betritt Mephisto den Raum und drängt Faust zum Aufbruch. Die Nachbarn seien wach geworden und würden spottend schon vermuten, dass jemand bei Margarethe ist.

Faust folgt ihm, verspricht Margarethe aber, morgen wieder zu kommen. Die kurze Zeit mit ihr hat ihn verwandelt:

Endlich erkenn’ ich wieder den Wert dieses Lebens!
Liebe ist’s, sonnig hell,
Ihrem Ruf folg’ ich gern
Zu dir, wo mein Heil.
Du, o Göttin, erfüllst meine Seele mit Entzücken,
Wonnig gewährst du mir,
Was je ersehnt mein Herz! 

Auch Margarethe ist bereit, mit diesem Mann, der ihr zauberhaft schon im Traum erschienen und dann wirklich in ihr Leben getreten war, ihr Leben zu teilen:

O, mein Freund, teurer Faust! nimm mein Leben zu eigen!
Liebe füllt mir das Herz mit beglückender Wonne;
Sie erhält mich; dich lassen wär’ mein Tod. 

Mephisto aber sieht Fausts Zukunft schon in seiner Hand:

Jetzt verschlingt Dich die Lust dieses Lebens, stolzer Geist!
Nah’ ist schon die Stunde, wo für ewig du mein!
Nie Gewährung schafft den Wünschen Ruh:
Der Sinne toll’ Begehr’ im Genuss nur sich mehret! 

4. Akt: Margarethes Zimmer

Nach vielen gemeinsamen Nächten war Faust seiner geliebte Margarethe überdrüssig geworden und hat sie verlassen. Allein in ihrem Zimmer, erinnert sie sich an das „wonneglühend Entzücken“ der gemeinsamen Zeit:

Der Liebe heiße Flamme
Verzehret meinen Leib,
Und der Friede der Seele
Für ewig starb dahin.

Seine Flucht, sein Entfernen
Wecken mir bitt’re Schmerzen,
Und ohne seine Nähe
Weint um mich her die Welt.

Gebirge in Deutschland

Faust irrt indes allein durch ein Gebirge, um aus dem Naturerleben neue Kraft und Anregungen zu finden („Nature immense, impénétrable et fière“):

Natur, du mächt’ge, ew’ge und allgewaltige,
Die einzig du gewährest Rast meinem steten Schmerz,
Lieg’ ich dir an der Brust, fühl’ mein Elend ich minder,
Neu erfasst mich das Leben, kräftigen Wollens Macht. –
Ja, wild heule Orkan, und kracht, ihr Riesenwälder!

Da tritt Mephisto an Faust heran und überbringt ihm eine erschütternde Nachricht: Margarethe sei verhaftet worden und harre nun in einem dumpfen Keller ihrer Verurteilung als Mörderin der eigenen Mutter. „Wie?“, fragt Faust entsetzt, und Mephisto erzählt ihm die ganze Geschichte:

Faust selbst sei an allem Schuld, habe er doch jenes „bräunliche Getränk“ zubereitet, das Margarethe ihrer Mutter regelmäßig verabreicht habe, um sie abends in Schlaf zu versetzen, auf dass sie vom „Rausch der nächtlichen Liebe“ ihrer Tochter nichts mitbekomme. Dieses Getränk aber habe ein „ganz unschuldiges Gift“ enthalten, das dann – einmal zu oft verabreicht – den Tod der Mutter bewirkt habe.

Faust ist erschüttert – und nun spielt Mephisto seinen Trumpf aus: Freilich habe er die Macht, den Kerker zu öffnen und Margarethe zu befreien, doch müsse Faust dafür einen Pakt unterzeichnen:

Von morgen an müsse er Mephisto dienen.

Faust willigt ohne weiter nachzudenken ein: „Was kümmert mich das Morgen, wenn heute ich leide?“

Dann stürmen die beiden auf schwarzen Rossen los. Doch der Weg führt nicht zu Margarethe, sondern hinab in Mephistos Reich, durch einen Regen aus Blut geradewegs in die Hölle. Dort berichtet Mephisto den Fürsten der Finsternis, dass er Fausts stolze Seele, die er mit sich führe, gewonnen habe – für immer: „Er ist mein!“

Im Himmel

Indes erfährt Margarethe Rettung und Erlösung. Ein Chor der himmlischen Geister und Kinder verkündet die Aufnahme dieser „kindlichen Seele, die die Liebe in die Irre leitete“, in den Himmel.

Fausts Höllenfahrt mit Jonas Kaufmann (Faust), 2002
Jonas Kaufmann (Faust), La Monnaie, 2002

(Alle Zitate und alle unter Anführungszeichen gesetzten Textteile stammen aus dem Libretto der Oper; Übersetzung aus: opera-guide.ch)