23. November 2024

Verlockende, unbeständige Macht des Glücks

Der Traum des Scipio

• Oper in einem Akt von Wolfgang Amadeus Mozart 

Libretto: Pietro Metastasio (1698–1782) • 
Musik: Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) • 
Uraufführung: vmtl. am 1. Mai 1772, Salzburg (Erzbischöflicher Palast) • 
Dauer: ca. 2 Stunden

Akt:
Eine antike Sagenwelt

Hauptpersonen:
Scipio,
römischer Feldherr: Tenor
Constanza, Göttin der Beständigkeit: Sopran
Fortuna, Göttin des Glücks: Sopran
Publio, Großvater Scipios: Tenor
Emilio, Vater Scipios: Tenor
Licenza, Sopran

Kurze Werkeinführung

„Der Traum des Scipio“ (Originaltitel: „Il sogno di Scipione“) ist eine frühe „Serenata“ von Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791), die er im Alter von 15 Jahren schrieb. Das Libretto verfasste der italienische Dichter Pietro Metastasio (1698–1782). Vermutlich kam das Werk – wenigstens teilweise – am 1. Mai 1772 in Salzburg zur Uraufführung. In seiner Gesamtheit wurde es zu Mozarts Zeiten möglicherweise nie aufgeführt. In diesem Fall wäre „Der Traum des Scipio“ erst im Jahr 1979 erstmals konzertant und 1982 erstmals szenisch aufgeführt worden.

Mozarts frühe Oper spielt in der römischen Antike, im Königspalast von Karthago. Im Mittelpunkt der Handlung steht der römische Feldherr Scipio („der jüngere Scipio“, 185–129 v. Chr.), der als verantwortlich für die Belagerung und anschließende Zerstörung Karthagos gilt. Thematisiert wird die Tugendhaftigkeit; der antike Herrscher soll zwischen Glück und Beständigkeit wählen. 

Die Person des Scipio steht, wie im Nachklang zu Mozarts Frühwerk verraten wird, für Hieronymus von Colloredo (1732–1812), den Fürstbischof von Salzburg.

Die Handlung

Kurz und gut …
Fortuna vs. Constanza: Was hilft’s für die himmlische Ewigkeit, wenn alles Glück auf Erden doch nur von kurzer Dauer ist? Ein weiser Führer hält sich doch besser an die Kraft, die Beständigkeit verspricht. Vor allem, wenn er die Zerstörung Karthagos vor Augen hat.

Einziger Akt: Eine antike Sagenwelt

Dem schlafenden römischen Feldherrn Scipio erscheinen Fortuna, die Göttin des Glücks, und Constanza, die Göttin der Beständigkeit. Beide bieten sich ihm als Gefährtin an, doch Scipio soll sich für eine entscheiden.

Dazu führen ihn die Göttinnen an einen himmlischen Ort, wo der erstaunte Scipio zunächst seinem Großvater Publio und dann seinem Vater Emilio begegnet.

Publio klärt den in immateriellen Dingen unkundigen Feldherrn als erstes über die Unsterblichkeit der Seele auf:

Wenig bist Du Dir selbst bekannt. Du glaubst also,
Dass jene Hand, dies Antlitz,
Diese gebrechlichen Glieder, die Dein eigen sind,
Scipio seien? Ach, so ist es nicht. Die sind
Nur Deine Hülle, Das, was sie belebt,
Der reine, unsterbliche Funke, der ungeteilt ist
Und nicht vergehen kann, der will, begreift,
Der sich erinnert, denkt,
Der mit den Jahren nicht an Kraft verliert,
Der ist Scipio, und der stirbt nicht.

Daraufhin offenbart Emilio seinem Sohn, dass hier, in den himmlischen Gefilden, andere Begriffe von Bedeutung seien als auf der Erde „dort unten“, die von dieser Warte aus nur als winziger Punkt, „von trüben Nebeln eingehüllt“ erscheine. 

Scipio erkennt die Erde nun als „elende Bühne“, und Emilio lässt keinen Zweifel über die Minderwertigkeit der „Schauspieler“, denen sie dient. 

Wenn Du ihren Wahn, ihren Irrtum,
Ihre Träume sehen könntest und welche
Gründe, die wert sind, dass man nur darüber lacht,
Sie erregen, ausser sich geraten lassen,
Sie erheitern, bekümmern oder sich verlieben lassen,
Um wieviel nichtiger erschiene es Dir noch.

Scipio will nun nicht mehr länger auf der Erden bleiben, deren Bewohner in der Weisheit des Himmels nur wie unentwickelte Kinder erscheinen, er will „den unglücklichen Wohnsitz dort unten“ verlassen und bei seinen Ahnen verweilen.

Fortuna und Constanza aber machen ihm klar, dass es dafür noch zu früh sei. Scipio habe noch eine große Aufgabe auf Erden zu erfüllen, zur Ehre des römischen Reichs, doch dafür müsse er sich nun entscheiden, welche Göttin er an seiner Seite haben wolle.

Fortuna führt ihm ihre schicksalsentscheidende Macht vor Augen:

Ich bin Gebieterin über jedes Übel, jedes Gut
Dort unten. Dies ist die Hand,
Die nach ihrer Laune Freud und Leid,
Beleidigung und Ehre,
Elend und Schätze austeilt. Ich hin es,
Die Reiche erstehen lässt, zerstört
Und neu erbaut. Ich verwandle, wenn es mir gefällt,
Die Hütte in einen Thron und, wenn ich will,
Den Thron in eine Hütte.

Scipio erkennt die umfassende und verlockende Macht des Glücks, die er mit Fortuna an seiner Seite nützen könnte. Und doch stellt er die Frage, was sich dieser Macht wohl entgegenstellen könnte.

Constanza beantwortet sie. Glück sei immer etwas Vergängliches. Fortuna herrsche über ein stets gefährdetes Reich. Wichtiger sei Beständigkeit. Sie, Constanza, die Göttin der Beständigkeit, könne Fortuna in ihre Grenzen weisen – wie ein Fels in der Brandung:

Weiss umflutet, scheint der Fels
Im Meer zu wanken.
Zu verschlingen
Scheint ihn die aufgetürmte See.
Doch der umkämpfte Stein
Hält stand mit Stolz.
Das ebene, beruhigte Meer
Leckt dann seinen Fuß.

Scipio entscheidet sich für die Beständigkeit. Auch Fortunas Unglücksdrohungen können ihn nicht umstimmen. 

Und als er zuletzt wieder erwacht, weiß er, dass die Beständigkeit kein Traum war. Er spürt Constanza an seiner Seite:

Sie bleibt bei mir.
Ich fühle, wie die Gottheit meine Brust erfüllt.
Ich verstehe Euch, Ihr Götterfreunde:
Das Zeichen nehme ich an.

 

Hinweise:
Das Titelbild zeigt eine Inszenierung des Teatro La Fenice
Alle Zitate aus der deutschen Übersetzung des Librettos lt. Opera Guide)