30. April 2024

Bewusstsein aus der Suchmaschine

Alex Garlands beeindruckendes Science-Fiction-Epos „Ex Machina“

Die weltgrößte Internet-Suchmaschine heißt nicht „Google“, sondern „Bluebook“, und ihr Eigentümer schlicht Nathan (Oscar Isaac). Der, ein superreicher Exzentriker, residiert fernab der Zivilisation, in einem streng gesicherten, nur per Helikopter erreichbaren Anwesen, und verwirklicht hier „das größte wissenschaftliche Ereignis in der Geschichte der Menschheit“: Er nutzt das durch „Bluebook“ generierte Wissen und die daraus abgeleiteten Prinzipien menschlichen Verhaltens zur Entwicklung einer künstlicher Intelligenz, die erstmals nicht nur reagieren, folgern, entscheiden oder sich weiter entwickeln können, sondern tatsächlich zu Bewusstsein erwachen soll. Das neueste Androiden-Modell aus Nathans High-Tech-Werkstatt ist Ava (Alicia Vikander). Sie bewegt sich sanft, sieht attraktiv aus, denkt und spricht wie ein Mensch.

Aber wie lässt sich zuverlässig herausfinden, ob sie wirklich Bewusstsein hat? Nathan startet ein Experiment: Er lädt den jungen, hochintelligenten Programmierer Caleb (Domhnall Gleeson) für eine Woche zu sich ein. Er soll Gespräche mit Ava führen, eine Beziehung zu ihr aufbauen und … sich letztlich sogar mit ihr gegen ihn verbünden. Denn Nathan weiß, dass seine Schöpfung die Flucht plant, dass sie aus dem Labor hinaus in die Welt will.

Aber „will“ sie das wirklich? Ist ihr „Fluchtstreben“ nur eine logische Folge der Situation oder tatsächlich Ausdruck eines persönlichen Willens?

Das Experiment beginnt.

Wir befinden uns in der Welt von „Ex Machina“.

Dieses Science-Fiction-Epos des Regisseurs und Drehbuchautors Alex Garland entpuppte sich 2015 als Überraschungs-Produktion. Mit einem Oscar für die besten visuellen Effekte und einigen weiteren Preisen und Nominierungen ausgezeichnet, bewies der britische Filmkünstler, dass es immer noch möglich ist, mit einem relativ kleinen Budget (11 Millionen Euro) großes, erfolgreiches Kino zu machen.

„Ex Machina“ bezieht seine Spannung nicht aus Explosionen oder vordergründigen Zukunfts-Kursiositäten. Der Film spielt im Wesentlichen mit den heutigen technischen Rahmenbedingungen – und mit der unbehaglichen Frage, ob Bewusstsein künstlich generiert werden kann. Dafür genügt ein Kammerspiel mit wenigen Darstellern: Domhnall Gleeson als Caleb, Alicia Vikander als Ava (in dieser Rolle für den Europäischen Filmpreis nominiert) und Oscar Isaac als Nathan tragen den größten Teil der Szenen allein.

Freilich darf man sich von „Ex Machina“ keine gültigen Antworten auf die Fragen nach dem Wesen und der Machbarkeit von Bewusstsein erwarten. Inhaltlich bleibt Alex Garland diesbezüglich ganz an der Oberfläche. Aber sein Film widerspiegelt den heutigen Meinungs-Mainstream.

„Irgendwann sehen die KIs auf uns zurück – als aufrecht gehende Affen, dazu verdammt, auszusterben“, sagt Nathan an einer Stelle. An dieses Szenario glauben tatsächlich viele Forscher: Die Menschen werden Künstliche Intelligenzen (KIs) erschaffen, die ab einem bestimmten Grad an Komplexität zu Bewusstsein erwachen und ihre unvollkommenen, sterblichen Schöpfer schließlich – vielleicht gewaltsam – hinter sich lassen. Es sei nur noch die Frage offen, wann das geschieht.

Der Gedanke, aus künstlicher Intelligenz (schwacher „KI“) könne bewusste Intelligenz (starke „KI“) entstehen, ist schon Jahrzehnte alt. Er hat seinen Ursprung allerdings nicht in der Naturwissenschaft, sondern in der Science-Fiction-Literatur. Vermutlich entwickelte der US-amerikanische Autor Robert A. Heinlein (1907–1988) in seinem Roman „Der Mond ist eine herbe Geliebte“ (1966) erstmals dieses Szenario. Die Fernsehserie „Star Trek“ von Gene Roddenberry (1921–1991) und zahlreiche Science-Fiction-Filme machten diese Vorstellung dann noch populärer. Und heute, nachdem unser Alltag zunehmend von künstlicher Intelligenz bestimmt wird, scheint die Möglichkeit, aus autonom entscheidenden Maschinen könnten irgendwann bewusst agierende Maschinen werden, greifbarer denn je. –

Das naturalistisch-materialistische Weltbild geht davon aus, dass Bewusstsein ein Produkt der Evolution ist. Es entsteht demnach aus dem Körper und wird ab einem bestimmten Punkt der Entwicklung des Gehirns möglich. Folglich könnte Bewusstsein prinzipiell materiell nachgebildet werden.

Die idealistische Weltsicht geht demgegenüber von einer immateriellen Natur des Bewusstseins (Geist, Seele) aus. Demnach kann es auch ohne Körper bestehen; das Gehirn erzeugt nicht Bewusstsein, sondern vermittelt es (Transmissionshypothese). Aus dieser Sicht ist ein Fortbestehen des Bewusstseins auch nach dem körperlichen Tod möglich, aber es ist unmöglich, Bewusstsein technisch zu erzeugen.

Würde ein Androide wie Ava wirklich zu Bewusstsein erwachen, wäre das zweifellos ein entscheidender Sieg für das materialistische Weltbild, denn die Vorstellung von einer Seele als Bewusstseinsträger müsste dann wohl aufgegeben werden.

Doch davon kann keine Rede sein. So groß in den vergangenen Jahrzehnten die Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz waren, so klein waren sie, was die Erforschung des Bewusstseins anlangt. Namhafte Gehirnforscher geben offen zu, nicht einmal zu wissen, welche Fragen sie stellen sollen, um das Wesen des Bewusstseins zu ergründen –  von der Idee, künstliches Bewusstsein zu erzeugen oder die menschliche Innenwelt auf Maschinen zu transferieren, ganz zu schweigen. Das ist pure Science-Fiction mit null Realitätsbezug.

Intelligenz ist nicht gleichzusetzen mit Bewusstsein. Das eigentlich Menschliche im Menschen, aus dem unsere Sehnsüchte, Hoffnungen und Empfindungen stammen, unser erlebnis- und entwicklungsfähiges Ich, all das blieb bis heute ein Geheimnis. Wir können Gehirne scannen und das Feuer der Neuronen am Bildschirm visualisieren, aber wir wissen nichts darüber, wie die Bilder, Töne und Träume unserer Innenwelt entstehen oder was das Wesen von Empfindungen und Ahnungen ist.

Die qualitativen Aspekte unseres Menschseins haben sich den bisherigen Forschungsbemühungen weitgehend entzogen.

Und gesetzt den Fall, es gelänge eines Tages, die Geheimnisse um unser Bewusstsein zu enträtseln: Dann würden die KI-Vorstellungen anno 2015, die „Ex Machina“ dokumentiert, vermutlich zur Komödie mutieren.

Dieses Augenzwinkern im Hinterkopf, sollten mit Alex Garlands beeindruckendem Film auch kritische Science-Fiction-Liebhaber ihre Freude haben.

(2015, 108 Minuten)