Nationalparks im Westen der USA (2013)
• Ein Passagier mittleren Alters zieht seine Runden durch die Gänge der Boeing. Er fühlt sich sichtlich unwohl. Wahrscheinlich ist es ihm auf dem elfstündigen Flug zu eng geworden. Der Chef-Steward, ein John-Steed-Typ, dem kein Verhalten fremd zu sein scheint, beobachtet aufmerksam, wie er durch die Luke eines Notausgangs ins Freie starrt. „Er will wohl nach draußen“, mutmaße ich. John Steed lächelt nachsichtig. „Wollen wir das nicht alle?“
British-Airways-Flug 0285 ins Land der Freiheit, in den Westen der Vereinigten Staaten. Allerdings dient unsere Amerika-Reise keiner gesellschaftlichen oder politischen Bestandsaufnahme. Wir – mein Freund Alfred und ich – wollen in den kommenden drei Wochen vor allem Natur erleben. Denn die Nationalparks im Westen der USA sollen in ihrer Vielfalt ohne Vergleich sein und auch auf den heutigen von Film- und Fernsehdokumentationen verwöhnten Betrachter eine ähnliche Faszination ausüben wie vor Jahrhunderten auf die Menschen, die all die Naturwunder entdeckten. Bald werde auch ich davon überzeugt sein: Keine Beschreibung, kein Foto und keine Filmdokumentation kann das unmittelbare Erleben purer Schönheit und machtvoller Gestaltungskraft, wie es viele dieser Parks auslösen, auch nur annähernd vermitteln.
Start in San Francisco
„If you‘re going to San Francisco, be sure to wear some flowers in your hair“ textete Scott McKenzie Ende der 1960er Jahre in seiner Ballade auf die viertgrößte Stadt Kaliforniens, benannt nach Franz von Assisi. Mit diesem frommen Kirchenmann allerdings konnten sich die Blumenkinder von damals wohl ebenso wenig identifizieren wie all die bunten Vögel mit linksgerichtetem Orientierungssinn, die man noch heute in San Francisco zuhauf antrifft.
Unser Tour Guide, der die morgendliche Rundfahrt im offenen Doppeldeckerbus kommentiert, pflegt das Image einer etwas verrückten, aber liebenswerten, friedfertigen Stadt mit Haut und Haar: lila und grüne Strähnen, Tätowierungen, ein sich über drei Finger erstreckender Schlagring mit der Aufschrift „LOVE“, und unter dem schwarzen Hut ein schlacksiger Körper, der ausgelassen zum Rhythmus eines Songs wippt, der uns beschallen und ihn selbst für diesen Tag in Stimmung bringen soll: „It’s a Man’s, Man’s Man’s World“
Seine Führung indes ist feinste Sahne: Wir erfahren nicht nur alles Wichtige über die Geschichte San Franciscos und die gefährliche Nähe dieser Stadt zur San-Andreas-Verwerfung, die 1906 zu einem verheerenden Erdbeben mit Tausenden Toten geführt hat, sondern beispielsweise auch über die Bedeutung der Stadt für Hollywoods Filmproduktionen … dieses grüne Haus gehört Francis Ford Coppola, in diesem Café an der Straße hat er seinen „Paten“ geschrieben, in jenem Wolkenkratzer wurde das „flammende Inferno“ gedreht, hier schielte Barbra Streisand für die Komödie „Is was, Doc?“, dort entstand Alfred Hitchcocks „Vertigo“ … Und natürlich erfahren wir auch, wie unser Guide in seiner eigenen 20-Quadratmeter-Wohnung zurecht kommt. Die Straßen von San Francisco mit ihren 42 Hügeln sind offenbar ein teures Pflaster zum Leben. Wie dem Liberalismus und dem Blumenkinder-Image zum Trotz gehört die 48 Stockwerke hohe „Transamerica Pyramid“ im Finanzbezirk zu den wichtigsten Symbolbauten der Stadt. Für Touristen ist sie unzugänglich.
Frei steht es uns indes, die traditionellen „Cable Cars“ zu benützen. Die berühmten Straßenbahnen von San Francisco gingen bereits 1873 in Betrieb und rumpeln seither, gezogen von einem zig Kilometer langen unterirdischen Seilsystem, mit beachtlicher Geschwindigkeit die steilen Hügel hinauf und hinab. Die weltweit einzige Kabelstraßenbahn mit entkoppelbaren Wagen ist jedenfalls ein Abenteuer wert, auch wenn die Bahn tagsüber völlig überfüllt ist.
Aber wer Glück hat, dem wird die fast einstündige Wartezeit an der Endstation akustisch verkürzt. Ein Alt-Hippie mit prächtiger Stimme, schwerem Bart und breitem Repertoire unterhält uns mit Verstärker und E-Gitarre. „Waiting for the Cable Car“ … spontan entstehen neue Textzeilen für Evergreens wie „Heart of Stone“. In seiner „extrem überbewerteten Show“, die das treue Publikum immer erst dann verläßt, wenn die nächste Straßenbahn kommt, erzählt der Endbahnhof-Star aus seinem Leben. Daß er schon immer ins Showbiz wollte, aber, wie man sieht, den steinigsten Weg dafür gewählt hat. Ich werfe dem unverdrossenen Entertainer ein paar Dollar in den Hut.
Dann die Fahrt – Mann oh Mann! Der Stehplatz seitlich am Trittbrett des Cable-car-Waggons bietet einem ungeübten Touristen wie mir ein echtes Muskeltraining, sobald es steil bergauf geht. Denn die Füße haben wenig Platz – jedem Trittbrett wurden sechs Fahrgäste zugewiesen –, und die Hände wenig Auswahl zum Festkrampfen. Und hat man sich dann noch unbedacht für die rechte Wagenseite entschieden, kann man eine Rushhour erfahren, die vielleicht doch nicht jedermanns Sache ist – wenn nämlich die Rückspiegel der Autos nur zentimeterweit an den eigenen Beinen vorbeizischen …
Freilich geht es auch gemächlicher – zum Beispiel mit einer Radtour über die „Golden Gate“. Nahe der Brücke beobachten wir fasziniert einen alten Mann, der metergroße Seifenblasen in den Wind schickt. Offenbar einfach nur zum Spaß, eine Spendenmöglichkeit ist nirgendwo auszumachen. Da tritt ein kecker, vielleicht sechsjähriger Junge an ihn heran. „Ich weiß, woher du kommst!“, sagt er.
„Woher komme ich denn?“, fragt der Seifenblasenmacher und blickt den neugierigen Kleinen nur aus den Augenwinkeln an.
„Aus Bubbleland natürlich! Was machst du hier? Spielst du?“, will der Junge wissen.
„Nein!“ Der Alte dehnt singend das Wort und wirft dem Kleinen einen ernsten Blick zu, wonach er eine weitere Riesenblase auf den Weg bringt. „Spielen? Wo denkst du hin? Ich arbeite hart daran, daß mir das Ganze absolut keinen Spaß macht!“
Und wieder nimmt der Wind eine schillernde, wabernde Kugel mit sich und trägt sie in die Richtung einer Insel, die von hier aus gut zu sehen ist … auf der aber wohl unzählige Träume für immer zerplatzt sind: Alcatraz. Das legendäre Gefängnis wird heute mit zynischer Gründlichkeit touristisch vermarktet: Die Standard-Seifen, mit denen sich die Häftlinge zu waschen hatten, gibt es in der Originalverpackung zu kaufen. Auch die Anstaltsregeln dienen als Souvenirs. Zum Beispiel „Regulation #25: YOU ARE NOT ALLOWED TO HAVE MONEY“ – Aufdruck einer Alcatraz-Brieftasche, erhältlich für $ 9,95
1.400 Tonnen schwere Pilze
Nach diesem Sightseeing-Auftakt verlassen wir San Francisco. Vor uns liegen drei ereignisreiche Wochen, in denen wir insgesamt rund 10.000 Kilometer weit durch sieben US-amerikanische Bundesstaaten reisen werden, um einige der bekanntesten großen Nationalparks des Westens zu besuchen.
Zunächst aber bleiben wir in Kalifornien und genießen einen Streckenabschnitt des berühmten Highways No. 1, einer der schönsten Küstenstraßen der Welt. Sie ermöglicht wunderbare Seitenblicke auf den Pazifik und bringt uns nach Santa Cruz und Monterey, das bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Hauptstadt Kaliforniens war und heute vor allem wegen des sehenswerten „Bay Aquariums“ als Touristikzentrum Bedeutung hat.
In südlicher Richtung würde der Highway noch weiter nach Santa Barbara und Santa Monica/Los Angeles führen. Aber auf unserer Reise hat die Natur Vorrang gegenüber der Kultur. Also zweigen wir ab ins Landesinnere.
Unser erstes großes Ziel ist der Sequoia Nationalpark, in dem die mächtigsten Bäume der Welt Jahrhunderte und Jahrtausende unbeeindruckt an sich vorüberziehen lassen.
Der bekannteste Riese trägt – wie könnte es anders sein – den Namen eines Generals. „General Sherman“ wiegt rund 1.400 Tonnen, hat am Boden einen Umfang von mehr als 31 Meter und ist rund 84 Meter hoch. Sein dickster Ast hat einen Durchmesser von über zwei Meter, und in jedem Jahr wächst dem General ebenso viel neues Holz zu wie es einem normalen 18 Meter hohen Baum entspricht.
Und doch sind solche Zahlen nur belanglose Statistik gegenüber dem Eindruck, den die Sequoia-Baumriesen erwecken, wenn man ihnen unvermittelt „von Angesicht zu Angesicht“ gegenübersteht. Unvermittelt, weil man die in 1.500 bis 2.500 Meter Seehöhe liegenden Wälder durchwandern kann wie jeden anderen Wald auch – wobei hier eben zwischen den Bäumen normaler Größe plötzlich alles überragende Riesengewächse zu entdecken sind, mehrere Tausend insgesamt. „Eigentlich ist es wie beim Pilzsuchen“, bemerkt Alfred, „auf einmal wird man überrascht.“ Nur sind die „Sequoia-Pilze“ tonnenschwer und bis zu 3.200 Jahre alt – und sie dürfen zum Glück nicht „geerntet“ werden.
Noch höhere, aber bei weitem nicht so mächtige Bäume findet man im „Redwood Nationalpark“ im Norden Kaliforniens. Die rotbraunen Riesen wachsen dort bis zu 115 Meter hoch in den Himmel. Ihr Stammdurchmesser beträgt allerdings maximal sechseinhalb Meter, während es die Sequoia-Giganten auf mehr als 12 Meter bringen können.
Seinen Besuchern hat der Sequoia-Nationalpark auch über die „Riesenpilze“ hinaus einiges zu bieten. Die beeindruckenden Höhlen von „Crystal Cave“ beispielsweise, Bergseen, Wanderrouten für alle Ansprüche oder gelegentlich auch frei lebende Bären. Wir haben das Glück, einen vom Auto aus beobachten zu können, wie nur wenige Meter entfernt von uns den Wald durchstreift.
Direkt an den Sequoia-Nationalpark schließt der „Kings Canyon Nationalpark“ an. Eine Fahrt durch seine mächtigen Gesteinsformationen bietet märchenhafte Eindrücke fürs Leben. Unfaßbar eigentlich, welcher Aufwand betrieben wurde, um diese längste zusammenhängende Gebirgsregion Nordamerikas für den Autoverkehr zu erschließen. Der Höhenunterschied zwischen den saftig grünen Tälern und den Gletschergipfeln beträgt nahezu 4.000 Meter!
Nicht zum letzten Mal auf dieser Reise fehlt uns die Zeit für ausgedehnte Wanderungen. Ein paar Tage oder Wochen mehr wären gut … dieser Gedanke wird zum ständigen Reisebegleiter. Aber wer den Überblick sucht, muß auf manches verzichten …
Im Rollstuhl Richtung Paradies
Unser nächstes, etwas weiter nördlich gelegenes Ziel ist eine Region, die der oft zitierte amerikanische Naturforscher John Muir mit den Worten beschrieb: „Das ist der bei weitem großartigste aller besonderen Tempel der Natur, die ich jemals betreten durfte!“
Im „Yosemite Nationalpark“ liegen schroffe Granitwände mit beeindruckenden Wasserfällen, weitläufige Hochebenen, seenreiche Täler und gewaltige Sequoia-Wälder dicht beieinander. Zum größten Teil ist das weitläufige Gebiet bis heute reine Wildnis, in die sich nur passionierte Kletterer, Abenteuerlustige und gelegentlich Park-Ranger begeben.
Etwa fünf Prozent des „Wild Yosemite“ aber sind für den Tourismus erschlossen – und wie! „Yosemite Village“ beispielsweise ist völlig barrierefrei gestaltet. Rollstuhlfahrer gelangen sogar bis zu einem Wasserfall, und das perfekt organisierte Shuttle-Bussystem erlaubt es, auch ohne eigenes Auto wichtige Trailheads für Wanderungen zu erreichen.
Wir wählen für den täglichen Marsch, den wir uns vorgenommen haben, den „Nevada“-Wasserfall als Ziel – und dürfen hier einige Stunden erleben, die rückblickend zu den eindrucksvollsten der Reise gehören.
Wer die freie Natur sucht, schätzt Menschenmassen nicht besonders. Und hier sind, wenigstens auf den ersten hundert Höhenmetern, wirklich Massen unterwegs, unterschiedlichste Gestalten aller Farben und Größen! Aber seltsam … sie sind keine Last. Eher noch erinnern all diese Menschen, wie sie die steinernen Stufen hinanstreben, an eine Pilgergemeinschaft. Begeisterung, Ausgelassenheit, Übermut, Demut … jede Gemütsäußerung scheint einer gemeinsamen Andacht ergeben, in der das Rauschen des über die Felsen stürzenden Merced River richtungweisend die Sinne umfängt. Und spätestens wenn die frühe Nachmittagssonne im Überfluß dieser Offenbarung von Naturschönheit einen zarten Regenbogen über den Bergsee spannt, durchglüht das Herz ein fernes Ahnen davon, was Heimat wirklich ist …
Bezwingende Logik
„Ich bin fertig!“ Im Vorübergehen, stolz, aber wie nebenbei, teilt der rundliche kleine Mann der sympathischen Dame an der Kassa des „Safeway“-Supermarkts die frohe Nachricht mit.
„Wirklich? Darf ich es sehen?“, ruft sie strahlend zurück, während sie die meinen Einkauf abrechnet.
Er nickt und schlurft an uns vorbei. „Ja, jederzeit!“, sagt er in gleichgültigem Tonfall, würdigt sie keines weiteren Blicks und steuert auf den Ausgang zu. Allzu gute Bekannte offensichtlich. Aber das fröhliche Gemüt der Frau bleibt ungetrübt. „Danke für die Einladung!“, ruft sie ihm nach. Dann bemerkt die Kassierin meinen neugierigen Blick und erklärt entzückt, dass dieser Mann soeben seine gesamte Grünfläche gegen künstlichen Rasen ausgetauscht habe. Das sei doch großartig. Sobald sie genügend Geld habe, würde sie das auch sofort tun.
Vorsichtig gebe ich zu verstehen, dass mir diese Heldentat nicht wirklich einleuchtet. Immerhin bin ich in die USA gekommen, um hier die großen Nationalparks zu besuchen. „Finden Sie nicht, dass die Natur auch recht schön … dass etwas Natürliches doch eigentlich besser ist als Kunstrasen?“
„Aber nein“, wehrt sie entschieden ab. „So ein Rasen sieht absolut perfekt aus. Man braucht ihn weder zu mähen noch zu gießen.“ Und weniger Arbeit im Garten würde doch bedeuten, dass sie und ihr Mann mehr Freizeit hätten, um drinnen gemütlich fernzusehen.
Dieser bezwingenden Logik habe ich nichts entgegenzusetzen, und während ich den Proviant für die nächsten Tage einpacke, fällt mir das Bonmot eines Verwandten ein, der über die USA einmal bemerkte, Amerika wäre ja recht schön, wenn da nur die Amerikaner nicht wären …
Patriotisch, naturfern und übergewichtig?
Nein, eigentlich sind solche Vorurteile Unsinn. Klar, auf Deutsche oder Österreicher mögen US-Amerikaner bisweilen etwas einfältig und allzu leicht manipulierbar wirken, und bisweilen hat man in Gesprächen tatsächlich den Eindruck, sich in einen TV-Werbespot verirrt zu haben. Aber die offene, vertrauensselige Haltung, die dem zugrunde liegt, könnte ich nicht guten Gewissens einfach als falsch verurteilen. Jedenfalls findet man die menschliche Wärme, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die uns auf dieser Reise als Selbstverständlichkeit immer wieder begegnet, in unseren Breiten eher selten.
Überzogener Patriotismus?
Klar, amerikanische Flaggen in allen Größen und Formen werden in den USA inflationär eingesetzt. Man findet sie praktisch überall, auf Autos und Farmen, an Fassaden und auf Dächern, als T-Shirt oder Hausbemalung. Und auf ihre „verlässlichen Jungs in der Army“ sind natürlich auch alle stolz. Aber hinter dieser Haltung steht, wie sich auf unserer dreiwöchigen Reise durch sieben US-amerikanische Bundesstaaten angenehmerweise immer wieder zeigt, keinerlei Fremdenfeindlichkeit. Im Gegenteil: Das Interesse an allem Neuen, Unbekannten ist ausgeprägt und echt, und ich lerne aus meinen Gesprächen, dass Österreicher in den USA immer noch zur Kategorie exotischer Raritäten zählen. Arnold Schwarzenegger zum Trotz.
Naturferne?
Jedenfalls ist die Begeisterungsbereitschaft auch für zweifelhafte „Segnungen“ der Technik in den USA offenbar besonders groß. Auf dem Campingplatz von Arco werden beispielsweise T-Shirts angeboten, die die Stadt als „erste ausschließlich mit Atomkraft betriebene City der Welt“ bewerben. Andererseits gibt es keine bekannte Umweltschutz-Strategie – von der Mülltrennung über Bio-Lebensmittel bis hin zur Plastikvermeidung oder Solar- und Windenergie –, für die nicht auch in den USA heftig geworben würde.
Eine Nation der Übergewichtigen?
Mancherorts – aber sicher nicht in den Nationalparks – wälzen sich wohl mehr fettleibige Menschen durch die Straßen als im deutschsprachigen Raum. Und meist werden die Vereinigten Staaten ihrem Image als Fast-food-Nation auch gerecht. Vor allem in den Großstädten und Touristenzentren bieten „Restaurants“ oft nicht das, was verwöhnte Gourmets unter dieser Bezeichnung erwarten. Meist kommen hier nur irgendwelche Fastfood-Varianten auf den Tisch – Fertiggerichte, serviert in Plastikbehältern, essbar mit Plastikbesteck. Dennoch: Die Vorstellung, die meisten Amerikaner würden sich ausschließlich im Supersize-me-Modus ernähren und könnten ihr Körperfett kaum noch fortbewegen, ist eine entstellende Übertreibung. Mit etwas Mühe lassen sich allerorts gute Gasthäuser finden, und Städte wie San Francisco (wo man in jedem Tag des Jahres in einem anderen Restaurant speisen könnte) oder San Diego erweisen sich sogar kulinarische Hochburgen. –
Ob sich Vorurteile bestätigen, darüber entscheiden letztlich immer persönliche Blickwinkel und Sympathien. Der schnaufende, schwer übergewichtige amerikanische Junge beispielsweise, der auf den Boardwalks des Yellowstone-Nationalparks nur mit Mühe vorankommt, sich aber überschwänglich an den Wundern der Natur erfreut, ist mir in diesem Moment weitaus sympathischer als der deutsche Tourist, der sich mit schneidender Stimme darüber echauffiert, wie unverantwortlich es doch von „den Amerikanern“ sei, „ihre Kinder so fett zu füttern“.
Bizarre, schwarzgrüne Einöde
Aber halt! Noch trennen uns ein paar hundert Meilen vom Yellowstone Nationalpark. Nachdem wir im US-Bundesstaat Kalifornien die Nationalparks Sequoia, Kings Canyon und Yosemite durchquert und sie uns auch ein wenig „erwandert“ haben – und den ob seiner Hitze berüchtigten „Wüstenpark“ Death Valley auslassen mussten, weil unser Wohnmobil-Vermieter Reisen in die bis zu 45 Grad heiße Gegend ausdrücklich verboten hatte –, überqueren wir nun den 3.000 Meter Hohen Tioga-Pass in Richtung Mono Lake. Phantastische Ausblicke, Meile für Meile!
Dann der anvisierte Zwischenstopp: Gäbe es auf dem Mond einen See, er würde wahrscheinlich so aussehen wie diese Wasserwüste nahe der Geisterstadt Bodie. Überhaupt: Wer tiefer in die Geschichte des Wilden Westens eintauchen und das bestens konservierte Goldgräber-Flair genießen möchte, sollte sich Zeit nehmen für den Highway 49 zwischen Sonora und Nevada City. Entlang der Vorberge der Sierra Nevada reiht sich hier ein namhaftes Städtchen an das nächste: Hangtown, Angels Camp, Chinese Camp, Jackson, Columbia …
Uns aber zieht es weiter in Richtung Nordosten. Auch der weltbekannte Lake Tahoe, die kalifornische Schweiz, dieses ins Gebirge gebettete Mega-Tourismuszentrum, dient nur als kurzer Zwischenstopp. Nett anzusehen; lustig, am Ufer des Sees etwas über die Geschichte eines verbotenen Casinos und eines Sheriffs zu erfahren, der gegenüber der ungesetzlichen Spiellust seiner Zeitgenossen ziemlich hilflos agierte; romantisch, die „Ecke“ vor sich zu erleben, die Kate Bush zu ihrer Winterballade über eine viktorianische Geisterlady inspirierte … aber nicht attraktiv genug, um uns länger aufzuhalten.
Wir durchqueren die Wüste Nevada, lassen uns im Bundesstaat Idaho zu einem letzten Abstecher ins berühmte Sun Valley verleiten (das schon Ernest Hemingway schätzte, uns unvorbereitete Herbst-Tagesgäste aber eher enttäuschte), und wollen nun so schnell wie möglich Yellowstone erreichen.
Doch an diesem späten Nachmittag, kurz vor dem Sonnenuntergang, hindert uns der Blick durch die Windschutzscheibe – wieder einmal – am Weiterfahren: Ringsum schwarzblauer Schotter, erstarrte Lavaerde, dazwischen das tiefe Grün junger Vegetation, und alles vom Abendlicht in kräftiges Orangerot getaucht: „Craters of the Moon“ heißt diese einzigartige Hügellandschaft, eine bizarre Öde, die zu stillem Staunen zwingt … sofern man nicht US-Astronaut ist und hier seine Trainingsstunden absolvieren muss.
Über den Westeingang ins Jenseits
Tags darauf ist das große Ziel unserer Reise erreicht: Über den Targhee-Pass und den nahe gelegenen West-Eingang im US-Bundesstaat Montana erreichen wir den Yellowstone-Nationalpark. Und hier tut sich Schritt um Schritt eine unwirkliche „Jenseitswelt“ auf, zunächst nur als dampfender Horizont in der Ferne, in der Nähe dann als überwältigende Farben- und Formenpracht. Die insgesamt 300 Geysire und 10.000 heißen Quellen – jeder kleine See ein kostbares Juwel, das durch Mikroorganismen, je nach Temperatur, in unterschiedlichsten Farbkompositionen zum Funkeln gebracht wird – ziehen uns tagelang in den Bann. Erstmals empfinde ich einen Schauer, den ich nur mit „atemberaubend“ beschreiben kann – im Bewusstsein, dass ich diesen Begriff künftig vielleicht nie wieder verwenden werde, um ein ähnliches Erlebnis in Worte zu fassen. Denn es gibt kein ähnliches Erlebnis.
Yellowstone ist der älteste Nationalpark der USA und der erste der Welt. Am 1. März 1872 wurden die Geysire, die Berge und Seen, Wasserfälle, Canyons und Wälder unter Schutz gestellt und für die Allgemeinheit erschlossen. Heute sorgen auf den fast 9.000 Quadratkilometern Parkfläche mehrere Besucherzentren und Museen dafür, dass auch Menschen, die kein Bedürfnis nach Wildnis haben, bequem Natur konsumieren können. Zum Beispiel eine Eruption des berühmten Geysirs „Old Faithful“: Sie wird im nahegelegenen Park-Center auf plus/minus zehn Minuten genau angekündigt, und der „treue Alte“ enttäuscht nie. Überraschend bleibt nur, wie hoch der brodelnde Untergrund das heiße Wasser diesmal gen Himmel pusten wird.
Aber weder die Touristenströme – etwa drei Millionen Besucher aus aller Welt besuchen jedes Jahr den „Yellowstone“ –, noch das gut ausgebaute Straßen- und Wegenetz, noch die vielen anderen zivilisatorischen Errungenschaften können ganz vergessen machen, dass unter diesem Paradies, in 8 Kilometern Tiefe, die Hölle lodert – der größte Supervulkan des amerikanischen Kontinents. Vor etwa 1,3 Millionen Jahren ist er ausgebrochen, dann erneut vor 640.000 Jahren – und liegt darin tatsächlich eine Art Rhythmus, dann steht eine neue Eruption unmittelbar bevor. Und damit nicht irgendein Vulkanausbruch: Sollte sich der Yellowstone-Vulkan wirklich entfesseln, dürften die katastrophalen Folgen auf der gesamten Nordhalbkugel spürbar sein …
Noch lässt sich diese Urgewalt im Untergrund bestenfalls erahnen – im Brodeln und Gurgeln der Teiche und Schlammtöpfe. Auf den kilometerlangen, rollstuhlgerechten Boardwalks fühlt man sich sicher. Und wenn irgendwo das heiße Wasser plötzlich meterhoch aus einer Pfütze spritzt, so wirkt das eher spielerisch und neckisch denn bedrohlich.
Doch allzu romantische Interpretationen des Naturgeschehens überdecken manchmal auch Empfindungen, die zur Vorsicht mahnen wollen. Die Park-Ranger des Yellowstone wissen ein Lied zu singen von Touristen, die sich Elchen, Bisons, Schwarz- und Grizzlybären so unvernünftig nähern, als wären sie im Zoo … oder als wäre das, was sie sehen, doch nur eine Fernsehdokumentation. Und der künstliche Rasen im Garten hinter dem Haus die eigentliche Wirklichkeit.
„Yellowstone ist schön, klar, aber was Sie unbedingt sehen müssen, ist Grand Teton. Der ist wirklich einzigartig!“ Die in die Jahre gekommene Rangerin, der ich erzählt habe, dass wir auf unserer Reise durch den Westen der USA schon einige Nationalparks besucht haben und noch ein paar weitere sehen wollen, meint es gut mit uns. Und es wäre nicht das erste Mal, dass wir die besten Tips nicht aus dem Reiseführer, sondern von netten, hilfsbereiten Landsleuten bekommen.
Der Grand Teton Nationalpark also.
Zunächst steht aber noch ein Tagesausflug auf unserer Reiseziel-Wunschliste. Er führt von Yellowstone nach Cody in den Bundesstaat Wyoming, mitten ins Zentrum des Wilden Westens. Hier gibt Buffalo Bill noch heute den Ton an: Ein mehrstöckiges Museum mit aufwändigen Multimedia-Ausstellungen und einem Skulpturenpark präsentiert „den wirklichen amerikanischen Westen“: Natur und Kultur, Tiere und Feuerwaffen, Indianer und Cowboys … so sehenswert, dass sie auch in der Reiseplanung von weniger an Geschichte interessierten Touristen mit wenigstens einem Tag veranschlagt werden sollte.
Grand Teton also.
Dieser Nationalpark liegt nur ein paar Meilen vom Yellowstone entfernt, unweit vom Südportal. Die Szenerie: mächtige, schroffe Berggipfel, über 4.000 Meter hohe Türme. Beeindruckend, gewiss … aber wirklich außergewöhnlich? Für zwei Österreicher? Schließlich sind wir nicht in die USA gereist, um das zu erleben, was wir ohnehin „vor der Haustür“ sehen können. Oder sind wir einfach so verwöhnt und betriebsblind geworden, dass wir das Einzigartige, das die eigene Heimat bietet, nicht mehr ausreichend wertschätzen und visuelle Schätze immer nur in der Ferne vermuten? Der Gedanke beschäftigt mich. Der Tipp, liebe Rangerin, war auf jeden Fall erkenntnisreich.
Kurzer Rasen und lange Glaubenstradition
Wir reisen weiter in Richtung Süden und besuchen im Bundesstaat Utah, begrüßt von dichten Vogelschwärmen, die Salzseewüste „Antelope Island“, und danach die fast schon zu Tode gepflegte Mormonen-Metropole Salt Lake City. Hier im Zentrum herrscht absolute Sauberkeit. Kein Grashalm am Wegrand überragt die Betonkante, keine Fassade ist verschmutzt. Und jeder Blick wird vom Missionsgedanken geleitet: Ob er nun beispielsweise auf den „Salt Lake Tempel“ fällt, der Ende des 19. Jahrhunderts als Zentrum des 40.000 Quadratmeter umfassenden „Temple Square“ errichtet wurde, oder auf die prächtigen Hochhäuser der „Zion Bank“ oder der „Key Bank“, die das Symbol des Himmelsschlüssels plakativ in den Dienst der Geldwirtschaft stellt.
Im deutschsprachigen Raum werden die Mormonen (eigentlich ist das eine Sammelbezeichnung für mehrere Glaubensgemeinschaften, die sich auf das 1830 veröffentlichte „Buch Mormon“ berufen) meist ins Sekteneck gerückt und damit – wie alle anderen Glaubensgemeinschaften abseits der etablierten Kirchen – als Außenseiter gebrandmarkt, denen man zumindest vorsichtig begegnen sollte.
In den USA sieht man Religiosität im allgemeinen weniger eng – und gleichzeitig hat sie einen höheren Stellenwert im gesellschaftlichen Leben als bei uns. 80 von 100 US-Amerikanern gehören einer Glaubensgemeinschaft an, 75 von den 80 einer christlichen Gemeinschaft. Mehr als die Hälfte der Amerikaner gibt an, regelmäßig zu beten, etwa 40 Prozent besuchen mindestens einmal pro Woche eine Kirche.
Traditionell prägen in den USA überwiegend evangelische Gemeinschaften den christlichen Glauben. Da die Protestanten aber unterschiedlichen Konfessionen angehören, kann die römisch-katholische Kirche von sich behaupten, in den meisten Bundesstaaten die größten Glaubensgemeinschaften zu bilden. Nur eben nicht in Idaho und Utah. Denn hier „regieren“ die Mormonen, die USA-weit drittgrößte konfessionelle Gemeinschaft. Deren wichtigste Glaubensgrundlage ist zwar auch die Bibel, aber sie gehen davon aus, dass die Schriften des Neuen Testaments nicht die letzten Offenbarungen waren und betrachten das „Buch Mormon“ ebenfalls als „heilige Schrift“. Zurückgehen soll diese Textsammlung auf den Propheten Mormon und dessen Sohn Moroni. Um etwa 400 n. Chr. sollen diese beiden auf Goldplatten überlieferte Berichte des Propheten Nephi (um 600 v. Chr.) zusammengefasst und durch eigene Offenbarungen weitergeführt haben: Nephi und seine Familie seien demnach schon 1.000 Jahre vor Mormon im Auftrag Gottes per Schiff von Jerusalem nach Amerika gelangt und hätten dort eine große Zivilisation entwickelt.
Öffentlich gemacht und ergänzt durch ein neues, besonders Glaubensbekenntnis hat all das Joseph Smith (1805–1844), der 1830 „Die „Kirche Christi“ (ab 1834 „Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage“) gründete. Ihm sei (im Jahr 1823) Moroni als Bote Gottes erschienen – mit dem Auftrag, den Menschen „die Fülle des immerwährenden Evangeliums“ zu bringen. So entstand eine neue Kirche, die heute mit dem Hinweis auf die jetzige „Endzeit“ („die letzten Tage“) und den Wert neuerer Offenbarungen weltweit Missionsarbeit betreibt.
Joseph Smith lebte in der Stadt Nauvoo, im vom Salt Lake weit entfernten US-Bundesstaat Illinois, wo er zuletzt auch als Bürgermeister tätig war. Als eine neue örtliche Zeitung, der „Nauvoo Expositor“, in ihrer ersten (und letzten) Ausgabe seine Lebensweise als anstößig verurteilte und ihn als gefallenen Propheten bezeichnete, erwirkte Smith den Beschluss des Stadtrates, Druckstöcke und Druckpresse zu vernichten. Wegen dieses Angriffs auf die Pressefreiheit musste er in Untersuchungshaft und wurde letztlich von einer aufgebrachten Menschenmenge durch Schüsse getötet. Dieser Lynchmord beendete das Leben des Religionsgründers – keine himmlische Szene aus dem Wilden Westen.
Amphietheater aus rotem Stein
Die Stadt Salt Lake City wurde im Jahr 1847 vom Nachfolger Joseph Smiths, Kirchenpräsident Birgham Young (1801–1877), gegründet. Er zog Mitte des 19. Jahrhunderts gemeinsam mit den meisten seiner Glaubensgenossen aus Nauvoo, der ursprünglichen Mormonen-Stadt, 2.000 Kilometer westwärts – in ein Gebiet, das damals noch zu Mexiko gehörte und praktisch Niemandsland war. Hier konnte man sich vor den Feinden des neuen Glaubens weitgehend sicher fühlen.
Und die Mormonen – ursprünglich sollen es nach der Überlieferung 143 Männer, drei Frauen und zwei Kinder gewesen sein – schafften es, in einer relativ unwirtlichen, aber landschaftlich überaus beeindruckenden Gegend Fuß zu fassen. Einige der strenggläubigen Siedler fanden dann auch jenen „Zufluchtsort“ – in hebräischer Sprache „Zion“ –, der einem der schönsten Nationalparks der USA seinen Namen gab: Der „Zion Nationalpark“ ist für Wanderer und Kletterer ein (gar nicht so) kleines Paradies – und bietet auch unerwartete Abenteuer. Zum Beispiel für uns Wohnmobil-Reisende. Die Zufahrt in den Park führt nämlich durch einen niedrigen, dunklen Tunnel, der in den 1920er Jahren in den Fels geschlagen worden war – als Autos noch klein und selten waren. Damit den Zion-Mt. Carmel-Tunnel ein größeres Fahrzeug wie unseres ungefährdet passieren kann, wird der Gegenverkehr angehalten – und ich als Lenker dazu, das Licht anzuschalten und genau in der Mitte zu fahren, damit der Wohnmobil-Aufbau nicht an der abgerundeten Tunneldecke streift. Ein spannendes Unterfangen, das sich letztlich allerdings als weniger aufregend erweist als die professionalisierten Warnungen für unseren „Schwertransport“ im Vorfeld.
Ausgehend vom Besucherzentrum des „Zion Nationalparks“ sorgen dann Shuttle-Busse für den Transport zu den wichtigsten Aussichtspunkten und Wanderrouten – etwa in das Gebiet des „Temple of Sinawava“ oder zum wasserspeienden „Weeping Rock“.
Aber all diese Eindrücke, oder auch der „Red Canyon“, oder das Nationalmonument „Cedar Breaks“ mit seinen bizarren Formationen aus Sandstein, alle diese Erlebnisse inmitten der großartigen Naturlandschaften von Utah sind letztlich nur eine sanfte Einstimmung für das, was uns mit dem „Bryce Canyon“-Nationalpark erwartet: ein weites Amphietheater aus rotem Fels.
Unglaublich.
„Hoodoos“ werden die farbigen Säulen an der Abbruchkante des Paunsaugunt-Plateaus genannt. Der Wind hat diese Großstädte aus Stein in den letzten 50 oder 60 Millionen Jahren geformt – und sicher nur als Atem machtvoller Naturwesen, die hier ein Postament für die Überzeugung, dass höhere gestaltende Mächte über uns walten, in die irdische Welt gemeißelt haben. Nüchternere Gedanken lassen die wohligen Begeisterungsschauer angesichts dieser Schönheit kaum zu. Außer vielleicht, aber das ist nebensächlich, dass der „Bryce Canyon“ alles ist, nur gewiss kein Canyon. Denn es gibt weit und breit keinen Fluss.
Dafür aber einzigartige Wandermöglichkeiten am Rand des steinernen Amphietheaters und auch – auf dem laut Werbung „schönsten Drei-Meilen-Weg der Welt“ – hinab in das Labyrinth aus rötlich getönten Figuren, Pyramiden, Säulen und zig Meter hohen Baumriesen, die zwischen dem Stein hinauf zum Licht gefunden haben. Die Farben hier unten sind so allgegenwärtig sonderbar, dass der automatische Weißabgleich meiner Filmkamera völlig versagt und den braunroten Stein in ein lächerliches Pink verwandelt.
Das lange Zeit touristisch kaum erschlossene Gebiet auf dem Colorado-Plateau im Südwesten Utahs – etwa 80 Kilometer vom Zion-Park entfernt, aber etwa 300 Meter höher gelegen – wurde erst im Jahr 1928 zum Nationalpark erklärt. Seinen Namen erhielt es von dem schottischen Schiffbauer Ebenezer Bryce, einem der ersten weißen Siedler. Auch er gehörte den Mormonen an, die das Gebiet Mitte des 19. Jahrhunderts erkundeten, um zu erforschen, ob es sich für die Viehzucht oder den Ackerbau eignen könnte. 1868 baute Bryce übrigens die „Pine Valley Chapell“, eine Kapelle in der Form eines umgedrehten Schiffsrumpfes. Sie gilt heute als die am längsten kontinuierlich genutzte Kirche der Mormonen.
Eine Tagesreise für nur zehn Meilen
„Bryce ja, Canyon nein“, lautet meine Kurznotiz. Aber kein Problem. Der „Canyon aller Canyons“ steht sowieso noch als „Muss“ auf unserer Reise-Wunschliste …
Und da sind wir.
Zunächst erwandern wir uns das weniger bekannte „North Rim“, zumindest den für den Tourismus erschlossenen Hauptpfad am Nordrand. Der krönende Abschluss unserer Reise durch die Nationalparks im Westen der USA!
Rund 2.250 Kilometer weit fließt der Colorado River von Colorado in den „Gulf of California“ und hat dabei den 450 Kilometer langen „Grand Canyon“ in das Colorado-Plateau gegraben, eine spektakuläre Naturlandschaft, die zu den größten Naturwundern der Erde zählt. Seit 1979 trägt sie das Prädikat „Weltkulturerbe“, um, wie wir aus dem Guide erfahren, „1,8 Milliarden Jahre Erdgeschichte“ zu schützen, „einschließlich einer Vielzahl von Fossilien aus vorgeschichtlichen Meeren und Wüstengebieten. Von der Canyonebene bis hinunter zum Colorado River bieten fünf Lebenszonen 1.750 Pflanzen- und 538 Tierarten eine ökologische Heimat“.
Vom Nordrand kann man zum touristisch noch besser erschlossenen (und ob seiner Nähe zu Las Vegas auch viel bekannteren) Südrand des Canyons blicken. Der Abstand beträgt nur 10 Meilen, also 16 Kilometer. Aber wer mit dem Auto von einem Punkt zum anderen will, hat eine Tagesreise zu bewältigen.
Dafür kann sich, wer will, am Südrand die Canyon-Highlights per Shuttle-Bus „erobern“. Die Touristenströme – etwa fünf Millionen Besucher im Jahr – werden hier perfekt organisiert auf mehrere Busrouten verteilt. Und natürlich würde auch der „South Rim“ Wandergelegenheiten für viele Tage bieten.
Da ist er wieder – unser unangenehmer Reisebegleiter, der Kampf mit dem Kalender. Denn wir haben, alles in allem, nur knapp vier Wochen zur Verfügung. Monate wären nötig.
Also beschließen wir, die weiteren Zielpunkte auf unserer Reiseroute nur noch zu „streifen“. Und die Entscheidung erweist sich als richtig. Klar, die Zaubershow von David Copperfield im MGM-Theater von Las Vegas „kann auch etwas“, der phantastische Safari-Park von San Diego oder die Besichtigung der „Universal Studios“ von Hollywood in Los Angeles sind allemal eine Reise wert. Auch die Lockungen menschlicher Kunstwelten faszinieren auf ihre Art.
Tief empfundene Begeisterung hat mir indes in dieser wunderbaren Zeit immer nur die Natur geschenkt.