24. April 2024

„Die Leute der Stadt sollen sie zu Tode steinigen!“

Vom menschenverachtenden Irrtum, die Bibel wörtlich zu nehmen

Während in naturwissenschaftlich orientierten Kreisen der Atheismus mittlerweile der am weitesten verbreitete Glaube sein dürfte, regt sich gleichzeitig verstärkt ein gefährlicher religiöser Fundamentalismus. In Internet-Kommentaren zu spirituellen oder allgemein weltanschaulichen Fragen muss man nicht lange nach Aussagen suchen, die verraten, dass viele Gläubige in der wörtlichen Auslegung der „Heiligen Schrift“, des sogenannten „Wortes Gottes“ ihr Heil gefunden haben. „Lies die Bibel!“ tönt ihr Ruf.

Also lesen wir:

Unter 5. Mose 22 beispielsweise eine an die Dorfgemeinde gerichtete Aufforderung zur Tötung. Wenn einer Tochter, die noch im Haus des Vaters wohnt, vorehelicher Geschlechtsverkehr nachgewiesen werden konnte, „… so soll man sie heraus vor die Tür ihres Vaters Hauses führen, und die Leute der Stadt sollen sie zu Tode steinigen“.

Noch schärfer: Unter 2. Mose 35,2 wird die Tötung jedes Menschen gefordert, der die „Sabbatruhe“ nicht einhält, also den „siebenten Tag“ nicht heiligt: „Wer an dem arbeitet, soll sterben.“

Auch ein Fluch rechtfertigt den Tod eines Menschen: „Welcher der Herrn Namen lästert, der soll des Todes sterben; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen.“ (3. Mose 24,16)

Den Tod verdienen nach 3. Mose 20,10 nicht nur Ehebrecher(innen), sondern auch Schwule („Wenn jemand beim Knaben schläft wie beim Weibe, die haben einen Greuel getan und sollen beide des Todes sterben“) sowie alle, die in Blutschande leben.

Gegen Gottes Willen richtet sich laut 3. Mose 20,6 ebenso, wer sich an „Wahrsagern oder Zeichendeutern“ orientiert. Wenn eine Seele ihnen nachfolgt, so spricht Gott dieser Bibelstelle zufolge, „so will ich mein Antlitz wider dieselbe Seele setzen und will sie aus ihrem Volke ausrotten.“

Kein Problem ist dagegen die Sklaverei. Nach 2. Mose 21,2 kann sich der Gläubige Knechte kaufen, die „sechs Jahre dienen“ sollen (im siebenten Jahr soll der Knecht dann frei ausgehen); dem Vater ist auch der Verkauf der Tochter (2. Mose 21,7) grundsätzlich gestattet. –

Es gäbe noch zahlreiche weitere Beispiele, die die Blutrünstigkeit biblischer Schriften belegen. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ – dieses biblische Prinzip ist längst sprichwörtlich geworden. Rache, Menschenopfer, Mord, Rassismus, Sklaverei – all das lässt sich durch das Alte Testament, also durch die Schriften, die vor Christi Geburt entstanden sind, problemlos rechtfertigen.

Freilich: Es gibt auch die Bergpredigt Jesu im „Neuen Testament“, die Lehre der bedingungslosen Gottes- und Nächstenliebe, die wie ein Lichtfels aus der Finsternis ragt und eine grundlegende Lebensorientierung bietet, die heute ebenso gültig ist wie vor 2.000 Jahren. Und es geht hier auch gar nicht darum, die Bibel insgesamt in Frage zu stellen.

Es geht um den Irrtum, die alten Schriften und ihren Anspruch, den Willen Gottes zu widerspiegeln, wörtlich zu nehmen.

Nichts spricht dagegen, in den vor- und nachchristlichen Texten spirituelle Anregung zu suchen, Halt, Trost und Zuversicht. Aber sie in ihrer Ganzheit, ohne weiter nachzudenken, unreflektiert als Maßstab zu empfehlen, ist, wie die wenigen ausgewählten Beispiele zeigen, naiv, dumm und menschenverachtend. Letztlich wird dadurch auch der Atheismus gefördert. Denn Menschen mit einigermaßen gesundem Gemüt wehren sich instinktiv gegen die Lehre von einem Gott, der aus vergleichsweise banalen Gründen zur Steinigung aufruft und dem die Einhaltung dogmatischer Grundsätze wichtiger ist als die Lebens- und Entwicklungsmöglichkeit seiner Geschöpfe.

Dass sich das Bild von einem rächenden, strafenden Gott und die daraus resultierende Angst bestens zur Disziplinierung der gläubigen Masse eignet, haben machtorientierte Priester und religiöse Führer sicher schon vor Tausenden Jahren erkannt.

Im besten Fall können biblische Texte als göttlich inspiriert betrachtet werden, wenn geistig entwickelte Menschen wirklichen Kontakt zu höherer Weisheit und Erkenntnis fanden und dies in den Worten ihrer Sprache ausdrücken konnten. Im schlimmsten Fall handelt es sich um reine Erfindungen.

Die Grenzen zwischen Geschichtsschreibung, Sage und Mythologie, zwischen Tatsache, Meinung und Interpretation verschwimmen in den den biblischen Texten.

Das wohl folgenreichste aller Bücher, die je veröffentlicht wurden, benötigt mündige, selbständig denkende Leser mit wacher Empfindungsfähigkeit. In Zeiten des neu aufkeimenden religiösen Fundamentalismus mehr denn je.

Literaturhinweis: Alle Zitate stammen aus: „Die Bibel nach Luther – Altes und Neues Testament“, Revision von 1912, ISBN 978-3-95418-106-3