20. April 2024

„Die Liebe ist ein widerspenstiger Vogel“

Carmen

• Ein Drama in vier Aufzügen von Georges Bizet

Libretto: Henri Meilhac (1831–1897); Ludovic Halévy (1834–1908)
Musik: Georges Bizet (1838–1875)
Uraufführung: 3. März 1875, Paris (Opéra Comique)
Dauer: ca. 3 Stunden, zwei Pausen

Aufzüge:
1. Ein Platz in Sevilla, Spanien
2. Die Schenke des Lillas Pastia
3. Eine wilde Felsenschlucht
4. Ein Platz in Sevilla, vor einer Arena

Hauptpersonen:
Carmen, eine Zigeunerin: Mezzosopran
Don José, ein Sergeant: Tenor
Escamillo, ein Torero: Bariton
Micaëla: Sopran
Dancairo, ein Schmuggler: Tenor
Remendado, ein Schmuggler: Tenor
Zungia, ein Leutnant: Bass
Moralès, ein Sergeant: Bariton
Frasquita, eine Zigeunerin: Sopran
Mercedes, eine Zigeunerin: Sopran

Kurze Werkeinführung

Die Oper „Carmen“ ist das bekannteste Werk des französischen Komponisten Georges Bizet und eine der bekanntesten und populärsten Opern überhaupt. Sie spielt in Spanien, in und bei Sevilla in der Zeit um 1820. Als Grundlage für die Handlung diente den Librettisten eine wahre Begebenheit, die der französische Erzähler Prosper Mérimée (1803–1870) in seiner Novelle „Carmen“ festgehalten hatte: das Schicksal des Räubers José Castro, der einer Zigeunerin begegnete und ihren Reizen verfiel, schließlich sogar zum Mörder wurde.

Die musikalische Gestaltung der Oper „Carmen“ war für die Zeit ihrer Uraufführung (1875) so ungewöhnlich und neu, dass sie nicht sofort zum Erfolg wurde. Vor allem mit dem letzten Akt, der keine der üblichen Arien enthält, konnte das Premierenpublikum wenig anfangen. Erst nach Aufführungen in Wien (23. Oktober 1875) und Brüssel begann „Carmen“ ihren weltweiten Siegeszug. Nach ihrer Erstaufführung in St. Petersburg schrieb Peter Iljitsch Tschaikovsky: „Carmen ist ein Meisterwerk in des Wortes wahrster Bedeutung, eine jener seltenen Schöpfungen, die die Errungenschaften einer ganzen Epoche in sich vereinen. Ich bin überzeugt, dass in zehn Jahren ,Carmen‘ die populärste Oper der ganzen Welt wird.“

Tschaikovsky behielt Recht – aber Georges Bizet konnte den großen Durchbruch nicht mehr miterleben: Der Komponist starb 1875 im Alter von nur 37 Jahren.

Die Handlung

Kurz und gut …

„Man wird zum Schurken, ohne es zu wissen. Ein hübsches Mädchen verdreht einem den Kopf, man schlägt sich ihretwegen, es gibt dabei ein Unglück, man muss im Gebirge leben, und vom Schmuggler wird man zum Räuber, ohne sich’s zu überlegen.“ (José Castro)

1. Aufzug: Ein Platz in Sevilla

Eine Gruppe Soldaten unter Sergeant Moralès beobachtet, etwas gelangweilt und an weiblichen Schönheiten interessiert, auf einem Platz in Sevilla die vorübergehenden Menschen. Micaëla, eine junge Frau, erscheint und fragt nach Don José. Sie erfährt von den Soldaten, dass dieser erst bei der bald stattfindenden Wachablöse erscheinen werde und will später wiederkommen.

Unter lebhafter Anteilnahme einiger Gassenjungen findet die Wachablöse statt. Moralès berichtet Don José von dem Mädchen, das nach ihm gefragt hat. Dem Sergeant wird klar, dass es sich um Micaëla handeln muss, die als Waise im Hause seiner Mutter lebt und die er liebt.

Nun wendet sich Leutnant Zuniga an Don José und fragt ihn, ob es stimme, dass die Arbeiterinnen der nahen Zigarettenfabrik so attraktiv seien. José, (noch) ganz über solchen Gedanken stehend, erwidert, dass er sich um derlei nicht kümmere – er liebe Micaëla …

Nachdem die Pausenglocke der Fabrik ertönt, strömen die Arbeiterinnen auf den Platz, rauchend, kokett und von den Soldaten begehrlich beobachtet. Vor allem Carmen zieht ihre Blicke auf sich. Ob sie einem von ihnen einmal ihre Liebe schenken werde? „Gewiss nicht heute“, sagt Carmen und besingt ihre Auffassung von Liebe:

Die Liebe ist ein widerspenstiger Vogel,
den keiner zähmen kann,
und man ruft ihn vergebens,
wenn es ihm nicht zu kommen beliebt.
Nichts hilft dann, Drohen oder Bitten,
der eine kann gut reden, der andere ist ein Schweiger;
und es ist der andere, den Ich vorziehe;
er hat nichts gesagt, aber er gefällt mir.
Die Liebe ist ein Zigeunerkind.
Sie hat niemals, niemals Gesetze gekannt;
wenn du mich nicht liebst, liebe ich dich;
wenn ich dich liebe,
nimm dich in acht!
Der Vogel, den du zu überlisten glaubtest,
schlug mit den Flügeln und flog davon …
Die Liebe ist fern, du kannst auf sie warten.
Du erwartest sie nicht mehr … schon ist sie da …
Ganz um dich herum, schnell, schnell
kommt sie, geht sie davon, kommt dann wieder …
Du glaubst sie festzuhalten, sie weicht dir aus,
du glaubst ihr auszuweichen, sie hält dich fest.
Die Liebe ist ein Zigeunerkind.
Sie hat niemals, niemals Gesetze gekannt;
wenn du mich nicht liebst, liebe ich dich;
wenn ich dich liebe,
nimm dich in acht …

Carmen wirft Don José, dessen scheinbare Uninteressiertheit sie besonders reizt, eine Akazienblüte zu. Er bemüht sich darum, die schöne Zigeunerin nicht zu beachten, ist ihr in Wirklichkeit aber vom ersten Moment an verfallen.

Während die Arbeiterinnen nach der Pause wieder in die Fabrik gehen, bleibt Don José zurück. Micaëla trifft ihn nun und überbringt einen Brief, Grüße und einen Kuss von seiner Mutter. José erinnert sich glücklich an seine Heimat und will Mutters Wunsch, Micaëla zu heiraten, gern erfüllen. Er nimmt sich vor, jeder Versuchung zu widerstehen. Aber Carmens Akazienblüte hat ihre Wirkung bereits entfaltet …

Nachdem Micaëla gegangen ist, bricht ein Streit in der Fabrik aus. Die impulsive Carmen hat eine andere Frau mit ihrem Messer verletzt und soll verhört werden. Aber sie macht sich über die Befragung durch die Wachsoldaten nur lustig und will nichts von dem, was sich zugetragen hat, erzählen. Zungia beauftragt Don Josè deshalb, Carmen zu fesseln und ins Gefängnis zu führen.

Carmen bleibt dennoch gelassen. Sie ist sicher, dass José ihr längst zugetan ist und verspricht ihm nun ihre Liebe, wenn er sie fliehen lässt. Eine gemeinsame Nacht in der Schenke ihres Freundes Lillas Pastia – das wäre doch was …

Don José wird schwach, löst Carmens Fesseln – und bezahlt diesen Ungehorsam mit einem längeren Gefängnisaufenthalt.

2. Aufzug: Die Schenke des Lillas Pastia nahe Sevilla

Zuniga und seine Offizieren vergnügen sich bei Tanz und Gesang in der Schenke von Lillas Pastia. Auch Carmen ist da und erfährt von Zuniga, dass José, nachdem er zwei Monate im Gefängnis verbringen musste, weil er ihr geholfen hatte, nun wieder frei ist. Sie freut sich schon darauf, ihn wiederzusehen.

Da betritt Escamillo, der Sieger der Stierkämpfe in Granada, die Schenke, wird begeistert empfangen und besingt sein Leben – und die Gemeinsamkeiten mit dem der Soldaten.

Euren Toast … kann ich erwidern,
Señiores, Señiores, denn mit den Soldaten
können sich Toreros gut verstehen,
Ihr Vergnügen ist der Kampf.
Die Arena ist voll, es ist Feiertag,
die Arena ist von oben bis unten gefüllt.
Die Zuschauer verlieren den Kopf,
die Zuschauer schreien untereinander
mit großem Lärm: Zurufe, Schreie und Krakeel,
exzessiv bis zur Raserei.
Denn das ist das Fest des Mutes,
es ist das Fest der beherzten Leute.
Auf in den Kampf! Auf! Auf! Ah!
Torero, auf in den Kampf, Torero, Torero,
und denk daran, ja denk beim Kampf daran,
dass ein schwarzes Aug‘ dir zusieht
und dass die Liebe dich erwartet.
Torero, die Liebe,
die Liebe erwartet dich! 

Galant versucht Escamillo nun, sich Carmen zu nähern, aber sie weist ihn ebenso zurück wie Zungia. Ihre Liebe gilt momentan allein José. Auf ihn wartet sie.

Dancairo und Remendado, zwei Schmuggler, versuchen, Carmen und zwei andere Zigeunerinnen, Frasquita und Mercédès, für einen Diebeszug zu gewinnen. Carmen aber will nicht mitmachen. Sie sei „zurzeit verliebt“. Und für sie habe die Liebe Vorrang vor der Pflicht gegenüber den Schmugglern.

Endlich kommt José, auch „dem Ruf der Liebe folgend“, wie er sagt.

Carmen singt und tanzt für ihren Geliebten – und will ausgelassen die Zeit mit ihm genießen. Da tönt in der Ferne der Zapfenstreich, der José zum Appell ruft. Carmen freut sich über „die Musik zum Tanz“ – doch Josè will dem Appell folgen.

Also hat für ihn die Pflicht Vorrang gegenüber der Liebe! Für Carmen ist das unerträglich. Sie stößt den „Kanarienvogel“ José zornig von sich. Ja, meint sie, „fast“ hätte sie ihn wirklich geliebt. Aber so …

Josè versucht nun – vergeblich – Carmen seine Liebe zu gestehen:

Die Blüte, die du mir zugeworfen hattest,
ist mir in meinem Gefängnis geblieben;
verwelkt und trocken bewahrte
diese Blüte stets ihren süssen Duft;
und ganze Stunden lang
auf meinen Augen bei geschlossenen Lidern,
berauschte ich mich an diesem Duft,
und in der Nacht sah ich dich.
Ich begann dich zu verfluchen,
dich zu verachten, mir zu sagen:
Warum musste das Schicksal
sie mir über den Weg schicken?
Dann klagte ich mich der Blasphemie an,
und ich fühlte in mir selbst
nur ein einzig Verlangen, eine einzige Hoffnung,
dich, o Carmen, wieder zu sehen, ja, dich wieder zu sehen!
Denn du hattest nur erscheinen,
nur einen Blick auf mich werfen müssen,
um mein ganzes Wesen in Besitz zu nehmen,
o meine Carmen,
und ich gehörte dir an.
Carmen, ich liebe dich! 

„Nein“, entgegnet Carmen, „du liebst mich nicht“.

Würde José sie wirklich lieben, meint sie, folgte er ihr in die Berge, dorthin, wo er von keinem Zapfenstreich abhängig sei und das „berauschende Glück der Freiheit“ genießen könne.

Doch diese Aussicht, das Leben der Zigeuner und Schmuggler zu teilen, gefällt José gar nicht. Er will sich von Carmen trennen, beide erklären ihre Liebe für beendet.

Doch in dem Moment betritt Zungia die Schenke – und in José wallt die Eifersucht auf. Er weiß ja, dass der Leutnant auch ein Auge auf „seine“ Carmen geworfen hat. Prompt kommt es zu Handgreiflichkeiten, bis Carmen sich zwischen die Männer wirft. Schließlich wird Zungia von Zigeunern und Schmugglern überwältigt und gefesselt.

Nun hat José wohl keine Wahl mehr: Seine Soldatenkarriere ist beendet, er macht mit der Bande gemeinsame Sache.

3. Aufzug: Eine wilde Felsenschlucht

Es ist Nacht. Die Schmuggler preisen ihr Leben in Freiheit, das aber festen Mut erfordert. Sie wollen ihre Beute unbemerkt nach Sevilla bringen. Carmen ist sicher, dass das Schmugglerleben nichts für José ist, und sie liebt ihn auch nicht mehr. Entsprechend erfolglos sind seine Bemühungen, die Schöne wieder für sich zu begeistern. Das Klima zwischen dem Ex-Soldaten und Carmen wird frostig …

Unheildrohendes Zwischenspiel: Mercédès und Frasquita, die beiden Zigeunerinnen, befragen die Karten nach der Zukunft. Sie verheißen ihnen Glück, Geld und Edelsteine. Auch Carmen will nun ihre Zukunft wissen. Ihr jedoch bedeuten die Karten den Tod. Zuerst werde sie sterben, dann José …

Dancaïro und Remendado kehren von ihrem Erkundungsgang zurück: Um nach Sevilla zu kommen, müsse man an drei Zöllnern vorbei. Also planen die Frauen, die Zöllner mit ihren Verführungskünsten ablenken. Schmeicheleien lauschen statt zu kämpfen – das ist Carmens Motto. Während sich die Bande aufmacht, bleibt José eifersüchtig im Lager.

Da erscheint Micaëla in der Felsenschlucht. Sie ist im Auftrag seiner Mutter auf der Suche nach José. Die unheimliche Gegend und das Wissen, dass hier üblicherweise Schmuggler hausen, bereiten ihr große Angst. Doch sie will José retten, der von Carmen ins Verderben gestürzt worden sei und vertraut auf den Schutz Gottes.

Ich sprach, dass ich furchtlos mich fühle,
ich sagte, ach, dass ich für mich einstehe
aber vergebens spiele ich die Tapfere,
im Grunde meines Herzens sterbe ich vor Schrecken …
Allein an diesem wilden Ort,
ganz allein habe ich Angst,
aber zu Unrecht habe ich Angst.
Du wirst mir Mut geben,
Du wirst mich schützen, Herr …
Ich werde diese Frau aus der Nähe sehen,
deren verwünschte Ränke
schliesslich einen Ehrlosen aus dem
gemacht haben, den ich einst liebte;
sie ist gefährlich, sie ist schön,
aber ich will keine Furcht haben.
Nein, ich will keine Furcht haben!
Ich werde laut und deutlich vor ihr sprechen.
Ach Herr … Du wirst mich beschützen.
Beschütze mich, o Herr!
Gib Mut!
Beschütze mich, o Herr!
Beschütze mich, Herr!

Als auch Escamillo in der Schlucht erscheint, versteckt sich Micaëla. Indes entdeckt José den Torero, der ihm gegenüber auch gleich von seiner Liebe zu Carmen schwärmt. Ihretwegen sei er hierher gekommen. Eine Auseinandersetzung unter Männern ist nun natürlich unvermeidlich.

Zunächst schwächelt José im Messerkampf gegenüber dem Torero, aber der erfahrene Kämpfer verzichtet großmütig darauf, seinen Rivalen zu töten. Er habe sich auf Stiere und nicht auf das Durchbohren von Menschenherzen spezialisiert. Als José dann aber in gesteigerter Wut nochmals mit seinem Messer angreift, kann nur die rechtzeitig zurückkehrende Carmen ihn darin hindern, Escamillo zu töten.

Doch der Torero bleibt guten Mutes: Er liebt den Kampf und lädt Carmen und die ganze Bande zu seinem nächsten Stierkampf in die Arena von Sevilla ein. Josés Befindlichkeit kümmert niemanden – außer Micaëla, die nun in ihrem Versteck entdeckt wird und ihren treulosen Geliebten dazu überreden will, mit ihr zur Mutter zurückzukehren. Auch Carmen legt José nahe, mit Micaëla zu gehen – doch der weigert sich. Er will Carmen nicht ihrem neuen Liebhaber überlassen!

Erst als Micaëla berichtet, dass seine Mutter im Sterben liege, ändert José seinen Entschluss. Doch er kündigt Carmen düster ein baldiges Wiedersehen an.

In der Ferne trällert der Torero sein Lied …

4. Aufzug: Ein Platz in Sevilla, vor einer Arena

Das Volk bejubelt Escamillo, der sich mit Carmen an seiner Seite zeigt. Sie versichert dem Torero ihre Liebe. Frasquita und Mercédès indes warnen sie vor dem eifersüchtigen José, der ganz in der Nähe sei. Carmen solle besser nicht hier bleiben. Doch sie schlägt die Warnungen in den Wind und will mutig die Begegnung mit José suchen, während die anderen in die Arena einziehen.

José hat bereits auf Carmen gewartet und fleht sie nun an, zu ihm zurückzukehren. Sie solle die Vergangenheit vergessen und „unter einem fremden Himmel“ ein neues Leben mit ihm beginnen. Er wolle sie „retten“ – und mit ihr auch sich selbst.

Für Carmen jedoch ist alles vorbei. Sie will nicht nachgeben – selbst wenn dies die Stunde ihres Todes sein sollte. Nie werde sie sich Josés Willen aufzwingen lassen. Sie liebe jetzt Escamillo.

Dieses Geständnis bringt Josés Emotionen zum Überlaufen.

So habe ich das Heil meiner
Seele verloren, damit du
davongehst, Verruchte,
um in seinen Armen über mich zu lachen.
Nein, bei meiner Seligkeit, du gehst nicht,
Carmen, du folgst mir! 

Doch das kommt für Carmen nicht in Frage. Sie will frei bleiben. Zur Bekräftigung ihrer Absicht, zu Escamillo zu gehen, wirft sie José einen Ring, den er ihr einst geschenkt hatte, vor die Füße.

Während in der Arena ein weiterer Sieg Escamillos bejubelt wird, ersticht José vor der Arena die widerspenstige Carmen, bricht verzweifelt zusammen und verlangt seiner Verhaftung …

(Libretto-Übersetzung ins Deutsche: opera-guide.ch)