1. Dezember 2024

Die Menschheit schafft sich ab

Im Herbst 2016 erschien ein Buch von Harald Lesch und Klaus Kamphausen, das rasch ein Bestseller wurde. Titel: „Die Menschheit schafft sich ab“. Die Rückseite des Buches ziert – sozusagen als Leitmotiv – ein alter Witz: „Treffen sich zwei Planeten. Der Eine: ,Du siehst aber schlecht aus.‘ – Der andere: ,Ich habe Menschen!‘ – Der Eine: ,Oh, das geht vorbei.‘“

Warum das so ist, weshalb die Menschheit gefährdet ist, sich selbst „abzuschaffen“, erklären Klaus Kamphausen und Harald Lesch in 39 Kapiteln auf rund 500 Buchseiten. Der interessierte Leser braucht dabei aber keine Angst zu haben, von einem schwer lesbaren Wälzer erschlagen zu werden. Das Buch ist optisch und inhaltlich ansprechend gestaltet und lädt auf eine kurzweilige, aber doch tief gehende Erkenntnisreise ein … die allerdings fast zwangsläufig dazu führt, den eigenen Lebensstil kritisch zu hinterfragen und Verhaltensweisen zu vermeiden, die die Ausbeutung, Erwärmung oder Vermüllung unseres Heimatplaneten weiter voran treiben.

Klaus Kamphausen studierte Theaterwissenschaften, Psycholinguistik und Psychologie und lebt als Dokumentarfilmer und Autor in München „und manchmal anderswo in der Welt“. Harald Lesch ist unter anderem Professor für Theoretische Astrophysik in München sowie Fernsehmoderator und nicht zuletzt durch die ZDF-Reihe „Leschs Kosmos“ als brillanter Erklärbär zur Institution geworden.

Gemeinsam gelingt es dem Autorenduo mühelos, fundierte wissenschaftliche Fakten ebenso kompetent wie publikumsgerecht zu servieren – und wirklich zum Nach- und Umdenken anzuregen. „Die Menschheit schafft sich ab“ präsentiert sich nämlich nicht als billige Untergangsprophetie, sondern als nüchterne Bestandsaufnahme, die aber durch die Verdeutlichung simpler Tatsachen umso mahnender wirkt.

Als ich Harald Lesch vor einiger Zeit für die DVD-Produktion „Die Welt in 100 Jahren“ zum Interview bat, wurde seine kritische Haltung zu den zerstörerischen „Göttern“ unserer Zeit – „Konsum und Wachstum“ – bereits überraschend deutlich. Seit das Gespräch auf dem YouTube-Kanal „Urknall, Weltall und das Leben“ (betrieben von „Komplett Media“) veröffentlicht wurde, haben es Hunderttausende gesehen.

Insofern ist das, was Lesch nun im Vorwort zu dem Buch „Die Menschheit schafft sich ab“ schreibt, die konsequente Vertiefung seines kritischen Blickwinkels. Einige Zitate daraus:

„Ja, die Erde hat Mensch – und wie! Mehr als sieben Milliarden von uns tummeln sich auf ihrer Oberfläche und tun das, was uns offenbar von der Evolution in die Wiege gelegt wurde: Wir verändern unsere Welt, weil wir es können.

Inzwischen hat dieser globale, kollektive Veränderungsprozess eine Intensität und räumliche Dimension erreicht, dass man bereits ein Erdzeitalter nach uns benennt. Das Anthropozän. Selbst in ferner Zukunft wird man nämlich unsere Spuren im Erdboden nachweisen können. Die Erdwissenschaftler der Zukunft werden dann konstatieren: Offenbar gab es einmal Lebewesen, die die Materie der Erde äußerst effizient verändern konnten. Sie schufen künstliche Stoffe, die nicht mehr zu zerfielen. Sie agierten mit großen Mengen an radioaktiven Materialien. Und sie beuteten die Rohstofflager der Erde fast vollständig aus. Außerdem reicherten sie die Atmosphäre mit großen Mengen an Kohlendioxid und Methan an, offenbar durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas. Und sie zerstörten durch ihre globalen Aktivitäten zu Wasser, zu Lande und in der Luft die biologische Vielfalt …

Vielleicht werden die Forscher der Zukunft auch einzelne Objekte finden, die darauf hindeuten, dass in Mitteleuropa verschiedene Gruppierungen existiert haben müssen, eventuell religiöse Vereinigungen, deren mystische Gemeinsamkeit in der Verwendung von Plastiktüten bestand. Bemerkenswert vor allem, dass die Namen der ‚Götter‘ zumeist nur vier Buchstaben hatten: LIDL, IKEA oder ALDI.

Gerade die Fundorte dieser Plastiktüten lassen auf eine großräumig ausgebaute Infrastruktur schließen. Gewaltige Straßennetze aus Asphalt und riesige Gebäudekomplexe aus Beton wurden als ‚Tempelanlagen‘ genutzt, um den wichtigsten Göttern dieser Zeit zu huldigen: KONSUM und WACHSTUM.“

„Die Erde im Griff des Anthropozän“ lautet der Untertitel des Buchs von Klaus Kamphausen und Harald Lesch. Möglicherweise wird sich dieser Begriff tatsächlich durchsetzen, um das vom Menschen geprägte Erdzeitalter zu beschreiben. Einigkeit herrscht derzeit darüber, dass wir im „Holozän“ oder „Present“ leben, in einem Zeitabschnitt der Erdgeschichte also, der vor etwa 11.700 Jahren mit der Erwärmung des Klimas begann.

Doch der Mensch hat diese Erwärmung in ungeahnte Höhen getrieben. Und wohl noch nie – sieht man von Asteroideneinschlägen oder gelegentlichen Ausbrüchen von Supervulkanen ab – hat ein einzelnes Ereignis das Leben auf unserem Heimatplaneten so stark beeinflusst, wie die Tätigkeit des Menschen seit Beginn der Industrialisierung.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass unser Einfluss auf die Erde etwa seit Mitte des 20. Jahrhunderts in ein exponentielles Wachstum übergegangen ist: Bevölkerungsexplosion, Verbrauch fossiler Energieträger, Bodenerosion, Klimaerwärmung, Innovationstaktraten und so weiter. Wahrscheinlich also ist der etwa um das Jahr 2000 ins Spiel gebrachte Vorschlag, vom Zeitalter des „Anthropozän“ zu sprechen, tatsächlich weniger Hybris als eine auf Tatsachen beruhende Schlussfolgerung.

Das Buch von Klaus Kamphausen und Harald Lesch lässt jedenfalls keinen Zweifel daran, dass sich die Erde fest im Griff des Menschen befindet – dieser reicht von der Bedrohung der Ozeane bis zum Klimawandel, vom Energiehunger des Menschen bis zur „Beschleunigungsgesellschaft“.

Aber was tun? Wie müsste die „Ethik des Anthropozän“ formuliert sein? Brauchen wir eine neue Aufklärung? Oder ist der Mensch am Ende sowieso unbelehrbar?

Die Zukunft wird es weisen. Und die Zukunft wird von uns allen gestaltet.