28. April 2024

Gescheitert an den Fronten des Kriegs

Steven Spielbergs Musicalfilm „West Side Story“

• New York City, Upper West Side, in den 1950-er Jahren: Der heruntergekommene Stadtteil der US-amerikanischen Millionenmetropole soll neu belebt werden. Alte, verfallende Mietshäuser, in denen die Nachkommen von Einwanderern aus Europa und Lateinamerika wohnen, müssen dem „Lincoln Center“ weichen. Die Abrissbirnen sind dabei, Häuser zu zertrümmern, von den alten Strukturen wird wenig übrig bleiben.

Trotz der ungewissen Zukunft kämpfen zwei Banden um die Hoheit über das verfallende Territorium: Die „Jets“, weiße Jugendliche, gegen die puerto-ricanischen „Sharks“. 

Tony (Ansel Elgort), der frühere Anführer der „Jets“, ist soeben auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen worden. Sein Vorsatz, bei dem immer brutaler werdenden Bandenkrieg nicht mehr mitzumachen, verfestigt sich, als er bei einer Tanzveranstaltung Maria (Rachel Zegler) kennen und lieben lernt, die jüngere Schwester von Bernardo (David Alvarez), des Anführers der „Sharks“. 

Doch während die Liebe der beiden alte rassistische Vorurteile, Gebietsansprüche und Machtgelöste mühelos überwindet, bereiten sich die „Jets“ und die „Sharks“ auf einen großen, finalen Kampf vor …

Die Geschichte, die „West Side Story“, endet als Tragödie. 

Steven Spielberg zeigt mit seinem preisgekrönten und Oscar-nominierten Film (Ariana DeBoses Darstellung von Bernardos Freundin Anita wurde mit dem Oscar gewürdigt) eine bildgewaltige Neuinszenierung des 1957 uraufgeführten gleichnamigen Musicals, das damals von seinen Schöpfern als zeitgemäße „Romeo und Julia“-Geschichte konzipiert worden war.

Das von Leonard Bernstein (1918–1990) komponierte und von Stephen Sondheim (1930–2021) sowie Arthur Laurents (1917–2011) getextete Musical wurde ein weltweiter Erfolg. Es war und ist auf zahlreichen internationalen Bühnen zu sehen und wurde bereits 1961 erstmals (Regie: Robert Wise) verfilmt.

Die historischen Hintergründe für die in der „West Side Story“ thematisierten Konflikte erscheinen im 21. Jahrhundert, vor allem seit dem kriegerischen Überfall des russischen Präsidenten auf die Ukraine, aktueller denn je. 

Der karibische Inselstaat Puerto Rico („reicher Hafen“) wurde 1898 von den USA im Zuge des Spanisch-Amerikanischen Krieges besetzt und für sich beansprucht. Es folgte ein Jahrzehnte währender Kampf um demokratische Rechte. Heute gilt Puerto Rico als „Außengebiet“ der USA; der amerikanische Präsident ist das Staatsoberhaupt; der Inselstaat zählt jedoch trotzdem nicht zu den US-amerikanischen Bundesstaaten.

Bis heute – und verstärkt seit 2005 – ziehen viele Puertoricaner ins „Kernland“ der USA; Puerto Rico hat eine der höchsten Auswanderungsraten der Welt. Die Songzeile „I like to be in America“ (America“ ist einer der bekanntesten Songs aus der „West Side Story“) widerspiegelt diese Entwicklung. Und die Kämpfe zwischen den „Jets“ und den „Sharks“ thematisieren im Grunde die oft viele Generationen beeinträchtigenden Ausläufer alter kriegerischer Konflikte: Rassismus und tief verwurzelte Ängste.

Liebe wäre die Lösung. Die „West Side Story“ zeigt, wie sie an den Fronten des Krieges scheitert. Bisweilen wird dem Musical trotzdem ein „Happy End“ zugedacht – indem Tony und Maria von einem jenseitigen „Somewhere“ träumen, wo Hass und Gewalt überwunden sind.

Steven Spielberg verzichtet auf eine solche Versüßung des Schlusses. Die „West Side Story“ ist in ihrer ursprünglichen Form zeitgemäßer denn je. Leider.

(2021, 157 Minuten)