27. November 2024

Inkarnation auf Pandora

James Camerons Science-Fiction-Meisterwerk „Avatar“

• Wir schreiben das Jahr 2154. Die Erde ist ausgebeutet. Auf der Suche nach Rohstoffen hat die Menschheit den erdähnlichen Mond Pandora im Alpha-Centauri-System entdeckt. Dort wird mit gigantischen Schaufelradbaggern das wertvolle Unobtainium abgebaut – in einem menschenfeindlichen Umfeld mit geringerer Schwerkraft, einer tödlichen Fauna und nicht atembarer Atmosphäre. 

Das Hauptproblem aber ist: Pandora wird von einer humanoiden Spezies bewohnt, den Na’vi. Diese verfügen zwar über keine hoch entwickelte Technik wie die Menschen, leben aber in einer tiefen, nicht allein spirituellen, sondern auch sinnlich wahrnehmbaren Verbundenheit mit der Tier- und Pflanzenwelt ihrer Heimat. Und sie haben ihre „heilige Stätte“ genau dort, wo die bedeutendsten Bodenschätze lagern.

Also steht der Plan im Raum, die Na’vi entweder zum Verlassen ihrer Heimat zu bewegen – oder, falls das nicht gelingt, ohne Rücksicht auf Verluste gegen sie vorzugehen.

Unter dem Kommando von Col. Miles Quaritch (Stephen Lang) bereitet sich das Militär bereits auf einen Großeinsatz vor. Doch Dr. Grace Augustine (Sigourney Weaver), die das Volk der Na’vi wissenschaftlich erforscht, hofft auf eine friedliche Lösung, die den Bedürfnissen der Bewohner Pandoras sowie der phantastischen Flora und Fauna des Mondes gerecht wird.

Zur Verständigung mit den Na’vi dient eine spezielle Bio-Technologie: Es ist gelungen, das Erbgut des Volkes mit menschlichen Genen zu verbinden, woraus „Avatare“ gezüchtet werden konnten – Körper, die denen der Na’vi entsprechen und an die Umweltbedingungen des Mondes perfekt angepasst sind, die aber von der Person, deren Gene für die Züchtung des Avatars verwendet worden sind, aus der Ferne gesteuert werden können. 

Science-Fiction.

Science-Fact ist, dass zur Durchführung schwerer oder gefährlicher Arbeiten Roboter zum Einsatz kommen, die tatsächlich über Datenhandschuhe oder -anzüge ferngesteuert werden können. Der Mensch, der die Maschine steuert, hat auf diese Weise den Eindruck, selbst vor Ort zu sein, denn er sieht durch die Kamera-Augen des Roboters oder spürt die Widerstände, auf die das Gerät trifft, und kann darauf reagieren.

Das Bewusstsein verbindet sich dadurch gewissermaßen der Maschine – und dieses Prinzip hat die Menschheit in James Camerons Science-Fiction-Epos zur Perfektion gebracht: Wer einen Avatar steuert, lebt dadurch wirklich in diesem Körper, fühlt und kommuniziert durch ihn und ist mit dessen Umfeld vollkommen verbunden – wobei er sich in Wirklichkeit nur in eine seinen Körper umschließende technische Einrichtung begibt, die die bewusste Fernsteuerung des Avatars ermöglicht.

Jake Sully (Sam Worthington) ist ein ehemaliger US-Marine, dessen Beine seit einem Kampfeinsatz gelähmt sind. Er hat die Aufgabe übernommen, über seinen Avatar das Vertrauen der Na’vi zu gewinnen und mit ihnen zu leben. Letztlich aber soll er sie dazu bewegen, ihre Heimat zu verlassen. Drei Wochen Zeit sind ihm dafür gegeben, ehe die Bagger, flankiert vom Militär, ohne Rücksicht auf Verluste anrücken werden.

Schon bald wird Jake klar, dass er auf der falschen Seite steht – umso mehr, als er sich bei den Na’vi in Neytiri (Zoë Saldana) verliebt …

James Camerons mit drei Oscars und zahlreichen anderen Preisen ausgezeichnetes Meisterwerk „Avatar“ war 2009 vor allem auf Grund des Szenenbildes und der visuellen Effekte, die real gedrehte und computeranimierte Sequenzen in einer bis dahin nie gesehenen Perfektion kombinierten, eine Sensation. Der Streifen wurde von Kritik und Publikum gleichermaßen gelobt und ist – mit einem Einspielergebnis von mehr als 2,7 Milliarden Dollar – einer der erfolgreichsten „Blockbuster“ aller Zeiten.

Vielleicht auch deshalb, weil die Grundidee des Films eine zutiefst menschliche Erfahrung thematisiert: Die Verbindung des Bewusstseins mit der körperlichen Welt. Religiöse und spirituelle Traditionen lehren, dass diese Verbindung nicht von Beginn an da ist. Sie sprechen vom Akt der „Inkarnation“, durch den der Geist oder die Seele „ins Fleisch“ eintritt (lat. incarnatio = Fleischwerdung).

Bemerkenswert erscheint, dass dieser zentrale Gedanke, dass das steuernde, erlebende Bewusstsein des Menschen in einen physischen „Avatar“ eintaucht, während es in Wirklichkeit anderswo ist, gehäuft sowohl in der Kunst als auch in wissenschaftlichen Theorien auftaucht. 

Der US-amerikanische Physiker und Bewusstseinsforscher Tom Campell beispielsweise geht in seiner großen „Theory Of Everything“ davon aus, dass die physische Welt nur so etwas wie eine virtuelle Realität ist, die das Bewusstsein als „Wirklichkeit“ erschafft.

Und auch die aktuelle HBO-Serie „Westworld“ thematisiert, wenn auch auf ganz andere Art, im Grunde den gleichen Gedanken: Das menschliche Bewusstsein erschafft sich eigene Wirklichkeiten, in die es  eintreten kann, um zu erleben und … hoffentlich! … zu lernen.

Wer aus dem „Aufbruch nach Pandora“ – so der deutsche Untertitel des Films – was gelernt hat, zeigt sich in den nachfolgenden Teilen der als Pentalogie geplanten „Avatar“-Filmreihe.

(2009, 178 Minuten)