Morten Tyldums Science-fiction-Drama „Passengers“
• Wir befinden uns im 24. Jahrhundert. Das voll automatisierte Raumschiff „Avalon“ ist auf dem Weg von der Erde zur Kolonie „Homestead II“, einem weit entfernten Planeten, auf dem menschliches Leben möglich ist. Um die 120 Jahre lang dauernde Reise durchs All zu überstehen, sind die Crew und die Passagiere in „Stasiskammern“ untergebracht. Ein Kälteschlaf verhindert, dass sie altern. Erst kurz vor der Ankunft sollen alle geweckt werden. In der Zwischenzeit sorgen die angeblich absolut sicheren Computer- und Robotersysteme des Raumschiffs für alles Nötige.
Doch als die „Avalon“ ein Asteroidenfeld kreuzt, kommt es zu einer schwerwiegenden Störung der Systeme, die unter anderem dazu führt, dass einer der Passagiere, der Maschinenbauingenieur Jim Preston (Chris Pratt), aus dem Kälteschlag geweckt wird – 90 Jahre zu früh.
Trotz größter Mühe gelingt ihm nicht, seine Stasiskammer zu reaktivieren. Die Einsamkeit an Bord des Raumschiffs wird für ihn im Lauf der Wochen und Monate unerträglich.
Eines Tages beginnt er damit, sich mit den Lebensgeschichten anderer Passagiere zu befassen. Aurora Lane (Jennifer Lawrence), eine junge Journalistin, die über die Menschen auf „Homestead II“ berichten will und für diese Lebensaufgabe in Kauf genommen hat, erst nach einem Vierteljahrtausend wieder zur Erde zurückzukehren, hat es Jim besonders angetan. Er verbringt mehr und mehr Zeit vor Ihrer Stasiskammer, um sie schlafen zu sehen, verliebt sich in sie und beginnt sich auszumalen, wie es denn wäre, sie an seiner Seite zu haben. Er könne sie ja in der Meinung lassen, dass sie beide infolge eines technischen Defekts aus dem Kälteschlaf gerissen worden seien. Alles weitere würde sich dann schon ergeben …
Schließlich entschließt sich Jim, allen Gewissensbissen zum Trotz, seine unerträgliche Einsamkeit zu beenden. Er sorgt dafür, dass Aurora aus dem Kälteschlaf erwacht …
An dieser Stelle des Science-fiction-Dramas, das der norwegische Regisseur Morten Tyldum („The Imitation Game“) überwiegend ruhig und visuell höchst beeindruckend erzählt, drängt sich ein zunächst befremdlicher Gedanke auf: Dieser Eingriff in das Leben eines Mitmenschen, dieses Aufwecken, ist im Grunde … ein Mord.
Aber warum eigentlich? Vielleicht, weil das Wesen des Tötens immer ein Ertöten ist … ein Eingriff in Erlebens- und Entwicklungsmöglichkeiten, in Zukunftshoffnungen …
Jim Preston leidet unter dieser Schuld, verdrängt sie, versucht, die sich immer schöner und stärker entwickelnde Liebesbeziehung mit Aurora zu genießen – bis es schließlich kommt, wie es kommen muss: Sie entdeckt, dass er es war, der ihren Kälteschlaf beendet hat – brutal, gezielt, eigensüchtig.
Wenn sich die junge Journalistin in der Folge schockiert von Jim zurückzieht, mag der Beobachter dieses intergalaktischen Kammerspiels urteilen: Klar, jetzt muss der Junge für seine Schuld bezahlen.
Aber wo beginnt „Schuld“ wirklich? Wann ist eine Handlung „objektiv falsch“?
Diese Frage stellt sich spätestens bei der nächsten unerwarteten Wendung in dieser Geschichte. Bald wird nämlich klar, dass die vermeintlich sicheren Systeme des Raumschiffs während der Reise schon viel stärker gelitten haben als zunächst angenommen: Beim Zusammenprall mit einem Meteoriten wurde der Fusionsreaktor beschädigt, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis alle Systeme zusammenbrechen und die Reisenden während ihres Kälteschlafes sterben.
Letztlich besteht die einzige Chance für die „Avalon“ darin, dass Jim mit Auroras Hilfe die nötigen Reparaturen durchführt. Das Aufwecken eines Mitreisenden erweist sich plötzlich als Notwendigkeit …
„Passengers“ ist der Glücksfall einer ungewöhnlichen Science-fiction-Geschichte, die einerseits als Gleichnis funktioniert und zum Philosophieren anregt, und andererseits durch hervorragenden kreativen Input besticht: Sowohl das Szenenbild (Guy Hendrix Dyas) als auch die Musik (Thomas Newman) wurden für Preise nominiert (u.a. Vorauswahl für den „Oscar“), das Drehbuch (Jon Spaihts) stand schon lange vor Produktionsbeginn auf der Liste der besten unverfilmten Bücher, und Morten Tyldum gelang als Regisseur eine gute, nicht actionlastige Balance zwischen dem Focus auf die beiden Hauptdarsteller (zu denen sich zeitweise auch Laurence Fishburn als stasisgeschädigtes Besatzungsmitglied gesellt) und der technischen Gigantomanie, die das Handlungsszenario bedingt.
(2016; 116 Minuten)