28. April 2024

„Schüttle, o Wind, meine Fensterläden“

La Bohème

• Oper in vier Akten von Ruggero Leoncavallo 

Libretto: Ruggero Leoncavallo (1857–1919) 
Musik: Ruggero Leoncavallo (1857–1919) 
Uraufführung: 6. Mai 1897, Venedig (Teatro al Fenice) 
Dauer: ca. 1,5 Stunden

Akte:
1. Im Café Momus
2. Im Hof von Musettes Haus
3. In Marcellos Dachstube
4. Rodolfos Mansarde im Winter

Hauptpersonen:
Rodolfo,
ein Dichter: Bariton
Marcello, ein Maler: Tenor
Schaunard, ein Musiker: Bariton
Colline, ein Philosoph: Bariton
Gaudenzio, Besitzer des Cafés Momus: Bariton
Mimì, eine Blumensteckerin: Sopran
Musette, eine Näherin: Mezzosopran
Barbemouche, Literat und Lehrer: Bass

Kurze Werkeinführung

Wer heute „La Bohéme“ hört, denkt wohl sofort an die 1896 uraufgeführte Oper von Giacomo Puccini (1858–1924), die zu den bis heute am meisten gespielten Musiktheater-Werken überhaupt gehört.

Doch nur etwas mehr als ein Jahr nach Puccini, im Mai 1897, brachte der italienische Komponist Ruggero Leoncavallo (1857–1919) seine Version des Werkes auf die Bühne. Es basierte ebenfalls auf dem Roman „Scènes de la vie de bohème“ des französischen Schriftstellers Henri Murger (1822–1861). Sein Libretto hatte Leoncavallo ursprünglich für Puccini verfasst, der sich dann aber für eine andere, etwas freiere Textdichtung entschied.

Leoncavallo war zum Zeitpunkt der Uraufführung bereits ein gefeierter Komponist. Fünf Jahre vor seiner „Bohéme“ war ihm mit seinem ersten Bühnenwerk, dem zweiaktigen Drama „Der Bajazzo“, der Durchbruch gelungen. Auch seine „Bohéme“ (ursprünglich nannte er das Werk „Mimi Pinson“) wurde zunächst ein Publikumserfolg, geriet dann aber in Vergessenheit und wird heute kaum noch gespielt. 

Eine hörenswerte Gesamtaufnahme der Oper wurde unter Heinz Wallberg eingespielt, unter anderem mit Franco Boniolli (Tenor), Bernd Weikl (Bariton) und Lucia Popp (Sopran).

„La Bohème“ spielt in Paris, im Laufe eines Jahres zwischen Weihnachten 1837 und 1838.

Die Handlung

Kurz und gut …

Junge Künstler brauchen Sponsoren. Sonst kann ein allzu karges Leben tödlich enden. 

1. Akt: Im Café Momus
Weihnachten 1837. Wie so oft, treffen sich im Pariser Café Momus junge, erfolglose Künstler, die kein Geld haben: der Musiker Schaunard, der Maler Marcello, der Dichter Rodolfo und ein Philosoph, Colline.

Der Besitzer des Cafés, Gaudenzio, ist auf diese „Bohèmes“ nicht gut zu sprechen. Sie bezahlen ihre Getränke nie, brauen sich sogar ihren eigenen Kaffee in seinem Lokal, und jetzt will Schaunard hier auch noch einen Musikkurs veranstalten. 

Gaudenzio ist aufgebracht, aber den befreundeten Künstlern gelingt es noch einmal, ihn mit Versprechungen zu beruhigen. 

Bald finden sich auch Rodolfos Freundin Mimi und die elegant gekleidete Musette, eine Näherin, im Café Momus ein. Diese gesellt sich zu Marcello. Und an Schaunards Seite vergnügt sich das Mädchen Eufemia.

Und los geht’s. Ohne Rücksicht auf ihre nicht vorhandenen finanziellen Möglichkeiten lassen es sich die Bohèmes bei einem feudalen Mahl gut gehen. An einem Nebentisch nimmt Barbemouche, ein Literat und Lehrer des Grafen Paolo, Platz. Und Musette singt Mimi zu Ehren die Canzonetta „Mimì Pinson la biondinetta“:

Mimi Pinson, das kleine Blondchen,
Liebt es zu feiern und sich zu amüsieren.
Mit einem Lächeln, einem kleinen Lächeln
Erobert sie die Herzen erobern.
Und wenn ein Drink sie in Stimmung bringt
Singt sie aus voller Kehle ein Lied …

Die Stimmung trübt sich, als der Wirt von den Freunden die sofortige Bezahlung der Rechnung verlangt. Denn natürlich können sie nicht bezahlen. Zum Glück aber springt Barbemouche ein. Er will mit den jungen Künstlern Freundschaft schließen und bezahlt für alle.

Wie schön, dass es Weihnachten ist. („È Natale, È Natale“)

2. Akt: Im Hof von Musettes Haus

Es ist April geworden. Im Hof von Musettes Haus stapeln sich gepfändete Möbel. Musette ist von ihrem Liebhaber, auf dessen Kosten sie gelebt hatte, verlassen worden. Nun bietet Marcello ihr an, künftig bei ihm zu wohnen – in einer allerdings ärmlichen Unterkunft. („Io non ho che una povera stanzetta“)

Ich habe nur ein armseliges kleines Zimmer
Zwischen den Schornsteinen und dem Himmel,
Und dir übergebe ich es –
Und bitte dich nur um ein fröhliches Lied,
um mein Nest zu erheitern …

Musette nimmt Marcellos Angebot freudig an, erinnert sich dann aber daran, dass sie für diesen Abend Gäste zu einem Fest eingeladen hatte, die sie nun – mangels räumlicher Möglichkeiten – nicht empfangen kann. 

Nun finden sich auch Schaunard (ebenfalls pleite) und Rodolfo ein – und die Freunde beschließen kurzerhand, das Fest hier im Hof stattfinden zu lassen. Die Möbel eignen sich doch hervorragend als Requisiten für ein ordentliches Fest, bei dem Musette und Schaunard singen und alle fröhlich tanzen könnten!

Gesagt, getan: Bald feiern die Freude ausgelassen gemeinsam mit Mimi, Eufemia, Barbemouche, dem Grafen Paolo und vielen anderen Gästen. Es wird getrunken, gelacht, gesungen und gelärmt – zum Leidwesen der Hausbewohner, die doch lieber schlafen wollen und zu protestieren beginnen.

Im Wirrwarr der sich aufschaukelnden Auseinandersetzungen verschwindet Mimi heimlich mit dem Grafen. Rodolfo sucht vergeblich nach ihr …

3. Akt: In Marcellos Dachstube

Oktober 1838. Die vergangenen Monate haben in den Beziehungen der jungen Künstler ihre Spuren hinterlassen. Schaunard und Eufemia haben sich getrennt, Rodolfo ist immer noch verzweifelt, weil Mimi den reichen Grafen ihm vorgezogen hat, und Musette will Marcello verlassen. Zwar ist es natürlich zu einer Beziehung gekommen, seit sie in der Dachstube des Malers lebt, aber nun ist sie des Hungers und der Entbehrungen an seiner Seite überdrüssig. Sie hat ihm einen Abschiedsbrief geschrieben und ist dabei, seine Wohnung zu verlassen.

Da begegnet sie Mimi. Diese ist auf der Suche nach Rodolfo, der in hier in einer benachbarten Mansarde lebt. Mimi will zu ihm zurückkehren, ihn um Vergebung bitten. 

Doch Rodolfo bleibt verbittert. Er weist die „Frau Gräfin“ ab. Musette schlägt Mimi vor, mit ihr zu gehen, während sie selbst erleben muss, wie sehr Marcello mit ihrem Entschluss, ihn zu verlassen kämpft. Er trauert seiner verlorenen Liebe nach („Musette! O gioia de la mia dimora“).

Musette! O Freude meiner Stube!
Ist es wahr, dass du gegangen bist?
Stimmt es, dass ich dich vertrieben habe
Und dich nie wieder in mein Herz schließen werde?

Süße Lieder aus den Tagen der Liebe
Das ferne Echo ist bereits verhallt.
Der Raum ist still, und mein verwitwetes Herz
Weint um die verlorenen Tage!

4. Akt: Rodolfos Mansarde im Winter

Wieder ist es Weihnachten. In seiner kalten Mansarde denkt Rodolfo wehmütig an die Zeit vor einem Jahr zurück und beklagt desillusioniert sein Schicksal, dass Mimi den Reichtum seiner Liebe vorgezogen hat. („Scuoti o vento fra sibili“)

Schüttle, o, Wind, meine Fensterläden.
Du guter Begleiter der Verse

Geh, du kannst meine Liebe nicht erwidern!
Ich bin Kunst, Poesie!
Ich will dir Unsterblichkeit geben!
Ich will nur Frieden. Und du, geh weg
Mein Herz hat keine Illusionen mehr.

Bald kommt Marcello hinzu, dann auch Schaunard, und die Freunde schwelgen – frierend, aber immerhin im Besitz von etwas Brot, einigen Kartoffeln und Heringen – in ihren Erinnerungen. 

Aber da betritt überraschend Mimi die Mansarde, zitternd, und bittet, eine Nacht bleiben zu dürfen. Sie lebe nicht mehr mit dem Grafen zusammen, wolle wieder arbeiten gehen, sei aber krank geworden und könne die Behandlung nun nicht mehr bezahlen. Sie habe keinen anderen Unterschlupf.

Schnell bemerken die Freunde, wie krank Mimi ist. Rodolfo nimmt sie in den Arm, hört erschüttert ihre Bitte um Vergebung und fühlt, dass sie schon eiskalt ist. Marcello zerbricht einen Stuhl, um das nur noch schwache Feuer in der Mansarde anzufachen.

Als Musette, die an diesem Weihnachtstag ebenfalls ihre Freude besuchen will, Mimis Elend sieht, opfert sie ihren Schmuck, damit Kohle für den Ofen gekauft und ein Arzt bezahlt werden kann. 

Doch Mimi spürt, dass ihr Ende gekommen ist. In Rodolfos Armen erinnert sie sich noch einmal das gemeinsame Liebesglück von einst.

Mit dem Ertönen der Weihnachts-Glocken stirbt sie.

 

Hinweise:
Das Titelbild zeigt eine Szene aus einer Produktion der Oper Luzern, 2009 (Foto: Toni Suter, T+T Fotografie)
Alle Zitate stammen aus dem Libretto.