12. Dezember 2024

Showdown mit den Waffen einer Frau

La fanciulla del West (Das Mädchen aus dem Goldenen Westen)

• Oper in drei Akten von Giacomo Puccini

Libretto: Guelfo Civinini (1873–1954) und Carlo Zangarini (1874–1943)
Musik: Giacomo Puccini (1858–1924)
Uraufführung: 10. Dezember 1910, New York (Metropolitan Opera)
Dauer: ca. 2,5 Stunden, eine Pause

Akte:
1. Das Innere der „Polka-Bar“
2. In Minnies Blockhütte
3. Eine Dorfstraße in der Nähe des Goldgräberlagers

Hauptpersonen:
Minnie,
Wirtin der Bar „Zur Polka“: Sopran
Dick Johnson, alias Ramerrez: Tenor
Jack Rance, Sheriff: Bariton
Nick, Kellner in der Bar „Zur Polka“: Tenor
Ashby, Agent von Wells Fargo: Bass
Billy Jackrabbit, ein Indianer: Bass
Wowkle, Billys Squaw: Mezzosopran
Jake Wallace, ein Bänkelsänger: Bariton
Jose Castro, ein Mestize aus Ramerrez’ Räuberbande: Bass
Un postiglione: Tenor
Goldgräber: Tenor, Bariton, Bass

Kurze Werkeinführung

Die 1910 in New York uraufgeführte Oper „La fanciulla del West“ („Das Mädchen aus dem Goldenen Westen“) entstand nach einem Schauspiel des US-amerikanischen Dramatikers und Regisseurs David Belasco (1853–1931), das Giacomo Puccini 1907 gesehen hatte.

Die Oper spielt in Kalifornien, in der Zeit des berüchtigten „Goldrausches“ (1849/50), als Tausende ihr Glück als Goldgräber suchten. Nur wenige wurden damals wirklich reich.

Im Mittelpunkt von Puccinis „Wild-West-Oper“ steht die Beziehung zwischen Minnie, einer unter den Goldgräbern beliebten Wirtin, und dem Räuber Ramerrez, der es ursprünglich auf die Goldvorräte abgesehen hat; seinen Plan, die Wirtin und die Goldgräber zu berauben, aber aufgibt, als er sich in Minnie verliebt.

Für die New Yorker Uraufführung von „La fanciulla del West“ führte Puccini selbst Regie, der berühmte Arturo Toscani (1867–1957) dirigierte, die männliche Hauptrolle sang Tenor-Legende Enrico Caruso (1873–1921). Die Premiere wurde zu einem vollen Erfolg; ein nicht enden wollender Applaus führte an diesem Abend zu 52 Vorhängen!

Musikalisch präsentiert sich „La fanciulla del West“ als besonders farben- und facettenreiche Komposition, die streckenweise wie der Prototyp für spannungsgeladene Filmmusik klingt.

Puccinis Oper feierte auch nach ihrer Uraufführung international große Erfolge – nicht nur der Musik wegen, sondern weil sie ein aufregendes Kapitel der amerikanischen Geschichte thematisierte und in opulenten Bildern auf die Bühne brachte. Allerdings geriet das Werk mit dem Siegeszug des Wild-West-Films ins Hintertreffen und wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eher selten aufgeführt. Klar, ein in bestem Italienisch „Hello ragazzzi“ singender Goldgräber hat gegenüber Clint Eastwood in Sachen Authentizität einen schweren Stand.

Doch die „bemerkenswerte Pferde-Oper“, wie der Komponist Igor Strawinsky (1882–1971) Puccinis Werk einmal nannte, verschwand nie ganz von den Spielplänen und wird international mit großem Erfolg aufgeführt – heute, nachdem das Western-Genre nur noch selten mit filmischen Neuproduktionen bedient wird – öfter denn je.

„La fanciulla del West“ zählt zu den großen Meisterwerken Puccinis. Wie er die Dramaturgie der Handlung musikalisch vertieft wurde zum Vorbild für Generationen von Filmmusikkomponisten.

Die Handlung

Kurz und gut …

Der Westen ist wild genug: Weshalb einen Banditen hängen, wenn seine Geliebte ihm sowieso schon alle Flausen ausgetrieben hat?

1. Akt: Das Innere der Polka-Bar

Sheriff Jack Rance hat es sich in der „Polka-Bar“ gemütlich gemacht. Nick, der Kellner, entzündet gerade die Lampen. Rance liebt das Kartenspiel und legt eine Patience. Da stürmen die Goldgräber herein. Die Tagesarbeit ist getan, jetzt werden Zigaretten und Whisky bestellt. Fröhlichkeit, Heimweh und Anspielungen auf Minnie, die Wirtin – um diese emotionalen Achsen dreht sich die Befindlichkeit der Männer. Alle mögen das „Mädchen aus dem goldenen Westen“. Ihr vertrauen die Goldgräber auch ihre Ersparnisse an.

Als Sid, einer der Männer, beim Falschspielen ertappt wird und gelyncht werden soll, herrscht kurz Aufruhr. Sheriff Rance beruhigt die Situation; Sid kommt noch einmal davon. Er muss künftig aber die „Pik Zwei“ an der Jacke tragen – die Karte, die Falschspieler kennzeichnet.

Als Rance ein Pokerspiel beginnen will, betritt Ashby die Bar, ein Agent der Transportgesellschaft Wells Fargo. Seit Monaten verfolgt er den gefährlichen Banditen Ramerrez, der mit seiner mexikanischen Bande allen das Leben schwer macht. Ashby zeigt Rance den Steckbrief des Gesuchten und warnt die Männer, ihr Gold hier in der Bar zu verwahren. Bei Wells Fargo sei es wesentlich sicherer.

Nick, der Kellner, spendiert den Männern eine Runde. Das löst Freude im Schuppen aus!

Sheriff Rance vermutet für sich selbst noch größeres Lebensglück und gibt seiner Überzeugung Ausdruck, Minnie werde demnächst seine Frau sein. Doch dieses Thema ist unter den Goldgräbern sensibel! Sonora, ein in die Wirtin besonders verliebter Goldgräber, meint, dass Rance von ihr doch nur zum Narren gehalten werde. Die beiden Männer geraten in einen Streit, der bald zur stattlichen Prügelei ausartet – ganz so, wie man sie in einem Saloon des Wilden Westens erwarten darf.

Beendet wird die Kinnhaken-Orgie durch Warnschüsse: Minnie steht mit ihrem Gewehr in der Tür. Sofort sind alle friedlich gestimmt – erstaunlicherweise umso mehr, als das Mädchen den Männern droht, den beliebten Bibelunterricht nicht mehr fortzusetzen, wenn sie nicht brav sind.

Also – geht doch! Bald verfolgen die rauen Typen wieder wie brave Schuljungen Minnies Unterricht. Nur Billy Jackrabbit, ein Indianer, bedient sich währenddessen heimlich an der Bar. Ausgerechnet er, der mit Wowkle, Minnies Haushälterin, ein uneheliches Kind hat! Die resolute junge Wirtin lässt ihn hinausjagen und befiehlt ihm, endlich einen Hochzeitstermin zu vereinbaren.

Da kommt der Postreiter. Er bringt eine Nachricht für Ashby: Er solle sich um Mitternacht zu einem Treffpunkt begeben. Dort werde ihm eine Frau namens Nina Micheltorena das Versteck des Banditen Ramerrez verraten. Gleichzeitig wird den Männern die Ankunft eines Fremden gemeldet, der eine überaus verdächtige Angewohnheit habe: Er trinke seinen Whiskey mit Wasser!

Sheriff Rance versucht noch einmal, bei Minnie zu landen: Er liebe sie, würde ihr sogar 1.000 Dollar für einen Kuss zahlen – er, der Spieler, den normalerweise nur Gold fasziniere. Wenn das keine Liebeserklärung ist! („Minnie, dalla mia casa son partito“) Minnie weist den Spieler mit dem Stern ab: Auf den Mann, den sie vorbehaltlos verlieben könne, warte sie noch …

Da betritt der Wasser-Whiskey trinkende Fremde die Bar. Er stellt sich als Johnson aus Sacramento vor. Minnie kennt den Mann – sie ist ihm früher schon einmal begegnet – und hegt Sympathien für ihn. Als der eifersüchtige Sheriff den Fremden provoziert und die Goldgräber gegen ihn aufbringen will, verbürgt sich Minnie für Johnson – und schon heißen die Männer ihn willkommen. Was aber niemand weiß: Der Fremde ist in Wirklichkeit der steckbrieflich gesuchte Ramerrez.

In der Bar wird ausgelassen getanzt. Dann aber kommt Ashby, der Wells-Fargo-Agent, gemeinsam mit einigen Goldgräbern nochmals zurück. Die Männer schleppen einen Gefangenen an: Castro, ein Mitglied aus Ramerrez Bande. Der Bandit, der erfreut seinen Boss unter den Tanzenden entdeckt, verspricht dem Sheriff, Ramerrez Versteck zu verraten. Sein wirklicher Plan aber ist, die Goldgräber von der Bar fortzulocken. Sobald die Luft rein sei – ein Pfiff aus der Ferne werde ihm das Signal geben –, könne Ramerrez das hier aufbewahrte Gold mitgehen lassen.

Also schwingen sich die Männer und Castro in ihre Sättel. Nur „Johnson“ bleibt zurück in der Bar –und findet schnell das unter dem Tresen verstecktes Goldfass. Doch er kommt nicht dazu, es zu stehlen, denn Minnie gesellt sich zu ihm. Arglos vermutet sie, dass Johnson wohl hier geblieben sei, um mit ihr die Bar zu bewachen. Sie selbst würde die Ersparnisse der Männer mit ihrem Leben verteidigen, versichert sie ihm …

Minnies Zuneigung, die Johnson schon beim Tanz recht beglückend gespürt hatte, klopft den hartgesottenen Banditen endgültig weich. Er entschließt sich, auf den Raub zu verzichten und macht Minnie Mut: Niemand werde es wagen, das Gold zu stehlen.

Johnson hat Castros Pfiff nicht beantwortet, aber er weiß, dass es höchste Zeit für ihn ist, die Bar zu verlassen. Er bricht also auf und verspricht Minnie, sie schon bald in ihrer Hütte zu besuchen.

2. Akt: In Minnies Blockhütte

Wowkle, Minnies indianische Dienerin, singt ihrem Kind ein Wiegenlied. Billy Jackrabbit überrascht seine Freundin, indem er – Minnies Wunsch gehorchend – das Thema „Heirat“ anspricht.

Minnie ist dabei, sich hübsch zu machen. Sie erwartet Johnsons Besuch und trägt Wowkle auf, an diesem Tag ein Abendessen für zwei Personen vorzubereiten.

Bald erscheint Johnson, freudig überrascht von Minnies schöner Erscheinung. Ein romantischer gemeinsamer Abend bahnt sich an. Draußen schneit es, drinnen knistert das Feuer – und schließlich gewährt Minnie Johnson einen ersten Kuss.

Da ertönen draußen Schüsse. Die Stimme Nicks. Mehrere Männer nähern sich der Hütte. Schnell versteckt Minnie Johnson; sie fürchtet die Eifersucht des Sheriffs. Dann öffnet sie die Tür – und erfährt von den aufgeregten Männern etwas Ungeheuerliches: Johnson sei in Wirklichkeit Ramerrez, und der Bandit sei auf dem Weg zu Minnie gesehen worden. Deshalb sei man in großer Sorge um sie gewesen. Nina Micheltorena, Ramerrez eifersüchtige Geliebte, habe dessen Spiel verraten.

Minnie will die Geschichte zunächst nicht glauben, aber ein Bild, das der Sheriff von Nina als Beweis in der Hand hat, überzeugt sie. Dennoch verrät Minnie nicht, dass der Gesuchte sich in ihrer Hütte versteckt.

Als die Männer fort sind, schleudert Minnie Johnson ihre Enttäuschung und Verachtung entgegen. Er sei nur in die Polka-Bar gekommen, um zu stehlen. Auch habe er sie mit seiner Behauptung, Nina Micheltorena nicht zu kennen, belogen. Er solle schleunigst verschwinden!

Vergeblich versichert Johnson Minnie, dass er seine Absichten, sie und die Männer zu berauben, aus Liebe zu ihr aufgegeben habe, dass er mit ihr ein neues Leben beginnen wolle. („Una parola sola“)

Nur ein Wort noch!
Es ist keine Verteidigung. Ich bin ja verdammt!
Das weiß ich! Aber ich hätte Euch nie bestohlen.
Ich bin Ramerrez, als Herumtreiber geboren,
mit dem Namen eines Diebes,
seit ich auf die Welt gekommen bin.
Aber solange mein Vater lebte,
wusste ich es nicht.
Vor sechs Monaten ist mein Vater gestorben.
Mein einziger Reichtum,
um die Mutter und die Brüder zu versorgen,
war die Erbschaft des Vaters: eine üble Bande
von Straßenräubern! Ich nahm sie an.
Denn es war ja wohl mein Schicksal!
Aber eines Tages traf ich dann Euch …
Und ich träumte, mit Euch weit fortzugehen,
um von nun an ein Leben voller Liebe und Arbeit zu führen …
Und ich hatte nur eine einzige Bitte: O Gott!
Lass sie nur nie meine Schande erfahren!
Weh mir, doch der Traum war vergebens!
Jetzt bin ich am Ende!

Minnie ist von diesen Worten berührt, dennoch aber besteht sie, zutiefst gekränkt, darauf, dass Johnson ihre Hütte verlässt.

Er geht, die Tür schlägt zu – und schon fällt draußen ein Schuss. Minnie erschrickt. Johnson stürzt getroffen herein.

Minnie lässt ihren Gefühlen nun freien Lauf: Sie liebe ihn, werde ihm helfen, wolle ihn retten! Um Johnson am Dachboden zu verstecken, zieht sie eine Leiter hinab und hilft dem schwer Verletzten, sich in Sicherheit zu bringen.

Schon betritt der Sheriff den Raum – in der Gewissheit, Ramerrez in Minnies Hütte zu finden. Sie stellt sich ihm entgegen. Niemand außer ihr sei im Haus, der Sheriff könne ruhig alles durchsuchen. Da entdeckt Jack Rance frisches Blut – also doch! Schnell hat er den Flüchtigen aufgespürt und stellt ihn vor die Wohl, entweder erschossen oder gehenkt zu werden.

Minnie setzt nun alles auf eine Karte. Sie schlägt dem spielfreudigen Sheriff eine Pokerpartie vor: Wenn er gewinne, gehöre nicht nur Johnson ihm, sondern auch sie. Gewinne aber sie, dann solle Johnson frei sein.

Der Sheriff willigt ein („Una partita a poker“) – und das Spiel auf Leben und Tod beginnt. Als sich die Partie zu Gunsten von Rance entwickelt, geht Minnie aufs Ganze und greift nach Karten, die sie davor in ihrem Strumpf versteckt hatte. Momente atemloser Spannung …

Der Betrug gelingt. Der Sheriff verlässt wütend als Verlierer die Hütte.

3. Akt: Eine Dorfstraße in der Nähe des Goldgräberlagers

Johnson hat sich von der Schussverletzung erholt und ist auf der Flucht vor seinen Verfolgern. Sheriff Rance und der Kellner Nick können Minnies Sympathien für den Banditen nicht verstehen.

Da erscheint Ashby und verkündet, dass Ramerrez entdeckt sei. Und schon kurz darauf bringt einer der Goldgräber die Nachricht, man habe Johnson endlich gefangen.

Billy Jackrabbit bereitet im Auftrag der Männer den Galgenstrick vor. Nick aber bittet ihn, er solle sich möglichst viel Zeit damit lassen – und macht sich eilig auf den Weg, um Minnie zu holen.

Ashby übergibt Johnson dem Sheriff. Die wütenden Goldgräber wollen ihn unverzüglich als Dieb und Mörder hängen. Vergeblich versichert Johnson, dass er zwar gestohlen, aber nie jemanden getötet habe. Die Männer glauben ihm nicht und werfen ihm vor, ihnen sogar Minnie weggenommen zu haben. Daraufhin bittet der Gefangene die Goldgräber nur noch, Minnie nichts von den Umständen seines Todes zu berichten. Sie soll glauben, er sei für immer fortgegangen … („Risparmiate lo scherno … Ch’ella mi creda libero e lontano“)

Erspart mit euren Hohn …
Den Tod fürchte ich nicht,
und ihr alle wisst das genau!
Pistole oder Strick, das ist mir gleich …
Wenn ihr meinen Arm losmacht,
schneide ich mir auch selbst die Kohle durch!
Von etwas anderem möchte ich sprechen:
von der Frau, die ich liebe …
Sie soll denken, dass ich frei in der Ferne lebe,
auf dem Weg in eine bessere Zukunft.
Sicher wird sie auf mich warten …
Und die Zeit wird vergehen,
aber ich komme nicht zurück …
Minnie, du einziges Glück meines Lebens!

Die Männer machen sich gerade daran, Johnson zu lynchen, als im letzten Augenblick Minnie auftaucht und sich, mit dem Gewehr in der Hand, schützend vor ihren Liebsten stellt.

Die Goldgräber versuchen, sie gewaltsam von dem Gefangenen wegzureißen, aber Minnie gelingt es letztlich, den Männern ins Gewissen zu reden: Undankbar seien sie! So viel habe sie für alle getan! Und Johnson sei längst kein Bandit mehr – sondern der Mann, den sie liebe!

Sie bittet die Goldgräber darum, zu verzeihen – und schließlich geben die Männer ihren Widerstand auf … und Johnson frei.

Ein wehmütiger Abschied folgt: Minnie verlässt Kalifornien und wird mit ihrem Geliebten anderswo ein neues Leben beginnen.

Plácido Domingo als Dick Johnson und Carol Neblett als Minnie in einer Aufführung des Royal Opera House, 1983