12. Dezember 2024

„Wir glauben nicht an Geister oder Elfen, nicht an den Osterhasen und nicht an Gott.“

Der Atheismus boomt. Das zeigen nicht nur Kommentare zu weltanschaulichen Beiträgen im Internet. Geworben wird für den Kirchenaustritt und für eine religionsfreie, friedliche Gesellschaft. Religion wird dabei als überlebte, weitgehend sinnlose Tradition dargestellt, die kein Fundament habe. Die Existenz Gottes sei noch nie bewiesen worden, biblische Überlieferungen seien absurd, der Mensch müsse sich endlich aus der Knechtschaft von Jahrtausende alten Irrtümern befreien. Wirklich? Ich vermute, hier wird Religion mit Konfession verwechselt …

Seit einigen Jahren macht der „Neue Atheismus“ von sich reden. Beispielsweise werden sich viele – wie ich – an eine sehr plakative Kampagne erinnern. Ein Bus mit der Aufschrift „Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott“ tourte durch Städte in Deutschland, Österreich und der Schweiz, erregte das gewünschte Aufsehen, provozierte Diskussionen und beschäftigte Millionen Menschen. Ähnliche Kampagnen gab es in Großbritannien, den Niederlanden, in den USA, Kanada, Spanien, Italien, Finnland und Kroatien. Und alle diese Aktionen waren nur Teil einer weltweiten Bewegung gegen die Religion.

Der „Neuen Atheismus“ wird von zahlreichen Wissenschaftlern und Denkern getragen. Sie gründeten vor einigen Jahren eine Bewegung mit der Bezeichnung „Brights“. Daniel C. Dennett, ein US-amerikanischer Philosoph, formulierte: „Wir Brights glauben nicht an Geister oder Elfen oder den Osterhasen – oder Gott.“

Richard Dawkins, britischer Evolutionsbiologe und Bestseller-Autor, ist ein weiteres prominentes „Brights“-Mitglied. In seinem Buch „Zauber der Wirklichkeit“ (2011) beschrieb er die Wunder des Lebens und warb gleichzeitig massiv für ein „gottesfreies Weltbild“. Das deutsche Nachrichtenmagazin „Spiegel“ empfahl das Buch als Weihnachtsgeschenk.

Die Botschaft der Atheisten dürfte angekommen sein: Ein moralisch hochstehendes, altruistisches Leben ist auch ohne Religion möglich, ist vielleicht – angesichts der Gräueltaten im Namen des Glaubens – nur ohne Religion möglich, und an den Wundern der Natur kann man sich auch ohne Gedanken an einen Schöpfer erfreuen. Lassen wir also das Relikt „Gottesglaube“ endlich hinter uns!

Dieses Konzept findet breiten Zuspruch. Auf viele Menschen wirkt es befreiend. Denn sie denken an die Verbrechen der Kirche, an die Jahrhunderte lange Unterdrückung des freien, wissenschaftlichen Denkens, an den Glaubensfanatismus, der zu Krieg und Terror führt oder an das unnötige Schuldbewusstsein, das oft mit der Vorstellung eines alles beobachtenden Gottes einher geht …

Ich kann alle diese Gedanken gut nachvollziehen und möchte an dieser Stelle nichts relativieren.

Nur: Diese Kritik am Glauben betrifft die Konfession, nicht die Religion an sich.

Unter Konfession (von lat. „confessio“ = Bekenntnis) verstehe ich hier das Naheverhältnis des Menschen zu einer Glaubensgemeinschaft. Der Gläubige bekennt sich zu deren Überlieferungen und Dogmen und lebt nach deren Grundsätzen und Vorstellungen.

Nun könnte man beispielsweise über die Inhalte der christlichen Konfessionen lange Streitgespräche führen:

Ein Schöpfer, der seinen Sohn opfert, um die Menschheit, die an ihm – Jesus – ein abscheuliches Verbrechen begeht, zu erlösen?

Ein Schöpfer, der Wunder wirkend ins Weltgeschehen eingreifen könnte – und dennoch all das Elend und Leid zulässt?

Ein Schöpfer mit Rauschebart und Priesterkleid, der sich aber offenbar vor den Menschen versteckt?

Ein Schöpfer, dessen Wesen und Wege niemand wirklich begreifen kann, obwohl er auf Erden Stellvertreter hat?

Überhaupt: Warum ein männlicher Schöpfer und keine Schöpferin?

Und so weiter.

Es ist leicht einzusehen, dass die christliche Tradition Gott immer als eine Art Übermenschen sieht: Der Mensch weiß wenig – Gott ist allwissend. Der Mensch kann an einem Ort präsent sein – Gott ist allgegenwärtig. Der Mensch hat wenig Macht – Gott ist allmächtig.

Gegen diese gängigen Gottesvorstellungen, die stets das Menschliche überhöhen, gibt es unzählige Argumente, und Widersprüche sind leicht zu finden. Einen davon bringt der folgende Witz auf den Punkt, der in diversen Internet-Kommentaren zu finden ist, die für den Kirchenaustritt werben:

Klein Fritzchen redet mit Gott: „Kannst du einen Schuhkarton erschaffen? Du bist doch allmächtig.“ Peng … ein Schuhkarton erscheint. Klein Fritzchen fragt weiter: „Kannst du auch einen Schuhkarton erschaffen, wo du nicht weiß, was da drinnen ist?“ Peng … ein Schuhkarton erscheint und Gott weiß nicht, was drinnen ist. Klein Fritzchen weiter: „Und jetzt sag’ mir bitte, was drinnen ist? Du bist doch allwissend.“

Man mag nicht nur fragen, wie „allmächtig“ und „allwissend“ zusammenpassen, sondern auch, wie Liebe und Leid, das Schenken von Liebe und das Zulassen von Leid, in Einklang stehen sollen, oder Gerechtigkeit und Gnade.

Wenn nun jemand für sich zum Schluss kommt, dass das alles im Grunde gar nicht zusammenpasst, dann ist das allerdings nicht wirklich ein Argument gegen Gott oder die Religion. Es stellt lediglich – und zu Recht – konfessionelle Überlieferungen in Frage. Von Menschen erdachte und von Generation zu Generation weitergegebene Gottesvorstellungen.

Statt im Atheismus Zuflucht zu suchen, könnten wir uns – im Sinne einer Wiederannäherung von Naturwissenschaft und Religion – auch um ein radikal neues Gottesbild bemühen. Beispielsweise, indem wir die Begriffe „Naturgesetz“ und „Wille Gottes“ gleichsetzen und „Allmacht“ oder „Allgegenwart“ entsprechend neu definieren. Es ist durchaus nicht nötig, gegen den Glauben an sich anzutreten, wenn man sich von konfessionellen Gottesvorstellungen verabschiedet.

Aber das widerspricht dem Zeitgeist. Auch wenn viele große Naturwissenschaftler – von Newton bis Einstein – gläubige Menschen waren, ist Gott heute für die meisten Denker und Forscher – wenigstens offiziell – kein Thema mehr. Denn der Mensch gefällt sich in fortschrittlichem Denken, ist wissenschafts- und faktenorientiert. Und die heutige Naturwissenschaft ist sowieso „gottfrei“, denn eine Formel, in der irgendwo auf ein göttliches Wunder gehofft wird, damit die Gleichung aufgeht, wäre keine verlässliche Basis.

Der Glaube hat dennoch genügend Raum. Klar: Es gibt keinen wissenschaftlichen Gottesbeweis – aber ebenso wenig gibt es einen Beweis für die Nichtexistenz Gottes, auch nicht die von den Atheisten proklamierte „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“.

Durch Experimente können wir immer nur einen kleinen Schleier von dem großen Geheimnis lüften, wie die Welt beschaffen ist und funktioniert. Aber wir können nichts über das Warum sagen. Und ebenso staunend, ja, geradezu hilflos stehen wir vor dem wohl allergrößten Geheimnis: unserem Bewusstsein, das uns die Welt erleben … und über Gott rätseln lässt, unserer lebendigen Innenwelt, die uns erkennen, hoffen, lieben und träumen lässt, aber (von begleitenden Gehirnströmen abgesehen) so gar nichts Materielles an sich hat.

Es gibt genügend Raum für den Glauben. Ich vermute sogar, die heutigen Wissenschaften erforschen lediglich ein paar Nebenschauplätze, sorgfältig abgegrenzt durch die Paradigmen einer naturalistisch-materialistischen Weltauffassung.

Wir werden sehen, wie sich unsere Welt-, Menschen- und Gottesbilder weiter entwickeln.

Meines Erachtens hat der Atheismus keine Zukunft. Religion – nicht aber unbedingt Konfession – wird immer einen Stellenwert in der Gesellschaft haben, denn in uns ist offenbar das Bedürfnis nach Resonanz mit einer „höheren“ Wirklichkeit angelegt. Wohl, weil – in Form unserer bewussten Innenwelt – selbst „Höheres“, Über-das-Ich-hinaus-Weisendes im Menschen lebt und wirkt: Geist.