Sönke Wortmanns beeindruckende Roman-Verfilmung „Die Päpstin“
• „Frauen sind von Natur aus nur in sehr begrenztem Maße fähig, logische Schlüsse zu ziehen, zumal die brauchbaren Teile des weiblichen Hirns winzig klein sind. Frauen sind nicht imstande, höhere Begriffe oder gar gedankliche Konzepte spiritueller oder moralischer Natur zu begreifen.“ Odo, der hochgeschätzte, bibelfeste Lehrer, ist tatsächlich überzeugt davon, dass es wider den göttlichen Willen ist, ein Mädchen in die Domschule aufzunehmen.
Doch der Bischof setzt sich durch: Johanna, die ungewöhnliche Tochter des Dorfpriesters von Ingelheim, ist nicht irgendein Mädchen. Sie verfügt über einen außerordentlich scharfen Verstand, hat lesen und schreiben gelernt, beherrscht Latein und Griechisch und verspürt den sehnlichen Wunsch, sich zu vervollkommnen und tiefer in alle verfügbare Weisheit einzudringen.
Doch im Frankenreich des 9. Jahrhunderts zählen solche Wünsche einer jungen Frau nicht viel. Im Gegenteil, sie gelten als unnatürlich und gefährlich. Wie lehrt man doch das Volk? „Je mehr ein Mädchen lernt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es als Frau jemals Kinder bekommen wird.“
Mit diesen Mauern aus Aberglauben und religiösem Fanatismus stößt Johanna denn auch bald an unüberwindbare Grenzen. Sie erkennt, dass sich ihr die letzten Tore der Weisheit nur öffnen werden, wenn sie ihre Weiblichkeit verleugnet, und sie entschließt sich deshalb, als Mönch verkleidet in das Benediktinerkloster Fulda einzutreten. Dort macht sich Johanna – unter dem Namen ihres verstorbenen Bruders Johannes – schnell einen Namen als außergewöhnlich heilkundiger Arzt, bis eines Tages ihre wahre Identität aufgedeckt zu werden droht. Sie flieht daraufhin nach Rom, wo sie ebenfalls innerhalb kürzester Zeit Berühmtheit erlangt. „Johannes“ wird als erfolgreicher Leibarzt des Papstes Sergius weithin bekannt, und als dieser stirbt und sein Nachfolger von Widersachern vergiftet wird, wählt man ihn zum neuen Papst.
Soweit – in groben Zügen – die Geschichte der „Päpstin Johanna“, mit der die amerikanische Autorin Donna Woolfolk Cross in den 1990er Jahren einen Welt-Bestseller landete. Bis heute wird eifrig darüber diskutiert, ob diesem Roman (Originaltitel: „Pope Joan“) tatsächliche Begebenheiten zugrunde liegen. Angeblich war Johannas Pontifikat jahrhundertelang bekannt und wurden die Unterlagen darüber erst im 17. Jahrhundert gezielt von der Kirche vernichtet. Johannes Hus (1370–1415) soll die Päpstin vor dem Konzil in Konstanz noch unwidersprochen erwähnt haben, der Dominikanermönch Martin von Troppau (Martinus Polonus; 13. Jahrhundert) erwähnte sie in seiner Papst- und Kaiserchronik („Chronicon pontificum et imperatorum“), und bei mittelalterlichen Prozessionen wurde die „Via Sacra“, auf der die hochschwangere Päpstin bei einer Niederkunft gestorben sein soll, über Jahrhunderte von den Päpsten gemieden.
Auch sollen Papst-Anwärter im Mittelalter speziellen Prüfungen unterzogen worden sein, damit der „Fall Johanna“ sich nicht wiederhole.
Beweisen kann man heute weder, dass es die Päpstin gab, noch das Gegenteil davon. Jedenfalls aber ist es Donna W. Cross mit ihrem spannenden und lesenswerten Roman gelungen, eine Epoche des religiösen Fanatismus lebendig zu machen, auf die heute selbst gläubige Katholiken, in deren Reihen vieles ja nach wie vor den Männern vorbehalten ist, nur kopfschüttelnd und schamerfüllt zurückblicken können.
Das Bild jener tristen Zeit der Armut, des Unfriedens und der Diffamierung der Frau wird auch in Sönke Wortmanns Romanverfilmung „Die Päpstin“ in beeindruckender Weise lebendig. Schmutz und Elend, religiöser Wahn und Dekadenz, Lepra und Kriegsgreuel stellen sich dem kompromißlosen Streben einer jungen Frau (herausragend als Johanna: Johanna Wokalek) nach Wahrheit und Erkenntnis fordernd – und fördernd – entgegen.
Die deutsch-englisch-italienisch-spanische Filmproduktion aus dem Jahr 2009 spart nicht an aufwendigen Kulissen und plakativen Szenen und schickt durchweg großartige Schauspieler zurück in die Vergangenheit: John Goodman als monumentaler Papst Sergius, David Wenham als schwertschwingender Beschützer und Geliebter Johannas oder Iain Glen als brutal-fanatischer Dorfpriester, der seine verängstigte heidnische Frau (Jördis Triebel) aus religiösem Fanatismus misshandelt.
„Die Päpstin“, dargestellt von Johanna Wokalek, darf als gelungene und gültige Romanverfilmung betrachtet werden – wobei die Dramaturgie eines Spielfilms naturgemäß anderen Gesetzmäßigkeiten folgt als die eines Romans. Trotz seiner Überlänge hält der Spannungsbogen des Films von der ersten bis zur letzten Minute, die Balance zwischen gemütvollen und aufwühlenden Momenten stimmt, und vor allem zählt „Die Päpstin“ zu jenen Streifen, die nicht nur durch filmische Handwerks- und Schauspielkunst überzeugen, sondern durch ihre Handlung auch gute Anstöße bieten, sich gesellschaftlicher Entwicklungen bewusst zu werden.
So mag man sich zum Beispiel fragen, welche religiösen Irrtümer und überlebten Dogmen unser Leben heute noch prägen – und sich nicht nur einem vernünftigen menschlichen Miteinander, sondern vor allem auch einer echten, tiefen Glaubensüberzeugung entgegenstellen.
Wie sehr haben sich „die Zeiten“ – als Ausdruck unserer Geistesreife – wirklich geändert?
1000 Jahre nach Johanna kann eine Frau immer noch nicht zum Papst gewählt werden. Aber vielleicht strebt das heute ja auch gar keine Frau mehr an …
(2009; 149 Minuten)