Clint Eastwoods packendes Biopic „J. Edgar“
• J. Edgar Hoover (1885–1972) gründete 1935 das FBI (Federal Bureau of Investigation) und war – unter insgesamt acht US-amerikanischen Präsidenten – bis zu seinem Tod der Direktor dieser zentralen Sicherheitsbehörde der Vereinigten Staaten. Er gilt als eine der mächtigsten und umstrittensten Persönlichkeiten seiner Zeit, agierte bisweilen in gesetzlichen Grauzonen, hatte für Bürgerrechte nicht allzu viel übrig und unterhielt ein legendäres Geheimarchiv mit Material, das viele Politiker bis hin zu den Kennedy-Brüdern und Präsident Nixon unter Druck setzte.
Hoovers Biographie steht im Mittelpunkt von Clint Eastwoods sehenswertem Film „J. Edgar“, der zentrale Ereignisse in der Lebensgeschichte des FBI-Direktors beleuchtet und dabei plakativ vorführt, nach welchen Prinzipien sich eine stattliche Haus- und Hofmacht entfaltet.
Von Anfang an schart Hoover – brillant dargestellt von Leonardo di Caprio – vor allem engagierte Ja-Sager um sich, die seinen Vorstellungen nicht nur in der Wahl eleganter Anzüge oder beispielsweise in der Gesichtsarchitektur (der FBI-Mann hat bartlos zu sein!) entsprechen, sondern vor allem loyal agieren und bereit sind, ihr eigenes Willenspotential einer starken Führerfigur unterzuordnen. Auch und gerade, wenn es um kritische Entscheidungen und menschliche Schicksale geht.
Gefestigte Persönlichkeiten mit eigener Meinung, die zum Überdenken von Entscheidungen oder womöglich zu einer Kurskorrektur Anlass bieten könnten, bleiben oder werden ausgeschlossen. Die Welt zeigt sich zusehends schwarz-weiß, zuletzt gibt es nur noch Linientreue und Gegner, und dem einsamen Machtmenschen bleibt lediglich eine Handvoll vertrauenswürdiger Wegbegleiter, die schon in vorauseilendem Gehorsam seinen Wünschen entsprechen.
J. Edgar Hoover gelang es auf diesem Weg, seine Netze über ein ganzes Land zu spannen. Aber im Prinzip – und das macht diesen Film so lebensnah – funktioniert Machtentfaltung sehr oft nach einem ähnlichen Muster, ob in Unternehmen, in der Politik, in Kirchen, in Vereinen oder in ideellen Organisationen. An der Spitze stehen starke Persönlichkeiten, die sich in ihrer Entfaltung nicht durch Vorbehalte oder differenzierte Betrachtungsweisen behindern lassen. Unter dem Applaus der führerhungrigen Masse gehen sie immer wieder erfolgreich mit dem Kopf durch die Wand. Wohin das führen kann, hat die Geschichte schon oft gezeigt, und sie wird es auch künftig zeigen.
Freilich gäbe es eine Alternative zum Prinzip der letztlich zwangsläufig nur noch um Vertrauen oder Misstrauen kreisenden Haus- und Hofmacht-Entfaltung. Eine Alternative, die zu einem weitaus gesünderen, menschenfreundlicheren Aufbau führt. Sie basiert auf wirklicher Lebensweisheit.
Ja, es gibt sie tatsächlich – großartige Menschen in Führungspositionen, die Fähigkeiten und Talente in anderen erkennen und ihnen vertrauensvoll Entfaltungsräume bieten; die keine Machtinstrumente brauchen, weil man ihnen gern freiwillig folgt; die das Leben Offenheit und Nächstenliebe gelehrt hat. Es gibt sie, aber selten. Sehr selten.
Viel häufiger regiert der Durchschnitts-Machtmensch namens J. Edgar, der sich um so sicherer fühlt, je besser er sein Umfeld kontrollieren kann. Der sich von seinen vermeintlichen oder wirklichen Idealen treiben lässt und das, was nicht dazu passen will, tabuisiert oder in Feindbilder formt und fanatisch bekämpft. Und der, wenn das Leben ihm am Ende alle eleganten Anzüge vom Leib reißt, nackt und einsam auf dem kalten Boden liegt (eine der stärksten Szenen in Eastwoods Film) … und in den Momenten seines Abschieds vielleicht auf eine bessere Welt hofft.
(2011, 137 Minuten)