4. November 2024

Auf Augenhöhe mit Einstein & Co

Marie Noëlles Bio-Pic „Marie Curie“ über das Leben der zweifachen Nobelpreisträgerin

Anfangs macht sich Unruhe breit. Ungewöhnlich viele Großaufnahmen, Handkamera, hektischer Schnitt. Die Momentaufnahmen aus dem Leben von Marie Curie (1867–1934), zeitlich angesiedelt um den ersten Höhepunkte ihrer Wissenschaftskarriere, wirken verspannt und ruhelos.

Dabei hat die Protagonistin dieser filmischen Biographie gerade einen Höhepunkt ihrer Karriere erreicht: Als erste Frau überhaupt erhielt Marie Curie (dargestellt von der polnischen Schauspielerin Karolina Gruszka; Curie kam als Marie Sklodowska in Warschau zur Welt) 1903 gemeinsam mit ihrem französischen Mann Pierre Curie (Charles Berling) den Nobelpreis für Physik. Die beiden hatten mit ihrer Untersuchung radioaktiver Strahlen – wobei Marie Curie das Wort „radioaktiv“ überhaupt erst prägte – Wissenschaftsgeschichte geschrieben und die Grundlagen für Krebstherapien durch Radioaktivität entwickelt. Und sie waren, wie die französische Regisseurin und Drehbuchautorin Marie Noëlle in ihrem Film deutlich herausarbeitet, auch ein glückliches Ehepaar und Eltern zweier Töchter.

Doch dann kommt es zur Katastrophe: 1906 wird Pierre Curie von einer Pferdekutsche überrollt und stirbt. Marie aber forscht im Sinne der gemeinsam begonnen Arbeiten weiter. Und sie kämpft weiter. Denn als Frau nimmt man sie in Wissenschaftlerkreisen nicht wirklich ernst. Den Nobelpreis für Physik … nun ja, der sei doch wohl in erster Linie das Verdienst ihres Mannes gewesen … Ihre Bewerbung für einen Platz an der traditionell maskulinen französischen Wissenschaftsakademie wird abgelehnt.

Nichtsdestotrotz gelingt Marie Curie eine weitere Sensation: 1910 schafft sie es, reines Radiumchlorid vorzuweisen, wodurch der „Internationale Radiumstandard“ festgelegt werden konnte. Dies bringt ihr 1911 den zweiten Nobelpreis ein – diesmal für Chemie. Damit ist Madame Curie – neben dem Chemiker Linus Pauling (1901–1994), der auch mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde – die einzige Forscherin, die Nobelpreise auf zwei unterschiedlichen Gebieten erhielt. Dabei liegt es ihr fern, aus ihren Arbeiten finanzielle Vorteile zu ziehen. Sie verzichtet auf Patente und veröffentlicht, wie sie betont, „ohne jede Einschränkung die Ergebnisse unserer Forschung, ebenso wie das Herstellungsverfahren des Radiums“.

Es hätte also Gründe genug gegeben, dieser Ausnahmepersönlichkeit Hochachtung entgegen zu bringen. Aber die Gesellschaft stürzte sich lieber auf Marie Curies Privatleben: Einige Zeit nach dem Unfalltod ihres Mannes Pierre hatte sie mit dem hochbegabten Physiker Paul Langevin (1872–1946; seine Arbeiten gelten als grundlegend für den Bau von Kernreaktoren; im Film dargestellt von Arieh Worthalter) eine Affäre begonnen – und diese schlägt nun so hohe Wellen, dass ihr der schwedische Botschafter nahelegt, auf den zweiten Nobelpreis lieber gleich freiwillig zu verzichten. Marie Curie lässt dieses Ansinnen ins Leere laufen – und fährt nach Stockholm, um anzunehmen, was ihr gebührt.

Ihre Dankesrede – wie überhaupt ihre Eloquenz und Kompetenz im naturwissenschaftlichen Umfeld – streift Marie Noëlles Film nur peripher. Zwar zeigt die Regisseurin, dass viele ernste Forschernaturen bis hin zu Albert Einstein (Piotr Glowacki) in Curie eine Gesprächspartnerin auf intellektueller Augenhöhe fanden, aber diese Szenen bleiben inhaltlich ohne Gewicht. Noëlles Stärke sind die Bilder, nicht der Text.

Dennoch ist die mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ ausgezeichnete Filmbiographie absolut sehenswert – schon deshalb, weil Forscherpersönlichkeiten generell viel zu selten im Fokus von Spielfilm-Produktionen stehen. Wenn es um die Geschichte der Wissenschaft geht, dann werden mathematischer Formeln genannt, Ergebnisse oder Würdigungen durch Preise dokumentiert, aber über die Menschen hinter den damit verbundenen Namen wird im Allgemeinen wenig bekannt. Die meisten spannenden Geschichten rund um das Ringen um neue Erkenntnisse bleiben wohl unerzählt.

Marie Noëlles Film fokussiert Curies Leben zwischen 1904 und 1911. Die Forscherin starb 1935 an Leukämie, einer Krankheit, die sich vermutlich auf Grund ihres intensiven Kontaktes mit radioaktiven Präparaten entwickelte. Ein Jahr später erhielt ihre Tochter Irène „für die Synthese von neuen radioaktiven Elementen“ den Nobelpreis für Chemie. Eve, Marie Curies jüngere Tochter, verfasste 1938 die Biographie ihrer Mutter.

Ein besonders schönes Zitat hat der deutsche Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer in seinem lesenswerten Buch „Noch wichtiger als das Wissen ist die Phantasie“ (München, 2016) seiner Kurzbiographie über Marie Curie vorangestellt. Es sind Worte, die eine außerordentliche Gemütstiefe erahnen lassen und Curies Charakterisierung in Noëlles Film treffend ergänzen:

„Gibt es etwas Schöneres als die unveränderlichen Regeln, die die Welt regieren, etwas Wunderbareres als den menschlichen Geist, der fähig ist, sie zu entdecken? Wie leer (…) scheinen Romane und Märchen neben diesen außerordentlichen Phänomenen, die durch harmonische Gesetze miteinander verbunden sind!“

(2016, 100 Minuten)