Clint Eastwoods (Anti-)Kriegsdrama „American Sniper“
• Chris Kyle (Bradley Cooper) hat schon immer davon geträumt, ein richtiger Patriot zu sein. Für sein Heimatland zu kämpfen, das amerikanische Volk zu schützen, gegen die „Wilden“ und die „Bestien“ anzutreten, die es terroristisch bedrohen.
Als Mitglied der „SEALS“, einer Spezialeinheit der US-Navy, findet er im Irakkrieg die Erfüllung für seine „Berufung“. Während vier längerer Einsätze tötet er als Scharfschütze mehr als 160 Menschen – und wird durch seine Treffsicherheit bald zur lebenden Legende.
Doch der Krieg verändert Kyle. Zwischen seinen Einsätzen gelingt es ihm immer schlechter, mit dem zivilen Leben zurecht zu kommen. Die Beziehungen zu seiner Frau (Sienna Miller) und zu seinem Sohn (Max Charles) leiden. Das Verständnis für ein Leben ohne permanente Gefahr, ohne Fokussierung auf den Feind, kommt ihm abhanden.
Dabei erweist sich Kyle im Gegensatz zu vielen anderen, die am Krieg völlig zerbrochen sind, als seelisch vergleichsweise stabil. Als die Einsätze zu Ende sind, bereut er nichts – allenfalls, dass er viele seiner Kameraden durch weitere gezielte Schüsse nicht ausreichend hatte schützen können. Und schließlich findet er in der Betreuung von Kriegsveteranen eine neue Aufgabe – und doch noch wenigstens an den Rand des zivilen Lebens zurück …
An dieser Stelle schien das Leben des wirklichen Chris Kyle, der laut US-Verteidigungsministerium der erfolgreichste amerikanische Scharfschütze aller Zeiten war, ein Happy End zu finden. Er schrieb als gefeierter Held seine Autobiographie (veröffentlicht unter dem markigen Titel „160 tödliche Treffer – Der beste Scharfschütze des US-Militärs packt aus“). Dass ihm darin einige Flunkereien nachgewiesen wurden – etwa die Behauptung, er habe in New Orleans nach dem Hurrikan Katrina dreißig Plünderer erschossen –, konnte Kyles Popularität in den USA nicht schmälern. Und als sich dann auch noch Regie-Legende Clint Eastwood dafür interessierte, sein Leben als „American Sniper“ zu verfilmen, glich das einem Ritterschlag für den Soldaten.
Schon war man sich über das Drehbuch einig geworden, schon sind die Schauspieler gecastet und die Arbeiten an dem Filmprojekt in vollem Gang, als Chris Kyle am 2. Februar 2013 seine Vergangenheit einholt: Der „American Sniper“ wird auf einem texanischen Schießplatz von einem Veteranen des Irakkriegs erschossen …
Clint Eastwoods vielfach ausgezeichnetes Irakkriegs-Epos hatte im November 2014 Premiere – und blieb bis heute einer der umstrittensten Filme des Regisseurs.
Zweifellos hatte mit „American Sniper“ ein cineastisches Meisterwerk die Kinos erreicht (das nebenbei auch zu Eastwoods finanziell erfolgreichstem Film wurde). Aber welchem Genre konnte man es zuordnen? Handelt es sich um einen Kriegsfilm, der US-amerikanische Helden und Flaggen verherrlicht? Oder, im Gegenteil, um einen Anti-Kriegsfilm, der veranschaulicht, wie permanente Gräuel auch die seelisch Stärksten aus der Bahn werfen, wie ein Krieg alle Beteiligten für die zarteren Werte des Lebens völlig erblinden lässt?
Wahrscheinlich ist es am besten, gar nicht erst nach einer passenden Schublade zu suchen. Denn Clint Eastwood hat in vielen seiner späteren Biopics – von „J. Edgar“ über „Scully“ bis hin zum „Fall Richard Jewell“ bewiesen, dass er keine klassische Helden- und Genre-Dramaturgie braucht, um ebenso spannende wie tiefgründige Geschichten zu erzählen. Das Erzählen an sich reicht.
Und so erzählt er in diesem Fall vom Krieg. Von der Motivation, die Soldaten in den Kampf treibt, von der Befriedigung, die der Dienst mit der Waffe bereiten kann, aber auch von der großen Desillusionierung und den tiefen seelischen Wunden, die jeder Krieg hinterlässt, von den unwiederbringlichen Verlusten – verstorbene und entstellte Kameraden, in den Suizid geflüchtete Veteranen, die ertötete eigene Liebesfähigkeit …
Oft steht der Gedanke im Raum, echte Filmkunst (oder auch seriöser Journalismus) solle stets plakativ etwas lehren. Vorbilder zeigen. Unwertes klar verurteilen. Stellung beziehen.
Clint Eastwoods Sachlichkeit, die auf die Spannung des Wesentlichen konzentriert bleibt, erfüllt solche Ansprüche nicht. Er arbeitet einfach Konturen menschlichen Erlebens heraus und überlässt das Urteilen weitgehend den Zuschauern. Aber genau dadurch könnte eine breite gesellschaftliche Basis zu verständnisvollerem Nachdenken angeregt werden.
Jedenfalls reichte die „Basis“ in diesem Fall von bekannten Republikanern wie Newt Gingrich, der „American Sniper“ als „patriotisches Meisterwerk“ lobte, bis hin zur Pazifistin Jane Fonda, die Eastwoods Werk als bedeutenden Antikriegs-Film einstufte – und zwar im Rang von „Coming Home – Sie kehren heim“, in dem Fonda 1978 an der Seite von Jon Voight das Leben desillusionierter Vietnam-Veteranen nachzeichnete. Bemerkenswert.
(2014, 132 Minuten)