23. April 2024

„Die Waffe der Liebe soll mein Herz erobern“

Il ritorno d’Ulisse in patria (Die Heimkehr des Odysseus)

Oper in drei Akten von Claudio Monteverdi

Libretto: Giacomo Badoaro (1602–1654)
Musik: Claudio Monteverdi (1567–1643)
Uraufführung: Februar 1640, Venedig (Teatro San Cassiano)
Dauer: ca. 2,5 Stunden, eine Pause

Akte:
1. Im königlichen Palast; am Strand von Ithaka
2. In Ithaka; im königlichen Palast
3. Im königlichen Palast

Hauptpersonen:
Ulisse
(Odysseus), der König/L’Humana fragilità: Bariton
Penelope, Ulisses Frau: Mezzo
Telemaco, Ulisses Sohn: Tenor
Ericlea, Amme des Ulisse: Mezzo
Eumete, Hirte des Ulisse: Bariton
Melanto, Dienerin Penelopes: Sopran
Eurimaco, Malantos Liebhaber: Tenor
Iro, ein Freier und Vielfraß: Tenor
Antinoo, ein Freier: Bass
Pisandro, ein Freier: Tenor
Anfinomo, ein Freier: Countertenor
Tempo, die Vergänglichkeit: Bass
Giunone (Fortuna), die Schicksalsgöttin: Sopran
Amore, die Liebe: Sopran
Giove (Jupiter/Zeus), die höchste Gottheit: Bariton
Nettuno (Neptun/Poseidon), der Gott des Meeres: Bass
Minerva (Athene), eine Schutzgöttin: Sopran

Kurze Werkeinführung

„Il ritorno d’Ulisse in Patria“ führt zurück zu den Ursprüngen der Oper. Monteverdis Meisterwerk – eine der wenigen seiner Opern, die erhalten blieben – kann als Meilenstein in der Musikgeschichte betrachtet werden. Auf der Bühne traten nun, in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, echte Charaktere in Beziehung zueinander, die Sprache rückte ins Zentrum, die Musik war in den Dienst der Handlung gestellt. Claudio Monteverdi wird deshalb bisweilen als „Vater der Oper“ bezeichnet.

Als Vorlage für sein Libretto zur „Rückkehr des Odysseus nach Ithaka“ (so eine deutsche Übersetzung des Operntitels) dienten Monteverdis Librettisten, dem venezianischen Amateur-Poeten Giacomo Badoaro, Auszüge aus Homers „Odyssee“, einer der ältesten und bedeutendsten abendländischen Dichtungen. Vom 13. bis zum 24. Gesang wird darin die Rückkehr des Königs Odysseus (Ulisse) nach Ithaka beschrieben, nachdem er im Anschluss an den langen Trojanischen Krieg nochmals zehn Jahre lang umhergeirrt war und auf seiner „Odyssee“ viele Abenteuer erleben musste.

Odysseus Frau Penelope wird indes von zahlreichen Freiern bedrängt. Diese machen sich im Palast breit und wittern durch die Abwesenheit des Königs eine gute Gelegenheit. Sie wollen Penelope zwingen, einen von ihnen zu heiraten. Ihren Mann sei nach so langer Zeit doch sicher schon tot.

Telemach, Odysseus und Penelopes Sohn, ist während dessen auf der Suche nach seinem vermissten Vater.

Und über allem lenken die Götter die Geschicke der Sterblichen: Jupiter (Zeus), Neptun (Poseidon) und Minvera, die Odysseus zu ihrem persönlichen Schützling gemacht hat …

Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in Patria“ hat selbst eine Art Odyssee hinter sich: Sie war etwa 240 Jahre lang verschollen, ehe sie 1878 wiederentdeckt wurde. Heute gilt die Odysseus-Oper als Schlüsselwerk an der Schwelle zwischen den Epochen der Renaissance und des Barocks.

Die Handlung

Kurz und gut …

Die ältere Generation zu unterschätzen, kann mit einem Pfeil in der Brust enden. Jugendliche Freier, die es auf Hof, Gut und Frau abgesehen haben, weil der Hausherr in der Fremde weilt, sollten das wissen.

Vorspiel

Die Vergänglichkeit (Tempo), das Schicksal (Fortuna) und die Liebe (Amore): Personifiziert beschreiben die drei Kräfte das bittere Los, das sie dem Menschen bereiten: Ihm sind Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit beschieden:

Durch mich wird dieser Mensch zerbrechlich sein.
Durch mich wird dieser Mensch armselig sein.
Durch mich wird dieser Mensch trübselig sein.
Erbarmungslos flieht die Zeit dahin!
Erbarmungslos lockt das Glück!
Erbarmungslos schleudert Amor seine Pfeile!
Zerbrechlich, armselig, trübselig sei dieser Mensch!

1. Akt: Im königlichen Palast; am Strand von Ithaka

Seit vielen Jahren wartet Penelope, Ulisses (Odysseus) keusche und geduldige Ehefrau, auf die Heimkehr ihres Manns, des Königs. Zwei Jahrzehnte sind seit seiner Abreise bereits vergangen. Penelope beklagt ihre Situation, die „altgewordene Hoffnung“ und die sie umgebenden Feinde. („Di misera Regina …“)

Ich unglückselige Königin!
Meine unnennbaren Leiden kennen kein Ende!
Der Erwartete kehrt nicht zurück,
Und es vergehen meine Jahre:
Die qualvolle Zeit ist, ach, zu lang,
Götter, erbarmt huldvoll Euch mein,
Hoffnung ist nicht für meinen Schmerz,
Trostlose Lieb’ bricht mir das Herz,
Bringt mir den Tod durch ihre Pein!

Ericlea, Ulisses alte Amme, leidet mit Penelope.

Indes tauscht Melanto, die Dienerin Penelopes, mit Eurimaco, ihrem Liebhaber, verbale Zärtlichkeiten aus. Melanto schwebt im siebten Himmel – und wünscht auch ihrer Herrin neue Erlebnisse der Zweisamkeit. In Penelope solle das „Liebesfeuer“ endlich wieder entfacht werden.

Um Ulisses Schicksal streiten indes die Götter: Giove (Jupiter/Zeus), die oberste Gottheit, hat dem König nach dessen Odyssee den Weg zurück nach Ithaka gewiesen. Nettuno (Neptun/Poseidon) aber, der Gott der Meere, hätte die Heimkehr des verhassten Ulisse lieber verhindert, denn dieser hat seinen Sohn getötet. Wenn der Wille des Menschen sich gegen den Himmel richtet, meint Nettuno, sei das nicht zu verzeihen. Giove weist den aufbrausenden Gott der Meere auf den Wert der Barmherzigkeit hin, gestattet ihm aber, Ulisses fahrendes Schiff in einen Fels zu verwandeln und so seine Macht zu zeigen.

Ulisse hat allerdings eine mächtige Schutzgöttin an seiner Seite: Minvera. Sie geleitet ihn mit Hilfe des Volks der Phäaken an den Strand. So erwacht Ulisse in Ithaka, ohne zu wissen, wo er ist („Dormo ancora?“).

Schlafe ich noch oder wach’ ich?
Welche Gegenden umgeben mich?
Welche Luft atme ich ein?
Welchen Boden betrete ich?
Schlafe ich noch oder wach’ ich?
Wer wandte mir den süssen, umschmeichelnden Schlaf
zum Quäler? 

Minerva nähert sich Ulisse zunächst in Gestalt eines Hirtenjungen, berichtet ihm, dass er in Ithaka sei und gibt sich dem alten König dann als Gottheit zu erkennen.

Sie erzählt ihm von den Freiern, die die immer noch keusche Penelope bedrängen und weist Ulisse an, die Gestalt eines greisen Bettlers anzunehmen, um so geschützt an seinen Hof zurückkehren zu können.

Minerva greift ihrem Schützling aber auch handfest unter die Arme, denn die gierigen Freier gefährden Hab und Gut des vermissten Königs. Die „heiligen Nymphen“ sollen deshalb „Gold, Schmuck, Kleider und Schätze“ des Königs „in Sicherheit verbergen“ – in ihre dunkle Höhle, wo niemand die Schätze finden kann.

Während die Nymphen den Auftrag der Göttin erfüllen, sendet Minerva Ulisse zur „arethusischen Quelle“. Dort solle er bei Eumete, einem alten, treuen Hirten warten. Sie werde wiederkommen – gemeinsam mit Telemaco, den sie aus aus Sparta holen wolle. Ulisses Sohn sucht dort gerade nach seinem vermissten Vater.

Im königlichen Palast versucht Melanto derweil abermals, ihrer Herrin die „Liebesglut“ der Freier schmackhaft zu machen. Die Wonnen der Liebe würden Penelopes Schmerz zerstreuen, sie die immer wieder enttäuschten Hoffnungen auf eine Rückkehr Ulisses vergessen lassen. Vergeblich.

Penelope ist nicht bereit, sich dem „unbeständigen, herumstreifenden Gott Amor“ anzuvertrauen. Sie hofft weiterhin auf Ulisses Rückkehr. –

Dieser begegnet nun Eumete, einem alten Hirten, der sich gerade mit Iro ärgern musste, einem von Penelopes Freiern, einem maßlosen Vielfraß, der damit geprahlt hat, selbst „unter Königen zu leben“ und die minderen Gefährten des Hirten, die „Frucht seiner Arbeit“, genüsslich zu verspeisen.

Ulisse tritt in der Gestalt des Bettlers vor Eumete und kündet ihm, dass der König lebt. Die Heimat werde den so lange Verschollenen bald wiedersehen, Penelope werde ihn wieder umarmen können. Eumete, der über die Jahre in fortwährendem Kummer um Ulisse gelebt hatte, hört die Worte des Greises mit großer Freude und bringt ihn in Sicherheit. („O padre sospirato!“)

2. Akt: In Ithaka; im königlichen Palast

Minerva und Telemaco eilen „durch die Lüfte, durchqueren die Winde“ und kommen wohlbehalten bei Ulisse und Eumete an. Telemaco sendet den Hirten zum königlichen Palast. Er soll Penelope die Rückkehr ihres Sohnes melden.

Danach erlebt Ulisses Sohn ein Wunder: Die Erde spaltet sich, der vor ihm stehende Greis versinkt – um gleich danach in jugendlicher Frische wieder aufzuerstehen: Ulisse erscheint in seiner wahren Gestalt vor Telemaco. Vater und Sohn sehen einander endlich wieder!

Der König sendet Telemaco zurück in den Palast. Er selbst werde ebenfalls bald bei seiner Familie sein – doch vorher müsse er einmal noch die Gestalt des Greises annehmen …

Als Eumete, der alte Hirt, den Palast betritt, ist die Situation hier unverändert: Melanto und Eurimaco ergehen sich in ihrer Verliebtheit und Penelope ist in ihrer Trauer gefangen, während die Freier sie vergeblich zur Heirat drängen.

Eumetes Nachricht, ihr Sohn werde bald zu Hause sein und es bestehe auch die Hoffnung, dass Ulisse, „unser König, dein Gemahl“, noch am Leben sei, ja, dass auch seine Heimkehr bevorstehe, verunsichert Penelope:

Solch unsichere Botschaft
macht meinen Schmerz noch tiefer.
Wird je mein Schicksal sich ändern? 

Die Freier jedoch bringt die Nachricht, Telemacos und Ulisses könnten zurückkehren, aus der Ruhe. Kurzerhand beschließen sie, der Sohn des Königs müsse ermordet werden. Und Penelope solle schnellstmöglich zur Heirat angehalten werden – und zwar am besten mit Gold, jenem „Liebeszauber, der jedes Frauenherz erweicht“.

Indessen bereitet Minerva ihren Schützling, den König, auf die Rückkehr in seinen Palast vor. Sie kennt die Situation vor Ort: die drängenden Freier einerseits – und andererseits die in ihrem Trennungsschmerz versunkene Penelope, die in Wirklichkeit wohl gar nicht mehr an eine Rückkehr ihres Gatten glauben kann.

Also entwickelt die Göttin einen Plan: Penelope soll die Freier zu einem Zweikampf mit Ulisse (in Gestalt des Greises) herausgefordern. Sie werde ihr entsprechende Gedanken eingeben und ihm dann beistehen. –

Telemaco ist inzwischen im königlichen Palast eingetroffen und auch Ulisse erscheint – allerdings in Gestalt des Bettlers. Er wird von niemandem erkannt. Iro, der Vielfraß, will den Fremden auch sogleich fortjagen – Futterneid …

Verschwinde von diesem Ort!
Bist du hier, deinen Bauch zu sättigen,
so bin ich vor dir da.

Der sich aus dieser Verbalattacke entwickelnde Kampf zwischen Ulisse und Iro ist kurz. Der Gierschlauch unterliegt – und Penelope bittet den tapferen Bettler (den auch sie nicht erkennt), am Hof zu bleiben.

Als die Freier sie weiterhin bedrängen, schlägt Penelope – inspiriert durch Minerva – einen Wettkampf vor: Wer es schafft, den Bogen des Odysseus zu spannen, der gewinnt sie zur Frau. („Ecco l’arco d’Ulisse“)

Dies ist Ulisses’ Bogen,
zugleich die Waffe der Liebe,
die mein Herz erobern soll! 

Antinoo, Pisandro und Anfinomo wähnen sich schon am Ziel ihrer Wünsche … sie alle versuchen es, doch keiner von ihnen ist stark genug.

Daraufhin bittet der Bettler, es auch versuchen zu dürfen – ohne Penelope als Preis zu erwarten. Diese erlaubt es. Bass erstaunt beobachten alle, wie er mühelos den Bogen spannt – und geführt von den Göttern treffen seine Pfeile die drei Freier. Nur Iro bleibt verschont.

3. Akt: Im königlichen Palast

Iro blieb zwar von Ulisses Pfeilen verschont, aber mit dem Tod der anderen Freier, seiner „Väter“, die ihm Wohlstand und Genuss verschafft hatten, ist seine Lebensfreude dahin („O dolor, o martir che l’alma attrista“). Unfähig dazu, sich selbst zu erhalten, entzieht sich der Vielfraß durch Selbstmord dem drohenden Hungertod:

Mein mutiges Herz,
bemeistere den Schmerz!
Bevor mein Körper durch Hunger verdirbt,
will ich in die gähnende Gruft hinabsteigen! 

Eumete, der alte Hirt, offenbart Penelope nun, weshalb es diesem Greis gelang, den Bogen zu spannen und die Freier zu erschießen: Ulisse selbst sei in den Palast zurückgekehrt.

Penelope aber glaubt ihm nicht. Sie hält Eumetes Worte für die „trügerische Botschaft eines unerwünschten Trösters.“

Auch Telemaco, der Eumetes Bericht bestätigt, kann seine Mutter nicht überzeugen, dass der Alte ihr Gatte sei. Penelope wähnt, jeder, der an Ulisses Rückkehr glaubt, sei von den Göttern getäuscht.

Diese aber entscheiden, dass der leidgeprüfte Ulisse nun Ruhe finden soll. Minerva bittet um Frieden für ihn; Giuone, die Schicksalsgöttin, setzt sich für ihn ein, und Giove, dem Göttervater, gelingt es, sogar den Meeresgott Nettuno zu besänftigen. Ulisses Leben soll ein Happy end finden!

Als Ulisse in seiner eigenen Gestalt Penelopes Saal betritt, glaubt diese zunächst immer noch an einen Zauber. Auch die alte Amme Ericlea, die den König zuvor schon an einer Narbe erkannt hatte, kann Penelope nicht überzeugen. Das alles muss ein fieses Spiel der Götter sein!

Zuletzt aber beweist Ulisse selbst seiner Frau, wer er ist – indem er über ein Geheimnis spricht, von dem nur er wissen kann: Er beschreibt das Muster der Decke ihres Ehebettes, die Penelope selbst gewebt hatte.

Und nun endlich ist es soweit: Penelope umarmt den heimgekehrten Gatten; die trübe Hoffnungslosigkeit fällt von ihr ab („Sospirato mio sole!“)

Strahlet, o Himmel
Ergrünt, ihr Wiesen!
Erfreue dich, Luft!
Die zwitschernden Vögel,
die murmelnden Bäche
mögen sich freuen!
Das grünende Gras,
die plätschernden Wellen
mögen sich trösten!
Glücklich aus der trojanischen Asche
ist mein Phönix auferstanden!