29. März 2024

Flucht aus der Weltkuppel

Peter Weirs großartige Filmsatire „Die Truman Show“

Truman Burbank (Jim Carrey) ist – ohne es zu wissen – Hauptdarsteller einer nach ihm benannten Fernsehserie, die weltweit rund um die Uhr live übertragen wird. Die „Truman Show“ begann mit seiner Geburt, verfolgte sein Leben als Kind und Jugendlicher und zeigt alle Banalitäten und Intimitäten aus dem Alltag des inzwischen 30-jährigen Versicherungsangestellten. 5.000 versteckte Kameras dokumentieren jeden seiner Schritte, Trumans Bekannte und Freunde sind in Wirklichkeit gut bezahlte Schauspieler, selbst seine Ehefrau (Laura Linney) spielt nur jene Rolle, die ihr der Christof (Ed Harris), der Erfinder der Fernsehserie, zugeschrieben hat.

„Die Truman Show“, eine großartige Filmsatire des australischen Regisseurs Peter Weir (Drehbuch: Andrew Niccol), bringt alle Verirrungen des bis heute erfolgreichen TV-Genres der „Reality Shows“ auf den Punkt – Scheinheiligkeit, Voyeurismus, Medienmanipulation und Menschenverachtung. Aber sie lädt darüber hinaus auch zu tieferem Nachdenken ein.

Vor allem über die Frage, inwieweit wir in unserer Gesellschaft nicht alle bestimmte „Rollen“ spielen, die wir nie hinterfragen – obwohl sie uns davon abhalten, unsere wirkliche, ureigene Persönlichkeit zu entwickeln und obwohl wir unsere Mitmenschen dadurch frustrieren oder vielleicht sogar schädigen …

Truman Burbank ist ein zutiefst einsamer Charakter. Instinktiv und immer deutlicher spürt er, dass ihm überall nur Oberfläche begegnet, keine wahre Freundschaft, keine Liebe, keine Herzenswärme. Selbst Worte und Gesten der Zuneigung erlebt er als manipulativ und kalt, berechnend. Entsprechend begegnet er der Welt, trainiert sich eigene Verhaltensmuster an, reagiert in seinen Alltagsbegegnungen mit aufgesetzter Fröhlichkeit und grimassenhaftem Lachen, während sein Inneres stark und stärker nach Befreiung drängt, nach Erlösung aus einer lähmenden, bereits unerträglichen Erstarrung.

Klar, mit diesen Verhältnissen ist die reale Gesellschaft, in der wir leben, nicht ohne weiteres zu vergleichen. Bei allen Defiziten, die es gibt, dürfen wir uns doch darüber freuen, in den vergangenen Jahrhunderten wichtige Schritte in Richtung Freiheit getan zu haben – ob es beispielsweise um die Frauenrechte ging oder um die Überwindung religiös-dogmatischer Gefängnisse.

Dennoch erscheint die heutige Welt – kritisch betrachtet – in gewisser Weise ebenfalls wie eine große Inszenzierung, in der die Menschen zu mehr oder minder gut bezahlten Statisten degradiert sind, zu Marionetten, die von höheren Mächten an unsichtbaren Schicksalsfäden durchs Leben dirigiert werden.

Allerdings ist dazu gar kein „Christof“ nötig. Die großen finanzkräftigen Machthaber, die hinter verschlossenen Türen das Weltgeschehen beobachten und für ihre Zwecke steuern, wie populäre Verschwörungstheorien dies vermuten lassen, sind gar nicht wirklich entscheidend. Ebensowenig die allmächtigen Hebel, Schalter und Computer, die das Wetter, die Börse und das weltweite Kriegsgeschehen steuern sollen.

Die wichtigste Grundlage für die Verführung und Vermassung des Menschen, für seine Degradierung zum willfährigen Automaten, ist ein Verhaltens-Phänomen, das die Sozialpsychologie als „Konformismus“ bezeichnet und das seit mehr als 100 Jahren gut erforscht ist: Die Neigung des Einzelnen, mit den Normen und Werten seiner Gesellschaft (oder, im Speziellen, seiner persönlichen Bezugsgruppe) übereinzustimmen und sich diesen anzugleichen – und sei es auf Kosten der persönlichen Freiheit und Unabhängigkeit.

Der große Seelenarzt Viktor Frankl (1905–1997) zählte den Konformismus, das „Wollen, was die anderen tun“, zu den drei großen krankmachenden Phänomenen* unserer Zeit.

Weil Konformismus von den meisten Menschen aber als angenehm erlebt wird, haben es politische oder religiöse Führer so leicht, Anhänger zu gewinnen und zu radikalisieren, können Autoritäten und Marken ihre Macht entfalten oder „Stars“ ihre Vorbildwirkung in klingende Münze verwandeln. Der Eindruck, in bestimmten Überzeugungen oder Vorlieben mit anderen „eins“ zu sein, vermittelt ein Gefühl der Stärke und der Sicherheit.

Deshalb hängt die Neigung zum Konformismus oft mit persönlichen Schwächen zusammen. Denn es kann recht mühevoll sein, sich ohne Vorurteil eine eigene Meinung zu bilden, wirklich selbständige Entscheidungen zu treffen oder im Leben dort und da aus Überzeugung „gegen den Strom zu schwimmen“ …

Übrigens lässt sich auch der Begriff „Verschwörung“ (= Konspiration) nicht nur als geheime Zusammenarbeit einzelner mächtiger „Hintermänner“ verstehen, sondern auch als Art geistiger Gleichklang einer Gemeinschaft. Im „konspirieren“ (lat. „conspirare“) steckt der „spirit“, der Geist, der Menschen zu einer „verschworenen Gemeinschaft“ eint – womit wir wieder beim Konformismus wären …

Truman Burbank gelingt es schließlich, das System, das ihn gefangen gehalten hatte, zu überwinden. Allen Widerständen zum Trotz flieht er aus der Kuppel der künstlichen Welt, die für die „Show seines Lebens“ errichtet worden war und sein Dasein für 30 Jahre geprägt hatte – so lange, bis der Drang nach einem selbstbestimmten Leben übermächtig wurde.

Als er entschlossen die Kulissen verlässt, um endlich sein wirkliches Leben zu beginnen, sind viele Zuschauer der „Truman Show“ vor ihren Fernsehgeräte tiefer berührt als je zuvor. In ihren Tränen bricht sich die Sehnsucht Bahn.

Eine verschworenen Gemeinschaft wurde bewusst, dass der Ausbruch möglich ist.

(1998; 99 Minuten)

 

*Konformismus, Totalitarismus und Reduktionismus: „Konformismus heißt für Frankl: Wollen, was die anderen tun. Totalitarismus bedeutet: Tun, was die anderen wollen. Reduktionismus heißt: Denken, als ob es nichts anderes gäbe als das, was gerade eben gedacht, gesagt und getan wird.“ (Helmut Graf, Logotherapeut in „Am Anfang war der Sinn“, Kleine Zeitung, 1. September 2017)