27. April 2024

„Fühlt sie leuchtend in Eure Herzen geh’n!“

Königskinder

• Märchenoper in drei Akten von Engelbert Humperdinck

Libretto: Ernst Rosmer (Elsa Agnes Bernstein-Porges, 1866–1949)
Musik: Engelbert Humperdinck (1854–1921)
Uraufführung: Schauspiel-Fassung: 23. Januar 1897, München (Hoftheater); Opernfassung: 28. Dezember 1910 (New York)
Dauer: ca. 3 Stunden, eine Pause

Akte:
1. Hexenhütte im Hellawald
2. Stadtanger von Hellabrunn
3. Hexenhütte im Hellawald

Hauptpersonen:
Der Königssohn: Tenor
Die Gänsemagd: Sopran
Der Spielmann: Bariton
Die Hexe: Alt
Der Holzhacker: Bass
Der Besenbinder: Tenor
Tochter des Besenbinders: Sopran
Der Ratsälteste: Bariton
Der Wirt: Bass
Die Wirtstochter: Mezzosopran
Der Schneider: Tenor
Die Stallmagd: Alt

Kurze Werkeinführung

Engelbert Humperdinck (1854–1921) ist einer der bedeutendsten Opernkomponisten im beginnenden 20. Jahrhundert. Wiewohl er sich als Schüler Richard Wagners (1813–1883) betrachtete und ihm bei der Uraufführung seines „Parsifal“ assistierte, gelang es Humperdinck nach dem Tod des Meisters, eine innovative und unverkennbare eigene musikalische Sprache zu entwickeln.

Sein berühmtestes Bühnenwerk, „Hänsel und Gretel“, war 1893 unter Richard Strauss (1864–1949) uraufgeführt worden – und nach diesem Welterfolg suchte Humperdinck sehr lange nach einem passenden Stoff für ein Nachfolgewerk. Er fand es schließlich in einem Melodram von Elsa Bernstein (1866–1949), die das Stück unter dem Pseudonym „Ernst Rosmer“ veröffentlicht hatte. Abermals nahm sich Humperdinck also „ein deutsche Märchen“ (so der Untertitel des Schauspiels) vor – wobei er zunächst aber noch keine Oper im Sinn hatte, sondern einfach die Musik zu einem Schauspiel komponieren wollte. Erst 1907 begann er mit jener Opernfassung, die schließlich am 28. Dezember 1910 in New York mit großem Erfolg uraufgeführt wurde.

Neben „Hänsel und Gretel“ stehen auch Humperdincks „Königskinder“ bis heute regelmäßig auf den Spielplänen der internationalen Opernhäuser.

Inhaltlich bietet das Werk ein klassisches Märchenthema: Während die Menschen (die Bürger von Hellabrunn) üblicherweise nur nach Äußerlichkeiten urteilen (und verurteilen), erkennt das reine Kinderherz die wahren Werte …

Die Handlung

Kurz und gut …

Wenn ein König, und sei er noch so edelmütig, sich seinem Volk nicht mit der Krone, sondern als Schweinehirt präsentiert, muss er damit rechnen, dass man ihn vorschnell aus der Stadt jagt.

1. Akt: Hexenhütte im Hellawald

Tief im Wald wächst ein junges, hübsches Mädchen bei einer Hexe auf, die es für seine Großmutter hält. Die Alte hatte das Kind als Waise zu sich genommen, beschäftigt es als Gänsemagd und will es zur Zauberin erziehen, indem sie es die Praktiken der Schwarzen Magie lehrt. So zwingt sie das Mädchen eines Tages, ein Zauberbrot zu kneten, das „nicht alt und nicht hart“ wird. Die Gänsemagd tut es und wünscht sich, dass dieses Brot etwas Schönes bewirken möge:

Wer davon isst, mag das Schönste seh’n,
so er wünscht, sich zu gescheh’n.

Doch die Hexe hat andere Pläne. Sie hat das Zauberbrot vergiftet und bewahrt es in einem geheimen Versteck für die Zukunft auf, denn einst soll es Verderben bringen:

Wer es hälften isst,
stirbt ganzen Tod.

Nachdem die Hexe sich zum schwarzen See aufgemacht hat, um „Pilze und Würzlein“ zu suchen, schmückt sich das junge Mädchen mit einem Blumenkranz und betrachtet im Brunnenwasser sein Spiegelbild. Sie sehnt sich danach, dem Bösen, das sie hier umgibt und belastet, entfliehen zu können.

Da kommt vom Hellaberg herab ein gut aussehender junger Mann – der Sohn des Königs. Er hat das Schloss seines Vaters verlassen, um inkognito die Welt und das Leben der Menschen kennenzulernen. Er möchte so zu einem wirklich verständigen König reifen, „herzenshell über die Erde gehen“, anstatt sein junges Leben in einem „goldenen Käfig“ zu fristen.

Der Königssohn ist der erste fremde Mensch, den die Gänsemagd jemals zu Gesicht bekommt, denn üblicherweise kommt niemand in den Zauberwald. Wie sehr wünscht sie sich ein anderes Leben – weg von diesem Ort, der sie seit so vielen Jahren im Bann hält! Und wie sehr wünscht der Königssohn sich endlich eine Gefährtin, die er aus ganzem Herzen lieben und die seinen Entschluss, das Reich seines Vaters zu verlassen, freudig mittragen kann.

Schnell finden die beiden Gefallen aneinander („Du machst mir im Herzen heiß und im Haupte bang“) , und bald berühren sich ihre Lippen …

Als ein Windstoß der Gänsemagd ihren Blumenkranz vom Kopf weht, will ihn der Königssohn für sich behalten. Im Gegenzug bietet er ihr die goldene Krone an, die er mit in seinem Gepäck hat, um sie „einer Königin“ überreichen zu können – jener Gefährtin, die er sich erwählt. Sie fühlt sich eines solchen Geschenkes nicht wert, doch der Königssohn besteht darauf, dass die Krone künftig zu ihr gehöre.

Schon sind die beiden entschlossen, ein gemeinsames Leben zu beginnen („Ich bin dir eigen alle Zeit“), als die Hexe aus dem Wald naht. Sofort verspürt die Magd wieder jenen mächtigen Bann, der sie schon bisher immer daran gehindert hat, diesen Ort und ihre Großmutter zu verlassen.

Der Königssohn begreift nicht, weshalb die Gefährtin seiner Wahl plötzlich der Mut verlässt. Offenbar will sie ihr Leben doch nicht gemeinsam mit ihm führen! Enttäuscht und wütend verlässt er die Gänsemagd („Königsblut und Bettelblut sollen es nicht miteinander wagen“), um seinen Weg allein weiter zu gehen. Sie werde ihn erst wiedersehen, prophezeit er ihr abschließend, wenn ein Stern vom Himmel falle und ihre Blume – eine Lilie – erblühen lasse:

Eh nicht, gelöst vom Vaterzelt,
ein Nachtstern ins Herz deiner Blume fällt
sollst du mich nicht wiedersehn!

Verzweifelt bleibt die Gänsemagd allein zurück. Als ihre Großmutter sich ankündigt , beeilt sie sich, die Krone zu verstecken. Sie soll nicht erfahren, dass jemand bei ihr war.

Kurz nachdem die Hexe aus dem Wald heimgekehrt ist, erscheinen drei Gesandte aus Hellabrunn, der nahen Stadt: Ein Holzhacker und ein Besenbinder, begleitet von einem Spielmann, der standesgemäß musiziert. Die drei berichten, dass die Stadt einen neuen König suche. Der alte sei ohne Nachkommen gestorben. Ob die weise Waldfrau einen Rat habe?

Kurzerhand prophezeit die Hexe, dass derjenige zum König bestimmt sei, der am kommenden Tag „beim Mittagsläuten“ das Stadttor durchschreite – „sei es ein Schalk oder Wechselbalg“ – egal also, um wen es sich handelt.

Der Holzhacker und der Besenbinder geben sich mit dieser Weissagung schließlich  zufrieden und eilen zurück in die Stadt. Nicht aber der Spielmann. Er hat die Gänsemagd entdeckt und spürt intuitiv, dass diesem Mädchen etwas Besonderes anhaftet. Also fragt er nach ihrer Herkunft – und kann nicht glauben, dass die Hexe ihre Großmutter sein soll.

Schließlich vertraut ihm die Magd an, dass sie den Königssohn gesehen habe, „mit hellen Augen und roten Wangen“, er habe sie sogar für sich erwählt, doch sei er schließlich wieder gegangen, weil ihr die Kraft gefehlt habe, sich von dem bösen Zauber zu lösen, der sie an diesen Ort fesselt. Sofort ist der Spielmann entschlossen, auf die Suche nach dem Königssohn zu gehen – und sie, die Magd, solle sich diesem dann vermählen!

„Der Königssohn und die Gänsemagd?“, spottet die Hexe – und erzählt, getrieben von Neid und Zorn, wie es sich mit den Eltern des Mädchens tatsächlich verhalten habe: Die Mutter sei eine Dirne und der Vater ein Mörder gewesen. Dieser, ein Henkersknecht, habe einen höher gestellten Herrn getötet, der sich seiner Tochter unsittlich nähern wollte.

Erstmals hört damit auch die Gänsemagd die Geschichte ihrer Eltern, die sie zutiefst aufwühlt. Doch der Spielmann beruhigt das zunehmend verzweifelte Mädchen. Er habe ihre Eltern gekannt, sie seien – egal, was man ihnen nachsagt – in „Lieben und Leiden“ gewiss „königsecht“ gewesen, und sie selbst sei somit ein „Königskind“. Doch dürfe sie es erst wagen, die Krone zu tragen, wenn sie alle Bande zerrissen habe, die sie an diesen Ort fesseln.

Die Gänsemagd schöpft neue Zuversicht und ist entschlossen, sich nun endgültig von ihrer vermeintlichen Großmutter loszusagen. Innerlich flehend ruft sie ihre Eltern an und bittet um Kraft, den Bann zu brechen. Und ihre Bitte wird erhört: Ein Stern fällt vom Himmel, und zum Zeichen, dass sie von dem bösen Zauber befreit ist, erblüht die Lilie des Mädchens.

In Begleitung des Spielmannes begibt sich die Magd nun auf die Suche nach dem Königssohn.

2. Akt: Stadtanger von Hellabrunn

In Hellabrunn, einer wohlhabenden Stadt, bereiten sich die Bürger auf das Hellafest vor. Gespannt warten sie darauf, wer zu Mittag wohl das Stadttor durchschreiten werden, denn sie glauben an die Prophezeiung der alten Waldfrau.

Der Königssohn ist indes auch in der Stadt eingetroffen und besucht ein Gasthaus. Die Tochter des Wirts findet spontan Gefallen an dem Fremden und bietet ihm Essen an. Doch sie muss sich bald wütend damit abfinden, diesen jungen Mann nicht verführen zu können. Wehmütig denkt er an die Gänsemagd zurück, deren Blumenkränzchen er immer noch bei sich trägt.

Als der Königssohn sich dann auf den Weg zurück nach Hause machen will, ist ihm, also ob die Blumen ihm bedeuten, doch noch hier zu bleiben. Er folgt dieser Eingebung und fasst dann den Entschluss, ein Jahr lang als niederer Bediensteter zu arbeiten, um das Leben der einfachen Menschen selbst zu erfahren und später ein umso besserer König sein zu können. Als der Wirt ihm eine Stellung als Schweinehirt anbietet, nimmt er diese an.

Bald versammelt sich der Stadtrat von Hellabrunn, um die Bürger von der Weissagung der Waldfrau zu unterrichten. Niemand zweifelt an den Worten der Alten, und die Menschenmenge ist sich auch schnell darüber einig, wie der neue König beschaffen sein muss – im Grunde so, dass er ihnen und ihren Wünschen dient:

Wir wollen ihn lieben und hoch verehren,
Und was wir wünschen, wird er bescheren.
Bequem soll er’s machen einem jeden,
Wir werden ihm schmeicheln,
Unsere Sprache soll er reden,
Er soll uns streicheln.

Der Königssohn, der die Versammlung verfolgt, erhebt lautstark Einspruch: Ein echter König könne doch nicht die Marionette des Volkes sein. Vielmehr sei es seine Aufgabe, Vorbild zu sein, das ganze Volk zu heben …

Doch solche Gedanken stoßen bei den Bürgern nicht auf das mindeste Verständnis. Sie verlachen den Fremden („Das ist ein Narr!“), und die zurückgewiesene Tochter des Wirts nützt die Stimmung auch gleich für ihre Rachegelüste aus. Sie wirft dem Fremden vor, das Essen (auf das sie ihn eingeladen hatte), bestellt und nicht bezahlt zu haben.

Aber gerade als sich der Zorn der Menge gegen den Königssohn steigert, schlagen die Mittagsglocken. Es ist 12 Uhr – der große Moment ist da. Gespannt warten alle, wer durch das Stadttor schreiten wird – aber nur der Königssohn ahnt, durch die Glocken an einen Traum erinnert, dass es die Gänsemagd sein könnte.

Schließlich öffnet sich das Stadttor – und tatsächlich tritt das Mädchen, begleitet vom Spielmann, hindurch. Sie trägt die Krone des Königssohns auf ihrem Haupt.

Als dieser sie erblickt, eilt er sofort auf sie zu („Wahr!“) , fällt ihr zu Füßen, und erkennt erfreut, dass sie ihre Ängste überwunden hat. Beide sind glücklich, wieder vereint zu sein.

Doch die Bürger von Hellabrunn sind mit diesem Paar überhaupt nicht einverstanden: Eine Gänsemagd und ein Schweinehirt als „Königskinder“ – das geht doch wirklich nicht! Ein Sturm allgemeiner Entrüstung tobt los, die beiden werden als Bettler und Schwindler beschimpft, bedroht und schließlich verjagt. Der Spielmann, der versucht hat, die Menge zu beruhigen und sie zur Erkenntnis zu führen, dass hier die wirklichen Königskinder vereint sind, endet als Gefangener im Turm.

Nur das Töchterchen des Besenbinders hat in kindlicher Einfalt hinter die Fassade blicken können:

„Das ist der König und seine Frau gewesen!“

3. Akt: Hexenhütte im Hellawald

Der Zorn der Bürger über die fragwürdige Prophezeiung hat sich mit voller Wucht entladen: Die Hexe wurde verbrannt, der Spielmann misshandelt, so dass er aus der Stadt floh und im Hellawald, in der alten Hexenhütte, Zuflucht suchte, wo er jetzt wohnt. Die Gänsemagd und der Schweinehirt sind verschollen.

Nun kommen Leute aus Hellabrunn, darunter der Besenbinder, der Holzhacker und vor allem eine Schar Kinder, um den Spielmann zu bitten, doch wieder in die Stadt zurückzukehren. Die Kinder versichern, sie seien davon überzeugt, dass es sich bei den beiden jungen Menschen, die einander unter dem Stadttor gefunden hatten, tatsächlich um das Königspaar handelt; der Spielmann möge helfen, die beiden zu finden und „nach Haus“ zu bringen.

Der gibt zu bedenken, dass es jetzt im Winter schwer sei, von den beiden im Gebirge eine Spur zu finden, ist dann aber doch einverstanden, sich sofort mit den Kindern auf die Suche zu machen. Der Besenbinder und der Holzhacker bleiben in der Hexenhütte zurück, um sich zu wärmen, und nutzen die Gelegenheit, sie nach möglicherweise wertvollen Dingen zu durchforsten.

Da treffen der Königssohn und die Gänsemagd bei der Hütte ein – erschöpft, durchfroren und halb verhungert. Sie hatten in einer Höhle gelebt, bis sie nichts mehr zu essen hatten und waren dann im Wald umhergeirrt. Nun betteln sie mit letzter Kraft um ein Stück Brot. Doch der Besenbinder ist erst bereit, etwas herauszurücken, als der ihm der Königssohn – aus Sorge, seine Geliebte könnte die Strapazen nicht über leben – einen Teil seiner goldenen Krone als Bezahlung anbietet. Dafür bekommen die „Königskinder“ schließlich einen Laib Brot – und zwar jenes „Zauberbrot“, das die Hexe vergiftet hatte. Der Besenbinder und der Holzhacker hatten es im Geheimversteck gefunden.

Die beiden Königskinder teilen sich das Brot, essen davon – und sofort erfüllt sich der böse Zauber: Die beiden verlieren langsam das Bewusstsein, erinnern sich dabei noch einmal der schicksalhaften Momente, die sie zusammengeführt haben, und sterben schließlich in Liebe zueinander.

Als der Spielmann mit den Kindern von seiner Suche zurückkehrt, bleibt ihm nur noch, den Tod der Königskinder zu beklagen („Verdorben, gestorben“). Mit einem letzten Lied will er dafür sorgen, dass das Andenken an sie und ihr Schicksal immer bewahrt bleibt:

Fühlt aus dem Tode sie aufersteh’n
Und leuchtend in eure Herzen geh’n:
die Königskinder