Ich habe auch keine objektive Antwort auf die Frage, welches Bewusstsein Tiere haben. Aber ich habe ein paar Vermutungen – und das nicht erst, seit unsere Katze Effie selbständig die Toilette benutzt.
Ein Dilemma
Objektiv kann die Frage nach dem Bewusstsein der Tiere im Grunde weder mit Ja noch mit Nein beantwortet werden. Dieses Dilemma hat im Wesentlichen zwei Ursachen: Das Bewusstsein und die Tiere.
Was der Begriff „Bewusstsein“ genau ausdrückt, lässt sich nicht einmal für den Menschen klar definieren.
Und „Tier“ ist eine ziemlich weitläufige Sammelbezeichnung.
Sprechen wir vom namenlosen Floh, der sich möglicherweise bewusst dazu entschließt, vom Katzenfell auf die Wohnzimmerbank zu hüpfen?
Oder sprechen wir von der Katze Effie, die sich irgendwann, nachdem sie jemanden auf der Toilette beobachtet hatte, womöglich gedacht hat: Das kann ich auch!
Bewusstsein – was ist das?
Homo sapiens, der „verstehende Mensch“, hat natürlich eine Menge wissenschaftlicher und philosophischer Definitionen zu seinem eigenen Bewusstsein erdacht.
„Ich denke, also bin ich“, formulierte im 17. Jahrhundert der französische Philosoph René Descartes. Er brachte damit eine Selbstverständlichkeit auf den Punkt: Der Mensch kann nachdenken und um sein Dasein wissen. Er ist sich seiner selbst und seiner Umwelt bewusst. Er hat Bewusstsein.
So weit, so gut.
Aber was ist Bewusstsein?
Klar, es hängt mit Wachsein zusammen, mit einer Erlebnis-, Erkenntnis- und Willensfähigkeit, mit Intentionalität, vielleicht auch mit Selbstreflexion, Empathie … Begriffe, die wertvolle, wunderbare Befähigungen zum Ausdruck bringen.
Aber was ist Bewusstsein?
Jedenfalls ein Phänomen, das die Geistes- und Naturwissenschaften vor erhebliche Probleme stellt.
Wenn der verstehende Mensch etwas nicht versteht, aber ergründen will, schaut er zunächst einmal genau hin. Notfalls zerlegt er das Objekt seiner Wissbegierde in Einzelteile und studiert diese, konzentriert und detailliert, um das große Ganze zu verstehen. Das funktioniert in vielen Bereichen hervorragend.
Mit dem Gehirn, das gemeinhin als Sitz des Bewusstseins betrachtet wird, ist dieses Vorgehen seit ein paar Jahrzehnten auch möglich. Bildgebenden Verfahren erlauben es, das Feuer der Neuronen unter der Schädeldecke zu beobachten. Es wird deutlich, was im Gehirn geschieht, wenn das Bewusstsein bestimmte Leistungen erbringt.
Aber was ist Bewusstsein?
Leider lässt sich diese Frage auch mit Hilfe des Gehirnscanner nicht beantworten.
Wie können aus dem Neuronenfeuer Sehnsucht, Liebe, Begeisterung entstehen? Die Worte, Bilder und Gerüche der seelischen Innenwelt? Erlebnisse von Bedürfnissen und Entschlüssen? Empfindungen für Gerechtigkeit, für das Geheimnisvolle, Erhabene? Was macht den Menschen qualitativ aus?
Die bevorzugte Spekulation
Im Wesentlichen gibt es zwei Möglichkeiten, auf diese vielen Fragezeichen zu reagieren.
Die erste Antwort ist weitgehend unumstritten. Sie repräsentiert den sogenannten naturalistischen Mainstream und lautet: Wir wissen es nicht – aber: Wir werden es bald wissen. Die Außensicht auf das Gehirn (das Messen der Gehirnströme) und die subjektive Innensicht (also die Erlebnisse) sind einfach zwei unterschiedliche Blickwinkel. Wir werden noch herausfinden, wie das alles zusammenspielt. Fest steht: Das Gehirn produziert Bewusstsein.
Die zweite Antwort ist eher umstritten und schwimmt gegen den Strom. Sie lautet: Das Wesen des Bewusstseins ist immateriell. Es wird vom Gehirn nicht produziert, sondern empfangen und transformiert.
Im Grunde handelt es sich bei beiden Aussagen um Spekulationen.
Da ich skeptisch gegenüber dem Materialismus bin, tendiere ich zur zweiten Antwortmöglichkeit. Denn sie bietet mir größeren Freiraum für die folgenden Vermutungen zum Bewusstsein von Tieren. Und sie gestattet es außerdem, meine vierbeinige Freundin Effie wieder ins Spiel zu bringen.
Ein Glaubenskrieg
Zum Bewusstsein des Menschen sind noch viele Fragen offen. Immerhin aber ist es ein Thema für die Wissenschaft und die Philosophie.
Zum Bewusstsein von Tieren gibt es indes kaum Forschungen. Dafür werden persönliche Erfahrungen, weltanschauliche Konzepte und allerhand vage Meinungen ins Treffen geführt. Die ideale Ausgangslage für einen Glaubenskrieg.
Da gibt es auf der einen Seite die Überzeugung, das Bewusstsein des Menschen sei etwas absolut Herausragendes, Tiere handelten vor allem instinktiv und bestenfalls halbbewusst. Deshalb könnten sie bedenkenlos genutzt, getötet und gegessen werden.
Von der anderen Seite wird die Überzeugung geäußert, Tiere hätten ein dem Menschen vergleichbares Bewusstsein. Sie würden ebenso empfindungs- und leidensfähig sein, und mit geeigneten Techniken könne man mit ihnen sogar kommunizieren, Stichwort „Pferdeflüsterer“.
Mit Blick auf Effie stehe ich zwischen diesen Fronten.
Wir beide können ganz gut kommunizieren und würden einander natürlich kein Leid zufügen.
Andererseits aber hat Effie, nachdem Gatsby, ihr großer Bruder, der Kuschelkönig, während eines nächtlichen Ausflugs von einem Auto überfahren worden war, deutlich gelassener reagiert als ich. Schon nach wenigen eher melancholischen Stunden zeigte sie sich quirlig und unternehmenslustig wie eh und je. Kein Anflug von Trauer.
Welch bewusstseinsunwürdiges Verhalten!
Fressen und gefressen werden
Aber mich wundert das nicht. Ich schreibe Effie keine menschliche Trauerfähigkeit zu.
Nach vielen Erlebnissen mit Katzen, Hunden, Pferden, Kühen, Hamstern, Mäusen, Fischen und Zecken sowie auch auf Grund weltanschaulicher Überlegungen habe ich eine eher differenzierte Vorstellung zum Thema Tierbewusstsein entwickelt.
Ich bin zwar davon überzeugt, dass sich Erlebnisfähigkeit und andere Bewusstseinsmerkmale nicht exklusiv beim Homo sapiens entwickelt haben. Jedoch denke ich, dass die Evolution dafür sorgt, dass sich mit jeder physischen Entwicklung zugleich ein bestimmter „Bewusstseinsgrad“ oder „Bewusstseinsaspekt“ (es gibt in diesem Bereich leider keine allgemein gültigen Begriffe) etabliert, der mit den körperlichen Möglichkeiten des Lebewesens im Einklang steht.
Anders ausgedrückt: Es gibt einen Zusammenhang zwischen „Form und Inhalt“. Der physische Körper eines Lebewesens mit seinen Eindrucks- und Bewegungsmöglichkeiten entspricht der Qualität des Bewusstseins, das ihn erlebend steuert. Jede Art hat ihr ureigenes Bewusstsein, und auch innerhalb einer Art können Lebewesen mehr oder weniger individuelle Qualitäten zeigen.
Hätten alle Tiere ein dem Menschen vergleichbares Bewusstsein, würden sie also auch in der gleichen Art und Intensität trauern und leiden oder hoffen und lieben wie wir, dann wäre die Welt gnadenlos ungerecht. Denn einmal abgesehen von dem Leid, das das „Kulturwesen Mensch“ unzähligen Tieren und Arten zufügt, müsste auch das Fressen und Gefressenwerden innerhalb der Natur wie ein einziges schauriges Gemetzel erscheinen.
Wie könnte das je zu der Vorstellung von einer allumfassenden Liebe passen, die, wenn man Mystikern oder auch Nahtoderfahrenen folgt, alles Weltgeschehen durchwirkt?
Und wie sollte eine so ungerechte, grausame Welt aus einem liebenden Schöpfer hervorgegangen sein, wie ihn religiöse Überlieferungen verkünden? Wenn es einen solchen allmächtigen Gott gibt, weshalb lässt er dann Leid zu? Wieso schafft er es nicht einfach aus der Welt?
Die vielen bangen Fragen im Umfeld dieser sogenannten Theodizee-Problematik machen es meines Erachtens nötig, die übliche gedankliche Fixierung auf typisch menschliches Erleben gründlich zu hinterfragen.
Unterstellen wir also, dass Tiere qualitativ einfach ganz anders erleben als Menschen; dass es unterschiedlichste Bewusstseinsgrade oder -aspekte gibt, die sich mit den Tieren entwickeln; dass sie also auch nicht trauern oder leiden wie wir.
Unter dieser Annahme könnte man ohne weiteres vermuten, dass jeder Kampf in der Natur – einmal abgesehen vom physischen Nutzen – zur Bewusstseinsentwicklung beiträgt, da er die Wachsamkeit und innere Regsamkeit, also eine Schärfung der Wahrnehmung fördert.
Und Förderung ist meines Erachtens ein essentieller Ausdruck von Liebe.
Ich kann mir gut vorstellen, dass der Sinn der gesamten Evolution in der Förderung von Bewusstsein liegt.
Wenn Tieren nicht menschliches Erleben unterstellt wird, stellt sich die Frage nicht, wie denn das Fressen und Gefressenwerden mit dem Prinzip der Liebe vereinbar sei.
Mensch und Tier
Sehr wohl aber stellt sich die Frage nach der Verantwortung des Menschen.
Denn eines ist klar: Es wäre vermessen, mit dem Kampf in der Natur menschliche Brutalitäten und Egoismen zu rechtfertigen. So, als seien diese eben naturgegeben.
Das Gegenteil ist richtig: Zur Natur des menschlichen Bewusstseins gehören ja ohne Zweifel besondere emphatische Fähigkeiten. Der Homo sapiens ist in der Lage, nachzuempfinden, sich einzufühlen, das Leben ganzheitlich (also über das eigene Ich hinaus) wertzuschätzen, Leid als scharfen Gegensatz zu fördernder Liebe zu erleben.
Daraus könnte (und sollte) sich recht zwanglos der Wunsch entwicklen, Kampf und Leid tunlichst zu vermeiden – und selbstverständlich auch Tiere entsprechend zu behandeln.
Ich hoffe, das klingt jetzt nicht zu pathetisch, aber eigentlich könnte der Mensch auf Grund dieser Anlagen seines Bewusstseins ein Botschafter der Liebe sein – fürsorglich, fördernd, selbstlos.
Ja, es gibt es noch viel Spielraum für die Entwicklung dieser geistigen Fähigkeiten.
Und es bleibt vielleicht auch noch die grundsätzliche Frage, warum der Mensch nicht zwangsläufig liebevoll handelt, wenn er doch das Bewusstsein dafür hätte.
Ich denke, dass deshalb nichts „zwangsläufig“ passiert, weil die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins mit einer besonderen Willensfreiheit einher geht.
Diese Freiheit ermöglicht es, ungerecht zu handeln, also den eigenen Bewusstseinsfähigkeiten und zugleich den Bedürfnissen anderer nicht gerecht zu werden.
Der Mensch hat somit die Möglichkeit, Leid und Schmerz zu verursachen. Jedoch bin ich zuversichtlich, dass es in einem größeren Bezugsrahmen, den das Gehirn des Homo sapiens in seiner raum-zeitlichen Begrenztheit wahrscheinlich nie überblicken wird, eine Art von ausgleichender Gerechtigkeit gibt.
Das Gehirn als Empfänger von Bewusstsein
Ich habe es weiter oben schon angedeutet: Meine Weltbild-Bastelei basiert auf der Annahme, dass Bewusstsein nicht aus Materie resultiert. Die Gehirntätigkeit erzeugt demnach kein Bewusstsein, sondern empfängt es, Stichwort „Transmissionshypothese“.
Auch diese Sichtweise kann nicht erklären, was Bewusstsein ist. Sie macht es aber vielleicht leichter zu verstehen, warum es so schwer zu definieren ist. Für das Nicht-Materielle, nicht mit den körperlichen Sinnen Erfahrbare gibt es durchweg keine treffenden Worte.
Jedenfalls betrachte ich Bewusstsein als rein geistige Qualität, wobei ich, in philosophischen Kategorien gedacht, zu einem idealistischen Monismus tendiere. Ich glaube nicht daran, dass Materie die einzige Grundlage von allem ist, aus der sich irgendwann auch Bewusstsein entwickelt.
Statt dessen gehe ich, umgekehrt, davon aus, dass Bewusstsein das Primäre und einzig Wirkliche ist, und dass die Materie der Entwicklung von Bewusstsein dient.
Wenn das physische Universum mit einem Urknall ins raumzeitliche Dasein getreten ist, dann hat meines Erachtens ein Bewusstsein zu dieser „Initialzündung“ geführt.
Und was immer es gibt, was immer technisch gemessen, mit körperlichen Sinnen erfasst oder intuitiv erahnt werden kann … es wird stets durch Bewusstsein wahrgenommen. Selbst wenn die Welt als mechanisches Räderwerk erscheint, das auch ohne Bewusstsein bestens funktioniert, steht hinter diesem Gedanken, hinter dieser materialistischen Weltanschauung … ein wahrnehmendes, schlussfolgerndes Bewusstsein.
Der Mensch kennt keine andere Welt als die seiner bewussten Wahrnehmung.
Und Effie auch nicht.
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