25. April 2024

„Ich folg’ dem innern Triebe“

Fidelio

• Oper in drei Aufzügen von Ludwig van Beethoven

Libretto: Joseph Sonnleithner (1766–1835), Stephan von Breuning (1774–1827) und Georg Friedrich Treitschke (1776–1842)
Musik: Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Uraufführung: 20. November 1805, Wien (Theater an der Wien, Urfassung)
29. März 1806, Wien (Theater an der Wien; Zweite Fassung)
23. Mai 1814, Wien (Kärntnertortheater, endgültige Fassung)
Dauer: ca. 2 Stunden, eine Pause

Aufzüge:
1. Sevilla, 18. Jahrhundert, Hof eines Staatsgefängnisses
2. Sevilla, 18. Jahrhundert, ein Staatsgefängnis

Hauptpersonen:
Don Fernando, Minister: Bariton
Don Pizarro, Gouverneur des Staatsgefängnisses: Bariton
Florestan, Gefangener: Tenor
Leonore, Florestans Frau (unter dem Namen Fidelio): Sopran
Rocco, Kerkermeister: Bass
Marzelline, Roccos Tochter: Sopran
Jaquino, Pförtner: Tenor

Kurze Werkeinführung

„Fidelio“ ist die einzige Oper Ludwig van Beethovens. Sie zählt heute international zu den am häufigsten aufgeführten Opern, brauchte aber drei „Anläufe“, ehe sie sich durchsetzen konnte. Die Urfassung des Werkes („Leonore“ genannt) wurde 1805 in Wien auf die Bühne gebracht – und nach nur drei Vorstellungen wieder abgesetzt. Einen ähnlichen Misserfolg erntete Beethovens zweite Fassung ein Jahr später. Wieder verschwand „Fidelio“ nach nur zwei Aufführungen vom Spielplan.

Acht Jahre danach begann allerdings der Siegeszug des Werkes: Beethoven hatte Musik und Dramaturgie nochmals überarbeitet und stieß nun wohl auf ein verständnisvolleres Publikum. Seine „Gefängnisoper“, die der berühmte Dirigent Wilhelm Furtwängler einmal mit einer Messe verglich („Die Gefühle, die in ihm [Fidelio] angerührt werden, streifen fast durchweg die religiöse Sphäre“), feierte – und feiert bis heute – große Erfolge.

Die Geschichte, an der sich Beethovens kompositorisches Feuer entzündete, wurde ihm vom Wiener Hoftheatersekretär und Librettisten Johann Sonnleithner angeboten. Sie geht auf eine französische Vorlage („Léonore ou l’amour conjugal“ von Jean Nicolas Bouilly; 1763–1842) zurück und erzählt vom Schicksal eines politischen Gefangenen namens Florestan in Spanien, vor den Toren Sevillas.

Florestan ist Freiheitskämpfer und erklärter Widersacher des berüchtigten Gefängnis-Gouverneurs Don Pizarro, der keine Skrupel hat, seine Gegner einzukerkern und sie auf Nimmerwiedersehen verschwinden zu lassen.

Rocco, Pizarros Kerkermeister, hat die Anweisung erhalten, Florestan, der schon seit zwei Jahren in den tiefsten Gefängnisgewölben angekettet liegt, langsam verhungern zu lassen.

Aber der Gefangene könnte Hilfe bekommen: Seine tapfere Frau Leonore hat sich bei Rocco – als Mann verkleidet – anstellen lassen. Sie vermutet Florestan in diesem Gefängnis und hofft, durch ihren Posten Zugang zu ihm zu finden.

Noch aber ist es ihr nicht gelungen, in die untersten Gewölbe vorzudringen. Denn Rocco – im Grunde ein guter, empfindsamer Mensch – meint, sein neuer Gehilfe Fidelio (unter diesem Namen tritt Leonore auf) könnte den Anblick der hier gefangenen Menschen nicht ertragen. Florestans Frau muss also Härte zeigen …

Während Leonore inkognito um das Leben Ihres Mannes kämpft, wird sie zusätzlich in ein eher lästiges amouröses Abenteuer verstrickt: Marzelline, die Tochter des Kerkermeisters, verliebt sich in sie – vom wahren Geschlecht ihres Angebeteten nichts ahnend. Zugunsten ihres neuen Schwarms erteilt sie ihrem bisherigen Verehrer, dem Pförtner Jaquino, eine Absage …

Die Handlung

Kurz und gut …

Wenn es nötig ist, den Gatten aus den tiefsten Gefängnisgewölben zu befreien, darf die Gattin auch einmal in Männerkleider schlüpfen.

1. Aufzug: Hof eines Staatsgefängnisses bei Sevilla

Marzelline, die Tochter des Kerkermeisters Rocco, ist ihrer Beziehung zum Pförtner Jaquino überdrüssig. Während dieser auf eine baldige Hochzeit hofft, wird es Marzelline in seiner Nähe zunehmend angst und bang. Sie hat sich kürzlich nämlich in einen anderen verliebt, in den neuen Gehilfen ihres Vater. Sein Name: Fidelio.

Dieser war gerade in der Stadt unterwegs und kehrt jetzt schwer beladen mit Ketten zurück. Offenbar zerren die Gefangenen ziemlich kräftig an ihren Fesseln; der Schmied hatte, berichtet Fidelio, „lange auszubessern“.

Rocco ist mit seinem eifrigen Gehilfen zufrieden. Auch weiß er, dass seine Tochter Fidelio liebt und stellt schon eine Hochzeit in Aussicht, ein wenig Gold als Beitrag für eine „vergnügte Haushaltung“ inklusive.

Was er und Marzelline jedoch nicht wissen: Fidelio ist in Wirklichkeit Frau, noch dazu eine verheiratete. Und sie arbeitet bei Rocco weder, um bruchsichere Ketten zu schleppen, noch um kleinbürgerliches Eheglück vorzubereiten. Leonore – so lautet ihr richtiger Name – ist hier, um ihren Mann Florestan zu finden, einen Freiheitskämpfer und persönlichen Feind des Gefängnis-Gouverneurs Pizarro. Sie vermutet, dass er in den tiefsten Gewölben des Gefängnisses dahinvegetiert und ist entschlossen, ihn zu befreien.

Allerdings hat Rocco von Don Pizarro die strikte Anweisung erhalten, niemandem die dort inhaftierten „Staatsgefangenen“ zu zeigen.

Also spielt Fidelio die emotionale Karte: Viel mehr noch als über Gold würde er sich über Roccos Vertrauen freuen. Er wolle auch die geheimen Kerker sehen – und jenen berüchtigten Gefangenen, der dort seit zwei Jahren dem Dunkel trotzt und der nun – offenbar zur persönlichen Erbauung des Gouverneurs – langsam verhungern soll:

„Seit einem Monat schon muss ich auf Pizarros Befehl seine Portion immer kleiner machen“, erzählt Rocco und macht kein Hehl daraus, dass ihm diese Folter zuwider ist. „Jetzt hat er binnen vierundzwanzig Stunden nicht mehr als zwei Unzen schwarzes Brot und eine halbe Maß Wasser; kein Licht, kein Stroh, nichts, nichts!“

Im Bewusstsein, dass es sich bei diesem Gefangenen um Florestan handeln könnte, stockt Fidelio der Atem. Aber er versichert, „Mut und Kraft“ genug zu haben, um dessen Anblick zu ertragen.

Letztlich ist Rocco vom Eifer seines Gehilfen, den er Werbung um Marzelline deutet, überwältigt. Er verspricht, dem Gouverneur die Erlaubnis abzuringen, dass Fidelio die Arbeit in diesem Gewölbe mit ihm teilen darf. –

Bald danach trifft Don Pizarro im Gefängnis ein. Er lässt sich von Rocco routinemäßig die Depeschen aushändigen, verwirft die üblichen Empfehlungen und Vorwürfe, zuckt bei einem der Briefe aber zusammen. Denn darin steht, dass der Minister – sein ordnungsliebender Vorgesetzter – eine Untersuchung der Staatsgefängnisse angeordnet habe. Man befürchte „mehrere Opfer willkürlicher Gewalt“.

Sofort denkt Pizarro an seinen Widersacher Florestan, den er hinter diesen Mauern foltern lässt. Den Minister hat er glauben gemacht, Florestan sei längst tot. Deshalb gibt es nur eine Lösung: Der Gefangene muss jetzt wirklich so schnell wie möglich sterben – der Zeitpunkt für die Rache an dem Widersacher ist da, frohlockt Pizarro. Ein Dolch werde seinen Weg ins Herz des Opfers finden …

Ha, welch ein Augenblick!
Die Rache werd’ ich kühlen,
Dich rufet dein Geschick“
In seinem Herzen wühlen,
O Wonne, großes Glück!

Don Pizarro befiehlt ein Trompetensignal für den Fall, dass der Wagen des Ministers zu sehen ist und versucht, Rocco als Handlanger für den Mord an Florestan zu gewinnen. Doch das ist kein Geschäft für den allzu gutherzigen Kerkermeister. Also entschließt sich Pizarro, die Sache selbst in die Hand zu nehmen – Rocco solle schnellstens das Grab ausheben.

Mit diesem Auftrag kann sich der Kerkermeister arrangieren, denn das Schicksal Florestans – ein endloses Dahinsiechen – geht ihm schon lange ans Herz:

Verhungernd in den Ketten
Ertrug er lange Pein.
Ihn töten, heißt ihn retten,
Der Dolch wird ihn befrei’n

Leonore ist klar geworden, dass Pizarro zu allem entschlossen ist. Sie hofft, Florestan nun endlich ausfindig machen zu können („Ich folg’ dem innern Triebe“) und überredet Rocco (gemeinsam mit Marzelline, die gerade wieder einen von Jaquinos Heiratsanträgen abwehren musste), den armen Gefangenen an diesem schönen Sonnentag doch einen Ausgang in den Festungsgarten zu gewähren.

Als sich die Tore öffnen, ertönt ein Freudenchor („Oh welche Lust, in freier Luft“) – aber Leonore kann Florestan unter den Gefangenen nicht entdecken.

Sie fasst neue Hoffnung, als Rocco ihr berichtet, dass sie ihn mit Pizarros Erlaubnis in den untersten Kerker begleiten darf. Dort sei ein Grab für einen Gefangenen auszuheben, den Pizarro beseitigen wolle …

Leonore wird zwar mulmig bei dem Gedanken, dass sie das Grab für ihren eigenen Gatten schaufeln könnte, aber sie will doch diese Möglichkeit nützen, Florestan endlich zu finden.

Don Pizarro hat indessen die jubelnden Gefangenen im Gefängnishof entdeckt und herrscht Rocco zornig wegen seiner eigenmächtigen Milde an. Der Kerkermeister rechtfertigt seinen Akt der Menschlichkeit mit dem Namenstag des Königs, den er auf diese Weise habe feiern wollen.

Die Gefangenen nehmen Abschied vom Sonnenlicht …

2. Aufzug: Im tiefsten Gewölbe des Staatsgefängnisses

Florestan liegt im tiefsten Gewölbe des Staatsgefängnisses in Ketten. Er hat sein Schicksal in Gottes Hand gelegt – und wird von einer Vision erfüllt. Er schaut seine Frau Leonore als rettenden Engel.

Gott! Welch Dunkel hier! O grauenvolle Stille!
Öd’ ist es um mich her. Nichts lebet außer mir.
O schwere Prüfung! –
Doch gerecht ist Gottes Wille!
Ich murre nicht! Das Maß der Leiden steht bei dir.
In des Lebens Frühlingstagen
Ist das Glück von mir gefloh’n!
Wahrheit wagt ich kühn zu sagen,
Und die Ketten sind mein Lohn.
Willig duld’ ich alle Schmerzen,
Ende schmählich meine Bahn;
Süßer Trost in meinem Herzen:
Meine Pflicht hab’ ich getan!
Und spür’ ich nicht linde, sanft säuselnde Luft?
Und ist nicht mein Grab mir erhellet?
Ich seh’, wie ein Engel im rosigen Duft
Sich tröstend zur Seite mir stellet,
Ein Engel, Leonoren, der Gattin, so gleich,
Der führt mich zur Freiheit ins himmlische Reich.

Während Florestan völlig erschöpft wieder zusammensinkt, beginnen Rocco und Leonore unweit von ihm, nahe einer Zisterne, mit ihren Grabarbeiten.

Da hebt Florestan wieder seinen Kopf. Schon oft hat er Rocco danach gefragt – und auch heute lässt er nicht locker: „Sagt mir endlich, wer ist der Gouverneur dieses Gefängnisses?“

Rocco: „Der Gouverneur dieses Gefängnisses ist Don Pizarro.“

Florestan: „Pizarro! Dessen Verbrechen ich zu entdecken wagte! Schickt nach Sevilla, fragt nach Leonore Florestan – sagt, dass ich hier in Ketten liege!“

Mehr brauchte Leonore nicht mehr zu hören. Er ist es! Nach zwei Jahren hat sie ihren vermissten Gatten wieder gefunden.

Aber schon spitzen sich die Ereignisse zu. Nachdem Florestan sich für einen kleinen Schluck Wein überschwänglich bedankt hat („Euch werde Lohn in besseren Welten“), betritt auch schon Pizarro das Gewölbe. Er weist Rocco an, den geschwächten Gefangenen vom Stein loszuschließen, damit er gleich nach der Tat bequem ins Grab geworfen werden könne. Aber vorher will er seinen Triumph auskosten und seinem Opfer ins Bewusstsein brennen, wem es die Qualen und seinen Tod zu verdanken hat:

Er sterbe! –
Doch er soll erst wissen,
Wer ihm sein stolzes Herz zerfleischt.
Der Rache Dunkel sei zerrissen,
Sieh’ her! Du hast mich nicht getäuscht!
Pizarro, den du stürzen wolltest,
Pizarro, den du fürchten solltest,
Steht nun als Rächer hier. 

Doch Pizarro kommt nicht dazu, den Dolchstoß auszuführen. Mit dem für alle anwesenden Männer in höchstem Maße überraschenden Zuruf „Töt’ erst sein Weib!“ wirft sich Leonore zwischen Florestan und seinen Peiniger.

Don Pizarro kommt nicht mehr dazu, adäquat zu reagieren und beide zu erdolchen. Denn in diesem Moment ertönt das verabredete Trompetensignal – der Minister ist angekommen!

Gerettet!

Zwischen Leonore und Florestan entfaltet sich nun „namenlose Freude“. Auch die Gefangenen erhoffen sich vom Einschreiten des Ministers die lang ersehnte Gerechtigkeit. Pizarro wird abgeführt.

Er ist an diesem Tag aber nicht der einzige, dessen Schicksal eine radikale Wendung nimmt: Marzelline muss erfahren, dass ihr angehimmelter Fidelio in Wirklichkeit eine Frau ist. Aber sie trägt diese Nachricht mit bemerkenswerter Fassung. Lediglich der Ausruf: „O weh’ mir, was vernimmt mein Ohr“ lässt eine gewisse Betroffenheit erahnen.

Ob sie sich nun doch wieder in Jaquinos Arme flüchten wird, bleibt das kleine Geheimnis im Hintergrund von Leonores großem Glück:

Liebend ist es mir gelungen,
Dich aus Ketten zu befrei’n.
Liebend sei es hoch besungen –
Florestan ist wieder mein!