27. Juli 2024

Kant und die Pflichten des freien Menschen

Eine Würdigung des großen Philosophen der Aufklärung (1724–1804)

Nicht nur wegen seines Geburtstags vor etwa 300 Jahren, sondern auch vor dem Hintergrund drohender gesellschaftlicher Fehlentwicklungen wird häufig an Immanuel Kant (1724–1804) erinnert. 

Der überragende deutsche Philosoph formulierte den berühmten „kategorischen Imperativ“. Dieser ruft dazu auf, stets so zu handeln, wie man auch allen anderen zu handeln zugesteht und wie es für die ganze Gesellschaft maßgeblich sein könnte. Im Originalwortlaut: „Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

„Kagetorisch“ ist dieses große Gebot des moralischen Handelns deshalb, weil es ohne Ausnahme und unter allen Bedingungen für das „Vernunftwesen“ Mensch Gültigkeit haben soll. 

Immanuel Kant formulierte seinen „kategorischen Imperativ“ unabhängig von jeder religiösen oder politischen Orientierung. Es ist eine Aufforderung an die menschliche Vernunft, die ohne konfessionell konstruierte „Gottesgebote“ ein gutes gesellschaftliches Zusammenleben ermöglichen soll.

Ende des 18. Jahrhunderts, als seine wichtigsten Werke veröffentlicht wurden, wirkten Kants Gedanken revolutionär. Nicht von ungefähr wird er als Philosoph der „Aufklärung“ bezeichnet, die nach seiner Definition „der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ ist. 

Kant regte dazu an, die Behauptungen und Forderungen religiöser und auch weltlicher Autoritäten, die über Jahrhunderte bestimmend für das gesellschaftliche Zusammenleben gewesen waren, nicht einfach kritiklos hinzunehmen, sondern mittels der Vernunft alles, wirklich alles, in Frage zu stellen und dort, wo es nötig ist, das Alte durch Neues zu ersetzen. 

Kant, der „Alleszermalmer“, wie er bald bezeichnet wurde, forderte also zum eigenständigen, kritischen Denken auf. Autonomie mache den Kern menschlicher Würde aus.

Unmündiges Verhalten mag zwar bequem sein, doch der Mensch hat die Pflicht, sich seiner Vernunft zu bedienen. „Wer sich zum Wurm macht“, schrieb Kant, „kann nachher nicht klagen, wenn er mit Füßen getreten wird.“

Aber immer sei die eigene Freiheit mit Pflichten verbunden – gegenüber den Mitmenschen und der Gemeinschaft, aber auch gegenüber der eigenen Haltung, den eigenen Maximen. Kant schrieb auch: „Die Pflicht gegen sich selbst besteht darin, dass der Mensch die Würde der Menschheit in seiner eigenen Person bewahre.“

Das eigenständige, kritische Denken kann demnach nur als ein erster Schritt zur Freiheit betrachtet werden. Denn in der Folge, um weiterhin „selbst verschuldete Unmündigkeit“ zu vermeiden, sollten auch die eigenen Wertvorstellungen und Positionen immer wieder neu überprüft werden.

Wegen seines Fokus auf die „reine Vernunft“ und den Verstand wird Immanuel Kant manchmal als Gegner der Religiosität oder Spiritualität missverstanden, als philosophischer Wegbereiter einer atheistischen Weltanschauung, in der die nüchterne Naturwissenschaft im Streben nach objektiven Wahrheiten alle seelischen Regungen als nebensächlich betrachtet.

Doch diese Zuschreibung erscheint oberflächlich und einseitig. Denn Kant betrachtete den „guten Willen“ des Menschen als höchstes Gut. Und er hatte auch keine Sorge, dass ihm selbst der Glaube an einen Gott, wie er es formulierte, „jemals entrissen werden könne“. Dieser Glaube sei, ebenso wie der an eine „andre Welt“, mit seiner eigenen moralischen Gesinnung eng verwoben.

Die Metaphysik, die Suche nach Antworten auf die großen letzten Fragen nach Gott oder transzendente Daseinsbereiche blieb für Kant immer wichtig. Er rechnete auch nicht damit, „dass der Geist des Menschen metaphysische Untersuchungen einmal gänzlich aufgeben werde“.

Jedoch könne Religion ihre Hoheit immer nur „im moralischen Raum des Einzelnen“ beanspruchen. Man dürfe keine allgemein gültigen Gesetze aus ihr ableiten. Moralität und Legalität, Kirche und Staat müssten strikt getrennt werden.

Immanuel Kant hat die moderne Philosophie nachhaltig geprägt und gleichzeitig wohl auch religiös-spirituelle Erneuerer der vergangenen Jahrhunderte beeinflusst.

Auf ihn berufen sich heute, 300 Jahre nach seiner Geburt, nicht nur materialistisch orientierte Wissenschaftler, für die Metaphysik nur ein Hirngespinst ist, sondern beispielsweise auch manche „Querdenker“, die sich gegen jegliche Bevormundung wenden und „Mainstream-Ansichten“ kritisieren, dabei aber außer Acht lassen, dass Mündigkeit und Eigenständigkeit im Denken durchaus nicht darin liegt, statt an das Etablierte, Bewährte einfach an irgend etwas zu glauben. 

Kritik sollte immer „wohlbegründet“ sein. Auch das kann als Pflicht verstanden werden, die zur Freiheit gehört.

Immanuel Kants philosophische Gedanken sind vielschichtig und grundlegend. Sie wollen befreien und die menschliche Selbstverantwortung fördern. Daher sind sie als Rechtfertigung für abgepflockte weltanschauliche Konzepte jeglicher Art schlecht geeignet.

Zweifellos aber bleiben sie wertvolle Wegweiser für das menschliche Miteinander im 21. Jahrhundert – und stellen dabei immer wieder kritisch in Frage, ob wir denn wirklich schon „aufklärt“ sind.