19. März 2024

Die Covid-Impfung und die Macht der Angst

In der Suche nach den Ursachen für die verbreitete Impf-Skepsis sowie für die Bereitschaft so vieler Menschen, unwissenschaftlichen Argumenten und Verschwörungstheorien zu folgen, findet ein Thema – vielleicht die wichtigste Ursache – zu wenig Beachtung: Angst.

„Die Menschen haben einfach Angst“ – das berichten viele, die seit Beginn der Corona-Pandemie „an der Front“ mit Impfskeptikern zu tun haben. Demnach spielen Unwissenheit, Gleichgültigkeit oder Dummheit gar nicht die ausschlaggebende Rolle, die intellektuelle Diskussionen vermuten lassen. 

Es geht oft (meist?) schlicht um Angst – aber genau das können die, die keine Angst haben, nicht nachvollziehen. 

Wir leben allgemein ja in der Illusion, dass der Mensch – wenigstens zum größten Teil – rational entscheidet, dass Bildung und Wissen zwangsläufig zu vernünftigen Entschlüssen führen.

In Wahrheit aber sind unsere Entscheidungen in erster Linie emotional begründet. Wir wollen uns gut und sicher fühlen. Wir entscheiden nicht auf Grund von Fakten, sondern auf Grund dieses Bedürfnisses. 

Angst gehört zu den stärksten Gefühls-Motivatoren, aber nur selten (dann nämlich, wenn es wirklich um unmittelbar lebensbedrohliche Situationen geht) auch zu den hilfreichen. Angst führt zu innerlicher Starrheit, zum Beharren auf dem Altbekannten, das sich gut und sicher anfühlt.

Darum sind angstbestimmte Menschen mit rationalen Argumenten nicht erreichbar.

Gleichzeitig eignet sich Angst, wie Thorsten Havener in seinem lesenswerten Buch „Mach doch, was ich will“ beschreibt, „hervorragend als Türöffner für die meisten Formen der Manipulation“.

Deshalb gelingt es Demagogen, Verschwörungstheoretikern oder religiösen Gurus so leicht, aus Ängsten Kapital zu schlagen. Sie benötigen dafür keine belastbaren Argumente und finden auch mit dem größten Unsinn Zulauf, sofern es ihnen gelingt, vorhandene Ängste zu schüren und einen „einfachen Ausweg“ als vermeintlich sicheren Hafen anzubieten. Denn damit ist das Bedürfnis, sich gut und sicher zu fühlen, befriedigt.

Thorsten Havener würde übrigens meine Aussage, unsere Entscheidungen seien in erster Linie, also überwiegend emotional begründet, nicht unterschreiben. Er meint, dass sie zu 100 %, also ausschließlich, den Emotionen folgen und zitiert einleitend zu seinem Buch Mark Twain: „Es ist leichter, einen Menschen zu täuschen, als ihm klarzumachen, dass er getäuscht worden ist.“

Wie auch immer, eine derzeit aktuelle Frage lautet: Woher kommt die Angst, die der Impf-Skepsis zugrunde liegt? 

Um Fakten geht es dabei nicht, das weiß jeder, der einmal versucht hat, einen Skeptiker mit logisch fundierten Argumenten zu überzeugen.

Es geht um Emotionen. Um den sehr persönlichen Seelenhintergrund, der sich im Lauf des Lebens entwickelt hat. Das Elternhaus, die Bildungseinrichtungen, das soziale Umfeld, die Religion, zum Teil auch persönliche Erfahrungen … aus all dem formt sich die Haltung eines Menschen, die ihm auch – das steckt schon in dem Begriff selbst – Halt bietet, innere Sicherheit.

Die Angst liegt im Wesentlichen darin, die eigene Haltung zu gefährden, weil sie zu einem unverzichtbaren Teil des Ichs geworden ist. Deshalb wollen angstbestimmte Impf-Gegner (und andererseits natürlich auch angstbestimmte Impf-Befürworter) keine „überzeugenden Argumente“ hören, sondern solche, die zu ihrer Haltung passen. Vielleicht erleben sie sogar eine Überzeugung an sich als Bedrohung, weil sie sich im Offenen, Unbestimmten, Unverbindlichen – und nur dort – wohl fühlen.

Wenn diese Vermutungen stimmen, dann wäre es vor allem wichtig, die Gefühle der Mitmenschen zu verstehen, die eine „unverständliche Meinung“ vertreten und sie auf dieser – einer sehr menschlichen – Ebene zu akzeptieren, anstatt die Empörung über deren „unglaubliche Dummheit“ oder „Fehlorientierung“ öffentlich zu zelebrieren, wie dies  in den sozialen Netzwerken oft geschieht.