Joe Wrights Musicaldrama „Cyrano“
• Wir befinden uns im 17. Jahrhundert, es tobt der französisch-spanische Krieg (1635–1659). Cyrano de Bergerac (Peter Dinklage) ist ein außergewöhnlich begabter Degenkämpfer. Mancher, der ihn angesichts seiner Kleinwüchsigkeit verspottet hat, musste bereits mit einer schnell geführten Klinge unangenehm Bekanntschaft machen.
Noch herausragender erscheinen jedoch Cyranos kreative Fähigkeiten. Er liebt die Kunst, ist überaus sprachbegabt, zugleich aber auch unglücklich verliebt. Die schöne Roxanne (Haley Bennett) kennt und schätzt ihn zwar schon lange, weil sich für sie in der Sprache die Seele eines Menschen offenbart, aber sie würde für ihn, einen Zwerg, nie wirklich tiefe Gefühle hegen können. Dessen ist Cyrano sich sicher.
Umso überraschter ist er, als Roxanne sich eines Tages vertrauensvoll an ihn wendet, um ihm ein Geheimnis zu gestehen. Kurz flammt die Hoffnung in Cyrano auf. Wird seine stille Liebe vielleicht doch erwidert? Aber nein, sie offenbart ihm, dass ihr Herz für Christian (Kelvin Harrison Jr.) schlägt, einen gut aussehenden Kadetten aus Cyranos Regiment. Er möge auf den Mann ihrer Sehnsucht gut acht geben …
Cyrano liebt Roxanne wirklich. Er will das Beste für sie, und als er erkennt, dass Christian Roxannes Gefühle erwidert, steht er ihm bei seinen Annäherungsversuchen hilfreich bei. Denn es gibt ein großes Problem: Während für Roxanne wohl gewählte Worte ein Lebens- und Liebeselixier sind, die wichtigste Grundlage für eine Beziehung, entpuppt sich der Kadett sprachlich als ausgewachsene Dumpfbacke. Also übernimmt es Cyrano, Christians Liebesbriefe zu verfassen – was schließlich zu Roxannes Entschluss beiträgt, den schmucken Kadetten zu heiraten.
Doch die beiden können ihr Glück nicht genießen. Christian muss in den Krieg ziehen und fällt wenig später in einer Schlacht. Kurz davor aber hatte er erkannt, dass auch Cyrano Roxanne liebt. Deshalb hatte er ihn gebeten, seiner Frau die Wahrheit über die Briefe zu sagen – auch auf die Gefahr hin, dass Roxanne ihn dann nicht mehr lieben könne. Denn ihre Liebe gelte letztlich ja doch dem wahren Verfasser der Briefe.
Zurück aus dem Krieg findet Cyrano jahrelang keinen Weg, Christians Wunsch zu erfüllen – bis Roxanne an einem schicksalsschweren Tag selbst erkennt, wer ihr Herz mit seinen Worten von jeher angesprochen hatte …
Bereits in seiner großartigen Literaturverfilmung „Abbitte“ hatte der britische Filmregisseur Joe Wright seine Affinität zur Macht der Sprache unter Beweis gestellt. In seiner Musical-Verfilmung „Cyrano“ steht das Wort für die innere Qualität des Menschen, die der Liebe einen festeren Verankerungsgrund bietet als äußere, sinnlich wahrnehmbare Schönheit.
Im Originaldrama „Cyrano de Bergerac“ des französischen Theaterschriftstellers Edmond Rostand (1868–1918), das sowohl dem Musical als auch mehreren Verfilmungen zugrunde liegt, war es eine unförmig große Nase, die den Titelhelden äußerlich verunstaltete und von Roxanne „überwunden“ werden musste.
Nun schrieb Drehbuchautorin Erica Schmidt die Rolle des „Cyrano“ dem nur 1,35 m großen Peter Dinklage auf den Leib. Zwar geht der US-amerikanische Schauspieler in Joe Wrights preisgekröntem Musikfilm trotz seiner markanten Bass-Stimme nicht wirklich als großer Sänger durch (Musik: Aaron Dessner & Bryce Dessner), aber Dinklages darstellerische Präsenz ist (wie immer) großartig, bisweilen atemberaubend.
Könnte gut sein, dass man beim Namen Cyrano künftig weniger an den Kerl mit der großen Nase denkt, als an einen markanten kleinen Mann mit großer Seele.
(2021, 124 Minuten)