25. April 2024

Komödiantischer Schwung durch mythische Todessehnsucht

Ariadne auf Naxos

• Kammeroper in einem Aufzug und einem Vorspiel von Richard Strauss

Libretto: Hugo von Hofmannsthal (1874–1929)
Musik: Richard Strauss (1864–1949)
Uraufführung: 25. Oktober 1912, Stuttgart (Hoftheater)
Dauer: ca. 2,5 Stunden, eine Pause

Aufzüge:
Vorspiel: Im Palast eines Neureichen in Wien
Oper: Wilde Landschaft auf Naxos in mythischer Vorzeit

Hauptpersonen:
Ariadne: Sopran
Bacchus: Tenor
Zerbinetta: Sopran
Najade: Sopran
Dryade: Alt
Echo: Sopran
Harlekin: Bariton
Musiklehrer: Bariton
Komponist: Mezzosopran

Kurze Werkeinführung

„Ariadne auf Naxos“, 1912 in Stuttgart uraufgeführt, war – unmittelbar nach dem „Rosenkavalier“ – die dritte Zusammenarbeit des Komponisten Richard Strauss mit dem bedeutenden österreichischen Dramatiker Hugo von Hofmannsthal – und ein Musiktheater-Experiment: Die beiden kombinierten eine einaktige Oper mit einem vorangestellten Schauspiel (als „Vorspiel“). Hofmannsthal griff zu diesem Zweck auf Molières Komödie „Der Bürger als Edelmann“ zurück. In dieser drängt Jourdain, ein wohlhabender, aber ziemlich einfältiger Geschäftsmann, dem sein bürgerliches Dasein zu gering geworden ist, in den Adelsstand – und verliebt sich in eine elegante Marquise, die er reich beschenkt.

In Hugo von Hofmannsthals Adaption dieses Stücks organisiert Jourdain, um die begehrte Marquise zu beeindrucken, einen musikalischen Abend, an dem eine neu komponierte Oper – „Ariadne auf Naxos“ – aufgeführt werden soll. Weil er aber erfährt, dass dieses Stück auf einer öden Insel spielen soll und er sich doch eigentlich etwas Prickelnderes für diesen Abend vorgestellt hatte, befiehlt Jourdain zunächst, im Anschluss an die Oper etwas Heiteres, Komödiantisches aufführen zu lassen, eine Posse. Später entscheidet er, dass die beiden musikalischen Werke doch am besten ganz vermischt werden, also irgendwie gleichzeitig aufgeführt werden sollten … und stößt damit freilich alle Künstler vor den Kopf.

Die ursprüngliche Schauspiel-Oper-Kombination, die Strauss und Hofmannsthal vorgesehen hatten, kam beim Publikum nicht besonders gut an, weshalb das Werk überarbeitet und vier Jahre nach der Uraufführung in Stuttgart in neuer Form in Wien präsentiert wurde – nun mit größerem Erfolg. Jedoch wird Urfassung gelegentlich bis heute gezeigt.

Im Vorspiel zur „Ariadne“ fokussiert Hofmannsthal allerdings nicht den reichen Jourdain, sondern die Künstler, die mit dem zweifelhaften Kunstverständnis ihres Gastgebers umgehen und sich zu einem gemeinsamen Werk zusammenraufen müssen – hier die tief schürfende, tragische Oper, das Leid einer Frau, die ihre einzige Liebe verloren hat uns sich nur noch den Tod wünscht (Ariadne), und dort die Geschichte eines lebenslustiges Mädchens (Zerbinetta), das tanzend und frei von schwermütigen Gedanken nach dem Motto lebt: Auf jeden „Gott“, in den man sich als Frau verliebt, folgt irgendwann ja sowieso der nächste …

Die eigentliche Oper, die diesem Vorspiel folgt, zeigt, was bei diesem erzwungenen „Crossover“ herauskommt.

Die Handlung

Kurz und gut …

Große Meisterwerke entstehen oft aus unvereinbar scheinenden Ingredienzien. Aufstrebende junge Komponisten sollten sich daher von den Sonderwünschen finanzkräftiger Auftraggeber nicht abschrecken lassen.

Vorspiel: Im Palast eines Neureichen in Wien

Im Haus des „reichsten Mannes von Wien“ wird ein musikalischer Abend vorbereitet. Allgemeine Aufregung unter den Künstlern, der Musiklehrer eines jungen Komponisten, dessen neue Oper „Ariadne auf Naxos“ zur Aufführung kommen soll, wendet sich besorgt an den Haushofmeister des Gastgebers. Es sei ihm zu Ohren gekommen, klagt er, dass unmittelbar nach dem ernsten Stück, das sein Schüler so meisterhaft für den heutigen Abend komponiert habe, noch eine weitere „sozusagen musikalische“ Darbietung in Aussicht genommen sei ein, eine „niedrige Posse in der italienischen Buffo-Manier“. Das werde der Komponist nie und nimmer gestatten.

Den Haushofmeister lassen die Sorgen des Musiklehrers unbeeindruckt: Über den Rahmen der Darbietung habe ausschließlich sein „gnädiger Herr“ zu bestimmen. Dieser habe für die Komposition doch auch bezahlt. Deshalb werde alles genau so stattfinden, wie der Gastgeber es wünsche …

Also bleibt dem Musiklehrer nichts anderes übrig, als seinen Schüler schonend darauf einzustimmen, dass sein Werk ein … „lustiges Nachspiel“ haben werde.

Der Komponist, mitten im Chaos vor der Premiere, umringt von einem wütenden Tenor, dem seine Perücke missfällt, gleichzeitig im Bann einer hübschen, aber unbekannten Sängerin, erfährt somit von den programmtechnischen Plänen seines Gastgebers – und ist entsetzt über das Ansinnen, seinem existentiell anrührenden Drama eine seichte Komödie folgen zu lassen, entsetzt auch über das „maßlos ordinäre Volk“, über die Menschen, die solche Wünsche zu äußern vermögen:

„Das Geheimnis des Lebens tritt an sie heran, nimmt sie bei der Hand, und sie bestellen sich eine Affenkomödie, um das Nachgefühl der Ewigkeit aus ihrem unsagbar leichtfertigen Schädel fortzuspülen!“

Letztlich muss sich der Komponist zähneknirschend mit der geplanten Kombination abfinden, und ihm wird klar, dass die hübsche Sängerin, die ihm aufgefallen war, die Hauptrolle – Zerbinetta – in der Posse spielen wird, die seiner Oper folgen soll.

Schon wetteifern die Künstler, was das Publikum wohl stärker beeindrucken werde, die schwermütige Geschichte der Ariadne auf Naxos oder die der ungetreuen Zerbinetta und ihrer vier Liebhaber, die „leichte, gefällige Melodien“ und Tänze zu bieten hat. Da überrascht der Haushofmeister mit einem neuen Wunsch seines „gnädigen Herrn“. Dieser wolle die „Tanzmaskerade“ nun doch nicht als Nachspiel sehen, sondern „mit dem Trauerstück Ariadne gleichzeitig“.

Natürlich protestieren die Künstler heftig, aber der Haushofmeister bleibt ungerührt. Sein gnädiger Herr sei, erklärt er herablassend, „schon seit drei Tagen ungehalten darüber, dass in einem so wohlausgestatteten Hause wie dem seinigen ein so jämmerlicher Schauplatz wie eine wüste Insel ihm vorgestellt werden soll“. Um dem abzuhelfen, sei er auf „den sublimen Gedanken gekommen, diese wüste Insel durch das Personal aus dem anderen Stück einigermassen anständig staffieren zu lassen“.

Aufgeregte Diskussionen folgen: Was soll in der Oper gestrichen werden? Wie lassen sich die Geschichten am besten zusammenführen? Kann dieser Abend überhaupt noch gerettet werden?

Letztlich ist es die Sängerin der Zerbinetta, die verhindert, dass der Komponist das Handtuch wirft und ihn mit ihren Ideen für das gemeinsame Stück, das die Opernbelegschaft und ihre Komödiantentruppe auf die Bühne bringen sollen, zunehmend beeindruckt:

„Das Stück geht so: Eine Prinzessin wurde von ihrem Bräutigam sitzengelassen, und ihr nächster Verehrer ist vorerst noch nicht angekommen. Die Bühne stellt eine wüste Insel dar. Wir sind eine muntere Gesellschaft, die sich zufällig auf dieser wüsten Insel befindet […] und sobald sich eine Gelegenheit bietet, treten wir auf und mischen uns in die Handlung.“

Schließlich rafft sich der Komponist auf, dem gemeinsamen Auftritt zuzustimmen und preist die Musik, wohl auch als Rechtfertigung vor sich selbst, als „heilige Kunst“, in der sich „alle Arten von Mut versammeln“ können. Als aber die Aufführung beginnt und Zerbinetta ihre Begleiter „mit einem frechen Pfiff“ auf die Bühne ruft, schlägt seine Stimmung wieder um. Er sieht sein hehres Werk vollends zerstört:

Diese Kreaturen!
In mein Heiligtum hinein ihre Bocksprünge! 

Der Komponist fühlt sich „in eine Welt hinein gezerrt“, die ihm fremd ist, wünscht sich selbst den Tod und stürzt davon. Die Oper beginnt …

Oper: Wilde Landschaft auf Naxos in mythischer Vorzeit

Auf der öden Insel Naxos ist Ariadne in tiefe Trauer versunken. Theseus, ihr Geliebter, hat sie verlassen, das Leben erscheint ihr hoffnungslos, sie wartet nur noch auf das Erscheinen des Hermes, des Todesboten. Die drei Nymphen – Najade, Dryade und Echo – bedauern Ariadne, ohne etwas für sie tun zu können.

Nun treten Zerbinetta und ihre Gefährten auf den Plan. Sie versuchen, die Trauernde mit Tanz und Gesang aufzuheitern – doch ohne Erfolg.

Daraufhin will Zerbinetta Ariadnes Vertrauen in einem Vier-Augen-Gespräch wecken, um ihr so neuen Lebensmut zu geben:

Großmächtige Prinzessin, wer verstünde nicht,
Dass so erlauchter und erhabener Personen Traurigkeit
Mit einem anderen Maß gemessen werden muss
Als der gemeinen Sterblichen. – Jedoch
Sind wir nicht Frauen unter uns, und schlägt denn nicht
In jeder Brust ein unbegreiflich, unbegreiflich Herz?
Von unserer Schwachheit sprechen,
Sie uns selber eingestehen,
Ist es nicht schmerzlich süß?
Und zuckt uns nicht der Sinn danach?

Zerbinetta erzählt Ariadne von ihren eigenen Erfahrungen mit Männern: Pagliazzo, Mezzetin, Cavicchio, Burattin, Pasquariello … sie alle kamen „als ein Gott gegangen“ – und doch sei letztlich wieder ein „neuer Gott“ aufgetaucht.

Diese Lebensphilosophie geht vollkommen an Ariadne vorbei. Sie zieht sich in ihre Höhle zurück, während Zerbinetta mit ihren Gefährten kokettiert und sich schließlich mit Harlekin, den sie für sich erwählt, zurückzieht:

Hand und Lippe, Mund und Hand,
Welch ein zuckend’ Zauberband …

Da bemerken die drei Nymphen die Ankunft eines Fremden: Bacchus, „ein reizender Knabe, ein schönes Wunder, ein Junger Gott“ betritt die Insel. Er hat gerade einen Sieg errungen. Es ist ihm gelungen, der großen Zauberin Circe zu entkommen, ihrer Macht zu widerstehen. Nun erblickt er Ariadne, ist sofort von ihr hingerissen und vermutet, sie sei die die Königin dieser Insel und wolle ihn nun auch – wie zuvor Circe – mit einem Zaubertrank bewirten …

Ariadne, noch halb in lebloser Traurigkeit, glaubt zunächst, in dem Fremden den ersehnten Hermes zu erkennen, den Todesboten, der endlich für sie gekommen sei. Als Bacchus dann auch noch zugibt, „Herr über ein dunkles Schiff“ zu sein, fleht sie ihn an, mit ihm gehen zu dürfen.

Doch bald ist das Missverständnis aufgeklärt, denn Ariadne und Bacchus entflammen in sagenhafter Liebe zueinander. „Nun hebt sich erst das Leben an für dich und mich!“, versichert er ergriffen und küsst Ariadne. Jäh erwacht in ihr neue Lebensfreude, und auch Bacchus, der der Liebe schon abgeschworen hatte, ist plötzlich wie verwandelt.

Zerbinettas spöttische Rufe aus dem Hintergrund, dass ja doch alles vergänglich sei und immer wieder ein neuer Gott kommen werde, verhallen ohne Eindruck zu hinterlassen.

Bacchus ist sich seiner ewigen Liebe zu Ariadne gewiss:

Deiner hab’ ich um alles bedurft!
Nun bin ich ein anderer, als ich war,
Durch deine Schmerzen bin ich reich,
Nun reg’ ich die Glieder in göttlicher Lust!
Und eher sterben die ewigen Sterne,
Eh’ denn du stürbest aus meinen Armen.