29. März 2024

Erlösung dem Erlöser

Parsifal

• Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen von Richard Wagner 

Libretto: Richard Wagner (1813–1883) 
Musik: Richard Wagner (1813–1883) 
Uraufführung: 26. Juli 1882, Bayreuth (Bühnenfestspielhaus) 
Dauer: ca. 4,5 Stunden, zwei Pausen

Aufzüge:
1. Das Gebiet des Grals
2. Klingsors Zaubergarten
3. Das Gebiet des Grals

Hauptpersonen:
Amfortas, der Gralskönig: Bariton
Gurnemanz, ein Gralsritter: Bass
Parsifal: Tenor
Klingsor: Bass
Kundry: Mezzo-Sopran
Titurel, Amfortas Vater: Bass

Kurze Werkeinführung

Das „Bühnenweihfestspiel Parsifal“ war Richard Wagners letztes Bühnenstück. Er schrieb es für das 1876 eröffnete Festspielhaus Bayreuth und verfügte, dass dieses besondere Werk fortan ausschließlich auf dieser Bühne aufgeführt werden solle.

Bis zum Ende einer Schutzfrist im Jahr 1913 wurde dem Wunsch des Dichterkomponisten auch entsprochen. Seither aber ist der „Parsifal“ auf allen Opernbühnen der Welt in immer neuen Inszenierungen zu sehen – vorwiegend zur Osterzeit. Denn der „Karfreitagszauber“ ist im „Parsifal“ ein musikalisch herausragendes Moment.

Wagner selbst will an einem Karfreitag im Jahr 1857 den entscheidenden kreativen Impuls für sein letztes großes Werk empfangen haben. Diese Darstellung in seiner Biographie „Mein Leben“ war zwar, wie er später seiner Gattin Cosima gestand, „bei den Haaren herbeigezogen“, aber sie ist typisch für die Neigung des Komponisten zur Mystifikation und dramaturgischen Überhöhung von Ereignissen.

Grundlage für Wagners Bühnenweihfestspiel war Wolfram von Eschenbachs (ca. 1160–1220) Dichtung „Parzival“, die als bedeutendstes mittelalterliches Epos gilt. Die darin enthaltene Sage vom Heiligen Gral dürfte Wagner 1845 kennengelernt haben. Zwar attestierte er Eschenbach „Unfähigkeit“ als Dichter, denn Wagner fühlte sich von dessen Abenteueraufzählungs-Dramaturgie, wie er schrieb, „schroff abgestoßen“, aber das Mysterium des Grals ließ ihn für den Rest seines Lebens nicht mehr los.

Der Heilige Gral – das war nach Wagners Überzeugung gewiss nicht das, was Eschenbach vermutete, nicht nur ein einfacher, wenn auch kostbarer Stein. Vielmehr musste es einen großen, geheimnisvollen Bezug zum Christentum geben, zur der Menschheitserlösung, die sich Jesus von Nazareth verbindet. Also beschreibt Wagner den Gral als jenen Kelch, in dem einst das Kreuzesblut Christi aufgefangen worden war, als lebensspendendes Gefäß, das von einer erlesenen, gottesfürchtigen Ritterschaft behütet und vom Priesterkönig Amfortas regelmäßig enthüllt wird, wodurch allen Getreuen erneut Kraft vermittelt werden kann.

Leider aber ist der große Amfortas amtsmüde. Seit einem verhängnisvollen Kampf mit dem Zauberer Klingsor plagt ihn eine schwere Wunde, die sich nicht schließen will. Jede Enthüllung des Grals, die die anderen kräftigt, segnet und belebt, steigert seine eigenen Schmerzen ins Unermessliche. Aber es gibt eine Verheißung, die allen Trost und Zuversicht spendet: Einst werde ein „reiner Tor“ im Gebiet des Grals erscheinen. Er werde „durch Mitleid wissend“ geworden sein und Amfortas sowie der Ritterschaft die ersehnte Erlösung bringen. –

Gibt es tatsächlich einen Bezug zwischen der Grals-Sage und dem christlichen Glauben? Vermutlich war Wagner davon überzeugt. „Alljährlich naht vom Himmel eine Taube, um neu zu stärken seine Ritterschaft“, textete er in seiner „Gralserzählung“ im „Lohengrin“. Ist damit ein Bogen vom christlichen Pfingstfest zur Enthüllung des Grals gespannt?

Jedenfalls war Wagner von der Bedeutung der Kunst als Brücke zur Religion überzeugt. In seiner Schrift „Religion und Kunst“ (1880) meinte er, dass es der Kunst vorbehalten sei, „den Kern der Religion zu retten“. Wenn diese also infolge der Aufklärung an Relevanz verliert, wenn Konfessionen in dogmatisch geprägten Kulten erstarren, dann ist es Sache der Kunst, jene „verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen“, die mythische Symbole – und voran das des „Heiligen Grals“ – bergen.

Sollen also „Parsifal“ und die Grals-Mythologie Jesu Christi und seine Wahrheit aus den „schuldbefleckten Händen“ der traditionellen Kirchen befreien? Schließt Wagners Libretto deshalb mit den rätselhaften, viel diskutierten Worten „Erlösung dem Erlöser“?

Fest steht, dass „Parsifal“ mit einer gewöhnlichen Oper kaum zu vergleichen ist. 1882 musste das Premierenpublikum ungewöhnlich tief bewegt gewesen sein. Überliefert ist ein Kommentar des Leipziger Theaterdirektors August Förster, der an jenem 26. Juli nach der Uraufführung in Bayreuth einigen Bekannten gegenüber mit Tränen in den Augen meinte: „Sie werden sehen, Wagner stirbt!“ Ein Mensch, der etwas wie den „Parsifal“ geschaffen habe, könne nicht mehr lange leben, der sei fertig, habe alles gegeben.

Wagner starb am 13. Februar 1883 in Venedig.

„Parsifal“ – Religiöses Fest oder Opernabend? Man muss sich nicht entscheiden. Zum traditionellen Weihe-Kult, dem sich der Opernbesucher verpflichtet, gehört, die „Gralshandlung“ nach dem 1. Aufzug nicht durch Händeklatschen zu zerstören. Die ins Religiöse weisende Emotions-Askese muss nach dem 2. und 3. Aufzug allerdings nicht wiederholt werden: Nun darf wieder getobt werden – sofern die Leistungen auf der Bühne dazu Anlass geben.

Die Handlung

Kurz und gut …

Im Umfeld asketischer Ritter kann ein Kuss den Mann zu Wissen und Erkenntnis führen und die Frau zur Erlösung durch den Tod.

1. Akt: Im Gebiet des Grals

Der „Heilige Gral“ ist das Gefäß, das Jesus einst beim Abendmahl benutzt hatte und in das dann sein Blut floss, nachdem ihm am Kreuz ein Speer in die Seite gestoßen worden war. Später, als „wilder Feinde List und Macht“ den reinen Christus-Glauben bedrohten, hatten „selige Boten“ des Heilands Gral und Speer in Sicherheit gebracht. Der fromme Titurel hatte eine Burg für das Heiligtum gebaut und eine Bruderschaft reiner, asketisch lebender Männer gegründet, die „durch des Grales Wunderkräfte“ gestärkt und dadurch „zu höchsten Rettungswerken“ befähigt werden.

Amfortas ist der Sohn des ersten „Gralskönigs“. Vor Jahren war er zu einer heiklen Mission aufgebrochen: Er hatte, bewaffnet mit dem „heiligen Speer“, versucht, dem Treiben eines gefährlichen, von der Bruderschaft verstoßenen Mannes ein Ende zu bereiten: Klingsor. Dieser hatte einst selbst das Leben eines Gralsritters führen wollen, sich sogar entmannt, um die nötige Reinheit zu erreichen, doch seine Unfähigkeit, „in sich selbst die Sünde zu ertöten“, hatte ihn schließlich zum erbitterten Gegner der Ritter werden lassen. Um sie zu schwächen und den Gral letztlich für sich selbst zu gewinnen, hatte Klingsor einen „Zaubergarten der Lust“ kreiert, in dem sinnenbetörende Schönheiten ihr Unwesen treiben. Diesem Spuk wollte Amfortas ein Ende bereiten  – doch er war in seiner Mission gescheitert: In der Umarmung eines „furchtbar schönen Weibes“ hatten ihn seine Triebe übermannt, und Klingsor hatte den Sinnentaumel des Gralskönigs geschickt benutzt, um ihm die Waffe zu rauben und sie ihm hohnlachend in die Seite zu stoßen.

An dieser Verletzung leidet Amfortas immer noch. Die ewig blutende Wunde, die der „heilige Speer“ ihm geschlagen hatte, kann nicht heilen. Er siecht dahin, sucht Linderung durch Heilkräuter und Badekuren im „heiligen See“ des Gralsgebietes, aber nichts vermag ihm zu helfen. Nur der feste Glaube an eine Verheißung lässt den siechen König durchhalten: Jemand, der „durch Mitleid wissend“ geworden ist, werde ihm die Erlösung bringen. Aber vielleicht, meint Amfortas, ist dieser „Jemand“ einfach der Tod. Ihn sehnt der von endlosem Leid Geplagte herbei.

Die Gralsritter leiden mit ihrem König. Sie wissen, dass sie ihm nicht helfen können, weil sie kein Mittel gegen eine Wunde kennen, die von diesem Speer geschlagen wurde.

Da erscheint im Gebiet des Grals ein geheimnisvolles Weib: „Wilde Kleidung, hoch geschürzt; Gürtel von Schlangenhäuten lang herabhängend: schwarzes, in losen Zöpfen flatterndes Haar; tief braunrötliche Gesichtsfarbe; stechende schwarze Augen, zuweilen wild aufblitzend, öfters wie todesstarr und unbeweglich“ – Kundry.

Sie eilt auf Gurnemanz zu, jenen treuen Gralsritter, der seinem verletzten Meister nach dessen folgenschwerem Versagen auf der Flucht vor Klingsor beigestanden war. Ihm überreicht Kundry ein Kristallgefäss mit Heilkräutern aus „Arabia“. Amfortas solle den Balsam versuchen – eine letzte Hoffnung zur Schmerzenslinderung, denn Weiteres könne die Natur Arabias dem siechen König nicht mehr bieten.

Die Gralsritter werden aus diesem Weib, das ihnen bisweilen wie ein wildes Tier erscheint, nicht schlau. Will sie dem König mit ihren Kräutern wirklich helfen? Ist sie eine Dienerin des Grals? Oder geht es ihr in Wirklichkeit darum, Amfortas vollends zu verderben?

Gurnemanz verteidigt Kundry. Das „Zauberweib“ habe nie jemandem Schaden zugefügt, im Gegenteil: Immer wenn „lange sie uns ferne blieb, dann brach ein Unglück wohl herein“.

Er ahnt nicht, dass Kundry es war, die Amfortas im Garten Klingsors verführt hatte, dass diese Frau eine innerlich Zerrissene ist, die der Ritterschaft zwar heilkundig dient, gleichzeitig aber im Banne Klingsors steht.

Das Gespräch der Ritter wird durch den Anblick eines Schwans gestört, der von einem Pfeil getroffen zu Boden flattert. Ein Unbekannter ist ins Gralsgebiet eingedrungen und hat das heilige Tier erlegt. Nur: Der junge Mann wusste nichts von dessen Heiligkeit – und wie sich bald herausstellt, weiß er überhaupt recht wenig. Nicht, woher er kommt, auch nicht, wer sein Vater ist, nicht einmal seinen eigenen Namen kennt er. Nur den seiner Mutter: Sie sei Herzeleide genannt, berichtet der Fremde.

Da horcht Kundry auf – sie kennt und erzählt die Geschichte des ungestümen Jungen: Herzeleides Mann Gamuret sei vor der Geburt seines Sohnes im Kampf erschlagen worden. Um ihrem außergewöhnlich starken Kind, das bald viele zu fürchten gelernt hatten, einen ähnlich frühen Heldentod zu ersparen, habe die verzweifelte Mutter ihren Jungen weltfremd und „waffenfremd zum Toren erzogen“ – bis dieser sie allein gelassen habe, um hinaus in die Welt zu ziehen und seinen eigenen Weg zu gehen. Im Gram darüber sei Herzeleide gestorben. Sie habe ihr noch aufgetragen, ihr Kind zu grüßen.

Der Junge sinkt betroffen nieder, Kundry reicht ihm Wasser. Da kehrt König Amfortas von seinem Bad zurück, und Gurnemanz hegt die Hoffnung, dass heute mit diesem Fremden jener „reine Tor“ das Gebiet des Grals betreten haben könnte, auf den alle so sehnsuchtsvoll warten. Also lädt er ihn in die Gralsburg ein, wo Amfortas sein Amt verrichten, den Gral enthüllen soll. Auch sein Vater, der uralte Titurel, ist in der Burg anwesend, um aus dem Gral neue Lebenskraft zu empfangen.

Doch Amfortas weigert sich, seiner Pflicht nachzukommen:

Nein! Lasst ihn unenthüllt! – Oh!
dass keiner, keiner diese Qual ermisst,
die mir der Anblick weckt, der euch entzückt!
Was ist die Wunde, ihrer Schmerzen Wut,
gegen die Not, die Höllenpein,
zu diesem Amt – verdammt zu sein!

Schließlich, unter qualvollen Schmerzen, erfüllt Amfortas doch sein Amt. Während er „andachtsvoll in stummem Gebete zu dem Kelche sich neigt, verbreitet sich eine immer dichtere Dämmerung über die Halle. – Eintritt vollster Dunkelheit. Ein blendender Lichtstrahl dringt von oben auf die Kristallschale herab; diese erglüht sodann immer stärker in leuchtender Purpurfarbe, alles sanft bestrahlend. Amfortas, mit verklärter Miene, erhebt den ,Gral‘ hoch und schwenkt ihn sanft nach allen Seiten, worauf er damit Brot und Wein segnet. Alles ist auf den Knien“ und empfindet „heilige Wonne“, bis Amfortas den Gral wieder niedersetzt, worauf dieser „immer mehr erblasst“.

Gurnemanz hatte gehofft, dass dieses heilige Geschehen den staunenden Fremdling zum Wissen erwecken werde und dass der er so sehnlich erwartete „reine Tor“ Amfortas endlich erlösen könnte.

„Weißt du, was du sahst?“, fragt er ihn. Aber der Junge fasst sich nur „krampfhaft am Herzen“ und schüttelt stumm sein Haupt …

Enttäuscht schickt ihn Gurnemanz daraufhin fort: „Du bist doch eben nur ein Tor!“ Künftig solle er wenigstens die Schwäne in Ruhe lassen.

Während der Fremde den Rittern aus der Gralsburg folgt, erklingt eine Stimme aus der Höhe:

Durch Mitleid wissend,
der reine Tor …

2. Akt: Klingsors Zaubergarten

In seinem Schloss beobachtet Klingsor durch einen Zauberspiegel, wie der Jüngling näher kommt. Er weiß, dass dieser „reine Tor“ eine Gefahr für ihn und seine Absichten werden kann, denn Torheit, kindliche Einfalt wirkt als „Schild“ gegen Verführung und Verderben. Also weckt der düstere Zauberer seine mächtigste Mitstreiterin: Kundry, die „Urteufelin“ und „Höllenrose“, die einst schon als Herodias auf Erden gelebt, Christus verlacht und nun auch Amfortas verdorben hatte.

Sie steht in Klingsors Bann, denn er ist der einzige, bei dem ihre Verführungsmacht nicht wirkt. Aber Kundry verflucht diese Macht. Sie findet Männer, die ihr verfallen, jammervoll schwach. Sie sehnt sich danach, im Dienst des Grals und der Reinheit zu stehen – oder … ewig zu schlafen. Doch sie kann Klingsors Willen nicht trotzen und ist gezwungen, an dem einfältigen Sohn Herzeleides ihr nächstes Verderbenswerk zu beginnen.

Als der junge Held Klingsors Burg betritt, stellen sich ihm zunächst zahlreiche Ritter in den Weg. Doch der Kampf ist kurz, sie alle müssen vor der Übermacht dieser Ein-Mann-Armee fliehen. Klingsor blickt seinen geschlagenen Getreuen, diesem „Rittergezücht“, verächtlich nach. Er bewundert den Knaben, der nun so stolz „auf der Zinne steht“, und er kennt auch die Weissagung: Dieser „reine Tor“ solle Amfortas und die Gralsritter von ihrem Leid befreien. Doch Klingsor ist sich seiner Sache sicher. Mit Kundrys Hilfe wird er dieses Erlösungswerk zu vereiteln wissen:

Du da, – kindischer Spross, –
was auch
Weissagung dich wies,
zu jung und dumm
fielst du in meine Gewalt:
die Reinheit dir entrissen,
bleibst mir du zugewiesen! 

Schon wird der junge Kämpfer mit überwältigenden Eindrücken konfrontiert: „Von allen Seiten her, zuerst aus dem Garten, dann aus dem Palaste, stürzen, wirr durch einander, einzeln, dann zugleich – immer mehr schöne Mädchen herein; sie sind mit flüchtig übergeworfenen, zart farbigen Schleiern verhüllt, wie soeben aus dem Schlafe aufgeschreckt.“

Klingsors Blumenmädchen beklagen zunächst die mit ihren befreundeten verwundeten Ritter, beginnen aber bald, den starken, schönen fremden Jüngling zu umgarnen. Doch die immer ungestümere weibliche Bedrängnis löst bei diesem letztlich nur einen Fluchtreflex aus: „Lasst ab, ihr fangt mich nicht!“

Gerade als er den Garten wieder verlassen will, hört er Kundrys Stimme. Sie ruft einen vertrauten Namen … seinen Namen!

„Parsifal – Weile!“

„Parsifal? … So nannte träumend mich einst die Mutter.“

Der junge Held „sieht sich schüchtern nach der Seite hin um, von welcher die Stimme kam. Dort ist jetzt, durch Enthüllung des Blumenhages, ein jugendliches Weib von höchster Schönheit sichtbar geworden.“

Es ist Kundry, doch ihre Gestalt ist verwandelt. Nichts an ihr erinnert an das „wilde Tier“, als das sie den Gralsrittern erschienen war. Sie liegt jetzt „auf einem Blumenlager, in leicht verhüllender, phantastischer Kleidung – annähernd arabischen Stiles“ und beginnt damit, Parsifal die ganze Geschichte seiner Herkunft zu erzählen. Sie habe ihn schon als „Kind an seiner Mutter Brust“ gesehen und zuletzt miterlebt, wie Herzeleide aus Gram darüber, dass er sie einfach verlassen hatte, gestorben war.

Parsifal versinkt in Trübsinn. Wie konnte er seiner Mutter das antun? Sie einfach vergessen? Sich von seiner „dumpfen Torheit“ durchs Leben treiben lassen?

Aber Kundry tröstet den Jungen: Seine Schuld könne gelöst werden und seine Torheit sich in Erkenntnis wandeln. Doch müsse er die Liebe kennenlernen, jene Liebe, wie sie auch seine Eltern erlebt hatten:

Die Liebe lerne kennen,
die Gamuret umschloss,
als Herzeleids Entbrennen
ihn sengend überfloss!

Dabei hat Kundry „traulich ihren Arm um seinen Nacken“ geschlungen, um Parsifal nun „als Muttersegens letzten Gruß der Liebe ersten Kuss“ zu bieten. Sie „hat ihr Haupt völlig über das seinige geneigt, und heftet nun ihre Lippen zu einem langen Kusse auf seinen Mund.“

Doch Parsifal spürt in diesem Augenblick weder den Gruß der Mutter, noch die Freuden körperlicher Lust. Er fährt „mit einer Gebärde des höchsten Schreckens auf: seine Haltung drückt eine furchtbare Veränderung aus; er stemmt seine Hände gewaltsam gegen das Herz, wie um einen zerreissenden Schmerz zu bewältigen“ – und er erlebt, was der Gralskönig erlebt hat:

Amfortas! …
Die Wunde! – Die Wunde! –
Sie brennt in meinem Herzen! –
Oh –! Klage! Klage!
Furchtbare Klage!
Aus tiefstem Herzen schreit sie mir auf.
Oh –! Oh –!
Elender!
Jammervollster!
Die Wunde sah ich bluten, –
nun blutet sie in mir –!
Hier – hier! …
Nein! Nein! Nicht die Wunde ist es.
Fliesse ihr Blut in Strömen dahin!
Hier! Hier im Herzen der Brand!
Das Sehnen, das furchtbare Sehnen,
das alle Sinne mir fasst und zwingt!
Oh! – Qual der Liebe!
Wie Alles schauert, bebt und zuckt –
in sündigem Verlangen! 

Schlagartig wird Parsifal sich seiner Sendung bewusst: Es ist an ihm, die „Erlösungswonne“ aus dem Heiligen Gral zu vermitteln! In seiner Torheit und Feigheit hatte er das nicht erkannt und sich in „wilde Knabentaten“ geflüchtet. Jetzt aber will er seine Schuld endlich gut machen.

Parsifal stößt die erstaunte Kundry mahnend von sich. Würde er in ihren Armen auf seine Sendung vergessen, so wäre sie mit ihm „in Ewigkeit verdammt“!

Aber so schnell gibt eine „Höllenrose“ nicht auf. Wenn schon ein einziger Kuss ihm so viel Erkenntnis vermittelt habe, argumentiert sie geschickt, dann könne Parsifal durch ihr „volles Liebes-Umfangen“ gewiss echte Gottheit erlangen! Und nur als Gott könne er die Welt erlösen. Sie selbst würde dafür die ewige Verdammnis in Kauf nehmen: „Nie heile mir die Wunde!“

Aber auch diese Versuchung prallt an Parsifal ab. Unbeeindruckt lässt er Kundrys wissen, wie sie trotz ihrer Vergangenheit Erlösung und Liebe erfahren könne: Sie müsse ihm den Weg zurück zu Amfortas zeigen.

Doch die Bande, die Kundry an Klingsor fesseln, sind stark. Erst der Fluch des Zauberers habe ihr Kraft zum Leben gegeben, nachdem sie allem Erlösenden immer nur mit Häme und mit dem Lachen des Wahnsinns begegnet war.

So ruft Kundry gegen Parsifal ihren düsteren Herren zur Hilfe. Klingsor tritt auf die Burgmauer und schleudert kurzerhand den „heiligen Speer“ gegen Parsifal. Doch wie durch Geisterhand gehalten, bleibt die Lanze über dem Haupt des Jünglings schweben. Parsifal erfasst den Speer und schlägt mit ihm das Zeichen des Kreuzes:

Mit diesem Zeichen bann ich deinen Zauber:
wie die Wunde er schliesse,
die mit ihm du schlugest,
in Trauer und Trümmer
stürz’ er die trügende Pracht! 

Klingsors Zauberreich versinkt. „Der Garten ist schnell zu einer Einöde verdorrt; verwelkte Blumen verstreuen sich auf dem Boden. Kundry ist schreiend zusammengesunken.

Parsifals letzte Worte, bevor er sich auf die Suche nach Amfortas macht, gelten ihr:

Du weißt, wo du mich wiederfinden kannst!

3. Akt: Im Gebiet des Grals

Viele Jahre sind vergangen. Parsifal ist es bisher nicht gelungen, das Gebiet des Grals, in das er als Jüngling während der Jagd geraten war, wiederzufinden. Doch nun, an einem besonderen Karfreitag, sollen seine Irrfahrten enden …

Gurnemanz, inzwischen „zum hohen Greise gealtert“ und als Einsiedler lebend, hört an diesem frühen Morgen ein Stöhnen, einen Klageruf. Er tritt aus seiner Hütte und entdeckt Kundry – „in rauem Büßergewande, ähnlich wie im ersten Aufzug, nur ist ihre Gesichtsfarbe bleicher, aus Miene und Haltung ist die Wildheit verschwunden. – Sie starrt lange Gurnemanz an. Dann erhebt sie sich, ordnet sich Kleidung und Haar, und läßt sich sofort wie eine Magd zur Bedienung an.“

Gurnemanz freut sich, Kundry an diesem „Gnadentag“ gefunden zu haben, um „der Armen heut’ den Todesschlaf zu verscheuchen“.

Doch an diesem Karfreitag soll sich noch Bedeutenderes ereignen. Kundry weist Gurnemanz auf einen Fremden hin, der soeben das Gralsgebiet betritt, „ganz in schwarzer Waffenrüstung; mit geschlossenem Helme und gesenktem Speere schreitet er, gebeugten Hauptes, träumerisch zögernd, langsam daher und setzt sich auf dem kleinen Rasenhügel am Quelle nieder.“

Mit Staunen und Rührung erkennt Gurnemanz den Mann: „Der ist’s, der einst den Schwan erlegt’, der Tor, den ich zürnend von uns wies.“ Und „in großer Ergriffenheit“ blickt er auf die altvertraute Waffe, die er mit sich führt. Es ist – der Heilige Speer!

Parsifal reicht Gurnemanz „sanft die Hand zum Gruß“. Es wird ihm bewusst, dass die Pfade „der Irrniss und der Leiden“ nun zu Ende sind. Zahllose Nöte und Kämpfe hätten ihn immer wieder daran gehindert, seinen Weg hierher zu finden und, seiner Bestimmung folgend, der Ritterschaft das Heil zu bringen. Doch in all den Streiten habe er „des Grales Heilg’en Speer“ niemals verwendet. Unentweiht habe er die Waffe „heim geleitet“.
Gurnemanz berichtet, wie die Grals-Ritterschaft diese langen Jahre erlebte: Seit jenem Tag, als Parsifal der Feier beigewohnt hatte, habe Amfortas den Gral nie mehr wieder enthüllt. Durch unerträgliche Schmerzen gepeinigt, habe er auf diese Weise seinen Tod erzwingen wollen. Amfortas lebe immer noch, doch sein Vater Titurel sei nun gestorben und die Heldenkraft der Gralsritter versiege. Mutlos seien sie alle geworden, ohne sinnvolle Aufgabe würden sie „bleich und elend“ umher wanken …

Parsifal „bäumt sich vor großem Schmerz auf“. Es wird ihm klar, welches Elend er durch seine „Torheit und Blindheit“ verursacht hat. Als er in seinem Schuldbewusstsein „ohnmächtig umzusinken“ droht, stützt ihn Gurnemanz, und Kundry „holt hastig ein Becken mit Wasser, um Parsifal zu besprengen“. Dann badet sie ihm „mit demutsvollem Eifer“ die Füße.

„Werd heut’ zu Amfortas ich noch geleitet?“

Gurnemanz bejaht Parsifals Frage. Die Totenfeier für Titurel stehe an, und Amfortas habe der Ritterschaft gelobt, aus diesem Anlass noch einmal den Gral zu enthüllen.

Nachdem Kundry ihm mit einem besonderen Wasser die Füße gewaschen hat, segnet Gurnemanz damit auch Parsifals Haupt, auf dass von ihm „jede Bekümmernis weiche“, und anerkennt ihn als neuen König:

So ward es uns verhießen;
so segne ich dein Haupt,
als König dich zu grüssen.
Du Reiner!
Mitleidvoll Duldender,
heiltatvoll Wissender!
Wie des Erlösten Leiden du gelitten,
die letzte Last entnimm nun seinem Haupt! – 

Daraufhin verrichtet Parsifal sein erstes Amt: Er tauft Kundry und mahnt sie, an den Erlöser zu glauben. Sie „senkt das Haupt tief zur Erde“, weint heftig, und im Glanz der Natur empfinden alle gemeinsam den „Karfreitagszauber“, die wundersame Erlösung „von Sündenlast und Grauen“.

Als aus weiter Ferne Glockengeläute ertönt, weiß Gurnemanz, dass es Zeit ist, zur Gralsburg aufzubrechen:

Mittag: –
die Stund ist da.
Gestatte, Herr, dass dein Knecht dich geleite! 

„Parsifal ergreift feierlich den Speer und folgt mit Kundry dem langsam geleitenden Gurnemanz“ zur Burg.

In der großen Gralshalle steht Titurels Sarg. Amfortas liegt in seinem „Siechbette“. Er trauert um seinen Vater, der durch seine Schuld verstorben sei, und erfleht seinen eigenen Tod – als Erlösung von dem Leid:

Mein Vater! –
Hochgesegneter der Helden!
Du Reiner, dem einst die Engel sich neigten:
der einzig ich sterben wollt,
dir – gab ich den Tod!
Oh! der du jetzt in göttlichem Glanz
den Erlöser selbst erschaust,
erflehe von ihm, dass sein heiliges Blut –
wenn noch einmal heut sein Segen
die Brüder soll erquicken,
wie ihnen neues Leben –
mir endlich spende den Tod!

Tod! Sterben …
Einz’ge Gnade!
Die schreckliche Wunde, das Gift, ersterbe,
das es zernagt, erstarre das Herz!
Mein Vater! Dich ruf ich –
rufe du ihm es zu:
„Erlöser, gib meinem Sohne Ruh!“

Die Ritter drängen Amfortas, nun endlich seines Amtes zu walten. Doch der springt plötzlich „in wütender Verzweiflung auf und stürzt sich unter die zurückweichenden Ritter“, während er sein Gewand aufreißt, allen seine Wunde zeigt und sich schreiend weigert, den Gral zu enthüllen. Die Ritter mögen ihn töten, damit würde die Kraft aus dem Gral wieder allen zuteil …

Nein! – Nicht mehr! – Ha!
Schon fühl ich den Tod mich umnachten,
und noch einmal sollt ich ins Leben zurück?
Wahnsinnige!
Wer will mich zwingen zu leben,
könnt ihr doch Tod mir nur geben?
Hier bin ich, – die off’ne Wunde hier!
Das mich vergiftet, hier fließt mein Blut:
heraus die Waffe! Taucht eure Schwerte
tief, tief – bis ans Heft! –
Auf! Ihr Helden:
tötet den Sünder mit seiner Qual,
von selbst dann leuchtet euch wohl der Gral! … 

Alle Ritter sind scheu vor Amfortas zurückgewichen, der nun „in furchtbarer Ekstase einsam steht. Parsifal ist, von Gurnemanz und Kundry begleitet, unvermerkt unter den Rittern erschienen, tritt jetzt hervor und streckt den Speer aus, mit dessen Spitze er Amfortas Seite berührt:“

Nur eine Waffe taugt:
die Wunde schließt
der Speer nur, der sie schlug. 

„Amfortas Miene leuchtet in heiliger Entzückung auf; er scheint vor großer Ergriffenheit zu schwanken; Gurnemanz stützt ihn“, während Parsifal sich als neuer Gralskönig an Amfortas und die Ritter wendet:

Den heil’gen Speer –
ich bring ihn euch zurück! –
Oh! Welchen Wunders höchstes Glück!
Der deine Wunde durfte schließen,
ihm seh ich heil’ges Blut entfließen
in Sehnsucht nach dem verwandten Quelle,
der dort fliesst in des Grales Welle!
Nicht soll der mehr verschlossen sein: –
Enthüllet den Gral – öffnet den Schrein!

Der Gral erglüht hell. „Aus der Kuppel schwebt eine weiße Taube herab und verweilt über Parsifals Haupte. Kundry sinkt, mit dem Blicke zu ihm auf, vor Parsifal entseelt langsam zu Boden. Amfortas und Gurnemanz huldigen kniend Parsifal, welcher den Gral segnend über die anbetende Ritterschaft schwingt.“ In den Chor aller mischen sich Stimmen aus lichten Höhen:

Höchsten Heiles Wunder:
Erlösung dem Erlöser!

(Alle Zitate stammen aus Richard Wagners Libretto)

Siegfried Jerusalem als Parsifal und Waltraud Meier als Kundry in einer Aufführung der Bayreuther Festspiele, 1984