29. April 2024

Abschied nehmen

Alexander Paynes Drama „The Descendants“

Als Nachfahre einer hawaiischen Königstochter ist Matt King (George Clooney) reich, als Rechtsanwalt ist er erfolgreich – und nach dem anstehenden Verkauf einer wunderschönen Naturlandschaft an Investoren wird seine Familie voraussichtlich in Geld schwimmen.

Doch als Matts Ehefrau Elizabeth nach einem schweren Unfall mit einem gemieteten Motorboot ins Koma fällt, ändert sich alles.

Bald sind alle Hoffnungen, dass sie sich wieder erholen könnte, dahin. Die Ärzte erklären sie für hirntot.

Auf Grund einer Verfügung steht die Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen an.

Matt ist damit gezwungen, nicht nur irgendwie seine Trauer zu bewältigen, sondern sich auch in der Rolle des Vaters wiederzufinden. Denn die Erziehung seiner zehnjährigen Tochter Scottie (Amara Miller) hatte der zu Hause kaum präsente, vielbeschäftigte Anwalt seiner Frau überlassen.

Und die zweite, sieben Jahre ältere Tochter Alexandra (Shailene Woodley) erweist sich zunächst auch nicht als große Hilfe. Ihre pubertäre Eigenbrötelei und auch ihr empathisch wie intellektuell unterbelichtet wirkender Freund Sid (Nick Krause) werden für Matt zur Herausforderung.

Aber ausgerechnet von Alexandra erfährt er, dass seine Frau ihn betrogen hatte. Schon lange war da ein anderer Mann im Spiel. Ob er denn wirklich nie etwas davon bemerkt habe?

Matt King wird bald bewusst, dass Elizabeths Affäre auch im Freundeskreis bekannt war – den er jetzt darüber informieren muss, dass seine Frau sterben wird, dass es Zeit ist, von ihr Abschied zu nehmen, ehe die Maschinen abgestellt werden.

Und zu allem Überfluss ist da noch Matts polternder Schwiegervater, der nicht müde wird, ihm die Schuld am Tod seiner Tochter zuzuweisen. Er hätte Elizabeth doch mit dem vielen Geld, das er hat, ein eigenes Boot gönnen können. Dann wäre dieser Unfall sicher nicht passiert …

Dem US-amerikanischen Regisseur und Drehbuchautor Alexander Payne ist mit „The Descendants“ („Die Nachkommenschaft“) ein berührendes Filmdrama gelungen, mit dem er das Abschiednehmen thematisiert. Dass der Streifen trotz seines „schweren“ Inhalts ziemlich heiter und sogar humorvoll anmutet, liegt an den überaus lebensnah geschriebenen Szenen, die von den Schauspielern großartig umgesetzt werden.

Wie soll ein Mann mit innerem Frieden von seiner Ehefrau Abschied nehmen, wenn ihm gerade klar geworden ist, dass er sie vielleicht gar nicht wirklich gekannt hat?

Wie soll eine Tochter um ihre Mutter trauern, nachdem sie selbst deren heimliche Affäre aufgedeckt hat?

Kann, soll, muss man einem sterbenden Menschen alle Fehler vergeben?

Die eindrucksvollen Szenen in der Intensivstation, wo letztlich auch die Ehefrau jenes Mannes auftaucht, mit dem Elizabeth ihre Affäre hatte, bilden die dramaturgischen Gipfel dieses cineastischen Meisterwerks, das für fünf Oscars nominiert und mit zahlreichen Filmpreisen ausgezeichnet wurde.

„The Descendants“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich auch anspruchsvolle Themen durch eine glaubwürdige Entwicklung der Charaktere zu einem erstaunlich beglückenden Filmerlebnis formen lassen.

Der Geschichte liegt der Roman der hawaiianischen Schriftstellerin Kaui Hart Hemmings zugrunde. Das Filmscript wurde als „bestes adaptiertes Drehbuch“ mit einem Oscar ausgezeichnet.

Dass der Film zugleich einige wunderschöne Naturaufnahmen aus Hawaii serviert, bleibt gegenüber dieser großen Geschichte eines Abschiednehmens ein Nebenaspekt – wie auch Matt Kings Gewissenskonflikte, ob er denn das Land seiner Vorfahren tatsächlich Investoren überlassen soll oder lieber doch nicht.

Letztlich zeigt sich, dass Elizabeths überraschender Tod alles verändert. Ein zunächst unfassbarer Schicksalsschlag erweist sich mit zunehmendem Abstand als sinnstiftend.

Auch das ist wohl dem Leben abgeschaut …

(2011, 115 Minuten)