19. März 2024

„Martha! Martha! Du entschwandest …“

Martha oder Der Markt von Richmond

• Romantisch-komische Oper in vier Akten von Friedrich von Flotow 

Libretto: Friedrich Wilhelm Riese (1807–1879) 
Musik: Friedrich von Flotow (1812–1883) 
Uraufführung: 25. November 1847, Wien (Theater am Kärntnertor)
Dauer: ca. 2,5 Stunden

Akte:
1. Ein Zimmer im Hause der Lady Harriet; Der Marktplatz zu Richmond
2. Ein Raum im Hause Plumketts
3. Eine Waldschänke
4. Im Hause Plumketts; Platz vor Plumketts Haus

Hauptpersonen:
Lady Harriet Druham
(Martha): Sopran
Nancy, Harriets Vertraute (Julia): Mezzosopran
Lord Tristan Mickleford, Harriets Vetter: Bass
Lyonel, ein Pächter: Tenor
Plumkett, ein Pächter: Bass
Der Richter von Richmond: Bass

Kurze Werkeinführung

„Martha“ ist das bekannteste Bühnenwerk des deutschen Opernkomponisten Friedrich von Flotow (1812–1883). Das Libretto verfasste der Berliner Schriftsteller Friedrich Wilhelm Riese (1807–1879).

Die Oper wurde 1847 in Wien uraufgeführt und legte den Grundstein für Flotows Bekanntheitsgrad, der bis weit hinein ins 20. Jahrhundert reichte, auch wenn seine nachfolgenden Bühnenwerke an den Erfolg von „Martha“ nicht mehr anschließen konnten und seit ihren Premieren auch kaum aufgeführt werden.

Eine besondere Ehrung wurde „Martha“1986 durch eine Neuinszenierung am Staatstheater Stuttgart unter der Regie von Loriot zuteil, der auch das Bühnenbild und die Kostüme entwarf und die großartige, für ihre Wagner-Rollen bekannte Waltraud Meier für eine Hauptrolle (Nancy) gewinnen konnte.

Operngeschichte schrieb dabei ein kleiner Eingriff, den sich der Humorist in die an sich sehr „leichtfüßige“ Musik Flotows erlaubte, als er – mit Blick auf Lord Tristan, eine der Hauptpersonen der Oper „Martha“ – Richard Wagners berühmten „Tristan-Akkord“ anklingen ließ, der ja Musikgeschichte geschrieben hat.

Diese Töne ließen den unter dem Premieren-Publikum weilenden Leiter der Bayreuther Festspiele, Wolfgang Wagner (1919–2010), ziemlich überrascht aufhorchen. Denn „Martha“ war ja bereits 18 Jahre vor dem „Tristan“ uraufgeführt worden. Sollte sein Großvater tatsächlich … und ausgerechnet bei Flotow?

Loriots Inszenierung wurde auf Film dokumentiert und bietet eine der besten Möglichkeiten, Flotows „Martha“ kennenzulernen.*

Die Handlung

Kurz und gut …

Martha ist eigentlich eine Lady namens Harriet, preist sich aber aus Langeweile auf einem Markt als Magd an. Ihrer neuer „Herr“ ist sofort Feuer und Flamme für sie. Sie aber heiratet ihn erst, nachdem die Königin bestätigt hat, dass er adeliger Herkunft sei. Standes-Ordnung muss sein. 

(Oder, mit den Worten von Loriot: „Bei der Oper ‚Martha‘ handelt es sich um eine Liebesgeschichte, die insofern ungewöhnlich ist, als die ganze Zeit gesungen wird.“)

1. Akt: Ein Zimmer im Hause der Lady Harriet

Lady Harriet, Ehrenfräulein von Königin Anna (1702–1714), ist in ihrem Haus mit der Morgentoilette befasst. Sie ist schwermütig gestimmt und des Hoflebens überdrüssig. Auch die Blumen, die Lord Tristan Mickleford, ein treuer, vornehmer Verehrer, für sie gepflückt hat, können Lady Harriet nicht heiter stimmen („Fort damit! Ihr Duft betäubt!“). Und der Vorschlag ihrer Vertrauten Nancy, sie solle sich doch einmal verlieben, um ihre Langeweile zu vertreiben, kostet die Lady auch nur ein müdes Lächeln.

Als ihr ein Diener kurz danach Lord Tristan meldet und dieser ihr allerhand Vorschläge für gemeinsame Unternehmungen macht („Nach Belieben Lustbarkeiten, Hahnenkampf und Eselreiten“), verbessert sich Lady Harriets Stimmung auch nicht. Ist doch alles langweilig!

Dann aber, als von draußen der Gesang fröhlicher Mädchen ertönt, die unterwegs zum Markt von Richmond sind, um sich dort als Mägde zu verdingen, fassen Nancy und die Lady einen Entschluss, der endlich alle Schwermut vertreibt: Sie wollen sich auch als Mägde verkleiden und ebenfalls nach Richmond aufbrechen. Und Lord Tristan soll sie begleiten.

Für den vornehmen Herrn gehören alberne Maskeraden nicht zu den bevorzugten Beschäftigungen, aber Lady Harriet versteht es, ihren Verehrer zu motivieren. Sie stülpt ihm einen Bauernhut über, und Nancy zeigt ihm vor, wie man ebenso natürlich wie stilgerecht einen plumpen Bauerntanz hinlegt:

So recht kräftig, derb und heftig,
Linkisch einwärts, auf und ab …
Hut im Nacken, mit den Hacken
Stampfend wie im kurzen Trab.

Schließlich findet sich Lord Tristan damit ab, die beiden „Mägde“ als Bauernbub Bob nach Richmond zu begleiten …

Der Marktplatz zu Richmond

Auf dem Marktplatz zu Richmond rufen die Landleute die Mägde herbei. In der Menge, die auf die dienstfertigen Mädchen warten, befinden sich auch Lyonel und Plumkett, zwei brüderliche Pächter.

Lyonel war als Kind eines unbekannten Flüchtlings von Plumketts Familie aufgenommen und wie dessen Bruder behandelt worden. Er weiß nichts über seinen Vater, weder seinen Namen, noch etwas über seinen Stand. Jedoch hat er ihm einen Ring überlassen. Käme er jemals in ernste Gefahren, dann solle er diesen Ring der Königin senden.

Nun eröffnet ein Richter den Markt und befragt die Mägde nach ihren Fähigkeiten. Die Mädchen preisen ihre Künste an („Ich kann nähen, ich kann mähen, ich kann säen, Faden drehen“), und die Gebote treffen ein.

Lady Harriet und Nancy haben sich abenteuerlustig unter die Mägde gemischt, stellen sich als Martha und Julia vor und sind höchst erfreut darüber, dass Lyonel und Plumkett bald „anbeißen“ und sie für ein Jahr einstellen. Lord Tristan – in Gestalt des Bauernbuben Bob – sieht, von den Entwicklungen völlig überrascht, zunächst nur tatenlos und einigermaßen entsetzt zu.

Denn aus dem Spaß wird rasch Ernst. Der Richter entscheidet, dass „Martha“ und „Julia“ sich für ein Jahr unwiderruflich gebunden haben („Ist das Handgeld angenommen, kann der Magd kein Weigern frommen“). Lord Tristans Versuche, Lady Harriet und Nancy freizukaufen, scheitern.

Die beiden werden fort geführt zu Plumketts Haus, begleitet vom Chor der mahnenden Menschenmenge auf dem Markt:

Mägde, haltet Treu,
Sonst kommt die Reu’
Gar flink herbei.
Wenn man töricht brach,
Was man versprach,
Dann kommt die Schmach!

2. Akt: Ein Raum im Hause Plumketts

In Plumketts Pächterwohnung stellt sich sehr schnell heraus, dass „Martha“ und „Julia“ als Mägde untauglich sind.

Lyonel und Plumkett müssen erkennen, dass die beiden weder in ihrem Benehmen („Was soll ich dazu sagen? – Wie ist mir denn gescheh’n? – Nie hat man solch Betragen von einer Magd geseh’n“), noch in den Fähigkeiten ihren Erwartungen entsprechen. Ein Versuch, den beiden das Spinnen beizubringen, scheitert.

„Julia“ gibt sich Plumkett gegenüber stolz und aufmüpfig, wirft zuletzt das Spinnrad um und läuft lachend davon; er verfolgt sie wütend – jedoch nicht ohne von der kecken Art dieser Frau auch beeindruckt zu sein.

Lyonel ist der ebenso arbeitsunfähigen „Martha“ gegenüber nachsichtiger. Kein Wunder: Er hat sich in das Mädchen verliebt und bietet ihm nun an, ihn auf andere Weise zu beglücken. Zunächst vielleicht mit einem Lied: „Nein, nicht soll dich Arbeit quälen. Singen sollst du, fröhlich sein!“

Nach einzigem Zögern stimmt „Martha“ ein und singt das irische Volkslied von der „letzten Rose“:

Letzte Rose,
Wie magst du so einsam hier blüh’n?
Deine freundlichen Schwestern
Sind längst schon, längst dahin.
Keine Blüte haucht Balsam
Mit labendem Duft,
Keine Blättchen mehr flattern
In stürmischer Luft.
Warum blühst du so traurig
Im Garten allein?
Sollst im Tod mit den Schwestern
Vereinigt sein.
Drum pflück ich, o Rose,
Vom Stamme dich ab,
Sollst ruh’n mir am Herzen
Und mit mir im Grab.

Mehr als dieses Lied gibt’s allerdings nicht für Lyonel. „Martha“ weist ihn in die Schranken. Schließlich kehrt auch Plumkett mit „Julia“ zurück – ohne dass er seine Magd hätte zur Arbeit und Einsicht bewegen können. Da es bereits Mitternacht ist, schließen die Männer die Mädchen in ihr Zimmer ein. Morgen ist ja auch noch ein Tag. 

Lyonel hofft, dass er „Marthas“ Herz doch noch wird gewinnen können. Plumkett setzt darauf, dass „Julias“ Scheu vor der Arbeit letztlich nicht von Dauer sein wird. Und die beiden Mädchen bedauern das bittere Ende ihres missglückten Abenteuers. Was würde die Königin dazu sagen, wenn Sie erfährt, worauf ihre Hofdamen sich da eingelassen haben …

Doch Lady Harriet und Nancy müssen sich nicht lange sorgen. Lord Tristan ist ihnen zu Plumketts Wohnung gefolgt und verhilft ihnen nun durch ein Fenster zur Flucht. 

Als ein Wagen fort durch die Nacht rollt, müssen die beiden Pächter zur Kenntnis nehmen, dass ihnen die Mägde geraubt wurden. Sie schicken Knechte aus, die sie wieder zurückzubringen sollen – und versprechen eine Belohnung für die verkannten Hofdamen der Königin: „Zwei Pfund, wer zurück sie zwingt.“

3. Akt: Eine Waldschänke

Lady Harriet und Nancy sind wohlbehalten nach Hause gekommen, die Suche der Knechte nach den verlorenen „Mägden“ war erfolglos verlaufen.

Einige Zeit später lässt es sich Plumkett in einer Waldschänke gemeinsam mit einigen Landleuten gut gehen und besingt gerade das saftige „Porterbier“ („Hurra dem Hopfen, hurra dem Malz, sie sind des Daseins Würz’ und Salz.“), als Jagdfanfaren die Männer aufhorchen lassen. Sie wissen: Königin Anna ist heute „mit ihren Schönen“ im Wald unterwegs.

Schon bald tauchen tatsächlich einige Hofdamen im Jagdkostüm auf – und in einer erkennt Plumkett doch tatsächlich seine „Julia“. Sofort will er Nancy, die entflohene „Magd“, mit sich nehmen („Fort, nach Hause“), wird aber von den Damen der Jagdgesellschaft unter Androhung von Waffengewalt von diesem Vorhaben abgebracht. 

Lyonel ist indes ebenfalls in der Nähe der Waldschänke, aber in Gedanken immer noch bei „Martha“. Er kann sie nicht vergessen – und wünscht sich sein „Glück“ wieder zurück:

Ach, so fromm, ach, so traut
Hat mein Auge sie erschaut.
Ach so mild und so rein
Drang ihr Bild ins Herz mir ein.
Banger Gram, eh’ sie kam,
Hat die Zukunft mir umhüllt,
Doch mir ihr blühte mir
Neues Dasein lusterfüllt.
Weh, es schwand,
Was ich fand,
Ach, mein Glück erschaut’ ich kaum.
Bin erwacht, und die Nacht
Raubte mir den süssen Traum.
Martha! Martha! Du entschwandest,
Und mein Glück nahmst du mit dir;
Gib mir wieder, was du fandest,
Oder teile es mit mir.

Lyonels Wunsch, seine Geliebte wiederzusehen, soll sich bald erfüllen. Denn nicht nur Nancy gehört zur Jagdgesellschaft der Königin, sondern auch Lady Harriet. Sie sehnt sich gerade danach, während dieser Rast im Wald allein zu sein und schickt ihren Begleiter, den getreuen Lord Tristan, weg – nicht ohne ihm vorher nochmals zu verdeutlichen, dass es sich keine Hoffnungen machen dürfe. Sie liebe ihn nicht.

Lyonel, der in unmittelbarer Nähe weilt, erkennt nun die Stimme seiner „Martha“ und eilt sofort herbei, um ihr zunächst seine Liebe zu gestehen und dann – als Lady Harriet bestreitet, ihn zu kennen – seine Ansprüche raushängen zu lassen: „Verwegne! Dein Gebieter bin ich, Dein Herr, dem du zugesagt!“

Um Lyonel zu entgehen, ruft Lady Harriet verängstigt nach Tristan, der sofort auf den Plan tritt – und mit ihm bald auch die Hofgesellschaft.

Nun wird Lyonel klar, dass er einem „Gaukelspiel“ zum Opfer gefallen ist, dass weder „Martha“ noch „Julia“ wirklich Mägde sind. Aber zu spät. Lord Tristan befiehlt, den „Wahnbetörten“ festnehmen zu lassen, und Lyonel gelingt es nur noch, Plumkett den Ring seines Vaters zu übergeben, damit dieser ihn der Königin überbringe. Dann wird er abgeführt.

4. Akt: Im Hause Plumketts

Nachdem Plumkett der Königin den Ring überreicht hatte, war klar geworden, wer Lyonels Vater gewesen ist: Ein einst unschuldig verbannter Graf. Als dessen Sohn ist Lyonel also ein Adeliger – woraufhin die sofortige Freilassung erfolgte.

Und nun, nachdem also ein Mann mit passendem Stand in Aussicht steht, erinnert sich Lady Harriet durchaus angenehm berührt an Lyonels Annäherungsversuche. Gemeinsam mit Nancy hat sie sich in Plumketts Haus eingefunden, um hier Lyonel ihre Bereitschaft zu signalisieren.

Vorbereitend hatte sie bereits Nancy und Plumkett ersucht, Lyonel ihren Besuch anzukündigen. Das aber war missglückt. Sein Bruder sei bitter enttäuscht, berichtet Plumkett, sein Herz schwermütig.

Lady Harriet aber lässt sich nicht davon abhalten, mit Lyonel zu sprechen. Sie präsentiert sich ihm als reumütige Sünderin, stimmt nochmals das Lied von der „letzten Rose“ an – und reicht ihm ihre Hand „in Lieb und Reue“. Doch Lyonel weist sie verbittert ab:

Diese Hand, die sich gewendet,
Um mich schmachvoll fortzuweisen,
Diese Hand, die mir gesendet
Harter Bande kaltes Eisen,
Die bald winket, bald verscheuchet
Und mit schnödem Netz umflicht,
Diese Hand, die sich mir reichet,
Diese Hand – ich will sie nicht!

Nachdem Lyonel davon gestürzt ist und auch Lady Harriet sich, neue Pläne schmiedend, zurück gezogen hat, finden Plumkett und Nancy im Nachsinnen über all die Ereignisse heraus, dass sie selbst doch eigentlich recht gut zusammenpassen … 

Nach einer neckischen Plauderei mit allerlei Andeutungen ist Plumkett bereit, der bereits auf seinen Antrag wartenden Nancy die entscheidende Frage zu stellen. Aber vorher, meint er, müsse er doch noch seinem Bruder helfen, sein Glück zu finden.

Platz vor Plumketts Haus

Auf Geheiß von Lady Harriet bilden die Landleute vor Plumketts Haus den Markt von Richmond nach. Buden, Schänke, Zelte, Bänke werden aufgestellt.

Und wieder verkleiden sich Lady Harriet und Nancy als Mägde und mischen sich unter die anderen Mädchen, die ihre Dienste anbieten.

Nachdem alles vorbereitet ist, drängt Plumkett Lyonel auf den „Markt“ vor seinem Haus. Er solle nicht mehr „spröde“ sein und sich vergnügen.

Lyonel folgt seinem Bruder – und entdeckt schließlich „Martha“, die sich ihm erneut anbietet – und versichert, dass „Glanz und Schimmer“ für sie inzwischen nicht mehr wichtig sind:

Ich kann entsagen
Dem Glanz, dem Schimmer,
Kann ohne Zagen
Sie flieh’n auf immer.
Ich kann dem Treuen
Mein Dasein weihen,
Ich kann ihm sagen:
Nur dir allein
Will ich mich weih’n.

Lyonel gibt Lady Harriets Werben zuletzt freudig nach („O Himmelsglück!“), und auch Nancy und Plumkett finden in launigen Neckereien glücklich zueinander.

Da steht wohl eine Doppelhochzeit an …

 

*Anmerkung: Das Titelbild zu diesem Beitrag zeigt einen Ausschnitt aus Loriots Inszenierung: Waltraud Meier als Nancy (links), Krisztina Laki als Lady Harriet (Mitte) und Rüdiger Wohlers (Lyonel). Ein Höhepunkt der köstlichen, aber werktreuen Inszenierung: Der Auf(t)ritt der Jagdgesellschaft rund um die Königin im 3. Akt der Oper (Foto links).

(Zitate aus dem Libretto lt. Opera Guide)