19. März 2024

Schweigen, Wegschauen und Vertuschen

Tobias Lindholms Kriminaldrama „The Good Nurse“

• Amy Loughren (Jessica Chastain) arbeitet als Krankenpflegerin in einer Klinik in New Jersey (USA). Ihre Nachtschichten sind anstrengend, aber als alleinerziehende Mutter kann sie es sich nicht leisten, etwas gegen den zunehmenden Stress zu unternehmen – obwohl sie selbst bereits mit ernsten Herzproblemen zu tun hat.

Umso erfreuter ist sie, als ihr eines Tages ein neuer Kollege zur Seite gestellt wird. Charles Cullen (Eddie Redmayne) hat offenbar viel Erfahrung als Krankenpfleger. Er entlastet Amy nicht nur bei ihren Diensten, sondern unterstützt sie auch persönlich, so dass sich zwischen den beiden schnell eine gute Freundschaft entwickelt.

Doch dann muss Amy miterleben, dass von ihr betreute Patienten, Menschen, deren Krankheitsgeschichte sie gut kannte und die sich auf dem Weg der Besserung befanden, plötzlich unerwartet sterben. 

Bald ermittelt wegen dieser mysteriösen Todesfälle auch die Polizei. Die beiden Kriminalisten Danny Baldwin (Nnamdi Asomugha) und Tim Brown (Noah Emmerich) befürchten auf Grund einer auffälligen Häufung ähnlicher Fälle, dass es sich um eine Mordserie handeln könnte. Doch ihre Ermittlungen werden im Krankenhaus erschwert und sogar behindert. Die Pflegekräfte dürfen nur unter Aufsicht einvernommen werden, detaillierte Auskünfte über Medikationen werden zurückgehalten. Denn die Verantwortlichen wollen jegliches Aufsehen vermeiden, das zu einem Imageschaden für das Krankenhaus führen könnte.

Intern jedoch weiß man bereits, dass die Patienten tatsächlich ermordet worden sind und dass als Täter⋅in nur eine Pflegekraft in Frage kommt. Offenbar hat jemand Infusionsbeutel bewusst mit Insulin gefüllt, was in der Folge zu Insulinschocks geführt hat. Außerdem wurde das Medikamentenausgabesystem missbraucht, um potentiell tödliche Medikamente zu ordern.

Bald ist klar, dass nur Charles Cullen als Täter in Betracht kommt. Nicht nur, weil alle Indizien dafür sprechen, dass er es sein muss, der hier bewusst mordet, sondern auch auf Grund seiner beruflichen Geschichte. Bereits in anderen Kliniken, die ihn beschäftigt hatten, gab es Gerüchte, Verdachtsmomente – und auch „stille Konsequenzen“.

Also entschließt man sich im Krankenhaus, die Sache so schnell und „elegant“ wie möglich unter den Teppich zu kehren: Charles Cullen muss sich nicht verantworten, er wird einfach – angeblich wegen falscher Angaben in seiner Bewerbung – entlassen. 

Indessen sind auch die Kriminalisten Charles Cullen auf die Spur gekommen. Doch ohne die Krankenhaus-Administration haben sie keinen handfesten Beweis und müssen befürchten, dass der Massenmörder nach seiner Entlassung bald in einer anderen Klinik sein Unwesen treibt.

Zum Glück finden die beiden Ermittler in Amy Loughren eine mutige Mitstreiterin. „Die gute Krankenschwester“ überzeugt sich zunächst durch eigene Recherchen selbst davon, dass der unglaubliche Verdacht, der ausgerechnet gegen ihren Freud geäußert wird, tatsächlich begründet ist. Sie durchlebt einen nervenzehrenden Erkenntnisprozess und trägt schließlich entscheidend dazu bei, dass Cullen als Täter überführt werden kann.

Tobias Lindholms Kriminaldrama „The Good Nurse“ erzählt, basierend auf wahren Begebenheiten, die Geschichte eines der gefährlichsten Serienmörder der US-amerikanischen Geschichte. Charles Cullen gestand im Dezember 2003, im Lauf von 16 Jahren in insgesamt 10 Krankenhäusern in New Jersey und Pennsylvania etwa 45 Patienten ermordet zu haben. Die Ermittler gehen sogar, wie im Nachspann des Films erwähnt wird, von bis zu 400 Morden aus.

Über Cullens Motive gibt es bis heute nur Vermutungen. Sicher ist nur – und diese Tatsache hat der US-amerikanische Journalist Charles Graeber 2013 in dem gleichnamigen Sachbuch aufgearbeitet, das der Verfilmung zugrunde liegt –, dass ihm die Krankenhaus-Administrationen über Jahre die besten Rahmenbedingungen boten. Bewusstes Schweigen, Wegschauen und Vertuschen hat die mörderischen Intentionen eines kranken Hirns gezielt gefördert. Das erscheint noch unfassbarer als die Taten selbst.

Der Film verdichtet die Ereignisse zeitlich, das Drehbuch (Krysty Wilson-Cairns) leistet sich im Vergleich zum Sachbuch einige dramaturgische Eigenwilligkeiten (etwa, dass Charles Cullen mit Amys Kindern Kontakt hatte) und lässt psychologisch vermutlich wichtige Aspekte aus der Vorgeschichte des zu 18-facher lebenslanger Haft verurteilten Serientäters (Selbstmordversuche, Alkoholabhängigkeit etc.) außer Acht. Aber Jessica Chastain und Eddie Redmayne brillieren mit großartigen schauspielerischen Leistungen und machen den Film trotz einiger inhaltlicher Fragwürdigkeiten absolut sehenswert.  

(2022, 116 Minuten)

Hola