26. April 2024

Was beim Sterben wirklich geschieht

Peter Fenwick im Gespräch (2018)

Der englische Neurologe Dr. Peter Fenwick hat zahlreiche Studien zu Todesnähe-Phänomenen veröffentlicht und ist ein Pionier der Sterbeforschung. 

In diesem Interview spricht er über Nahtoderfahrungen, Sterbebettvisionen und wie ein angstfreies Sterben gelingen kann. Die Erforschung von Nahtoderfahrungen ergänzt innovativ die Bewusstseinsforschung und liefert überzeugende Vorstellungen davon, was passiert, wenn wir sterben. Peter Fenwick beschreibt den Sterbeprozess und die dabei immer wieder zu beobachtenden Phänomene.

Herr Dr. Fenwick, Sie sind Neuro-Psychiater und Experte auf dem Gebiet von Nahtoderfahrungen sowie Phänomenen am Lebensende. Bevor wir darauf eingehen, darf ich Sie fragen: Was ist ein Neuro-Psychiater?

FENWICK: Neuro-Psychiater bedeutet, dass ich in Neurologie und Psychiatrie ausgebildet bin. Ich habe viele Jahre lang auf beiden Gebieten gearbeitet. Das ergibt eine perfekte Position, um Gehirn und Geist, also beide Forschungsfelder, zu überblicken, viel besser, als wenn man nur Psychiater oder nur Neurologe wäre.

Womit haben Sie sich in Ihrer täglichen Arbeit beschäftigt?

FENWICK: Ich hatte mit Gehirnschäden zu tun und mit den psychologischen Problemen, die daraus resultieren. Ich hatte viele Patienten mit epileptischen Anfällen und unterschiedlichen Bewusstseinsveränderungen. Anhand der Epilepsie zeigt sich sehr gut, wie das Gehirn arbeitet. Aber meine Forschungsarbeit war vielfältig, sie galt auch dem Schlaf oder neuen Instrumenten zur Untersuchung der Gehirnstruktur. Mein Interesse galt auch der elektrischen Aktivität des Gehirns, dem EEG. Eine meiner ersten Arbeiten habe ich über George Harrison geschrieben … Sie erinnern sich an George, den Beatle?

Ja, klar!

FENWICK: Er kam freundlicherweise zu uns ins Labor, und ich habe ein EEG gemacht, während er meditierte. Das war eine meiner ersten Aufzeichnungen, und die Vorgänge während einer Meditation entwickelten sich dann zu einem besonderen Interessengebiet, denn ich wollte ungewöhnliche spirituelle Erlebnisse weiter erforschen. Später wandte ich mich Nahtoderfahrungen zu. Das führte zu meinem besonderen Interesse am Tod und am Sterbeprozess.

Was war, einfach zusammengefasst, die Schlussfolgerung aus ihren Messungen?

FENWICK: Die Neuropsychiatrie hilft dabei, den Menschen zu begreifen, weil man beide Seiten der Medaille betrachtet: Man lernt verstehen, was sich im Gehirn abspielt und gleichzeitig auch, was der Geist erlebt. Und das führt direkt zu einer der grundlegendsten Fragen unserer Zeit: Was ist Bewusstsein? Nur ein Produkt des Gehirns? Oder ist es ausserhalb des Gehirns und dieses wirkt nur als ein Filter – so, wie es William James schon Ende des 19. Jahrhunderts postuliert hat … und nach ihm auch viele andere. Doch der heutige wissenschaftliche Mainstream geht einfach davon aus, dass Bewusstsein nur eine Gehirnfunktion sei. Meines Erachtens ist diese Sichtweise allzu beschränkt. Ich glaube keine Minute daran.

Was hat Ihr Interesse an Nahtoderfahrungen geweckt?

FENWICK: Ich dachte ursprünglich, Nahtoderfahrungen seien völliger Unsinn. So etwas käme nur in Kalifornien vor, und ich würde niemals den Atlantik überqueren … Das war in den späten 1970-er Jahren. Aber dann tauchte jemand in meiner Sprechstunde auf, der eine Nahtoderfahrung erlebt hatte. Während einer Herzkatheder-Untersuchung, die in einem Londoner Krankenhaus schief gegangen war, hatte er seinen Körper verlassen und die Reanimation beobachtet, eine klassische Nahtoderfahrung. Ich hatte also einen Fall, den ich untersuchen konnte, und kam dann zum Schluss, dass wir viel von dieser Art Erfahrung lernen können. Ich änderte also meinen Standpunkt – von „Unsinn“ zu „wirklich interessant“.

Wie sind Sie bei Ihren Forschungen zum Phänomen der Nahtoderfahrungen vorgegangen?

FENWICK: Zuerst habe ich untersucht, was Menschen individuell erleben und dann eine Reihe von Studien geplant. Einige davon wurden mir genehmigt, andere nicht. Beispielsweise wollte ich in einem der Krankenhäuser, in denen ich arbeitete, Patienten auf der Intensivstation nach Nahtoderfahrungen befragen. Aber die Ethikkommission lehnte das ab; der für die Intensivstation verantwortliche Arzt meinte, dass seine Patienten sowieso keine solchen Erlebnisse hätten. Es wäre also Zeitverschwendung.

Mit einem anderen Weg hatte ich mehr Glück: Ich untersuchte die Erlebnisse betroffener Menschen und machte 1987 eine TV-Dokumentation darüber, in deren Folge wir 2.000 Briefe erhielten … Erinnern Sie sich noch an diese Dinger, die man öffnen musste? Also keine E-Mails … Mit diesen Briefen hatten wir eine große Datenbasis. Ich wählte davon die vielversprechendsten Fälle und verschickte an 500 Personen Fragebögen. Daraus wurde eine besondere Fallstudie, die wichtige Erkenntnisse vermittelte. Erstens wird so eine Studie nie mehr durchgeführt werden können, weil damals 98 Prozent der Teilnehmer vor ihrem Erlebnis noch nie etwas von einer Nahtoderfahrung gehört hatten. Deshalb konnte Suggestion oder ähnliches ausgeschlossen werden. Insofern war diese Studie einmalig.

Außerdem zeigte sie, dass es ein sehr weites Spektrum von Ursachen für Nahtoderfahrungen gibt – angefangen vom Herzstillstand bis zu Kindergeburten und diversen Krankheiten … Schließlich stößt man sogar auf Menschen, die eines Abends vor ihrem Fernseher sitzen und eine Nahtoderfahrung haben. Sie alle erfüllen die für eine solche Erfahrung typischen Kriterien.

Ich stellte fest, dass Nahtoderfahrungen in unserer Gesellschaft sehr häufig und unter vielfältigen Umständen vorkommen. Wenn man sie heute dennoch vor allem mit Herzstillständen verbindet, dann sind daran, glaube ich, auch meine Forschungen und die von Bruce Greyson in den USA schuld. Denn wir wollten den Zustand des Gehirns während einer Nahtoderfahrung untersuchen. Das geht aber beispielsweise nicht bei einer Frau, die gerade ein Kind bekommt, und auch nicht im Verlauf einer Krankheit, weil es dabei zu viele Einflussfaktoren gibt. Der sinnvollste Ansatz war also, Nahtoderfahrungen zu untersuchen, die während eines Herzstillstandes vorkommen. Das haben wir einige Jahre lang getan.

Konnten Sie dabei das gesamte Spektrum von Nahtoderfahrungen untersuchen?

FENWICK: Ich denke, es war ziemlich das ganze Spektrum dessen, was in unserer Kultur vorkommt. Denn manche Grundelemente in Nahtoderlebnissen sind kulturspezifisch. Beispielsweise werden Tunnel und Licht viel häufiger in westlichen Ländern erlebt als in einigen östlichen. Die Erlebnisse von Jägern und Sammlern sind wieder ganz anders, es gibt da einige schöne, einfache Fallbeispiele. Etwa den Mann, der in seinem Nahtoderlebnis ein Kanu bestieg und drei Tage lang paddelte, bis er zu einer Insel kam. Dort erlebte er dann einen idealen Ort, wie das in Nahtoderfahrungen häufig vorkommt. So etwas ist für uns ziemlich ungewöhnlich. Auch Japaner bewegen sich üblicherweise nicht durch einen Tunnel. Sie gelangen meist an einen schwarzen Fluss, den sie überqueren müssen. Sie müssen ein Boot finden, das sie mit hinüber nimmt … solche Erlebnisse werden berichtet. Es gibt also kulturelle Unterschiede, das muss man sich klar machen und akzeptieren.

Hängt das Erleben also von dem Weltbild eines Menschen ab und mit seiner Herkunft zusammen?

FENWICK: Ja, die Gründe für die Unterschiede im Erleben sind vielfältig. Sie hängen definitiv mit dem Weltbild zusammen, definitiv mit der religiösen Erziehung und bestimmt auch mit der Kultur, in der man sich befindet. Alle diese Dinge haben einen Einfluss.

Was macht Ihrer Meinung nach die Erforschung von Nahtoderfahrungen besonders wertvoll? Welche Erkenntnisse bringt sie uns?

FENWICK: Ich denke, die Sterbeforschung muss auf dem neuesten Stand der Bewusstseinsforschung sein. Wir haben erkannt, dass die sehr intensiven Nahtoderlebnisse Menschen nachhaltig verändern, und diese interessante Tatsache sollten wir untersuchen. Die Phänomenologie liefert uns einige Hinweise auf die Natur und die Struktur des Bewusstseins. In dieser Hinsicht sind Nahtoderfahrungen extrem wertvoll. Außerdem können sie während eines Herzstillstandes auftreten, auch wenn die Ursachen für solche Erfahrungen, wie gesagt, ein viel weiteres Spektrum umfassen. Es sind also echte Todeserfahrungen, die gute Anhaltspunkte dafür liefern, wie wir sterben. Aus all den Gründen ist diese Forschung sehr wichtig.

Denken Sie, dass Nahtoderfahrungen echte Beweise dafür liefern, dass das Bewusstsein ohne ein Gehirn existieren kann?

FENWICK: Ist das Bewusstsein unabhängig vom Gehirn? Das ist eine sehr weit reichende Frage …

… oder kann es ohne Gehirn existieren?

FENWICK: Kann Bewusstsein ohne Gehirn existieren? Nun, wir haben keine Möglichkeit, das zu wissen, oder? Eine gute Frage jedenfalls. Haben die Mechanisten Recht, wenn sie sagen, dass Bewusstsein vom Gehirn so abgesondert wird, wie die Leber Galle ausscheidet oder die Nieren Urin? Ist Bewusstsein ein Produkt der Gehirnaktivität – oder ist das Gehirn eine Art Filter für das Bewusstsein? Gibt es dort draußen in Wirklichkeit eine transzendente Realität, die durch das Gehirn so gefiltert wird, dass wir ein reduziertes Bild davon erhalten? Meine persönliche Antwort auf diese Fragen ist nicht die allgemein übliche.

Wieso?

FENWICK: Ich glaube, dass Bewusstsein außerhalb des Gehirns existiert und nicht wie Galle vom Gehirn abgesondert wird. Warum? Die Gegenfrage lautet: Warum würden Sie annehmen, dass es nur um Gehirnfunktionen geht? Die Argumente, die dafür sprechen, beweisen eine sehr starke Korrelation zwischen Gehirnschäden und Bewusstseinsveränderungen. Das sagt aber nichts über die Kausalität aus. Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Bewusstsein und Gehirn, aber damit ist nicht bewiesen, dass das Gehirn Bewusstsein erzeugt. Korrelation und Kausalität sind zweierlei.

Eine Autorität in dieser Frage war Wilder Penfield, ein bekannter Neurochirurg aus Kanada, der als erster Elektroden in das Gehirn führte, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie es funktioniert und wie die einzelnen Regionen vernetzt sind. Er verbrachte sein ganzes Leben mit der Untersuchung des Gehirns. Schließlich schrieb er ein Buch über die Frage, was Geist ist. Er kam zu folgendem Ergebnis: Zweifellos kommunizieren die Neurone miteinander auf eine sehr komplexe Weise, die wir noch nicht wirklich verstehen. Aber die Energie des Geistes ist etwas ganz anderes. So viel wir die Neuronen erforschen, so wenig werden wir über den Geist erfahren. Denn dabei geht es um eine völlig andere Dimension! Und das sagt jemand, der sein ganzes Leben damit zubrachte, das Gehirn zu erforschen.

Andererseits gibt es Philosophen wie Daniel Dennett, die behaupten, dass alles nur Gehirn sei. Ich sass einmal bei einer Konferenz neben ihm und sagte: „Dan, du glaubst doch nicht wirklich, dass wir Bewusstsein verstehen werden, wenn wir die Neuronen verstanden haben …“ Er aber meinte: „Und ob! Wenn wir die Neuronen verstanden haben, wird nichts mehr übrig bleiben … nun gut, vielleicht ein klitzekleines Bisschen, aber das ist bedeutungslos. Es gibt nur das Gehirn!“

Das sind also die beiden Lager, und jedes versucht Beweise vorzulegen. Ich sitze da zwischen den Stühlen: Ja, das Gehirn ist ungeheuer wichtig, es hat großartige Funktionen, aber man kann damit das Bewusstsein nicht erklären.

Es gibt meines Wissens weltweit nur eine einzige Theorie über das Bewusstsein. Sie stammt von Steward Hameroff und Roger Penrose und besagt, dass das Gehirn in den Mikrotubuli, das sind Strukturen im Gehirn, wie ein quantenmechanischer Computer funktioniert. Durch den Kollaps der Wellenfunktion entsteht in diesen Tubuli zunächst ein undifferenziertes, ungebundenes Bewusstsein. Man kann sich das Gehirn demnach als riesige Matrix vorstellen, in die kleine Bewusstseins-Punkte eintreten, wonach sie mit den Schaltkreisen des Gehirns verwoben werden. Daraus kann sich dann ein Selbst-Bewusstsein aufbauen. Das ist die einzige mir bekannte Theorie, die es dem Bewusstsein erlaubt, sich höher zu entwickeln – eine wichtige Theorie also!

Sie haben ein Buch über die „Kunst des Sterbens“ geschrieben, in dem es um eine Reihe von Phänomenen in Todesnähe geht. Wie kam es dazu?

FENWICK: Ich habe dieses Buch geschrieben, weil sich mir auf Grund der Erforschung der Nahtoderlebnisse eine Frage stellte. Es wird ja berichtet, dass man – in unserer Kultur – durch einen Tunnel geht, man trifft ein Lichtwesen, man geht in eine transzendente Wirklichkeit, wo man abgeschiedene Verwandte und geistige Wesen antrifft. Man erlebt vielleicht einen Lebensrückblick. Zuletzt gelangt man an eine Grenze, und würde man die überschreiten, dann stirbt man. Die berechtigte Frage lautet nun: Zeigen solche Nahtoderfahrungen wirklich modellhaft, was passiert, wenn wir sterben? Und wie kann man das überprüfen?

Zunächst ging es mir darum herauszufinden, welche inneren Erlebnisse mit dem Sterben verbunden sind. Als ich im Jahre 2000 mit dieser Forschung begann, zeigten meine Recherchen in einer medizinischen Datenbank, dass bis dahin nur fünf Personen etwas über Sterbebettvisionen publiziert hatten. Und allgemein zu Todesnähe-Erfahrungen waren es ein oder zwei.

Man konnte in diesem Bereich also sehr leicht ein weltweit führender Experte werden. Man brauchte nur sieben wissenschaftliche Arbeiten zu lesen und kannte damit die gesamte Literatur. Es war praktisch nichts vorhanden.

Wir gingen also zu unserer Ethikkommission und baten um die Erlaubnis, mit sterbenden Menschen sprechen zu können. Wir wollten eine Vorstellung davon bekommen, wie der Sterbeprozess abläuft. Damals, im Jahr 2000, wurde das abgelehnt – völlig zu Recht, denn wir hätten die Sterbenden ja stören können. Aber der Grund für die Ablehnung lag einfach drin, dass so etwas vor uns noch niemand versucht hatte. Forschungen in dieser Richtung waren unbekannt.

Wir mussten also eine andere Richtung einschlagen und arbeiteten für eine Studie mit Pflegern zusammen.

Hospizeinrichtungen waren damals, strenger als heute, in zwei Bereiche gegliedert. Einerseits gab es die Krankenpfleger, die mit den Patienten engen Kontakt haben und viele Todesnähe-Phänomene miterleben, und andererseits die Ärzte, die das nicht mitbekommen und deshalb behaupten, so etwas käme gar nicht vor.

Zwischen diesen beiden Gruppen besteht ein grundlegender Unterschied.

Ich könnte einige Geschichten erzählen, die unsere Arbeit mit dem Pflegepersonal anschaulich machen.

Bitte, erzählen Sie!

FENWICK: Ich erzähle Ihnen zuerst, was wir gemacht haben und danach die Geschichten, das ist sinnvoller.

Die Ethikkommission hatte entschieden, dass wir eine Studie mit Pflegern machen dürfen, nicht aber die Sterbenden selbst befragen. Also arbeiteten wir mit Pflegern zusammen. Wir wählten drei Hospize und ein Pflegeheim in England sowie drei Hospize in Rotterdam, um kulturübergreifende Vergleiche anstellen zu können. Nun, nicht wirklich kulturübergreifend, aber immerhin gab es durch die Entfernung geringfügige kulturelle Unterschiede. Und wir entdeckten die faszinierendsten Dinge.

Die Studie erlaubte es uns, einen ganzen Katalog von Phänomenen zusammenzustellen, die man in Todesnähe erwarten kann.

Zunächst sind da Vorahnungen. Das heißt, die Menschen wissen, dass sie sterben werden. Noch bevor sie eine entsprechende Diagnose erhalten, wird es ihnen beispielsweise durch einen Traum klar. Sie wissen, dass sie demnächst sterben werden.

Haben solche Vorahnungen nur die Patienten, oder auch die Angehörigen?

FENWICK: Nein, es geht um die Patienten. Der Dalai Lama sagt, jeder von uns weiß zwei Jahre vor seinem Tod, dass er sterben wird. Diese Information wird uns gegeben. Wenn man bei ihm nachliest, um zu erfahren, woher wir das wissen sollen, findet man zwei Gegebenheiten, die er erwähnt. Eine davon kann ich leicht verstehen, und zwar zeigen sich Verhaltensänderungen. Der Dalai Lama schreibt aber auch, dass sich der Atem des Betroffenen verändert. Was er damit meint, weiß ich nicht, aber ich kann nachvollziehen, dass sich durch das Gefühl, bald sterben zu müssen, auch das Verhalten eines Menschen verändert. Der Dalai Lama sagt, dass dies sehr häufig vorkäme, in Wirklichkeit wüsste jeder im Voraus von seinem Tod. Wir haben das nicht beobachten können. Nach unserem Eindruck kommt so etwas nicht sehr häufig vor. Es ist aber auch kein seltenes Ereignis, sonst wären wir nicht auf einige solcher Fälle gestoßen.

Das nächste Phänomen sind Sterbebettvisionen. Ein paar Wochen bevor jemand stirbt, erscheinen ihm auf besondere Weise Besucher an seinem Bett, bereits verstorbene Verwandte. Sie können außerhalb des Sterbezimmers auftauchen oder auch, was sehr häufig vorkommt, in das Zimmer kommen. Der Sterbende spricht natürlich mit ihnen. Manche dieser Besucher setzen sich zu ihm ans Bett – wohl deshalb, weil es ungemein tröstend ist, jemanden an seinem Bett sitzen zu haben. Falls Sie jemals ein krankes Kind hatten, wissen Sie, dass Sie nicht einfach dastehen und mit ihm reden. Sie setzten sich ans Bett, halten seine Hand und so weiter. Auch die Verwandten können am Bett sitzen.

Wir haben etwa hundert Sterbebettvisionen nach ihrem Inhalt analysiert. Die Menschen, die am häufigsten erscheinen, sind Verwandte ersten Grades. Mutter und Vater werden gewöhnlich gesehen, verstorbene Ehegatten kommen sehr häufig. Wir fanden auch heraus, dass Geschwister erscheinen, und gelegentlich sogar Menschen, die der Sterbende nicht kennt. Tiere? Nicht viele … Tut mir Leid, Ihre Katze und Ihr Hund werden nicht erscheinen. Bei den Besuchern handelt es sich hauptsächlich um enge Verwandte.

Wir fanden in unserer Studie auch heraus, dass geistige Wesen gesehen werden. Sie verhalten sich etwas anders als Verwandte. Sie warten entweder außerhalb des Hospiz, oder der Sterbende sieht sie durch das Fenster oder wie sie zur Tür kommen. Manche kommen auch herein.

Dabei muss ich betonen, dass der kulturelle Hintergrund eine große Rolle spielt. Eine Studie aus dem „Bible Belt“ von Nordamerika berichtete von sehr häufigen Engel-Schauungen dort. In unserer Studie sahen nur drei Prozent einen Engel, ein viel kleinerer Anteil.

Besucher am Sterbebett, geistige Wesen … Gibt es noch weitere Todesnähe-Phänomene?

FENWICK: Wenn der Zeitpunkt des Sterbens näher rückt, beginnt das nächste Stadium. Wir dachten ursprünglich, dass der Betroffene dabei einfach in eine andere Realität eintritt, in eine geistige Welt, und dann wieder zurückkehrt, so, als ob er sich erst daran gewöhnen muss. Dieses Hinein-gehen-und-wieder-zurück-Kommen haben wir als für Sterbende entscheidend erachtet. Doch unsere Vorstellungen über diese Sterbephase ändern sich nun.

Ich möchte diesbezüglich auf Monika Renz verweisen, eine Theologin aus der Schweiz, die mit Sterbenden viel Kontakt hatte. Sie hat drei Studien veröffentlicht, die mit Krebspatienten entstanden. Eine umfasste, glaube ich, sechzig Patienten, die andere 240. Und erst kürzlich hat sie eine Studie publiziert, die in zwei Hospizen entstand.

Ihre Beobachtungen haben bestätigt, dass Menschen tatsächlich in diese andere Realität gehen. Aber im eigentlichen Sterbeprozess gibt es noch etwas ungemein Wichtiges, worüber jeder Mensch Bescheid wissen und das eigentlich schon in der Schule gelehrt werden sollte …

Einmal abgesehen von den Besuchern am Sterbebett, erlebt man diesen Prozess meines Erachtens so: Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist klar, dass man sterben wird. Das trifft einen hart. Wir kommen nicht zurück, Leute! Das ist kein Heilungsprozess, es ist ein Sterbeprozess. Man befindet sich in einer schwierigen Situation, wie man sie bisher noch nie erlebt hat, denn man hatte immer eine gewisse Kontrolle über sein Leben. Jetzt aber nicht mehr. Man muss damit beginnen, alles loszulassen. Das ist ganz entscheidend. Man muss damit aufhören, sein bisheriges Leben weiterführen zu wollen. Man muss seine Frau aufgeben, die Katze, den Hund. Man muss von seinen Kindern und seiner Familie loslassen, vom Haus, vom Beruf, von allem. Wenn das nicht gelingt, bleibt man gebunden. Und diese Gebundenheit kann das Sterben sehr schwer machen. Wer aber alles aufgeben kann, erlebt auch einen sanften Übergang.

Man gelangt also von einer Vorphase des Übergangs, in der man noch an das bisherige Leben gebunden ist, in eine Übergangsphase, die eine Art Zwischenstufe darstellt, weiter in eine nachfolgende Phase, in der man tatsächlich alles hinter sich gelassen hat und mehr und mehr in den spirituellen Bereich eingeht. So ist es mit dem Sterben. Am Ende hat man sein Ego verloren, jenen Teil von sich selbst, der einen trennt, und man wird das, was man „nicht-dual“ nennt, erlebt die Einheit mit dem Universum. Das heißt, man hat alle Äußerlichkeiten des Körpers und der irdischen Person hinter sich gelassen und sich mit der Nicht-Dualität des größeren Kosmos dahinter verbunden.

Die Vorstellung, dass man dort viele Dinge seines irdischen Lebens behält und zum Beispiel seine Mutter wieder begrüßen wird, trifft wahrscheinlich nicht zu. Vielleicht kann man seine Mutter treffen, ich weiß es nicht. Aber mit Sicherheit wird man „universell“, das zeigen die gesammelten Daten.

Und sie zeigen auch, dass man einen sehr schweren Sterbeprozess durchmacht, wenn man nicht alle Dinge loslassen kann, an die man noch gebunden ist. Es wirken also zwei Kräfte: Das Sterben führt in ein größeres Jenseits – und das irdische Leben zieht zurück in die Begrenzung.

Was passiert, wenn der Sterbeprozess erschwert ist?

FENWICK: Dann erlebt man eine spirituelle Unruhe. Das ist kein angenehmer Zustand, weil man dabei viel Angst hat und immer wieder in den Körper zurückgezogen wird …

Jeder Mensch, der in ein Hospiz kommt, sollte einen Vortrag darüber hören, wie wichtig es ist, alles loszulassen. Das hilft im Sterbeprozess.

Vor dem Tod ist noch ein weiteres Phänomen erwähnenswert, die sogenannte terminale Geistesklarheit. Die Menschen in der viktorianischen Zeit nannten es „spätes Erwachen“. Man setzt sich plötzlich im Bett auf und sagt „Hallo“ zu den Umstehenden. Aber in Wirklichkeit bedeutet das „Auf Wiedersehen“, denn man weiss, was nun geschieht. Dann legt man sich zurück und stirbt.

Das allein ist schon bemerkenswert. Aber noch viel interessanter ist, dass das Gleiche auch Menschen tun, die sich in Langzeitpflege befanden, die gelähmt waren und sich seit vielleicht einem Jahr nicht mehr bewegt haben. Auch sie können sich aufsetzen. Für kurze Augenblicke scheint das Zentralnervensystem wieder ordnungsgemäß zu funktionieren.

Und noch interessanter finde ich, dass auch Alzheimer-Patienten in Pflegeheimen, demente Menschen, die ihr Gedächtnis schon Jahre zuvor verloren hatten, sich aufsetzen, ihre Freunde erkennen, sich verabschieden, manchmal auch ihre verstorbenen Verwandten wahrnehmen, und sich dann zurücklegen und sterben.

Das stellt die Wissenschaft vor eine große Frage. Denn wie soll so etwas möglich sein, wenn man davon ausgeht, dass das Gehirn Bewusstsein erzeugt? Es müsste ja den ganzen „Sekretionsprozess“ wieder in Gang bringen … einfach so, kurz bevor jemand stirbt. Das leuchtet nicht wirklich ein.

Dann stirbt man also. Aber damit ist die Vorstellung noch nicht zu Ende, vor allem nicht für die Angehörigen.

Viele nahestehende Menschen möchten ja noch einmal ans Sterbebett kommen. Diese Begegnungen sind so wichtig, dass der Sterbende seinen Tod sogar etwas hinauszögern kann. Wenn er von einem Angehörigen zum Beispiel hört: „Ich komme am Dienstag wieder!“, stirbt er erst dann.

Denken Sie an die beiden Kräfte, die beim Sterben wirken. Man hat noch eine gewisse Kontrollmöglichkeit und nutzt sie, um mit den Verwandten zu verhandeln, wenn man noch ein wenig länger leben will.

Aber wenn jemand dann tatsächlich stirbt und den Drang verspürt, seine Tochter oder seinen Sohn noch einmal zu sehen, weil sie nicht ans Sterbebett kommen konnten, dann kann er sie besuchen.

Ein solcher Besuch findet auf besondere Weise statt. Wir haben viele derartige Fälle analysiert. Er ereignet sich zum Todeszeitpunkt, 99 Prozent innerhalb einer halben Stunde. Die meisten zur genauen Todeszeit, das hängt von mentalen Zustand der Person ab, die besucht wird.

Wenn man in wachem Zustand einen derartigen Besuch erhält, hat man vielleicht das Gefühl, dass gerade ein Bekannter stirbt, dass er Hilfe braucht oder dass irgend eine Katastrophe passiert. Solche Gefühle zeigen sich da.

Wenn man schläft, ist es deutlich anders. Man erlebt eine Szene im Traum. Hier ist ein Beispiel: Eine Frau wachte – vermutlich in dem Traum, den sie hatte – auf und sah ihren Sohn am Fußende des Bettes stehen. Er triefte vor Nässe. Dann kam er näher, immer näher an sie heran. Schließlich erschien er verklärt in einem Licht und vermittelte ihr, wie es solche Besucher oft tun, eine Botschaft. Er sagte: „Es ist in Ordnung. Mach Dir bitte keine Sorgen, mir geht es gut“. Dann verblasste die Erscheinung.

Das Interessante an dieser Geschichte ist, dass die Frau in Australien lebte und ihr Sohn in England. Sie hat dann durch ein Telefonat herausgefunden, dass er genau zu diesem Zeitpunkt in England ertrunken ist. Und ihr Traum hatte Bilder des Geschehens gezeigt, er hatte nasse Kleider. Danach kam es zur Transformation, und schließlich verschwand er.
Diese Geschichte ist nicht ungewöhnlich. Oft erscheinen Abgeschiedene, überbringen ihre Botschaft, die da immer lautet: „Mir geht’s gut, mach Dir keine Sorgen!“ – und verschwinden wieder. Man spricht bei solchen zeitlichen Zusammenklängen von „Sterbebett-Zufällen“.

45 Prozent der Menschen in unserer Untersuchungsreihe, die so ein Erlebnis hatten, wussten nicht, dass die Person, die sie sahen, gestorben war. Man kann also unmöglich die eigene Erwartung für dieses Erleben verantwortlich machen. Die Hälfte der Fälle lässt sich jedenfalls nicht durch Erwartung erklären. Wobei ich auch grundsätzlich nicht glaube, dass die Erwartung, jemand könnte sterben, sich als Erklärung eignet.

Das sind sogenannte Nachtod-Kontakte. Es gibt aber noch weitere Phänomene in Todesnähe. Zum Beispiel Lichterscheinungen im Sterbezimmer … faszinierend.

Das Licht wird als sehr intensiv erlebt, der Raum kann lichtdurchflutet sein, und das Licht kann durch die Tür nach draußen in den Flur strahlen und dort wahrgenommen werden …

Die Verwandten können das wahrnehmen?

FENWICK: Nur die Verwandten. Wir hatten einen Fall, in dem jemand nachts durch dieses Licht aufwachte. Es strahlte so stark, dass die Person dachte, sie habe es im Flur angelassen. Sie stand auf und bemerkte, dass es in Wirklichkeit aus dem Zimmer strahlte, in dem ihre Tante im Sterben lag. Sie ging dann hinein und setzte sich ans Bett. Als die Tante starb, erlosch auch das Licht. Dieses Erlöschen zum Todeszeitpunkt kommt häufig vor.

Wenn ich hier von einem häufigen Phänomen in Todesnähe rede, dann deshalb, weil in unserer Studie Krankenschwestern in etwa 35 Prozent der Fälle von einem Licht im Sterbezimmer berichteten oder das von Angehörigen berichtet bekamen.

Allerdings kann es sein, dass, wenn zum Beispiel Geschwister anwesend sind, nur einer von beiden dieses Licht wahrnimmt, der andere aber nicht. Ich denke also, dass es sich um eine Wechselwirkung zwischen Angehörigen und dem Sterbeprozess handelt.

Eine weitere häufige Beobachtung betrifft Formen, die den Körper des Sterbenden verlassen. In den zahlreichen Berichten davon werden Dinge ähnlich einer Luftspiegelung beschrieben, auch die Atmosphäre verändert sich dabei. In anderen Fällen ist von aufsteigendem Rauch die Rede, oder eben auch von konkreten Formen. Es gibt bei diesem Thema alle möglichen Varianten.

Die Phänomene erinnern an die letzten Phasen des Sterbens, wie sie im Tibetanischen Totenbuch beschrieben werden. Auch dort wird von Luftspiegelungen oder Rauch berichtet, ehe jemand in den Himmel eingeht – in einem späteren Stadium.

Formen, die den Körper verlassen, Licht und Transformation – das alles wird in Todesnähe häufig erlebt. Und dann gibt es auch das Phänomen von Uhren, die plötzlich stehenbleiben. Tun sie das wirklich? Offensichtlich ja, denn viele Menschen berichten davon.

Mich interessierte dabei besonders, ob nicht nur große, mechanische Pendeluhren stehenbleiben, sondern auch moderne Uhren mit LED-Anzeige. Was machen die? Schalten die das Licht ab oder was?

Wir haben dazu ein oder zwei interessante Berichte: Beispielsweise wollte jemand seinen Bruder besuchen, um ihn von dem Tod eines anderen Bruders zu unterrichten. Als er an dessen Tür stand, sagte der Bruder: „Du brauchst mir nichts erzählen, ich weiss schon, was passiert ist.“

Als er ihn fragte, woher er das wisse, sagte der Bruder: „Schau Dir die Uhren an! Sie sind alle stehengeblieben, und blinken mit der Todeszeit.“

Es gibt mehrere solche Geschichten über stehengebliebene Uhren. Sie scheinen also auch in unserer modernen Zeit stehenzubleiben.

Und noch eine Sache: Katzen und andere Tiere heulen zum Zeitpunkt des Todes. Das kommt so häufig vor, dass immer wieder Menschen davon berichten. Faszinierend! Und Vögel! Menschen im Hospiz erzählen oft von Vögeln, die auf dem Fensterbrett des Zimmers mit dem Sterbenden erscheinen.

Ich wünschte, jemand würde ein einfaches Experiment machen und eine Kamera auf so ein Fenster richten – und vergleichsweise eine zweite auf ein anderes Fenster, das zu keinem Sterbezimmer gehört. Damit könnte man sehen, ob an diesen Berichten etwas dran ist. Jedenfalls werden Vögel häufig beobachtet.

In einem Dorf in Massachusetts wurde von einem Mann berichtet, der eine Vorliebe für Eulen hatte. Als er starb, setzte sich eine weiße Eule in einen Baum des Dorfs. Das ist gut dokumentiert, dort ist gibt es nicht viele Eulen. Sie blieb dort bis zu seiner Beerdigung, danach flog sie davon. Was hat das zu bedeuten? Ich weiss es nicht. Wir brauchen mehr Fälle …

Ist das bezeugt worden?

FENWICK: Ja! Solche Dinge geschehen wirklich!

Und wie oft?

FENWICK: In unseren Umfragen ist die Häufigkeit immer ein Thema. Wenn zum Beispiel viele Pfleger das Gleiche erleben, dass ist es wahrscheinlich, dass dieses Phänomen häufig vorkommt. Sterbebett-Visionen werden beispielsweise in 50 Prozent der Gespräche mit Pflegern genannt.

Andere Forscher haben unsere diesbezüglichen Studien inzwischen bestätigt, und zwar mit zwei unterschiedlichen Ansätzen: Sie haben sich die Pflege-Dokumentationen durchgesehen und untersucht, wie oft Patienten von Sterbebettvisionen oder ähnlichen Dingen gesprochen haben. Oder sie hatten die Möglichkeit, Sterbende zu befragen, die in dieser Phase waren. Außerdem wurden Pfleger und Angehörige befragt.

Das Ergebnis war, dass bis zu 80 Prozent der Sterbenden solche Dinge erleben, sie sind wahrscheinlich sehr häufig, aber es wird nicht immer davon berichtet. Aus der Studie von Monika Renz wir wissen verlässlich, dass 90 Prozent der Sterbenden – also fast jeder – eine alternative Realität erlebt und wieder zurückkehrt. Auch, dass es darum geht, alles loszulassen und in die Nicht-Dualität zu gehen. Das alles ist also sehr wichtig.

Wie können wir einen „guten Tod“ erreichen?

FENWICK: Dieses Thema ist mir ein großes Anliegen, auch durch die Erfahrungen mit den Arbeiten von Monika Renz. Die Studien zeigen, dass man in diese alternative Realität geht, dass man Sterbebett-Besucher erlebt, sich dem Tod nähert und schließlich ganz in den transzendenten Bereich übergeht.

Hierzu möchte ich von zwei Begebenheiten erzählen. Die erste handelt von Thetis Blacker, die eine gute Freundin von mir war. Sie befasste sich als Malerin mit religiösen Motiven. Wir hatten vereinbart, dass sie mir Bescheid gibt, sobald sie weiß, dass sie sterben wird. Und sollte ich vor ihr sterben, würde ich es sie wissen lassen. Wir wollten den Sterbeprozess besprechen, weil uns dieses Thema oft beschäftigt hatte. Sie starb dann vor mir – ich bin ja immer noch da! – und hat mir beschrieben, wie es für sie war. Als der Tod näher rückte, etwa eine Woche bevor sie starb, beschrieb sie einen Fluss von Liebe – goldene Liebe und Licht –, der durch ihr Zimmer und das Hospiz floss. Ich kann mir vorstellen, dass so ein Phänomen sehr häufig vorkommt, aber man fragt die Menschen nicht danach, und sie wissen auch nicht, wie sie es in ihr Weltbild einfügen sollen.

Die zweite Begebenheit betrifft Paul Robertson, den Leiter des „Medici Quartets“, der über sein Erlebnis auch ein großartiges Buch geschrieben hat. Wir beide kannten einander sehr gut. Paul hatte eine Nahtoderfahrung und durchlebte dabei einen typischen Sterbeprozess. Er erzählte, dass er seinen Körper aufgab, um sich mit dem universellen Bewusstsein zu verbinden – freudig, liebevoll und freiwillig. Er war an nichts gebunden. Und ich denke, das ist eine sehr gute Beschreibung für das Sterben, wie es sein sollte: freudig, liebevoll und freiwillig.

Als er dann zurück kam, konnte er darüber berichten, wie dieses Nahtoderlebnis sein Leben verändert hat. Mit Paul hatte ich die gleiche Vereinbarung. Sollte ich vor ihm sterben, würde er bei mir sein – oder umgekehrt. Ich war bei ihm, einen Tag bevor er starb. Sein innere Verfassung veränderte sich, aber leider konnte ich nicht bis zum Ende bei ihm bleiben. Aber seine Frau war am nächsten Tag anwesend. Bevor er langsam in eine Bewusstlosigkeit sank, bat er sie: „Sage Peter Fenwick, es ist genau so, wie wir es besprochen haben.“ Bald danach starb er.

Ich glaube, viel näher kann man dem Geschehen nicht kommen. Die Zeugnisse von Sterbenden vermitteln ein recht gutes Bild vom Sterbeprozess. Es geht darum, alles loszulassen und dann in einen Zustand der Nicht-Dualität einzutreten.

Die Erfahrung dieser Nicht-Dualität ist ein besonders interessanter Aspekt von Nahtoderlebnissen. Denn hier geht es um Bewusstseinsforschung. Eines der wichtigsten Themen in dieser Forschung ist ein solcher Prozess des Erwachens, wenn sich also der Grad des Bewusstseins ändert, wenn es sich erweitert. Charakteristisch für diesen Prozess ist, dass man sein erzählerisches Selbst verliert. Das ist der kleine Teil des Ichs, der andauert mit sich selber redet. Der verschwindet.

Außerdem ist man immer in der Gegenwart. Die Vergangenheit und die Zukunft sind bedeutungslos geworden. Auf die Frage „Was ist die Welt?“ gibt es nur die eine Antwort: „Sie ist hier und jetzt!“ Wie sie einmal war, ist unbedeutend. Die Vergangenheit existiert nicht, und ebensowenig das, was in Zukunft kommen wird. Man lebt einfach nur im Moment. Und man ist unglaublich glücklich, während man sich zunehmend dem Transzendenten öffnet. Die eigene Persönlichkeit ist nicht mehr die erzählende Stimme im Kopf, sie wird nicht-dual und vereinigt sich mit der Wirklichkeit.

In den USA gibt es jemanden, Jeffrey Martin, der 1.500 Fälle von Menschen dokumentiert hat, die das erlebt haben. Ganz gewöhnliche Leute. Wir wissen also, dass dieser Zustand existiert und wie er sich zeigt.

Die Frage ist nun, ob es diesbezüglich auch eine Verbindung zu Nahtoderlebnissen gibt. Werden ähnliche non-duale Charakteristika, von denen im Sterbeprozess berichtet wird, auch während einer Nahtoderfahrung erlebt? Die Antwort lautet ja. Ich habe mit Menschen gesprochen, die ein Todesnähe-Erlebnis hatten, und sie haben mir diesen non-dualen Zustand beschrieben. Man kann deshalb eine Veränderung des Bewusstseinszustandes erfahren, wenn man von einem Nahtoderlebnis zurückkehrt. Der Gedanke, dass Nahtoderfahrungen sehr eng mit dem tatsächlichen Sterbeprozess zusammenhängen und dass es um ähnliche Bewusstseinsveränderungen geht, bestätigt sich also auf interessante Weise.

Glauben Sie, dass es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen unserer Lebensweise sowie der Art unseres Denkens und der Art, wie wir den Tod und das Danach erleben?

FENWICK: Beeinflusst unsere Lebensweise die Art und Weise, wie wir sterben? Ja, das ist so, aber hier muss man sehr vorsichtig sein, denn es gibt ja auch Menschen, die zuvor behaupteten, dass nur die materielle Welt existiert. Sie meinten, mit dem Tod in das Nichts zu gehen.

Bevor sie anderes erlebt haben …

FENWICK: Ja, auf Grund ihres Denkgebäudes. Es zeigt sich aber, dass sie diese Vorstellung aufgeben, sobald sie selbst in den Sterbeprozess eintreten. Sie blicken dann erwartungsvoll auf das, was mit ihnen geschieht und behaupten nicht mehr, dass sie an gar nichts glauben. Eine Frau beispielsweise, die völlig überzeugt davon war, dass danach nichts mehr kommt, wachte immer wieder aus ihrem Koma auf und sagte: „Macht weiter, ich will weitergehen!“ Ihre Sicht der Dinge hatte sich also sehr verändert.

Wenn jemand stark an Engel glaubt, wird er dann Engel sehen? Wahrscheinlich. Das zeigen Schilderungen aus dem „Bible Belt“ in den Südstaaten Nordamerikas.

Ändert sich das Erleben je nachdem, ob man ein gutes oder ein schlechtes Leben geführt hat?

Ich möchte es so formulieren: Wenn „gutes Leben“ bedeutet, dass man nicht stark auf sich selbst fokussiert ist und wenn man daran gewöhnt ist, auch an andere Menschen zu denken, wird man sich in der Phase des Sich-selbst-Aufgebens viel leichter von allem lösen können.

Eine andere Sache sind Schuldgefühle. Sie halten einen zurück. Für viele ist es schwer, ihre Schuldgefühle loszulassen … all die schrecklichen Dinge, die sie getan haben, deretwegen sie Schuld empfinden. Denken Sie an jemanden, der viele Verbrechen begangen hat. Er wird große Schwierigkeiten mit seiner Schuld haben.

Ein Kollege hat mich gefragt, wie es wohl einem Psychopathen geht, der keinerlei Schuld empfindet. Das weiß ich nicht. Ich habe nie einen Psychopathen sterben sehen, möglicherweise fällt es ihm leicht. Ich weiss nicht, ob er alles loslassen kann.

Ob man gut gelebt hat, hängt mit der Fähigkeit zusammen, loslassen zu können. Je selbstzentrierter man lebt, umso schwerer ist das.

Das Klischee, dass eine gute Person einen leichten Tod erlebt und eine schlechte Person einen schlimmen Tod, fanden Sie in ihren Forschungen nicht bestätigt?

FENWICK: Wie gesagt, es gibt Menschen, die einen leichten Tod haben, und solche, die Ängste entwickeln, wenn sie dem Sterben näher kommen, die zu sehr gebunden, unfrei sind.

Man könnte also argumentieren, dass jemand, der von Schuld belastet ist, oder jemand, der sein Ego, seinen Besitz oder irgend etwas anderes nicht aufgeben kann, einen schweren Tod haben wird. Das passt irgendwie zu den üblichen Klischees aus der Literatur, aber eben nicht ganz. Denn überraschenderweise geht es beim Sterben vor allem um die Fähigkeit des Loslassens. Wenn ein Milliardär lachend zu seinen Freunden sagen kann: „Jetzt gehört alles Euch, ich lass es los und gebe mich dem Tod hin“ – prima, kein Problem.

Noch eine allgemeine Frage zu den Phänomenen in Todesnähe: Viele Ärzte würden sagen, dass all das letztlich doch nur Halluzinationen sind. Was ist Ihr Gegenargument?

FENWICK: Wenn Leute sagen, dass all das, was wir bei Sterbenden beobachten, „Halluzination“ sei, dann ist das doch nur ein Wort, oder? Was ist eine Halluzination? Es ist ein Erlebnis, das nur Sie haben. Es gibt viele Halluzinationen. Dass es sich um Halluzinationen handeln soll, besagt in Wirklichkeit überhaupt nichts.

Aber wenn man sich die Daten ansieht, erleben Sterbende und die Angehörigen, die im gleichen Zimmer sind, manchmal eben Sterbebett-Besucher. Sie sehen sie. Es gibt überzeugende Berichte davon. Kinder sehen sie häufiger als Erwachsene, und manchmal können auch Hospizschwestern sie sehen.

Auf dieser Grundlage kann man nicht mehr von Halluzinationen sprechen. Und zu behaupten, einiges sei Halluzination, anderes nicht, das ergibt keinen Sinn. Die Erlebnisse „Halluzinationen“ zu nennen, bedeutet doch nur, dass man das Thema gern los werden will: Lasst uns lieber über etwas Interessantes reden … Das ist nicht hilfreich.

Es gibt während Nahtoderlebnissen auch sogenannte Höllenerfahrungen, die offenbar nicht zu Ihrem Bild des Sterbeprozesses passen. Was ist Ihre Meinung dazu?

FENWICK: Ja, einige Menschen berichten von Höllenerfahrungen. Ich habe damit aber meine Schwierigkeiten, weil es in unserer Umfrage oder aus den Briefen, die uns zugeschickt wurden, durchweg eine andere Erklärung für solche Erfahrungen gab.

Zum Beispiel berichtete ein Mann, dass er in seinem Nahtoderlebnis seinen Körper verlassen hatte und sich plötzlich in einem höllischen Reich befand. Es gab lauter Teufel, die ihn andauernd stachen und quälten. Er spürte die Höllenflammen, die ihn verbrannten.

Als es ihm wieder besser ging – er lag nämlich auf der Intensivstation –, wurde ihm klar, dass die Höllenerlebnisse in Wirklichkeit durch das Heizkissen, auf dem er lag, verursacht worden waren. Und die Teufel waren – leicht zu verstehen! – die Krankenschwestern, die ihm Injektionen und ähnliches gaben.

Es handelte sich also um eine Interpretation. Es war eine Illusion. Der Mann stand kurz vor einer sogenannten Intensivstationspsychose, in der Patienten paranoid werden, weil schreckliche Dinge mit ihnen gemacht werden. Es gab also eine rationale Erklärung. Kein Anlass, eine Hölle zu postulieren.

Die Frage ist trotzdem: Gibt es eine Hölle, in die Menschen gelangen können? Nun – ich kenne kein wirkliches Sterbeerlebnis, in dem Menschen von einer Hölle berichtet hätten. Sie tun das einfach nicht.

In unserer Studie kamen solche Erlebnisse in vier Prozent der Nahtoderfahrungen vor. Das mag als wenig erscheinen, aber es handelte sich ja um eine schriftliche Umfrage. Würden Sie bei einer solchen Gelegenheit berichten, dass Sie bestraft und von Teufeln herumgeschubst worden sind? Wahrscheinlich nicht. Deshalb sind Höllenerfahrungen bei uns wohl unterrepräsentiert. Aber die Fälle, die in unserer Umfrage vorkamen, konnten mich nicht davon überzeugen, dass sie die gleiche Qualität wie Nahtoderfahrungen hatten. Andere Forscher mögen der Ansicht sein, dass ich mich in diesem Punkt irre. Man kann die Daten natürlich auch anders interpretieren.

Was haben Sie aus ihrer Erforschung der Todesnähe-Phänomene gelernt? Gibt es so etwas wie eine besondere Botschaft für unsere Kultur?

FENWICK: Ja, ich glaube, dass sterbende Menschen eine sehr starke Botschaft für unsere Kultur haben. Ich bin da der gleichen Meinung wie der Dalai Lama. Er sagt, dass jede Kultur, die den Tod unter den Teppich kehrt und ihn nicht anerkennen will, eine gierige Gesellschaft ist, in der man Dinge ansammeln und unbedingt haben will, in der es normal ist, sich über andere zu ärgern und Feinde zu haben. Alle leben egoistisch, weil sie glauben, ewig zu leben. Unsere Kultur weist in diese Richtung.

Den Tod der Medizin zu überantworten, ihn wegzuschieben, nicht über ihn zu sprechen, heißt Verantwortung zu verleugnen. Nach hundert Jahren sind wir alle weggefegt, aber darüber reden wir nicht. Das ist der erste Punkt.

Und zweitens sollten wir mit Kindern über den Tod sprechen. Es ist eine Tatsache, dass wir alle sterben werden. Wir sollten offen darüber reden.

Einer meiner Enkelsöhne erlebte einmal, wie ein Hund in den Garten eindrang und seinen beiden Hamstern die Köpfe abbiss. Dadurch wurde er mit dem Tod konfrontiert, er hatte die Tiere sehr geliebt. So etwas wirft Fragen auf. Kommen sie jetzt in den Hamsterhimmel oder sind wir alle bloß Maschinen? Welchen Sinn hat der Tod? Das sind fundamentale Fragen, und man bekommt ganz früh seine Lektionen. Viele Kinder haben auch den Tod ihrer Großeltern miterlebt. Davon wissen sie.

Der Tod sollte also auf dem Lehrplan der Schulen stehen. Wir sollten lehren, dass er ein natürlicher Teil des Lebens ist, dass man ihn schon mit der Geburt zu akzeptieren hat. In Wirklichkeit gehören Geburt und Tod zum selben Kontinuum. Da ist nichts, vor dem wir uns fürchten müssten.

Aber wie auf ein Examen, sollte man sich auch auf die letzte Prüfung im Leben vorbereiten, auf den Tod. Dabei kann man auch über die Phänomene sprechen, die da vorkommen.

Es ist wichtig, dass wir damit aufhören, das Thema unter den Teppich zu kehren. Warum tun wir das überhaupt? Weil das Sterben heute weiter von uns weg zu sein scheint. In einer viktorianischen Familie hätte ich zwei oder drei Geschwister gehabt, die schon jung gestorben sind. Es gab damals keine Antibiotika; Hygiene und Infektionsbekämpfung waren unzureichend. Kinder starben besonders häufig, der Tod war allgegenwärtig. Die Viktorianer sprachen im Alltag darüber.

Wenn in unserer heutigen Kultur ein Leichenwagen die Straße entlang fährt, was passiert da? Halten die nachfolgenden Autos, langsam fahrend, gebührenden Abstand? Nein, die Fahrer haben ihre Hände auf der Hupe … Komm schon, mach schon, fahr weiter!

Der Tod wird nicht respektiert. Niemand steht mit gebeugtem Kopf oder gefalteten Händen da, wenn der Leichenwagen vorbei fährt … Es gibt so viele Dinge, die viel wichtiger sind. So ist das. Und trotzdem ist der Tod sehr wichtig. Wir alle werden ihn erleben, also sollten wir über ihn Bescheid wissen. So einfach ist das.

Herr Dr. Fenwick, vielen Dank für die interessanten Einblicke in ihre Forschung und für die Erkenntnisse daraus!

FENWICK: Nun, danke für Ihre Fragen!

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Was beim Sterben wirklich geschieht | Peter Fenwick im Gespräch

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What really happens when you Die • End-of-life-phenomena | An Interview with Peter Fenwick

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Anmerkung: Für die gute Zusammenarbeit bei diesem Interview – von der Organisation bis zur Übersetzung – danke ich Jens Rohrbeck.