29. März 2024

Wenn das Herz den Herrscher leitet

La Clemenza di Tito (Die Milde des Titus)

• Oper in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart

Libretto: Caterino Tommaso Mazzolà (1745–1806), Pietro Metastasio (1698–1782)
Musik: Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
Uraufführung: 6. September 1791, Prag (Ständetheater)
Dauer: ca. 2 Stunden, eine Pause

Akte:
1. Vitellias prächtiges Zimmer; ein öffentlicher Platz in der Gegend des Kapitols
2. In der Gegend des Kapitols; ein Saal in Titus Palast

Hauptpersonen:
Titus Vespasianus,
Imperator von Rom: Tenor
Vitellia, Tochter des früheren Imperators Vitellio: Sopran
Sesto, Titus Freund und Geliebter von Vitellia: Sopran
Servilia, Sestos Schwester, Geliebte von Annio: Sopran
Annio, Sestos Freund, Geliebter der Servilia: Sopran
Publio, Anführer der Prätorianer: Bass

Kurze Werkeinführung

„La Clemenza di Tito“ – Der Großmut des Titus – war Wolfgang Amadeus Mozarts letztes Werk für die Opernbühne. Die Handlung spielt im Jahr 79 n. Chr. und porträtiert den römischen Kaiser Titus als idealen, tugendhaften Herrscher: Obwohl durch Intrigenspiele und schmerzhafte Bösartigkeiten in seinem Umfeld enttäuscht, bleibt der Kaiser seinen Grundsätzen treu und regiert großmütig und milde.

Diese Charakterisierung des Titus (39–81), die auf ein (vielfach vertontes) Libretto des italienischen Dichters Pietro Metastasio (1698–1782) zurückgeht, und auch die Handlung der Oper entsprechen nicht historischen Begebenheiten. Jedoch gab es in Titus Herrscherzeit (ab 79 n. Chr.) ein ungewöhnlich gutes Verhältnis zwischen Kaiser und Senat, und Titus wird von der Geschichtsschreibung auch als Initiator von Hilfsmaßnahmen nach dem Ausbruch des Vesuvs (im Jahr 79) und einem Großbrand in Rom (im Jahr 80) gerühmt. Andererseits dürfte Titus eine unrühmliche Rolle bei der Zerstörung des Jerusalemer Tempels gespielt haben: Als Roms Oberbefehlshaber beendete er im Jahr 69 siegreich den „Jüdischen Krieg“, den die von den Römern unterdrückten Juden drei Jahre davor begonnen hatten.

In Auftrag gegeben wurde „La Clemenza di Tito“ zum Anlass der Krönung von Kaiser Leopold II. (1747–1792) zum König von Böhmen. Mozart komponierte das Werk unter großem Zeitdruck. Noch auf der Fahrt nach Prag, wo am 6. September 1791 die Uraufführung stattfinden sollte, schrieb er an der Oper.

In der Folge – und im gesamten 19. Jahrhundert – war „Titus“ neben der „Zauberflöte“ Mozarts meistgespielte Oper. Doch im 20. Jahrhundert schwand das allgemeine Interesse an Opern mit höfisch-repräsentativem Charakter („Opera seria“).

Jedoch sorgten Mozarts Musik und das dramaturgisch starke Libretto, das Caterino Tommaso Mazzolà (1745–1806) nach Matastasios ursprünglicher Vorlage verfasste, dafür, dass „La Clemenza di Tito“ nie ganz vergessen wurde – und heute auf den internationalen Spielplänen wieder verstärkt Beachtung findet.

Die Handlung

Kurz und gut …

Der römische Kaiser Titus hat einige Probleme, die passende Kaiserin für sich zu finden: Die Liebe zu der schönen Nicht-Römerin Berenice überwindet er zugunsten des Staates, die Liebe zur edlen Servilia zugunsten eines Freundes. Und Vitellia, die dritte Wahl, entpuppt sich als eifersüchtige Verräterin, die Titus besten Freund dazu aufstachelt, ihn zu ermorden. Wenn im antiken Rom unter solchen Umständen trotzdem alle überleben, dann nur, weil Tugendhaftigkeit und Großmut regieren.

1. Akt: Vitellias prächtiges Zimmer

Vitellia, die Tochter des ehemaligen römischen Kaisers Vitellius, hasst dessen Nachfolger Titus, weil er nicht sie, sondern Berenice, eine Ausländerin, zur Gattin nehmen will. „Er maßt sich ein Reich an, das der Himmel mir bestimmt hat“, klagt Vitellia – und fordert von Sesto, tätig zu werden. Ein Umsturz könnte nicht schaden, meint sie: „Bevor die Sonne untergeht, will ich den Unwürdigen ausgelöscht wissen!“

Sesto ist gewaltig in Vitellia verliebt („Lenke meine Schritte! Ich werde alles für dich tun!“), gerät aber in einen Gewissenskonflikt: Er ist auch Titus Freund und kann keinen Makel an dem Herrscher erkennen, der es rechtfertigen würde, ihn aus dem Weg zu räumen. Und auch Vitellia ist sich im Grunde ihres Herzens nicht sicher, ob ihre Rachegelüste gerechtfertigt sind. So beklagen beide ihre innere Zerrissenheit …

Abhilfe schafft das Eintreffen von Sestos Freund Annio. Zur großen Überraschung Vitellias berichtet er, dass Titus der schönen Berenice aus Gründen der Staatsräson entsagt und sie wieder nach Hause geschickt habe: „Titus beherrscht die Welt und auch sich selbst.“

Sofort schöpft Vitellia neue Hoffnung – und pfeift den ihr ergebenen Sesto zurück: Er solle mit der Beseitigung Titus noch warten, die Zeit sei noch nicht reif.

Klar, dass Sesto sich nun wie ein Spielball von Vitellias Befindlichkeiten fühlt. Sie aber versichert ihm, ihn zu lieben, fordert Vertrauen („Deh, se piacer me vuoi“) und zieht sich zurück.

Annio hat nun Gelegenheit, seinen Freund Sesto in einer dringenden Privatangelegenheit zu sprechen: Er liebt dessen Schwester Servilia und will sie heiraten. Es fehle, sagt er, nur noch die Zustimmung des Kaisers. Sesto sichert Annio zu, sich bei Titus für die Hochzeit einzustehen. Auch er freue sich über diese Verbindung …

Ein öffentlicher Platz in der Gegend des Kapitols

Der siegreiche Kaiser Titus wird vom Volk begrüßt – als gerechter, starker Herrscher, als „Zierde des Zeitalters“, dem man auch gerne Geschenke überreicht. Titus nimmt die Gaben seines Volkes an – aber nicht für sich, sondern um sie bedürftigen Menschen zuzuführen. Alle sind beglückt und erfreut – nur Sesto ist bald entsetzt: Denn ausgerechnet der Kaiser, den er ja eigentlich um seine Zustimmung für die Ehe zwischen seiner Schwester und Annio bitten wollte, offenbart ihm im Vertrauen, dass er sich nun, nachdem seine Liebe zu Berenice überwunden sei, für eine Ehe mit Servilia entschieden habe.

Titus, der die Zuneigung seines Volkes als größtes Glück empfindet, ahnt freilich nichts von dem Verhältnis zwischen Servilia und Annio. Und als dieser nun von den Heiratsabsichten seines Herrschers erfährt, ist er aus Treue zu ihm bereit, auf seine Braut zu verzichten. Er überbringt ihr also die Nachricht, dass Titus „keine tugendhafte Schönheit“ gefunden habe, die „seines Reiches würdiger“ wäre und bittet die künftige Herrscherin, ihm die bisherigen Liebesbekundungen zu verzeihen („Ah, perdona al primo affetto“).

Servilia jedoch ist entschlossen, ihre Liebe zu Annio nicht aufzugeben. Als sich Titus ihr nähert, gesteht sie dem Kaiser, dass ihr Herz bereits vergeben sei. Sie liebe Annio und habe „nicht die Kraft, ihn zu vergessen“. Das Geständnis berührt Titus idealistisch gesinntes Herz: Wenn für Servilia Annio offenbar wichtiger sei als der Thron, so wolle er „solch’ wundervoller Liebe“ nicht im Wege stehen, sondern diesen Bund selbst bekräftigen. Zudem freue ihn Servilias Aufrichtigkeit („Ah, se fosse intorno al trono“):

Ach, hätte doch jeder an meinem Thron
so ein aufrichtiges Herz!
Das Herrscheramt wäre dann keine Last,
sondern reine Glückseligkeit
Die Herrscher hätten nicht solche Mühe,
Verrat und Wahrheit zu unterscheiden.

Vitellia fand indessen ihre Befürchtung bestätigt, dass Titus Herz auch nach Berenices Abreise nicht für sie schlägt. So drängt sie Sesto, nun ehestmöglich zu den Verschwörern zu eilen und die geplante Tat auszuführen: Das Kapitol solle brennen, Titus Herz ein Dolch durchbohren …

Sesto ist bereit und will gehen – in der Hoffnung, mit dieser Tat Vitellia endlich ganz für sich zu gewinnen („Parto, ma tu ben mio“).

Vitellia freut sich darüber, in Sesto ein so willfähriges Werkzeug in der Hand zu haben – allerdings nicht lange. Denn gleich nachdem er sich aufgemacht hat, um die umstürzlerischen Pläne in die Tat umzusetzen, sucht Publio sie auf. Er weiht Vitellia in die neuesten Heiratsabsichten des Kaisers ein: Titus habe sich dazu entschlossen, sie zu heiraten und damit zur Kaiserin zu machen.

Vitellia reagiert entsetzt. Sie beklagt ihre „verhängnisvolle Wut“ und will den Umsturz stoppen. Aber zu spät – das Kapitol steht bereits in Flammen.

Indes beklagt Sesto sein Schicksal als Verschwörer. Er zögert, ausgerechnet gegen Titus, „den gnädigsten Herrscher der Erde“, dem er selbst alles verdanke, die Hand zu erheben („Oh Dei, che smania è questa“):

O Götter, welche Unruhe!
Welcher Aufruhr in meinem Herzen!
Ich erzittere, ich erstarre, ich eile, ich zage.
Jeder Hauch, jeder Schatten lässt mich erbeben!
Nie hätte ich geglaubt,
Dass eine niederträchtige Tat
So schwer zu vollbringen ist.

Bald verbreitet sich im nächtlichen Rom die Nachricht, dass der Brand im Kapitol absichtlich gelegt worden sei, dass eine Verschwörung im Gange und der Kaiser in höchster Gefahr sei. Servilia und Annio sind entsetzt, Vitellia ruft verzweifelt nach Sesto und beklagt ihre Emotionalität („Ich hasse mich und erschrecke vor mir selbst“), während die anderen darüber rätseln, wer denn der Anstifter dieses Aufruhrs sein könnte.

Da erscheint Sesto, klagend und verwirrt („Erde, tu dich auf und begrabe den Verräter in deinen Tiefen!“), und berichtet, dass Titus tot sei. Vitellia bedrängt ihn, sich selbst nicht als Täter zu verraten – und das Volk rätselt, wer diesen schändlichen Mord an dem geliebten Imperator begangen haben könnte …

2. Akt: In der Gegend des Kapitols

Sesto kann seine Tat nicht vergessen. Er ist in tiefen Schmerz versunken und fest dazu entschlossen, sich zu stellen. Da kommt Annio mit der Nachricht, dass doch nicht der Kaiser getötet worden sei, sondern ein anderer Römer, der ähnliche Kleidung getragen hatte. Doch das beruhigt Sesto nicht. Er gesteht seinem überraschten Freund, selbst der Täter gewesen zu sein – ohne ihm allerdings den Hintergrund für die Verschwörung zu verraten, denn er möchte Vitellia schützen. Sesto drängt es zur Flucht, aber Annio rät ihm, an Titus Seite zurückzukehren („Torna, di Tito a lato“) und seine Tat durch neue Treue zu büßen. Der bittere Schmerz, den Sesto verspüre, sei ein deutliches Zeichen dafür, dass immer noch Tugendhaftigkeit in seinem Herzen wohne.

Vitellia jedoch drängt ihren Handlanger kurz danach zur Flucht. Er dürfe nicht entdeckt werden …

Doch Sesto bleibt die Entscheidung zwischen neuer Treue und rascher Flucht erspart. Denn schon erscheint Publio, um ihn zu verhaften. Der Römer, den er für Titus gehalten habe, habe den Anschlag überlebt – und nun sei klar, wer hinter allem stehe.

Sesto lässt sich abführen, versichert der verzweifelten und von Reue gequälten Vitellia aber, sie auch in dieser Situation noch zu lieben. Er werde sie nicht verraten – und sie solle ihn nicht vergessen: „Dein Mitleid sei mir Trost in meinem Schmerz!“

Ein Saal in Titus Palast

Das Volk nimmt Anteil am Schicksal seines Kaisers. Es dankt den Göttern, dass Titus, die „Zierde des Throns“, den Anschlag unbeschadet überlebt hat.

Titus kann immer noch nicht glauben, dass es wirklich Sesto war, der ihn verraten hat. „Ich messe sein Herz an meinem“, bekräftigt er gegenüber Publio. Und von Annio erhofft er, dass er den Getreuen entlasten werde. Doch auch Annio bestätigt Sestos Schuld – und bittet gleichzeitig um Gnade für seinen Freund, denn der Senat hat ihn nach seiner Anhörung bereits zum Tod in der Arena verurteilt – und es liegt nun an Titus, ob er das Dekret für dieses Urteil unterschreibt („Tu fosti tradito“).

Du wurdest verraten,
Er hat den Tod verdient,
Und doch hoffe ich noch auf Titus Herz!

Titus ist hin- und hergerissen zwischen seiner Empörung, von einem Freund und Getreuen verraten worden zu sein, und der Vorstellung, einen Freund einem schrecklichen Tod zuzuführen. Er beklagt das Schicksal des Herrschers, dem das friedliche, sorglose Leben seiner Untertanen versagt bleibe und entschließt sich, Sesto noch einmal selbst anzuhören.

Dabei bemerkt er, wie sehr sein alter Freund von Reue geplagt ist. Titus drängt ihn dazu, sich ihm anzuvertrauen, ihm die Hintergründe seiner Tat zu offenbaren. Aber Sesto bleibt verschlossen. Es gebe keine Entschuldigung für sein Handeln, er sei „ein Opfer des Zorns der Götter“, ein schändlicher Verräter, der den Tod verdiene.

Titus ist zornig darüber, dass der Verurteilte diese Gelegenheit, sich zu retten und sein Herz zu öffnen, nicht nützen will. Sesto aber ist entschlossen, Vitellia nicht zu verraten und lässt nur unklar durchblicken, dass das Motiv für seine Tat nicht in Hassgefühlen gegenüber Titus lag („Deh, per questo istante solo“):

Ach, nur einen Augenblick lang
Gedenke unserer früheren Liebe,
Denn deine Verachtung, deine Strenge,
Schmerzen mich zu Tode.
Wahrlich, ich verdiene keine Gnade,
Abscheu muss man vor mir haben,
Doch du wärst weniger hart,
Könntest du mir ins Herz blicken.

Titus bleibt nachdenklich zurück. Gern würde er Sesto weiterhin am Leben sehen, andererseits aber dürfen die Gesetze nicht ihre Gültigkeit verlieren. Am schlimmsten aber wäre es, würde die Nachwelt urteilen, dass Titus seine Mildtätigkeit verloren habe („Se all’impero“):

Ist zum Herrschen, ihr guten Götter
Ein hartes Herz vonnöten,
So nehmt mir das Reich
Oder gebt mir ein anderes Herz!

Servilia und Annio bedrängen Vitellia, sich für den zum Tod Verurteilten einzusetzen. Als künftige Herrscherin wäre es ein Leichtes für sie, um Gnade für Sesto zu bitten. Der Unglückliche habe sie mehr geliebt als sich selbst.

Vitellia ist nun klar, dass Sesto sie tatsächlich nicht verraten hat. Doch ihre Freude darüber weicht letztlich einem übermächtigen Schuldbewusstsein. Sie entschließt sich, Titus zu gestehen, dass sie es war, die Sesto zur Tat gedrängt hat. Sie verabschiedet sich von allen „Träumen von Macht und Ehe“ und hofft auf Mitleid und Verständnis für den eigenen Schmerz, der sie so handeln hatte lassen („Non più di fiori“).

Als Titus vor das Volk tritt, um sein Urteil über Sesto zu verkünden, fällt Vitellia dem Kaiser zu Füßen. Sie bringe ihm den Anführer der Verschwörer, der Sesto zu seiner Tat verführt habe: Sie selbst sei es, sie habe den Plan erdacht, Sestos Vertrauen missbraucht. Und das alles, weil sie sich von Titus „mehr als einmal übergangen“ gefühlt und auf Rache gesinnt habe.

Titus Mildtätigkeit ist gefordert. „Welch ein Tag ist dies!“ („Ma che giorno è mai questo?“), ruft er den Göttern entgegen. „Sobald ich einen Schuldigen begnadige, entdecke ich den nächsten.“

Aber er bleibt entschlossen: Seine Tugend soll sich weiter behaupten, seine Großherzigkeit als beständiger erweisen als die Heimtücke derer, die sich schuldig gemacht haben:

Lasst Sesto frei!
Vitellia und ihren Anhängern
seien Leben und Freiheit geschenkt!
Rom soll erfahren, dass ich mir treu geblieben bin!

Das Volk jubelt seinem gütigen, großmütigen Herrscher zu: „Roms Glanz und Glück durch ihn!“