30. April 2024

„Willst Du die Wette wagen?“

Mefistofele

• Oper in vier Akten von Arrigo Boito • 

Libretto: Arrigo Boito (1842–1918) 
Musik: Arrigo Boito (1842–1918) 
Uraufführung: 5. März 1868, Mailand (Teatro alla Scala) 
Dauer: ca. 2,5 Stunden

Akte:
Prolog im Himmel
1. Stadttor von Frankfurt am Main; Fausts Studierzimmer
2. Ein ländlicher Garten; Talgrund
3. Ein Kerker
4. Felsbuchten des Ägäischen Meeres
Epilog in Fausts Studierzimmer

Hauptpersonen:
Mefistofele
: Bass
Faust, ein Gelehrter: Tenor
Margherita: Sopran
Martha, Margeritas Nachbarin: Alt
Wagner, Fausts Schüler: Tenor
Helena: Sopran

Kurze Werkeinführung

„Mefistofele“ ist die einzige vollendete Oper des italienischen Komponisten und Librettisten Arrigo Boito (1842–1918). Sie beruht auf den Faust-Dichtungen von Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) und spielt in Deutschland um 1500. 

„Mefistofele“ und wurde am 5. März 1868 an der Mailänder Scala uraufgeführt. Nach heftiger Kritik an dem ursprünglich fünfeinhalb Stunden langen Werk zog Boito die Partitur zurück, verbrannte sie großteils und schrieb eine gekürzte Neufassung, die am 4. Oktober 1875 zur Uraufführung kam und ein großer Erfolg wurde.

Musikalisch war Boito sowohl von deutschen als auch von italienischen Komponisten beeinflusst. Mit seiner eigenen Oper versuchte er einen Brückenschlag zwischen diesen Welten.

Als Librettist verfasste er unter anderem das Textbuch für Verdis letzte Oper „Falstaff“. 

Boitos „Mefistofele“ steht – in der zweieinhalbstündigen Neufassung – bis heute auf den Spielplänen der großen Opernhäuser und gilt – neben Gounods „Faust“ – als die wichtigste musikalische Bearbeitung von Goethes Drama für die Opernbühne.

Die Handlung

Kurz und gut …

Die Liebe eines Mädchens, die Liebe einer Göttin – oder doch die himmlische Liebe? Faust trifft seine Wahl ohne Qual.

Prolog im Himmel

Im Himmel besprechen Mefistofele und der Herr das Schicksal der Menschheit am Beispiel von Heinrich Faust. Dieser unermüdlich Studierende, der die Grenzen des Menschenmöglichen überschreiten wolle, werde gerade durch seinen Verstand und seine Gelehrsamkeit scheitern, meint
Mefistofele. Und er wettet, dass es ihm gelingen werde, Faust so zu beeinflussen, dass er seinen „Schlingen“ verfallen und vom Weg des Guten abkommen werde:

Willst Du die Wette wagen?

Ein „mystischer Chor“ verkündet die Zustimmung des Herrn …

1. Stadttor von Frankfurt am Main

Ostersonntag. Am Stadttor von Frankfurt am Main beobachten Faust und sein Schüler Wagner das Treiben der Leute – Bürger und Studenten, Armbrustschützen und ausgelassen tanzendes Volk. 

Schließlich, gegen Abend, fällt Faust ein „grauer Mönch“ auf, der ihnen zu folgen scheint. 

Wagner will in der Gestalt nur einen einfachen Bettelmönch erkennen, der seine Gebete murmelt, aber Faust bedrückt ein unangenehmes Empfinden:

„Mir scheint, dass er magisch
Schlingen um unsere Füße legt“ …

Fausts Studierzimmer

Als Faust bald danach allein in seinem Studierzimmer weilt, um das Evangelium tiefer zu ergründen, tritt der graue Mönch aus einer Nische und gibt sich zu erkennen als

„ein Teil von jener Kraft,
die stets das Böse will
und stets das Gute schafft“.

Zwischen Faust und dem geheimnisvollen Besucher entspinnt sich ein anregendes Gespräch, das in ein verlockendes Angebot mündet: Mefistofele – um ihn handelt es sich bei dem Mönch – bietet sich dem Gelehrten als stets hilfreicher Freund, als „dein Sklave gar, dein Diener“ an. Im Gegenzug müsse Faust ihm später, „im and’ren Leben“ – nach dem Tod – zu Diensten sein.

Faust wittert nun die lang ersehnte Möglichkeit für eine neue Erlebnisintensität – hier in dieser Welt („das and’re Leben kümmert mich nur wenig“). Und er geht den Pakt ein: Sollte er von der Faszination seines Erlebens wirklich überwältigt werden,

„… sollt’ es gescheh’n,
dass ich dem Augenblicke sage:
Verweile doch, du bist so schön!
– dann lass mich sterben,
lass die Hölle mich verschlingen.“

Die beiden reichen einander die Hand. Der Vertrag gilt. Und schon breitet Mefistofele seinen Zaubermantel aus, um Faust davon zu tragen und seinem Herrn „in wilder Lust zu Dienste“ zu sein.

2. Ein ländlicher Garten

Durch Mefistofeles Kraft hat Faust seine Jugend wiedergewonnen. In einem ländlichen Garten umwirbt er während eines Spaziergangs Margherita, ein junges, unschuldiges Mädchen, während Mefistofele Martha, Margheritas Nachbarin, an seiner Seite hat und sich ihr als Abenteurer präsentiert, der vor den Listen der Frauen auf der Hut ist.

Zwischen Faust und dem Mädchen hat sich bereits eine zarte Beziehung entwickelt, aber Margherita ist vorsichtig. Sie mag den jungen Heinrich an ihrer Seite, aber dass er, wie sie nun erfahren muss, offenbar nicht ernsthaft an Gott glaubt, das ist, findet sie, „nicht recht“.

Faust entgegnet ihren Vorbehalten mit einer Liebeserklärung: Auch er suche die Wahrheit, doch für ihn seien echte, wahrhaftige Gefühle der Liebe das Entscheidende, nicht „die Worte der Heiligen“:

„Füll dein Herz mit dem wahren,
ewigen Schauer der Liebe
und nenne es Wonne –
Natur! Liebe! Geheimnis!
Leben! Gott! Leben Gott! …
Nur Schall und Rauch
Sind eitle Worte …“

Faust gesteht Margherita seinen großen Wunsch, „ein Stündchen mit dir allein verbringen, dich lieben“ zu können. Und tatsächlich zeigt sich das Mädchen nicht abgeneigt. Jedoch schlafe sie nicht allein und ihre strenge Mutter, mit der sie das Haus teilt, habe einen leichten Schlaf. „Würde sie dich hören, ich glaub’, ich müsste sterben.“

Für dieses kleine Problem weiß Faust eine Lösung: Drei kleine Tropfen aus einem Fläschchen, das er Margherita zur Benutzung überreicht, würden ausreichen, um sie „in einen friedlich tiefen Schlaf“ zu versenken.

Das Mädchen fühlt sich von ihren Gefühlen für Heinrich überwältigt. Doch als sie ihre Nachbarin Martha und Mefistofele erblickt, reißt sie sich von ihm los.

Die Tropfen wird sie dennoch zur Anwendung bringen …

Talgrund

Mefistofele führt Faust durch „eine öde, wilde Gegend im Tal der Schierke am Fuß des Brockens im Harzgebirge“. Hier findet die Walpurgisnacht statt, der Sabbath der Hexen, die nun ebenfalls eintreffen und ihrem Herrn zu Ehren tanzen. 

Als Symbol seiner Macht über die Erde erhält Mefistofele einen Glasglobus zum Geschenk – und er verspottet die Menschheit, die sowohl die Hölle, als auch das Paradies nur noch als Märchen betrachtet und nicht ahnt, von welcher Macht sie regiert wird. 

Zuletzt wirft Mefistofele den Globus verächtlich zu Boden, so dass er zersplittert.

Faust wird indes von einer quälenden Vision heimgesucht: Er glaubt Margherita zu schauen – in der Gestalt eines blassen, schönen Mädchens, das gefesselt in Ketten liegt:

„Die blauen Augen weit geöffnet!
Augen einer Toten!
Und die weiße Brust,
die ich so oft küsste.
Ja, es ist Margherita,
Mein Engel, ja, mein Engel!“

Mefistofele versucht Faust einzureden, dass er sich täuscht („Jeder Mann sieht nur die Frau, die er geliebt!“). Doch während die Hexen ihren „Höllentanz“ fortsetzen, überwältigen Faust seine liebevollen Erinnerungen an Margherita.

3. Ein Kerker

Margherita liegt gefesselt im Kerker und wartet auf ihre Hinrichtung. Ihr Leben ist seit der Begegnung mit Faust außer Kontrolle geraten. Sie ist verzweifelt und schon lange nicht mehr bei klarem Verstand. Sie weiß aber, dass sie ihre Mutter vergiftet und das Kind, das sie infolge ihrer Nacht mit Heinrich geboren hatte, ertränkt haben soll.

Faust will Margherita mit Hilfe der Zauberkräfte von Mefistofele, der ihm auch Zugang zum Kerker verschafft hat, retten. 

Als die Gefangene ihren Geliebten erblickt, erwacht eine neue Sehnsucht nach Frieden und Glück in ihr. Die beiden fallen einander in die Arme, und Margherita ist bereit, mit Faust zu fliehen:

Weit, weit weg …
… ist ein Hafen tiefster Ruhe,
eine azurblaue Insel.
Ich sehe sie am klaren Himmel,
Umschlossen von einem Regenbogen,
Der der Sonne Lächeln widerspiegelt …

Aber die Tatsache, dass Faust Mefistofele an seiner Seite hat, lässt Margherita dann doch innehalten. Sie spürt das Böse in dem Begleiter, dem ihr Geliebter sich zugesellt hat („Heinrich, mir graut vor Dir“), entschließt sich, auf ihre Freiheit zu verzichten und versinkt tief und endgültig im Gebet, um ihr irdisches Leben mit der Bitte um Errettung ihrer Seele zu beenden.

Mefistofele quittiert Margheritas Entschluss mit der kühlen Bemerkung, dass sie verloren sei: „Sie ist gerichtet.“

Von fern aber erklingt der Gesang der Himmlischen Heerscharen und widerspricht: „Sie ist gerettet.“

4. Felsbuchten des Ägäischen Meeres

In der klassischen Walpurgisnacht hat Mephisto Faust ins antike Griechenland versetzt. Hier, an den Felsbuchten des Ägäischen Meeres, besingen Nymphen und Sirenen gemeinsam mit Helena den Vollmond. Diese erlebt visionär noch einmal die Zerstörung Trojas.

Faust erscheint „in ritterlicher Hofkleidung des Mittelalters“. Er ist auf der Suche nach Helena, die er als reinste und idealste Form ewiger Schönheit betrachtet. Als er sie erblickt, verneigt er sich vor ihr, um ihr seine Liebe zu gestehen:

Von dir, erhabnes Götterbild,
Strahlt Himmelsschönheit wider!
Vor dir werf’ ich geblendet
In Lieb’ entbrannt mich nieder.

Helena erwidert Fausts Liebe unmittelbar – zur Verwunderung Mefistofeles, der erstaunt beobachtet, wie die beiden von „heiterer Liebe“ erfasst werden und von einer gemeinsamen Zukunft in Arkadien träumen, in einem „friedlichen Tal“.

Plaudernd verlieren sich Faust und Helena „im Gebüsch“ …

Epilog in Fausts Studierzimmer

In hohem Alter sinniert Faust in seinem Studierzimmer über sein Leben („Ich eilte durch die Welt und ihre Wunder“). Er konnte alles erfahren, wonach es ihn gedrängt hatte, alle „menschlichen Geheimnisse“ kennenlernen, „die Liebe eines Mädchens, die Liebe einer Göttin“. Aber niemals hatte er sich fest an ein Erlebnis binden wollen. In keinem Augenblick hatte er gebeten: „Verweile doch, du bist so schön!“

Mefistofele hofft dennoch darauf, Faust noch verführen und seine Seele gewinnen zu können. Er erinnert ihn an seine wunderbaren Erlebnisse, an den Gesang der Sirenen …

Doch Faust überwindet alle Verführungen, die ihn an die physische Welt binden wollen, und ergibt sich nun, am Ende seines Lebens, dem himmlischen Licht.

Begleitet von Himmlische Heerscharen fällt Faust betend auf die Knie:

Gütiger Gott, befreie mich
Von meinem mir spottenden Teufel
Führe mich nicht in Versuchung!

Sterbend verspürt Faust erstmals einen „heiligen, fliehenden Augenblick“, der, so ruft er erlöst aus, verweilen möge – um ihm „Ewigkeit zu geben“.

Daraufhin ergießt sich ein lichtvoller „Regen von Rosen“ über seinen Körper, der gleichzeitig Mefistofele versengt und verdrängt.

Er hat seine Macht über Faust verloren.


Anmerkungen:
Zitate aus dem Libretto
Das Titelbild zeigt eine „Mefistofele“-Inszenierung aus dem Festspielhaus Baden-Baden, 2016