1. Dezember 2024

Ein Sog aus Geborgenheit und Wärme

Marielle Hellers Film-Biographie „Der wunderbare Mr. Rogers“

• Moderatoren sind Schauspieler mit begrenztem Repertoire. Jedenfalls erwecken sie oft diesen Eindruck. Sie haben gelernt, mit der Kamera zu flirten, kommen gut „rüber“, haben ihren eigenen Sprechduktus entwickelt und verkaufen damit dramatische Akzente ebenso wie Botschaften, die zur Nachdenklichkeit oder Rührseligkeit anregen. 

Der Moderator bleibt seiner einmal entwickelten Rolle stets treu. Es liegt ihm nicht, routinemäßig fremd zu gehen wie echte Schauspieler und unterschiedlichste Charaktere darzustellen. Sobald die Kamera läuft, präsentiert er zuverlässig sein optimiertes Selbst, nichts anderes. Und sein Publikum erwartet von ihm genau das.

Wenn nun ein grundguter Kinderfreund und presbyterianischer Pastor wie der US-Amerikaner Fred Rogers (1928–2003) seine Moderatorenrolle mit Klavier- und Puppenspiel optimiert und über 30 Jahre lang, von 1968 bis 2001, in einer eigenen Show für Kinder im Vorschulalter vom Bildschirm lächelt, dann sollte es nicht verwundern, dass er sich zum beliebtesten „Nachbarn“ des Landes entwickelt. Schließlich sind wir in den Vereinigten Staaten, wo die kritiklose Bereitschaft, sich begeistern zu lassen, besonders groß ist und die Grenzen von Offenheit und Einfalt, von Herzlichkeit und Naivität verschwimmen.

In Europa hätte es Fred Rogers vermutlich schwerer gehabt. Und wenn man miterlebt, wie gekonnt Tom Hanks ihn in der Film-Biographie „Der wunderbare Mr. Rogers“ spielend, singend und ewig lächelnd verkörpert (wofür er eine Oskar-Nominierung erhielt), dann hat man es vielleicht gerade deshalb nicht so leicht, sich mit diesem allerliebsten amerikanischen Nachbarn wirklich anzufreunden. Denn die für die Moderation optimierte Kunstfigur scheint den Menschen zu dominieren, allzu einsilbig, unecht und von sich selbst ferngesteuert wirkt Fred, der Wunderbare.

Lloyd Vogel (Matthew Rhys), ein abgebrühter Journalist, der für das Lifestyle-Magazin „Esquire“ schreibt an seinen Interviewpartnern selten ein gutes Haar lässt, hat vielleicht noch größere Vorbehalte gegenüber Mr. Rogers. Als er von seiner Chefin den Auftrag erhält, einen kurzen Artikel über den beliebten Fernsehonkel zu verfassen, macht er sich nur widerwillig an die Arbeit – bereit, den wahren Menschen hinter der Maske zu entlarven. 

Doch er entdeckt tatsächlich immer nur den herzlichen, Optimismus versprühenden, auch in allen Erwachsenen das Kind weckenden, wunderbaren Mr. Rogers. Den Menschen, der redlich und ernsthaft bemüht ist, sein idealisiertes Moderatoren-Selbst tatsächlich 24 Stunden am Tag zu leben.

Was passiert, wenn passionierter Zynismus auf unverbrüchliche Freundlichkeit trifft, ist Inhalt von Marie Hellers Filmbiographie über die bekannte US-amerikanische TV-Ikone. Hier der kritische Journalist, der von vornherein Abgründe hinter den Kulissen vermutet und unlautere Motivationen unterstellt, dort ein Mensch mit absolut wertschätzender Grundhaltung, der allein schon dadurch begeistert, dass er sein Gegenüber wahrnimmt und mit lebenserfahrener Empathie sofort dessen Sehnsüchte oder Probleme ortet.

Lloyd Vogel kommt als Herausforderer und geht als Beschenkter. Und egal, ob Fred Rogers wirklich authentisch oder einfach in der Moderatoren-Rolle seines Lebens festgefahren oder beides ist – sein Prinzip der kindlichen Freude am Leben, der Würdigung und Wertschätzung funktioniert, bietet Impulse und verändert die Dinge zum Guten.

Es ist eine einfache, zeitlose und doch unzeitgemäße Botschaft, die Marie Heller mit ihrer Regiearbeit vermittelt – inspiriert eben durch den Artikel über Fred Rodgers im Magazin „Esquire“. 

Dass ein Film, der so etwas thematisiert, von den Zuschauern ebenso wie von Kritikern beste Bewertungen erhielt, überrascht und erfreut … und überrascht andererseits auch nicht. Denn es ist ein Genuss, den Schauspielern zuzusehen. Aber nicht nur das: „A Beautiful Day in the Neighborhood“ („Ein schöner Tag in der Nachbarschaft“ – so der Originaltitel) lädt den Zuschauer ein, zwischendurch selbst wieder Kind zu sein. Die Sets, die Fred Rogers Fernsehkulissen darstellen, wirken wie ein Sog aus Geborgenheit und Wärme und führen in eine eine kunterbunte, fast vergessene kindliche Welt, die zu selbstvergessenem Staunen verführt. Und in einer solchen „Nachbarschaft“ verliert sich hin und wieder wohl auch der verkopfteste Erwachsene recht gern.

Sehenswert!

(2019, 109 Minuten)